„Jud Süß“ - Die geschichtliche „Schändung“ des Hofbankiers Joseph Süß Oppenheimer

Joseph Ben Issachar Süßkind Oppenheimer© WIKIPEDIA

Joseph Ben Issachar Süßkind Oppenheimer war im 18. Jahrhundert Bankier und Finanzverwalter des württembergischen Landesherrn Karl Alexander. Sein Verhängnis: Er war Jude. Als der Herzog starb, war der einflussreiche Berater den antisemitischen Anfeindungen seiner Neider schutzlos ausgeliefert und landete am Galgen. Seine Geschichte, Aufstieg und Fall, wurde in vielen Theaterstücken und Filmen, wie von Lion Feuchtwanger, nacherzählt aber auch in feindlichen Darstellungen verunglimpft. 1940 entdeckte Josef Goebbels Süßkind Oppenheimer für einen Hetz-Film seiner perfiden und antisemitischen Propagandamaschinerie. (JR)

 

Von Weniamin Tschernuchin

Jud Süß. Das ist der Name einer der bekanntesten jüdischen Gestalten der europäischen Literatur- und Filmgeschichte. Symbolisch für die gewalt- und willkürgeladene Beziehung des europäischen Abendlandes zum Judentum. Dabei geht es um die reale historische Figur. Joseph Ben Issachar Süßkind Oppenheimer wurde im Februar oder März 1698 in einer angesehenen jüdischen Kaufmannsfamilie in Heidelberg geboren und wuchs dort in bürgerlichen Verhältnissen auf. Nach einigen Jahren, die er mit Reisen verbrachte, wurde er zu einem bekannten und hochgeschätzten Privatfinanzier in der Pfalz. 1732 lernte er den Herzog Karl Alexander von Württemberg kennen. Dieser litt unter akutem Geldmangel und berief noch im selben Jahr Joseph Süß Oppenheimer als Hof- und Kriegsfaktor. Dieser führte das Monopol auf Salz-, Leder-, Tabak- und Alkoholhandel ein, gründete eine Bank sowie eine Porzellanfabrik. Als erfolgreicher Finanzexperte und -verwalter hatte er viele mächtige Feinde, denen nach dem Tod des Herzoges von Württemberg eine Verhaftung und Verurteilung des „Jud Süß“ gelang, scheinbar wegen des angeblichen Machtmissbrauchs seinerseits.

Die jüdische Gemeinde hat alles unternommen, um ihm zu helfen, jedoch ohne Erfolg. Während des Prozesses, welcher unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, wurde ihm vorgeschlagen zum Christentum zu konvertieren - er lehnte aber definitiv und entschieden ab. Joseph Ben Issachar Süßkind Oppenheimer wurde am 4. Februar 1738 hingerichtet. Selbst am Schafott lehnte er die Konvertierung zum Christentum ab - die letzte Chance zur Rettung.

 

Literarische Adaption

Diese tragische Geschichte zog Aufmerksamkeit auf sich. Im Jahr 1827 veröffentlichte der junge deutsche Literat Wilhelm Hauff seine Erzählung «Jud Süß», in welcher sich, wenn auch in naiver Form, Wiederspiegelungen der antijüdischen Geschehnisse fanden.

Ein weitaus reiferes und erfolgreicheres Werk floss nach fast hundert Jahren - im Jahr 1925 - aus der Feder von Lion Feuchtwanger. Er wandte sich an diese Geschichte noch im Jahr 1917, als er ein Theaterstück schrieb, welches jedoch nie inszeniert wurde. Der Mord an dem deutschen Außenminister, dem Juden Walther Rathenau, in dessen Schicksal Feuchtwanger eine Parallele zu dem tragischen Leben des Joseph Süßkind Oppenheimer sah, brachte ihn auf den Gedanken, sich wieder diesem Thema zu widmen. Führende Verlage verweigerten zunächst die Veröffentlichung, bald aber feierte dieser Roman einen grandiosen Erfolg und wurde bis zum Jahr 1931 in 17 Sprachen übersetzt.

