Warum das irregeleitete Deutschland Navid Kermani verdient hat
Der grüne Exil-Iraner steht in seiner anti-israelischen Haltung dem aktuellen Bundespräsidenten in Nichts nach, und wurde als Liebling des deutschen Feuilletons und von Rot-Rot-Grün bereits als neues Staatsoberhaupt gehandelt.
Navid Kermani bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in Frankfurt© DANIEL ROLAND, AFP
Kennen Sie einen Schriftsteller, den das Feuilleton so liebt wie Navid Kermani? Uns fällt keiner ein. Man applaudiert ihm, weil ihn das Grundgesetz zu Tränen rührt und er über Neil Young genauso staunen kann wie über Kafka und den Koran. Wahrscheinlich irrt das Feuilleton nicht. Besonders dort, wo der empathische Intellektuelle aus Siegen schreibt, was man „eigentlich nicht schreiben“ darf, zählt er zu den großen Dichtern der deutschen Nachkriegsliteratur.
Die Zukunft der Erinnerung
Nein, Navid Kermani raunt nicht wie Martin Walser. Die homestories, die ihm für seine politischen Ambitionen gewidmet werden, feiern ihn als „Triumph der Aufklärung und der Toleranz“ (Die Welt). Anlässlich einer Rede zum zwanzigjährigen Bestehen des Lehrstuhls für jüdische Geschichte und Kultur an der LMU München überrascht der Kleist- und Friedenspreisträger allerdings mit erstaunlich wenig Inhalt. Seitdem sich die Bundesrepublik an die Verbrechen des Nationalsozialismus erinnere, seitdem werde „die Erinnerung auch für schandbar, ungesund oder jedenfalls übertrieben erklärt“, wendet er gegen Walser, Höcke und Nolte ein. „Die Zukunft der Erinnerung“ heißt die Rede. Um zu verstehen, was Kermani will, sollte man sie lesen.
Der Titel der Rede ist etwas irreführend. Sicher ist, dass Kermani kein Aufklärer, sondern ein Romantiker ist. Und als Romantiker geht es dem Orientalisten nicht um eine Außenwelt, nicht um „Auschwitz morgen“, sondern um Navid Kermani. Bereits die ersten Worte stoßen auf. 2016 sei er in der Gedenkstätte Auschwitz gewesen. Erst habe er mit einem Barcode Einlass gefunden, dann sei ihm ein „Aufkleber“ ans Revers geheftet worden. „Ein kleines Stück Plastikfolie“, das ihn als Deutschen kennzeichnete, „wog schwer“. „Die Zukunft der Erinnerung“ ist Navid Kermanis Ansage, ein Menscheitsverbrechen für seine Biographie als Schriftsteller fruchtbar zu machen.
Im weiteren Verlauf ergießt sich Kermani in Selbstverständlichkeiten und Plattitüden, spricht von einer „Dialektik von Gedenkkultur und Gedenkkritik“ oder schwärmt von „weltoffenen jungen Leuten“ und der Europäischen Union. Trotzdem geht es ihm hauptsächlich um sich selbst. Die historischen Relativierungen ebben nicht ab. Beispielsweise verdanke er es allein der „Gnade der späten Geburt“, nicht „in die Hände“ einer „Großkritik“ geraten und „vernichtet“ worden zu sein. „Daumen hoch, Daumen runter“, erinnert Kermani sich an Marcel Reich-Ranicki. Ja, das hat er tatsächlich gesagt, kurz nachdem er Reich-Ranickis Autobiographie bis zur Lagerrampe paraphrasiert hat.
Strategie der Eskalation
Man vergisst leicht, dass der literarische Ruhm von Kermani durch und durch ein politischer ist. Zwar zeichnet sich sein Werk durch endlose Passagen des Zweifelns und Haderns aus, doch ist sein Urteil oft abschätzig. Kolleginnen und Kollegen schlägt er vor, Bücher „mit zumindest passabler wissenschaftlicher credibility zu lesen“ oder selbst in ein „arabisches Land“ zu reisen. All das hindert ihn nicht, nach der Methode Todenhöfer zu verfahren. Fußnoten sind rar gesät, Zitate nicht belegt und Erkenntnis wird durch die eigene Überheblichkeit und den eigenen Augenschein generiert. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, verkommt das Beharren auf Toleranz zur bloßen Floskel.
