Max Liebermanns Linien

Max Liebermann, Aus dem Judenviertel in Amsterdam: Der Fischmarkt (klein), 1908, Ätzradierung.© Kupferstichkabinett Staatliche Museen zu Berlin / Dietmar Katz

Der jüdische Maler und Berliner Original Max Liebermann war während der Weimarer Republik eine zentrale Figur des Impressionismus und Gründer der Berliner Secession. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde seine Kunst als entartet verfemt. Nach dem Krieg wurde der Künstler rehabilitiert, seine Werke sind derzeit im Max Liebermann Haus in der Ausstellung „Liebermann zeichnet“ und in der Liebermann-Villa am Wannsee zu sehen. (JR)

Von Sabine Marie Wilke

Die weite Landschaft, Dünen, tiefhängende Wolken: Holland. Dazu die mit der Natur verbundenen Menschen, die ganz in ihre Arbeit versunken sind. Diese Motive haben es Max Liebermann (1847-1935) angetan. Der Berliner Impressionist bringt sie in vielen Zeichnungen zu Papier. Er war aber auch von ganz anderen Szenen fasziniert, die seltener in seinem Werk zu finden sind: das Straßentreiben im Judenviertel von Amsterdam wie in „Judengasse in Amsterdam“,1905.

Im Liebermann Haus sind diese Bilder nun in der Ausstellung „Liebermann zeichnet“ zu sehen.

Dabei war es für Liebermann gar nicht so einfach, seine Glaubensgenossen in Amsterdam zu skizzieren. Die Juden dort wollten – ihrem Glauben treu – nicht abgebildet werden. Laut dem Gebot, in dem kein Abbild G’ttes zu machen sei, und dem Verständnis, dass G’tt die Menschen nach seinem Ebenbild schuf. Um sie doch für die Außen- und Nachwelt festzuhalten, arbeitete der Maler im Verborgenen, indem er sich ein Privatzimmer mietete und den Blick aus dem Fenster auf die Straßen des Viertels nutzte.

Liebermann ist eher bekannt für seine farbigen Ölgemälde, insbesondere die der sommerlichen grünen Blätterdächer um den Wannsee herum. Es sind für die Öffentlichkeit bestimmte fein ausgearbeitete Werke. Die Zeichnungen hingegen gewähren einen Zugang zu einem privaten Teil Liebermanns künstlerischem Kosmos, auch wenn viele davon den Weg in den Handel fanden. Für ihn hatte das Zeichnen große Bedeutung: „In der Skizze feiert der Künstler die Brautnacht mit seinem Werke; mit der ersten Leidenschaft und mit der Konzentration aller seiner Kräfte ergießt er in die Skizze, was ihm im Geiste vorgeschwebt hat, und er erzeugt im Rausche der Begeisterung, was keine Mühe und Arbeit ersetzen können.“ Diese „Leidenschaft“ findet sich in den Bildern wieder: Sie besitzen eine ungeheure emotionale und atmosphärische Kraft. Als Betrachter meint man, ganz nah an Liebermann dran zu sein und zu spüren, was er empfunden haben mag, als er die Szenen vor sich sah.

 

Zeichnungen aus dem Bestand des Kupferstichkabinetts

Kuratiert von Anna Marie Pfäfflin, Andreas Schalhorn und Evelyn Wöldicke ist mit „Liebermann zeichnet“ eine Ausstellung entstanden, die sich erstmalig ganz seinen Zeichnungen widmet. Sie stammen aus dem Bestand des Kupferstichkabinetts, mit dem das Liebermann Haus am Pariser Platz zusammenarbeitet. Insgesamt sind 90 von 117 Arbeiten zu sehen, die das Kabinett besitzt und bisher noch nicht in seiner Gesamtheit präsentiert hat. Die Sammlung bildet dort eine Sonderstellung: Bereits zu Liebermanns Lebzeiten sind seine Bilder erworben worden, was ungewöhnlich war. Die hohe Qualität der Zeichnungen erklärt aber schnell, warum ihr Wert schon früh erkannt wurde.

Judengasse in Amsterdam, 1905
© Max-Liebermann-Gesellschaft, Foto: Oliver Ziebe, Berlin

Die Sammlung umfasst alle Schaffensphasen: die frühen Skizzen mit Bleistift, die Vorstudien für Gemälde sind und wo die Linie zählt; dann der Entwicklungsschub, ausgelöst durch seine Reisen nach Holland, wo er beginnt mit schwarzer Kreide zu arbeiten und die Bildsprache flächiger wird. Die Zeichnungen erhalten dadurch einen malerischen Charakter und emanzipieren sich von den Vorstudien. Sie werden zu eigenständigen Werken. Später kommen farbige Pastelle hinzu.