Als nächster nahm sich dieses Sujets der englische Dramaturg und Theatermanager Ashley Dukes an. Das Stück, welches Joseph Süßkind Oppenheimer gewidmet war, schrieb er im Jahr 1929 und im September des gleichen Jahres wurde es in London inszeniert. 1930 folgte New York.

Im Oktober 1930 wird ein Stück mit dem Titel «Jud Süß» in Berlin uraufgeführt. Dessen Autor - der in Tschechien geborene Paul Kornfeld - stirbt während des Zweiten Weltkriegs in Ghetto Lodz

 

Die Verfilmung

Dank Dukes werden englische Filmemacher auf diese Geschichte aufmerksam. An der Verfilmung arbeitet nun ein bekannter Produzent, Sohn der armen jüdischen Migranten aus Osteuropa, Michael Balkon, zu jener Zeit eine große Figur im Filmgeschäft und Lehrer von Alfred Hitchcock. Regie führt der Schüler von Max Reinhardt, der Berliner Lothar Mendes. Für die Hauptrolle wurde der deutsche Schauspieler Conrad Veidt eingeladen, der in dem ersten deutschen Tonfilm «Das Land ohne Frauen» mitspielte. Veidt war ein Überzeugter Gegner der Nazis, dazu noch war er mit der Jüdin Ilona Prager verheiratet. Nach Hitlers Machtergreifung emigrierte das Ehepaar nach England. Ab dem Beginn des Zweiten Weltkrieges spendete der Schauspieler regelmäßig einen großen Teil seiner Einnahmen an die Alliierten. Im Nazi-Deutschland wurde selbst die Erwähnung seines Namens verboten.

Nichtdestotrotz wollte im Jahr 1934, als der Film gedreht wurde, niemand einen offenen Konflikt mit dem neuen Regime in Deutschland eingehen. So wurde «Jud Süß» zu einem historischen Kostümdrama, in welchem die Verurteilung von Antisemitismus nur sehr gedämpft erklang. Der Filmtitel lautete nun «Power».

Gleich am nächsten Tag wurde der Film in Österreich gezeigt, wo er fast augenblicklich verboten wurde mit der Begründung, dass im Film angeblich die guten Juden den schlechten Katholiken gegenübergestellt werden.

 

Der Propagandafilm der Nazis

Die nächste Behandlung des Stoffes erfolgte in Nazi-Deutschland. 1939 bereitet der Propagandaminister Josef Goebbels eine Reihe der ideologisch geladenen Filme vor. 1939-1940 kommt der Pseudo-Dokumentarfilm «Der ewige Jude» auf die Leinwand. Das Drehbuch schrieb Eberhard Taubert, ein Jurist, der das Gesetz zum Tragen des gelben Davidsterns für die Juden initiiert und durchgesetzt hat. Regie führte SS-Offizier Fritz Hippler, wobei die Dreharbeiten persönlich von Goebbels kontrolliert wurden. Die Juden wurden in diesem Machwerk als östliche Barbaren dargestellt, die sich in die europäische Gemeinschaft hineingeschmuggelt haben und „parasitieren“. Ihre Einwanderung wurde mit der Rattenplage gleichgesetzt, die Hunger und Krankheiten mit sich bringt. Der Minister verstand, dass eine solche stumpfe und unverblümte Propaganda gegenüber einem gut gemachten Spielfilm nicht gewinnen kann. Und da kam die Geschichte des Jud Süß wieder an die Tagesordnung. Wenn auch das Sujet teilweise auf Feuchtwangers Roman basierte, waren die Akzente bis zur Unkenntlichkeit versetzt und die Hauptfiguren gerade in ihr Gegenteil gekehrt. Als Regisseur wurde Veith Harlan eingeladen. Ein überzeugter Nazi. Er machte schnell Karriere und wurde bald neben Leni Riefestahl zu einem der bedeutendsten Regisseure Nazi-Deutschlands.

