Die wahre Bedrohung der israelischen Demokratie ist der linke Universalismus

Der ehemalige Präsident des Obersten Gerichts in Israel, Aharon Barak, 2008© Jonathan Klinger, WIKIPEDIA

IIsraels richterliche Übergriffe auf Regierung und Militär gehen bis in die 1990er Jahre zurück, als der damalige Oberste Richter Aharon Barak begann, die Grenzen zwischen Recht und politischem Aktivismus zu verwischen. Rechte entstehen aber aus einer Reihe von Pflichten, ohne die sie sonst nur egozentrische Forderungen wären. Besonders das Judentum ist diesem Prinzip verpflichtet. Bereits die Tora definiert mit den 10 Geboten eine erste frühe Form der Menschenrechte, in der der Glaube an die Menschenwürde zu Gerechtigkeit, Mitgefühl und einem Netz von Verpflichtungen führte, die eine Gesellschaft freier aber verantwortlicher Individuen erschaffen. Dieses verantwortliche Denken widerspricht der linken Identitätspolitik in der Tiefe ihrer Ideologie und lässt besonders Netanjahus linke Gegner auf die Straßen gehen. (JR)

Von Melanie Phillips/ JNS.org

Die riesigen Demonstrationen, die in Israel andauern und in dieser Woche in Gewalt ausarteten, werden durch die Behauptung angeheizt, das Justizreformpaket der Regierung bedeute das Ende der israelischen Demokratie.

Es ist natürlich mehr als unsinnig, eine demokratisch gewählte Regierung mit Aufrufen zu „Blutvergießen auf den Straßen“ und „Bürgerkrieg“ stürzen zu wollen, weil die Regierung – so die Organisatoren des „Tages der Störung“ – ein „Regime“ sei, das einen „Putsch“ gegen die Demokratie versuche.

Diese Proteste beruhen auch auf einer Reihe von Missverständnissen über die Reformen.

Die Situation schreit nach politischer Führung. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu muss der Öffentlichkeit klar machen, warum diese Reformen ein antidemokratisches Ungleichgewicht korrigieren sollen, das durch eine Übervorteilung der Justiz entstanden ist.

Doch Netanjahu ist daran gehindert worden, dies zu tun. Wie er auf der Konferenz der Präsidenten in Jerusalem ironisch bemerkte, hat Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara eine „Maulkorbverfügung“ gegen ihn erlassen.

Grund dafür ist eine Interessenkonfliktvereinbarung aus dem Jahr 2020, die sich aus den Gerichtsverfahren gegen Netanjahu ergab. Letzten Monat teilte Baharav-Miara dem Premierminister mit, dass diese Vereinbarung ihn daran hindere, über das Justizreformpaket zu sprechen oder irgendetwas damit zu tun zu haben.

Zu ihren Anweisungen gehörte auch eine Stellungnahme ihres Stellvertreters, wonach die Reformen „dem Premierminister bei der Verwaltung seines Prozesses zugute kommen“ und es der Regierungskoalition ermöglichen würden, Gesetze voranzubringen, die ihn leichter unterstützen könnten.

Dies ist lediglich eine Meinung. Dafür gibt es keinerlei Beweise. Da sich Baharav-Miara selbst öffentlich gegen die Reformen ausgesprochen hat und behauptet, sie würden der Exekutive und der Legislative „weitreichende und praktisch unbegrenzte Befugnisse“ einräumen, ist sie es, die in dieser Frage einen Interessenkonflikt zu haben scheint.

Baharav-Miaras Maulkorbverfügung ist daher ein hochpolitisches Manöver, um einen demokratisch gewählten Premierminister in seinen Möglichkeiten, das Land zu regieren, einzuschränken. Sie ist ein Beispiel für genau die richterliche Übervorteilung, die Netanjahus Regierung zu korrigieren versucht.

Es ist daher äußerst ironisch, dass die Anordnung ihn daran hindert, für die Justizreformen zu plädieren, und ihn darauf beschränkt, die Demonstranten aufzufordern, ihre Gewalt und Störungen der öffentlichen Ordnung zu beenden.

