Helden, Peiniger und Opfer - Der Aufstand im Warschauer Ghetto
Eine Reihe verhafteter Aufständischer vom Warschauer Ghetto© AFP
Am 19. April 1943 erhoben sich die Juden zum Aufstand gegen die Nationalsozialisten
Am 1. September 1939 marschierten deutsche Truppen in Polen ein und verletzten den Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und Polen vom 26. Januar 1934.
Am 9. September näherte sich die Wehrmacht Warschau. Am 28. September fiel die Hauptstadt Polens. Am 6. Oktober verkündete Hitler im Reichstag die Einstellung der Aktivitäten der Zweiten Polnischen Republik und die Teilung ihres Territoriums zwischen Deutschland und der Sowjetunion an (drei Wochen zuvor besetzte die Rote Armee die östlichen Gebiete Polens – sie wurden der Ukraine und Weißrussland angegliedert). Der Reichskanzler appellierte an Frankreich und England von Kriegshandlungen abzusehen, da diese beiden Länder unmittelbar nach dem deutschen Einmarsch in Polen Deutschland den Krieg erklärt hatten. Das Angebot wurde abgelehnt.
Damit war der sogenannte „Fall Weiß“ das Paradebeispiel für ein militärisches Vorgehen ohne Kriegserklärung. Der Zweite Weltkrieg hatte begonnen.
Der Beschluss von Hans Frank
Am 16. Oktober unterzeichnete Generalgouverneur Hans Frank einen Beschluss über die Organisation des Warschauer Ghettos. Die Ghettos wurden auch in anderen Städten gebaut (in Krakau, Lublin, Lodsch), aber das größte lag in Warschau. Es befand sich im nordwestlichen Teil der Stadt. Die Juden, denen es nicht rechtzeitig gelungen war, in die sowjetische Zone zu fliehen, wurden auf das Territorium von 3,3 Quadratkilometern Größe getrieben. Insgesamt wurden mehr als 400.000 Menschen zusammengetrieben – ganze Familien, einschließlich alter Menschen, Frauen und Kleinkinder. Die Deutschen zwangen die Juden, mit ihren eigenen Händen eine riesige Mauer zu bauen, dann wurden Fabriken errichtet, in denen sie zwölf Stunden am Tag für Großdeutschland arbeiten mussten – ohne einen freien Tag.
Im Ghetto herrschte ein furchtbar unhygienischer Zustand. Die Gefangenen hatten nicht genügend Nahrungsmittel und Medikamente, dann brachen in dem einen oder anderen Viertel Epidemien aus. Abgeschnitten von der Außenwelt, ohne medizinische Grundversorgung, starben die Bewohner des Ghettos zu Tausenden in den unbeheizten und verfallenen Häusern. Der Weg aus dem Ghetto war streng verboten – Übertreter wurden für neun Monate ins Gefängnis gesteckt. Ab November 1941 galt die Todesstrafe für dieses „Vergehen“.
„Angst bringt die Juden nicht zum Schreien …“
Jede Geduld hat ihre Grenzen. Die Gefangenen des Ghettos hatten die Geduld bis zum 19. April 1943 durchzuhalten. Um 3 Uhr nachts begannen SS-Truppen und die Polizei, mit Unterstützung von Panzern und Artillerie, mit der Liquidierung der Juden im Ghetto. Am Abend hatte das Pessachfest begonnen. Am 20. April sollte Hitler 54 Jahre alt werden. Höchst unwahrscheinlich, dass der Zeitpunkt für den Beginn der Auflösung des Ghettos, in dem etwa 35.000 Juden verblieben, zufällig gewählt war: Die Deutschen wollten wohl dem Führer ein Geschenk machen.
Nach der Deportation vom 22. Juli bis zum 12. September 1942 waren 265.000 von 300.000 Juden in das Vernichtungslager Treblinka gebracht, der Rest auf Zwangsarbeitslager verteilt und etwa 6.000 Alte und Kranke, die für den Transport ungeeignet waren, an Ort und Stelle erschossen worden. Im Ghetto geblieben waren meist die Juden, die für deutsche Unternehmen arbeiteten.