Bekannte Schauspieler dieser Zeit zeigten kein großes Verlangen daran, an diesem «Meisterwerk» mitzuarbeiten. Jeder fand eine mehr oder weniger plausible Ausrede. Als Goebbels sich der Peinlichkeit der Situation bewusstwurde, entschied er sich, in den Befehlsmodus zu wechseln. Er wählte den Schauspieler des Deutschen Theaters Berlin, Ferdinand Marian, für die Hauptrolle aus. Marian hat bisher an der Propaganda und antisemitischer Hetze der Nazis nicht teilgenommen. Mehr noch, seine erste Frau war Jüdin: Die Pianistin Irene Sager. Zudem war der erste Ehemann seine Frau der Oberspielleiter und stellvertretender Direktor der Münchner Kammerspiele, Julius Gellner, der 1933 von allen Positionen freigestellt wurde und gerade das Ehepaar Marian half ihm, sich von der Gestapo zu verstecken, bis seine Ausreise nach England möglich wurde. Das alles konnte von Goebbels nicht unbemerkt bleiben, und somit hatte er ein weiteres Druckmittel gegen Marian.

 

Antijüdische Propaganda

In Harlans Film verliert Süß natürlich jegliche Züge, die auch nur Andeutung irgendwelcher Sympathien hervorrufen könnten. Ohne Prinzipien, verrucht, gierig, niederträchtig und machtbesessen, verhilft er durch seine politischen Machenschaften zur Machtübernahme durch die Juden. Dabei ist er die einzige jüdische Figur im Film, die eine europäische Kleidung trägt. Alle anderen Juden sehen selbst äußerlich völlig fremd und abstoßend aus. Eine Reihe der Szenen zeigt jüdische religiöse Handlungen absichtlich in einem bösen und karikierten Licht.

Der Protagonist hat mit seinem historischen Prototypen nur sehr wenig gemeinsam: den Namen sowie einige äußerliche Merkmale. Dazu kamen einige neue erdachte Figuren, unter anderem das jungfräuliche Mädchen Dorotea, die von dem Juden Süß vergewaltigt wird. Sie wurde von Harlans dritter Ehefrau Kristina Söderbaum gespielt. Gerechterweise muss man dazu sagen, dass sie versucht hat, ihre Mitwirkung an dem Dreh zu verweigern, indem sie auf ihre Pflichten als Mutter des gerade geborenen Kindes hinwies. Das brachte aber nichts - für das Kind wurde ein Kindermädchen bestellt.

Seine Premiere hatte der Film auf dem Filmfestival von Venedig im September 1940. Es gab positive Pressereaktionen sowie den Hauptpreis, den Goldenen Löwen. Am 24. September kam der Film in den deutschen Verleih und am 30. September erging von Himmler der Befehl an alle SS-Mitglieder und Polizeibeamte, diesen Film anzusehen. Im Januar 1941 Ungarn und Niederlande, im Februar Frankreich - bis zum Jahr 1943 haben mehr als 20 Millionen Zuschauer in verschiedenen Ländern den Streifen gesehen.

Nach dem Krieg wurde Harlan der Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, darunter antisemitische Hetze und Ausbeutung der Zwangsarbeiter aus dem Prager Ghetto beim Dreh. 1947 wurden die Beschuldigungen, wie so oft unverständlicherweise aufgehoben und er konnte zu seiner Arbeit zurückkehren.

Anders erging es Ferdinand Marian, dem man für die Verkörperung des Juden Süß alle Rechte zur Ausübung seines Berufs entzog. Am 7. August 1946 kam er bei einem Autounfall bei Freising ums Leben. Bis heute bleiben die Umstände des Unfalls ungelöst, nach wie vor besteht der Verdacht auf Selbstmord.

Für Harlan gab es gewissermaßen auch eine Strafe im persönlichen Leben. Seine Nichte Christiane heiratete 1958 den amerikanischen Regisseur und Juden Stanley Kubrick. Und Harlans eigene Tochter trat zum Judentum über und heiratete einen Mann, der Sohn von Holocaust-Überlebenden war.

 

Aus dem Russischen von David Serebryanik

 

 

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