Kompromisse sind erforderlich

Die allgemeine Hysterie wird von Menschen getragen, deren ausdrückliches Ziel es ist, Netanjahu loszuwerden. Die meisten Demonstranten kommen von der politischen Linken, für die Netanjahu einen dämonischen Status hat. Für sie ist eine „rechte“ Regierung per Definition ein Verstoß gegen die natürliche Ordnung.

Aber es gibt auch Demonstranten, die nicht der Linken angehören und sich ernsthaft Sorgen über den möglichen Machtmissbrauch einer Regierung machen, die ihrer Meinung nach nicht mehr durch die Gerichte eingeschränkt wird.

Professor Moshe Koppel, Leiter des Kohelet Policy Forums und einer der wichtigsten Architekten der Reformen, hat sich selbst gegen den umstrittensten Aspekt der Reformen ausgesprochen: Der Vorschlag, der es der Knesset ermöglichen würde, Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs mit einer knappen Mehrheit außer Kraft zu setzen.

Zweifelsohne sind Kompromisse erforderlich, und einige werden bereits vorgeschlagen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass sie die Demonstranten zufriedenstellen werden. Es gibt tiefere Gründe für ihre Überzeugung, dass die israelische Demokratie kurz vor dem Ende steht.

Israels richterliche Übergriffe begannen in den 1990er Jahren, als der damalige Oberste Richter Aharon Barak begann, die Grenzen zwischen Recht und politischem Aktivismus zu verwischen.

Damit vertrat er jedoch lediglich eine Position, die in Großbritannien in den 1970er und 1980er Jahren immer mehr an Boden gewonnen hatte. Sie wurde zur vorherrschenden Orthodoxie der linken Politik und der juristischen Welt und schließlich der progressiven Kreise im gesamten Westen.

 

Rechte ohne Pflichten sind Forderungen

Dies war die Entwicklung der universellen Menschenrechte. Internationale Menschenrechtskonventionen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von Juristen entwickelt, die glaubten, der Nationalsozialismus habe gezeigt, dass nationale Gesetze Tyrannei nicht verhindern könnten. Universelle Gesetze seien notwendig, um die Rechte der Menschen zu schützen.

Dies war zwar eine bewundernswerte Intention, aber auch eine sehr fehlerbehaftete Idee.

Rechte entstehen aus einer Reihe von Pflichten, ohne die sie nicht existieren können. Die wahren Menschenrechte wurden der Welt durch die hebräische Bibel gegeben, in der der Glaube an die Menschenwürde zu Gerechtigkeit, Mitgefühl und einem Netz von Verpflichtungen führte, die eine Gesellschaft freier Individuen erschaffen.

Ohne die Verankerung in einem Netz von Pflichten sind die Rechte nichts anderes als Forderungen. Dementsprechend trugen die universellen Menschenrechte zur Entstehung einer „Opferkultur“ bei, in der Gruppen auf der Grundlage ihrer vermeintlichen Machtlosigkeit um eine bevorzugte Behandlung konkurrieren.

Menschenrechte sind von Natur aus parteiisch zugunsten der „machtlosen“ Minderheiten und gegen die „mächtige“ Mehrheit. Dies wurde von dem bedeutenden englischen Richter Lord Bingham anerkannt, der 2008 in einer Rede sagte, dass die Menschenrechtsgesetzgebung „in gewissem Sinne undemokratisch ist, da sie gegen die Mehrheit gerichtet ist“, da ihr Zweck darin besteht, die politisch Machtlosen zu schützen.

Sich gegen die Mehrheit zu stellen, wurde so zur Tugend. Die „Machtlosigkeit“ gab selbsternannten „Opfergruppen“ die Möglichkeit, sich von ihren eigenen Pflichten zu befreien und gleichzeitig von der Gesellschaft Privilegien zu fordern.

Das ist es, was hinter der Identitätspolitik und der „Intersektionalität“ steckt, die zunehmend alle terrorisiert, die sich der Erfüllung dieser Forderungen in den Weg stellen.

Menschenrechte sind jedoch nicht universell, sondern werden von Richtern als Mediatoren vermittelt, deren Urteile konkurrierende Rechte gegeneinander abwägen müssen und die von den vorherrschenden kulturellen Einstellungen abhängig sind.

