Der Israelische Volkstanz – ein weltweites Phänomen – Teil 2

Volkstanz in Bad Sobernheim© MATTI GOLDSCHMIDT

Tanzen verbindet die Menschen und so knüpfte auch der beliebte israelische Volkstanz sein Band rund um die Welt. Aus den überlieferten biblischen Tanzschritten und der jüdischen Musik der Diaspora entwickelte sich ein ebenso moderner, wie zugleich traditioneller Volkstanz. Die Juden waren im Laufe der Geschichte ihrer Vertreibung in ca. 180 Länder verstreut und haben zahlreiche ethnische und kulturelle Elemente aus der Galuth in ihrem Volkstanz integriert. (JR)

Von Matti Goldschmidt

Musik und Tanz im Wandel der Zeit

Was heute als etabliert im israelischen Volkstanz gilt, war nicht immer so. An moderner Technik kam selbstverständlich auch dieses Genre nicht vorbei, wobei zweifelsohne beispielsweise der inter-aktive soziale Aspekt litt. Die ursprüngliche Ausrichtung eines Tanzkreises mit durchgehender Handhaltung ist heute in Israel seit Langem verloren gegangen, ja geradezu verpönt. Denn längst hat der urbane Individualismus auch im folkloristischen Tanz den Kollektivismus des Kibbuz ersetzt, eingedenk dessen, dass der israelische Volkstanz sich aus der sozialistisch orientierten Kibbuzbewegung heraus entwickelte und um 1935 rund ein Drittel der jüdischen Bevölkerung Palästinas in einem Kibbuz lebte – genau das Umfeld, in dem Gemeinschaft höchste Priorität besaß. Im Gegensatz dazu ist im 21. Jahrhundert, etwa einhundert Jahre später, das Gros der ursprünglich knapp dreihundert Kibbuzim nahezu verschwunden, d.h. haben sich in urbanähnliche Siedlungen gewandelt.

Da die Musik fast ausnahmslos über computerisierte DJ-Programme generiert wird, indem ein Musikstück praktisch ohne Pause in das andere überläuft, ist heute auf einem Volkstanzabend auch ein gegenseitiges Kennenlernen erschwert; sieht man einmal von einer oft an die Schmerzgrenze gehenden Lautstärke ab – moderne Lautsprecheranlagen machen es möglich. In „alten Zeiten“, zumindest noch bis zu den Musikkassetten, boten zwangsbedingte Pausen zwischen den einzelnen Stücken die Gelegenheit, mit einem Tanznachbarn ungezwungen ein paar Worte zu wechseln. Ansagen, welcher Tanz – wie seinerzeit üblich – als nächstes käme, sind schon lange abgeschafft worden; Tanztitel werden heutzutage, falls überhaupt, über einen Monitor mitgeteilt. Letztlich hat sich auch der Musikstil gewandelt: Relativ einfache Melodien, während der Mandatszeit geschaffen von Komponisten mit in der Regel europäischem Hintergrund, sind einer Flut von zeitgenössischen orientalischen Schlagern gewichen – mit einem derart bunten mediterranen Gemisch, so dass heute nicht nur auf hebräische Texte getanzt wird. Türkisch, griechisch, georgisch, farsi, seit einigen Jahren auch hie und da russisch – all das sind Sprachen, die in den israelischen Volkstanz Eingang fanden. Wobei wohl aus politischen Gründen auf Arabisch eher verzichtet wird.

Moderne Technik erlaubt es vielen Tanzmeistern, nicht nur die Musik zu beschleunigen und so auf jeden Fall vom Original abzuweichen; überdies werden Tänze derart gekürzt, dass sie seit etwa dreißig Jahren nurmehr zwei komplette Durchgänge haben, ganz im Gegensatz zu früher, als – soweit nicht live-Musik gespielt wurde – die Länge der Musikstücke so geschnitten war, dass bis zu fünf oder gar sechs Durchgänge möglich waren. Diese Kürzungen erlauben dem Tanzleiter nun, in vorgegebener Zeit pro Tanzabend ein paar mehr Tänze im Gegensatz zu früher aufzulegen – Quantität zog man offensichtlich der Qualität vor. Die Komplexität der Schritte, ergänzt durch vielerlei Drehungen (in denen die Handhaltung sowieso zu lösen wäre) und erhöhtes Tempo, macht es vielen willigen Neueinsteigern schwierig mitzuhalten. Ganz abgesehen von der Masse von neuen Tänzen, die jährlich „auf den Markt“ kommen, wobei es sich durchaus um 200-300 pro Jahr handelt, und somit Gelegenheitstänzern kaum mehr eine Chance lässt, sich auf dem neuesten Stand zu halten.

