Zeitzeuge Karl Pfeifer mit 94 Jahren in Wien verstorben

Karl Pfeifer sah sich stets der Wahrheit verpflichtet, auch wenn sie unbequem war. © WIKIPEDIA

Der jüdische Journalist Karl Pfeifer hat mit seinem Tod eine große Lücke hinterlassen. Der Verstorbene, der auch jahrelang ein geschätzter und kompetenter Autor für die Jüdische Rundschau war, galt als ein unermüdlicher Aufklärer über die Verbrechen der NS-Zeit und als ein wertvoller Mahner der Gegenwart. Er kämpfte im Israelischen Unabhängigkeitskrieg mit und stellte seine letzten Lebensjahrzehnte in den Dienst der Erinnerung an die Shoah. Seine Arbeit wurde mit zahlreichen Preisen gewürdigt, 2022 wurde Karl Pfeifer mit dem Simon-Wiesenthal-Preis geehrt. (JR)

Von Lioba Lobmayr

"Wenn hierzulande die Lüge wieder zur einzigen Wahrheit erklärt wird und das Totschweigen beredter ist denn je, dann ist da immer einer, der sicher nicht stillhalten kann, der schon auf dem Sprung liegt, der – wie es im Wienerischen heißt – sich seinen Karl macht, auf alle Untertänigkeit und Eintracht zu pfeifen, denn der Pfeifer Karl lässt sich nicht eingemeinden, nicht hier und auch nicht anderswo. Karl Pfeifer ist ein gebürtiger Badener und überall der geborene Außenseiter, der gar nicht vorhat, willfährig und still sich einzureihen oder gar unterzuordnen", leitete der österreichisch-jüdische Schriftsteller Doron Rabinovici die Laudatio zum 90. Geburtstag von Karl Pfeifer ein.

 

Kindheit in Niederösterreich und Flucht nach Palästina

Geboren wurde Karl Pfeifer am 22. August 1928 in Baden bei Wien als Sohn ungarisch-jüdischer Eltern. Seine Mutter sprach ungarisch, sein Vater, der aus dem damaligen Deutsch-Westungarn stammte, sprach deutsch. Karl Pfeifer wuchs in einer assimilierten bürgerlichen Familie auf, jedoch nahm seine Kindheit 1938 ein frühes Ende. Nach antisemitischen Angriffen in der Schule gegen ihn erkannten seine Eltern früh die Gefahr und flohen mit ihm 1938 über die Schweiz, Italien und Kroatien nach Ungarn. Sein älterer Bruder Erwin ging bereits 1937 nach Palästina. In Budapest lernte er schnell ungarisch und lebte sich rasch ein. Dennoch musste er auch dort die Erfahrung machen, dass er von vielen Einheimischen als "Saujud" beschimpft wurde. Bereits in jungen Jahren atheistisch, trat er 1940 der sozialistisch-zionistischen Jugendorganisation "Haschomer Hatzair" bei. Nach der deutschen Besetzung Ungarns gelang Pfeifer unter falschem Namen mit einem Kindertransport auf höchst abenteuerliche Weise die Flucht über Rumänien, Bulgarien und die Türkei nach Palästina. Im Kibbuz Schaar Haamakim wurde er im Rahmen der Jugend-Alija erzogen.

Ab 1947 diente Pfeifer in der Elitetruppe Palmach der Untergrundorganisation Hagana, einer Phase seines Lebens, in der er viele seiner Freunde im Kampf für die Freiheit sterben sah, und später in der israelischen Armee. Über die Geburtswehen Israels hat er folgende Erinnerung: Er verfolgte in Jerusalem am 29. November 1947 im Radio die Abstimmung der Generalversammlung der UNO zur Teilung des britischen Mandatsgebiets Palästina: "Wir jubelten, als wir hörten, dass die Mehrheit für die Teilung gestimmt hatte. 50 Jahre nach Gründung der zionistischen Bewegung rückte Theodor Herzls Traum in greifbare Nähe. Heute wird oft `vergessen´, dass auch ein Staat für die Araber Palästinas entstehen sollte, die noch nie zuvor einen gehabt hatten." Am 29. November 1947 stimmte die Vollversammlung der Vereinten Nationen für die Errichtung von zwei Staaten auf dem Gebiet des britischen Mandatsgebietes - eines jüdischen und eines arabischen Staates. Die Juden nahmen den Vorschlag an, die Araber lehnten ihn ab.

 

Der spätberufene Journalist

Karl Pfeifer war unbequem, er eckte an. "Er verzichtete nie auf seine eigene Meinung. Er blieb widerborstig, ja, er wurde so zu einem Störfaktor, zu einem Querkopf, der seine Stimme erhebt, wenn der politische Ungeist wieder um sich greift", beschrieb Doron Rabinovici sein Wesen.