Wie bescheiden unser Autor ist, lehrt er etwa in seinem Essayband „Strategie der Eskalation“. Hier versammelt er diverse Zeitungsartikel, Leserbriefe und Aufsätze, die er nach dem 11. September verfasst hat. Einleitend gesteht sich der große Denker zu, kaum je falsch gelegen zu haben. Wer sich als wiedergutgewordener Deutscher Toleranz und Weltoffenheit ans Revers heftet, steht auf der richtigen Seite: „Der Leser wird, so vermute ich, feststellen, dass es nicht besonders viele Fehler waren. Wie viele andere Beobachter hätte auch ich mir gewünscht, mit meinen Prognosen öfter falsch gelegen zu haben. Aber im Verhältnis des Westens zum Nahen Osten scheint sich die negative Dialektik zu bestätigen, dass nur recht behält, wer ausreichend pessimistisch war.“ Wenn schon ein Exposé mit Eigenlob und Anbiederungen an Adorno aufwartet, kann die folgende Argumentation kaum besser sein. Beispielsweise wirft er Günter Kunert, Elfride Jelinek und Hans-Ulrich Wehler Rassismus vor, ohne auch nur eine Aussage zu zitieren. Weil Berlusconi ein Rassist ist, seien es andere auch.
Nach der Feindbestimmung mündet der Sammelband letztlich in einen Ruf nach Frieden, der ebenso antiamerikanisch wie antiisraelisch ist. Die Kernaussage ist vulgärpsychologisch: Allein „der Westen“ sei für Terroristen und islamistische Fundamentalisten zur Rechenschaft zu ziehen. Dass die historische Forschung anderer Meinung ist, stört den Schriftsteller nicht. Vieles, was über den Antiamerikanismus der westdeutschen Linken geschrieben worden ist, findet sich bei Kermani als positive Emphase wieder. Es würde dem Schriftsteller gut tun, wissenschaftliche Erkenntnis ernst zu nehmen. Der Orientalist wird hier und in Interviews nicht müde, den islamischen Judenhass erst auf Kolonisation, Nationalsozialismus und insbesondere auf die Gründung des Staates Israel zu datieren, doch ist das Argument weder evident noch logisch nachzuvollziehen. Die Arbeiten von Jeffrey Herf, George Bensoussan und Matthias Küntzel sprechen eine andere Sprache. Es ist ein Fehlschluss, den islamischen Antisemitismus mit der Staatsgründung in Verbindung zu bringen. Die Opfer eines Ressentiments werden zu Tätern gemacht.
Reisen in eine beunruhigte Welt
Kermani ist weder Zionist noch Israelfreund. Schon 2006 ergoss er sich in der „Süddeutschen Zeitung“ – wo auch sonst – in Ratschlägen und Empfehlungen an die einzige Demokratie im Nahen Osten. Lange werde das „schlechte Gewissen“, dass der Westen wegen des Holocausts habe, nicht mehr andauern, mahnte der tolerante und aufgeklärte Literat. Um die Humanität des Westens aufrechterhalten zu können, habe Israel sein „humanes Antlitz“ zu bewahren. Ob das Land gut daran täte, sich an Kermanis leeren Phrasen zu orientieren, mag bezweifelt werden.
Deutlich wird diese Verwirrung, wenn man sich durch sein Buch „Ausnahmezustand. Reisen in eine beunruhigte Welt“ quält. Israel wird nicht selten nur in Anführungszeichen als demokratischer Rechtsstaat bezeichnet und der Siedlungsbau als einziges Friedenshindernis identifiziert. An anderer Stelle spricht der Schriftsteller vom „Freiluftgefängnis Gaza“, einem der „trostlosesten Flecken“ dieser Erde – eine Chiffre, die an die sekundärantisemitische Formel vom „Freiluftkonzentrationslager“ erinnert. Obwohl er sich sicher ist, kein Antisemit zu sein, müsse er daher aussprechen, dass „Palästinenser“ entmenschlicht werden. Sie seien Schweine, paraphrasiert er einen Soldaten, den er wohl nie gesprochen hat. Immerhin fehlt auch hier eine Fußnote.
„Großisrael“ ist nur eine der zahlreichen Formulierungen, die Kermani sprachlich an den Nationalsozialismus bindet. Medien und Politiker, die ihn zum Vorbild stilisieren, lassen sich entweder unbewusst durch rhetorische Geschicklichkeiten verwirren oder stimmen selbst den israelfeindlichen Narrativen Kermanis zu. Es mag darum kaum erstaunen, dass der Denker von „Reformern“ im Iran fabuliert, die Gefahren des Islamismus verkennt und Religionskritik als Rassismus diffamiert. Solange die Zukunft der Erinnerung den Todenhöfers dieser Welt überlassen wird, hat Deutschland Navid Kermani verdient.
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