Der Versuch einer endgültigen Liquidierung führte zu einem Aufstand. Gegen 1.500 Aufständische, mit Maschinengewehren, Pistolen und Granaten bewaffnet, stellten sich 2.000 der Peiniger – SD-Mitglieder, Polizei, Soldaten der Wehrmacht und SS-Einheiten (einschließlich eines SS-Bataillons, bestehend aus 337 Ukrainern und Letten), unterstützt von Artillerie und gepanzerten Fahrzeugen. Die Operation wurde vom SS-Gruppenführer und Generalleutnant Jürgen Stroop durchgeführt. Doch die Operation fand ein jähes Ende: Unter dem Beschuss durch die Rebellen zogen sich die Deutschen mit schweren Verlusten zurück. Dann ordnete Stroop an, das Kanalnetz zu fluten. Anschließend verbrannten spezielle Gruppen mit Flammenwerfern alles in ihrem Umkreis, um vom Ghetto nur Schutt, Asche und verbrannte Leichen der Aufständischen übrig zu lassen.
Die Rebellen, unter denen sich auch Frauen befanden, setzten sich 27 Tage lang zur Wehr. Als die Kämpfe an Härte zunahmen stellten sie auf dem Dach eines Hauses auf dem Muranowski-Platz zwei Fahnen auf – eine in weißer und blauer Farbe (1948 wurde das die Flagge Israels) und eine weiß-rote, die polnische. Inmitten des Aufstandes wird der Widerstandskämpfer Jozef Rakower ein wie durch ein Wunder erhalten gebliebenes Testament verfassen. Im Angesicht des Todes wird er schreiben: „Das Warschauer Ghetto geht unter mit Kampf und Schuss, geht in Flammen auf, doch ohne Geschrei. Die Angst bringt die Juden nicht zum Schreien.“
In der Nacht vom 13. auf den 14. Mai bombardierten sowjetische Flugzeuge Militäranlagen und Kasernen der SS. Während des Überfalls versuchten kleine Gruppen von Juden, aus dem Ghetto in die Stadt auszubrechen. Einigen von ihnen gelang es. Die unfairen Kämpfe dauerten bis zum 16. Mai an. Die Deutschen vernichteten den Rest der Bevölkerung, brannten das Ghetto nieder, sprengten danach die Chor-Synagoge und zerstörten übrig gebliebene Gebäude. Infolgedessen berichtete General Stroop dem Führer: „Eine jüdische Präsenz in Warschau existiert nicht mehr.“
Doch Stroop verwechselte seinen Traum mit der Wirklichkeit: Zwischen den Ruinen des Ghettos gab es immer noch einige Gruppen von Aufständischen, die bis Juni 1943 bewaffneten Widerstand leisteten. Die wie durch ein Wunder überlebten Juden, wurden in eine andere Hölle verschleppt – nach Treblinka.
Fast alle Anführer des Aufstandes wurden bei der Liquidierung im Ghetto getötet. Insgesamt starben etwa 7.000 Juden. Die große Mehrheit kam in den Flammen um. Ungefähr 3.000 Menschen konnten gerettet werden. Viele von ihnen nahmen später aktiv am Warschauer Aufstand von 1944 teil.
Mythos und Wahrheit
Der Aufstand im Warschauer Ghetto widerlegte den Mythos vom sich unterwürfig, ja sklavisch verhaltenden Juden, mit dem man alles machen konnte, was man wollte. Der Aufstand widerlegte den Mythos vom feigen Juden, der es nicht wagte, eine Waffe in die Hand zu nehmen, um sich gegen die Nazis zur Wehr zu setzen. Der Aufstand im Warschauer Ghetto hat so manches Märchen über die Juden zu Fall gebracht. Vor allem aber hat er gezeigt, dass Juden nicht nur Opfer sind, die ihr Schicksal blind hinnehmen, sondern auch Helden sein können, die sich mutig gegen ihre Peiniger verteidigen.
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