In den Motiven ist ebenso eine Entwicklung zu erkennen: Von arbeitenden Figuren auf dem Land und Landschaften zu Freizeit und Gärten. Die Ausstellung greift noch zwei weitere Bereiche auf: Portraits und Massenszenen, die den letzten Abschnitt bilden. Dort befinden sich auch Liebermanns Impressionen aus dem Judenviertel. Inzwischen dienen seine Linien keinen feinfühligen Einzelportraits mehr, sondern sie werden freier, um die Betriebsamkeit des jüdischen Amsterdams einzufangen – so als sei man mittenmang.

 

Liebermann-Villa am Wannsee

Die Nähe zu den Motiven, ihren Ursprüngen und zu Liebermann machen die Ausstellung sehenswert, gerade wenn man als Besucher gleichzeitig Gast in seinem ehemaligen Haus ist.

Von Liebermanns Stadthaus am Pariser Platz zu seinem Landhaus, genauer, seiner Villa am Wannsee.

Dort ist ebenfalls ein Bild aus Liebermanns Zeit in Amsterdam zu sehen. Es ist die Radierung „Aus dem Judenviertel in Amsterdam. Der Fischmarkt (klein)” von 1908. Sie wird allerdings in einem ganz anderen Zusammenhang gezeigt, nämlich in der Ausstellung „Wenn Bilder sprechen. Provenienzforschung zur Sammlung der Liebermann-Villa”. Rund 200 Werke gehören der Max-Liebermann-Gesellschaft, die 1995 gegründet wurde, um aus seiner Villa am Wannsee ein ihm gewidmetes Museum zu machen. 150 dieser Werke wurden auf ihre Provenienz untersucht. Es geht um das Schicksal Liebermanns Arbeiten, das mitunter eng mit den historischen Ereignissen ab 1933 verbunden ist. Liebermanns eigene jüdische Herkunft ist nun Ausgangspunkt. Welche seiner Bilder haben auf legale Weise ihre Besitzer gewechselt? Welche wurden auf Druck der Nationalsozialisten veräußert oder fielen direkt in ihre Hände? Liebermann starb bereits 1935, aber seine Familie musste den Nachlass unter Repressionen verwalten: Seine Tochter Käthe flüchtete mit einigen Werken ins Exil, seine Frau Martha blieb in Berlin, bis sie sich 1943 das Leben nahm, um einer Deportation zu entkommen.

In der von Alice Cazzola kuratierten Ausstellung ist anhand von 22 Beispielen das breite Spektrum der Ergebnisse zu sehen, das über farblichen Abstufungen gekennzeichnet ist: von hellgrün („unbedenklich“) über orange („eher verdächtig“) zu rot („verdächtig“). Ein Bild konnte als Raubkunst identifiziert werden – ironischerweise kein Motiv von Liebermann selbst, sondern eine von ihm produzierte Kopie eines „St. Adriansschützen" nach einem Gemälde von Frans Hals. Im Zuge der Restitution sollte es an die Nachfahren Liebermanns in Amerika zurückgegeben werden, doch diese entschieden, das Bild der Max-Liebermann-Gesellschaft zu überlassen. Was brachte die Untersuchung zur Provenienz der Skizze des Fischmarkts in Amsterdam hervor? Gelb („offen“), d.h. die Spurensuche ist noch nicht abgeschlossen. Der einzige Hinweis ist der Stempel der Galeristen Georg Brühl, der 1931 in Breslau geboren wurde, nach dem Zweiten Weltkrieg nach Sachsen übersiedelte und 2009 verstarb. Die Radierung erreichte die Max-Liebermann-Gesellschaft 2008 – allerdings aus einem Privatbesitz. Die Detektivarbeit zu den Orten, an denen das Bild zwischenzeitlich verblieben war, geht weiter.

Max Liebermann Haus Pariser Platz 7, Berlin Mitte, Mi-Mo 11-18 Uhr, bis 5. Mai 2023

 

Liebermann-Villa am Wannsee Colomierstraße 3, Berlin Zehlendorf, Mi-Mo 11-17 Uhr, bis 3. März 2023

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