1951 kehrte Pfeifer zeitweilig in seine alte Heimat Österreich zurück und war zunächst im Hotelgewerbe tätig, wo er zuletzt als Empfangschef im Hotel Astoria arbeitete. Einige Jahre arbeitete er auch in Neuseeland und Schweden, später fungierte er als Direktor der Bowlingbahn im Wiener Prater sowie als Manager in London. Damals zu seiner Rückkehr gefragt, wie er sich hier fühle, antwortete er: "Für meinen Geschmack sind die Nazis viel zu laut." Dem dort immer noch herrschenden ewiggestrigen Dunst entzog er sich schließlich mit mehrfachen Orts- und Berufswechseln und avancierte zum Kosmopolit mit weiteren Stationen unter anderem in Italien und den USA.

Der spätberufene Journalist, der nach eigenen Angaben über 20 Arbeitsstellen in ganz Europa hatte, kam erst spät und als Autodidakt zu seiner publizistischen Berufung. Ab 1979 arbeitete er für unterschiedliche Medien, unter anderem für Kol Israel und war von 1979 bis 1995 als Chefredakteur der "Gemeinde", dem offiziellen Organ der Israelitischen Kultusgemeinde, IKG, tätig. Nach 1995 und in den 2000er Jahren war er Wiener Korrespondent des israelischen Radios sowie als freier Journalist für das britische Magazin "Searchlight" und das Internetmedium "haGalil" tätig. Ebenso schrieb er für die in Wien erscheinende "Illustrierte Neue Welt" und das Berliner Wochenblatt "Jüdische Allgemeine". Er publizierte mehrere Monografien, darunter "Einmal Palästina und zurück. Ein jüdischer Lebensweg" (2013).

 

Der kritische Betrachter

In seiner ersten Monographie "Nicht immer ganz bequem ... " – einer Zusammenstellung seiner publizistischen Arbeiten, die in zahlreichen in- und ausländischen Medien erstveröffentlicht wurden – setzte sich Pfeifer darin nicht nur mit dem Antisemitismus in Österreich, sondern auch mit einschlägigen Phänomenen in Jugoslawien, Ungarn und anderswo auseinander.

Zum Hassobjekt der deutschsprachigen rechtsextremen Szene geriet Pfeifer 1995. Dem an der Fachhochschule Münster lehrenden Politologen Werner Pfeifenberger, einem "Apologeten des Nazitums" (O-Ton Pfeifer), wies er nach, dass dieser in einem Artikel mit dem Titel "Internationalismus gegen Nationalismus – eine unendliche Todfeindschaft, das NS-Regime verharmlost hatte und dass er den Juden vorgeworfen hatte, Hitler-Deutschland 1933 zum Krieg herausgefordert zu haben. Durch seine journalistische Arbeit wurde Pfeifer im Laufe der Jahre zu einem wichtigen Brückenbauer zwischen Österreich und Israel.

 

Zwischen allen Stühlen

Pfeifer hatte auch eine weithin eher unbekannte Seite. So pflegte dieser seit Ende der 70er Jahre enge Kontakte zur demokratischen Opposition in Ungarn und wurde infolgedessen mehrfach aus dem vermeintlich sozialistischen Land ausgewiesen. Verhasst war dem Regime insbesondere die Presseberichterstattung Pfeifers über die Diskriminierung von Wehrdienstverweigern.

Karl Pfeifer trat sein Leben lang vehement gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus auf und für Demokratie ein. Noch bis ins hohe Alter besuchte er Schulklassen als Zeitzeuge und wurde dabei zum lebendigen "Nie wieder". 2008 entsteht der autobiografische Kinofilm "Zwischen allen Stühlen", 2011 erscheinen seine Lebenserinnerungen: "Einmal Palästina und zurück: Ein jüdischer Lebensweg. "

Erst spät in seinem Leben wurde sein Lebenswerk auch öffentlich gewürdigt. 2018 wurde er mit dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich und 2022 mit dem Simon-Wiesenthal-Preis sowie die Goldenen für Verdienste um das Land Wien und das Bundesland Niederösterreich geehrt. "Mit Geduld und Verstand lassen sich Vorurteile und Judenhass zurückdrängen", sagte er damals. "Daran wollen wir gemeinsam weiterarbeiten." Charly, wie ihn seine Freunde nennen durften, starb am Freitag, den 6. Jänner 2023 mit 94 Jahren in Wien und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Baden bei Wien beigesetzt.

Karl Pfeifer wird uns als Kosmopolit und Philanthrop, NS-Zeitzeuge, Aufklärer und Mahner, Mensch und Freund in Erinnerung bleiben. Baruch Dayan haEmet.

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