Da die Menschenrechte jedoch mit Tugendhaftigkeit gleichgesetzt werden, sahen sich die Richter nicht nur als Hüter des innerstaatlichen Rechts, sondern auch als Verteidiger des Guten gegen das Böse.

Aus diesem Grund führte Aharon Barak seine juristische Revolution in Israel an, die es der Justiz ermöglichte, sich moralisch tugendhaft zu fühlen, indem sie politische Maßnahmen, die sie missbilligte, niederschlug.

 

Universelle Menschenrechte

Darüber hinaus untergräbt der Universalismus, der zum politischen Standardbekenntnis der Linken geworden ist, das Konzept der Nation, das die Grundlage der Demokratie bildet. Der Universalismus hält die Nation für von Natur aus exklusiv, bigott und unterdrückerisch. Nationale Gesetze müssen daher universellen Prinzipien untergeordnet werden.

Als universelle Menschenrechte geschaffen wurden, warnten einige Juristen, dass solche Rechte, die in keiner nationalen Rechtsprechung verankert sind, eine potenzielle Gefahr für die Justiz darstellen könnten. Diese Warnung wurde ignoriert. Aber genau deshalb wurden die Menschenrechte als Waffe gegen Israel eingesetzt.

Das ist der Grund, warum sich Menschenrechts-NGOs als das Gewissen der Welt positionieren konnten, selbst wenn sie Israelis böswillig als Menschenrechtsverletzer diffamieren und die völkermörderischen Angriffe der „palästinensischen“ Araber entschuldigen.

Das ist der Grund, warum der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen unverhältnismäßig und ungerecht Israel ins Visier nimmt, während er tyrannische Regime – von denen einige sogar Mitglieder des Rates sind – freispricht.

Das ist der Grund, warum die „palästinensischen“ Araber vor dem Internationalen Gerichtshof oder dem Internationalen Strafgerichtshof schikanöse Klagen gegen Israel anstrengen können.

Die Menschenrechtskultur hat einen „Lawfare“ (Krieg der Juristen) gegen Israel, gegen die Justiz und gegen die Demokratie geschaffen. Sie hat die Richter von Hütern der Rechtsstaatlichkeit zu Tätern der Herrschaft der Anwälte gemacht.

Die Bedrohung der Demokratie in Israel geht nicht von der Regierung Netanjahu aus, sondern von den Tausenden auf der Straße. Letztlich ist es ein Angriff auf die Idee eines Nationalstaates, der durch die Zustimmung der Mehrheit regiert wird, die durch demokratische Gesetze zum Ausdruck kommt.

Deshalb ist es keine Überraschung, dass diese Proteste vom New Israel Fund unterstützt werden, dessen derzeitiger Versuch, Israels Regierung zu stürzen, mit seiner unermüdlichen und unerbittlichen Untergrabung Israels selbst einhergeht. Und es ist der Grund, warum diese Schlacht der dritte Krieg dieser Art um die Idee der Nation im Westen ist.

Der erste war das Votum Großbritanniens im Jahr 2016, die Europäische Union zu verlassen, als das britische Volk für nationale Unabhängigkeit und Demokratie und gegen Universalismus stimmte.

Der zweite war die Wahl von Präsident Donald Trump im selben Jahr, als die Amerikaner dafür stimmten, den amerikanischen Exzeptionalismus gegen diejenigen wiederherzustellen, die ihre Nation zu untergraben versuchten.

Nun ist die dritte derartige Erschütterung auf Israels Straßen ausgebrochen, da der Universalismus die Demokratie erneut herausfordert und Sprache, Wahrheit und Vernunft auf den Kopf stellt.

Melanie Phillips, eine britische Journalistin, Rundfunksprecherin und Autorin und schreibt eine wöchentliche Kolumne für JNS. Derzeit ist sie Kolumnistin für die Times of London. Ihre persönlichen und politischen Memoiren „Guardian Angel“ sind bei Bombardier erschienen, wo auch ihr erster Roman „The Legacy“ veröffentlicht wurde. Besuchen Sie melaniephillips.substack.com für den Zugang zu ihren Werken.

 

Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Heiniger

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