Jüdisches Leben in Pankow: „Nichts war, wie es vordem gewesen ist“

Berlin, ehemals die inoffizielle europäische Hauptstadt für Juden, hat heute ein großes Problem mit Juden-Hass, von den Universitäten bis zu den Straßen Neuköllns. Bis zum Menschheitsverbrechen der Nazis war Pankow ein Ort, wo jüdisches Leben kulturell und wirtschaftlich pulsierte. Besonders die Familie Selbiger prägte das Pankower Handwerksleben maßgeblich. Ob Glaserei oder Goldschmied: Die Selbigers waren aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken – bis sich in der Reichspogromnacht alles änderte. (JR)

Von Julian M. Plutz

Auch wenn es dem geneigten Berlin-Verächter schwer über die Lippen geht: Je besser man die Hauptstadt kennenlernt, desto schwieriger wird es, die größte Stadt Deutschlands zu hassen. Es ist schon erstaunlich, wie grün eine Metropole sein kann, wie viele Flächen von Bäumen, Bänken und Blumen sie für Liebhaber der Natur bereithält. Und das zwischen Stahlbeton und Plattenbau.

Nehmen wir den Schlosspark in Pankow. Hier sind nicht nur Texte für dieses Medium entstanden, hier kreuzen sich auch Straßen, die nach fränkischen Ortschaften wie Forchheim oder Kissingen benannt wurden, was besonders den Verfasser dieser Zeilen freut, der in der Nähe von Würzburg groß geworden ist.

Umso tragischer wirkt es, dass Berlin, ehemals die inoffizielle europäische Hauptstadt für Juden, heute ein solch großes Problem mit Judenhass hat. Unlängst verklagte ein Berliner Student seine Hochschule, weil sie seiner Meinung nach nicht ausreichend gegen Antisemitismus vorgegangen ist. Gewinnt er diesen Prozess, werden sich hoffentlich viele Universitäten in Deutschland genötigt fühlen, endlich ihre Probleme auf dem Campus zu bewältigen.

 

Die SA zeigte Präsenz

Zurück nach Pankow. Im Stadtteil von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau pulsierte vor der Nazizeit jüdisches Leben. Zum Beispiel in der Wollankstraße. Auf Höhe der Hausnummer 133, nahe am Schlosspark, befindet sich eine Gedenktafel der Familie Selbiger. Die Familie prägte das Pankower Handwerksleben maßgeblich. Ob Glaserei oder Goldschmied: Die Selbigers waren aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken.

Die Glaserei wurde 1895 von Selig Selbiger gegründet. Die Geschäfte liefen gut, und Pankow wurde als Wohnort immer attraktiver. Dadurch wurde immer mehr gebaut, was zur Folge hatte, dass der Glasermeister viel zu tun hatte. Als jedoch die Nazis an die Macht kamen und bereits 1933 zum landesweiten Boykott jüdischer Betriebe aufriefen, bekam das auch Selbiger am eigenen Leib zu spüren. Vor der Wollankstraße 133 nahmen SA-Leute​ Präsenz. 

 

„Nichts war, wie es vordem gewesen ist“

Das schreckte die Kundschaft ab, überhaupt die Gegend zu betreten. Im November 1938 musste die Glaserei dann schließen. Fritz Selbiger, der den Betrieb von seinem verstorbenen Vater übernommen hatte, wurde mit seiner Frau Edith zur Zwangsarbeit in einem anderen Unternehmen gezwungen. Seine Frau starb an den Folgen der brutalen Arbeitsbedingungen, während Fritz Selbiger überlebte. Nach dem Krieg gründete er erneut eine Glaserei an der Wollankstraße, die er bis 1961 betrieb. 1989 starb er im Alter von 85 Jahren.

Einer der bekanntesten Familienmitglieder ist wohl Horst Selbiger. Der 96-Jährige ist Mitbegründer von „Child Survivors Deutschland e.V. – Überlebende Kinder der Shoah“ und engagiert sich heute noch gegen Judenhass. Als der Krieg beendet war und die Konzentrationslager geschlossen wurden, war Horst 19 Jahre alt. Er verlor in der Shoah 60 Familienmitglieder. Viel später wird er zur Reichspogromnacht, die er hautnah miterlebt hat, sagen: „Nichts war, wie es vordem gewesen ist“.

 

Das Wohl Tausender durch Massenmigration bedroht

Und so bleibt Berlin trotz aller Gräueltaten der Vergangenheit und schlimmen Dingen, die durch völlig verfehlte Politik in der Zukunft noch passieren werden, Sehnsuchtsort für viele Juden. Auch Horst Selbiger schwankte nach 1945 zwischen den USA und Berlin. Er entschied sich für die heutige deutsche Hauptstadt.

Und so bleibt Berlin für den, der beruflich viel mit der Stadt zu tun hat, ein Mysterium. Einerseits finden sich in der Stadt viele lauschige Orte, wie zum Beispiel hier in Pankow. Andererseits ist das Wohl Tausender Juden, aber auch Frauen und Widersacher, durch die massenhafte Migration ernsthaft bedroht. Der Zeitpunkt, wann die Politik aufwacht, ist derzeit jedoch bedauerlicherweise nicht abzusehen.

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