Ein Blick auf die Liedtexte lässt erkennen, dass sich auch hier der Wandel vom ländlichen zum urbanen Umfeld vollzogen hat: Verse aus dem atheistisch-sozialistischem Leben des Kibbuz sind praktisch vollkommen verschwunden. Stattdessen geht es mehrheitlich nurmehr um Liebe oder verlassen und einsam zu sein – und selbstverständlich darf auch eine Ode zur Mama nicht vergessen werden, die natürlich immer die Beste von allen ist. Mit dem Einzug von Tonaufnahmen aus Heimstudios und damit erheblich reduzierten Kosten sind in den letzten zwei Jahrzehnten auch wieder Texte mit stark religiös orientiertem Inhalt in Mode gekommen.

 

Die Tanzmeister und Tanzveranstaltungen

Unter noch einigen mehreren markanten, hier jedoch nicht mehr erwähnten Unterschieden im Vergleich von früher mit heute sei abschließend ein Blick auf die Zusammenstellung der Tanzmeister geworfen: Handelte es sich anfänglich im Wesentlichen um aus Deutschland oder Österreich (Wien) stammende und somit aschkenasische Frauen, hat sich das Bild über die Jahrzehnte praktisch komplett gedreht. Zumindest in Israel selbst sind Frauen bereits seit vielen Jahrzehnten weit in der Minderheit, das Gros der Tanzmeister wird heute von Männern sephardischer Herkunft gestellt (meist jemenitischen, marokkanischen oder kurdischen Ursprungs).

Tanzen kann man übrigens vielleicht mit Ausnahme des Freitagabend in Israel eigentlich täglich. So gibt es praktisch in jeder kleineren Ortschaft mindestens einmal wöchentlich einen Volkstanzabend. Meist sind die Abende in drei Stufen eingeteilt, begonnen mit einem Abschnitt für Anfänger, in denen die Grundschritte zu erlernen sind, gefolgt von den Tänzen mit mittlerem Niveau bis zu den Fortgeschrittenen. Sämtliche Hallen sind heutzutage klimatisiert und die Veranstalter größerer Tanzzirkel kommen nicht mehr umhin, im Eintrittspreis inbegriffen Tee und Kaffee sowie kleinere Snacks anzubieten, um damit auch wettbewerbsfähig zu bleiben. Die größte Tanzveranstaltung Israels findet nach wie vor donnerstags in der Universität von Tel Aviv unter der Leitung von Gadi Biton statt, zu der an einem Abend weit über eintausend Tänzer erscheinen, wenn auch auf die drei genannten Abschnitte verteilt. Bei Touristen zum Zuschauen sehr beliebt ist übrigens das samstägliche öffentliche und vor allem kostenfreie Tanztreffen am Gordonstrand von Tel Aviv.

Nicht ganz so groß sind Tanzveranstaltungen in der Diaspora, aber selbst in New York Stadt treffen sich mittwochs unter der Leitung von Ruth Goodman regelmäßig an die 200-300 Tanzenthusiasten. Da es beim israelischen Volkstanz in der Regel zu einer Melodie genau ein einziges Tanzschrittmuster gibt, kann ein etwas erfahrenerer Volkstänzer praktisch weltweit ohne größere Probleme mittanzen, sei dies nun in London, Los Angeles, Mexico Stadt, Buenos Aires, Melbourne, Prag, Budapest oder Moskau.

Israelischer Volkstanz in Deutschland

In Deutschland begannen ab etwa 1980 zaghafte Versuche, anfänglich mit Kontakten über die Niederlande und daraus resultierend durch die Einladung von israelischen Volkstanzchoreografen wie Rivka Sturman oder Moshiko Halevy, den israelischen Volkstanz in Kreisen des sog. internationalen Volkstanzes einzuführen – sieht man von Einzelinitiativen wie der von Ela Klindt ab, die etwa bereits 1970 eine Broschüre unter dem Titel „Tänze aus Israel“ herausgab. Die eher als leicht zu bezeichnenden Tanzsequenzen zumindest der Tänze bis ungefähr 1980 sprachen ein relativ breites Publikum an, während (christliche) sakrale und liturgische Tanzgruppen insbesondere Gefallen an den religiösen Texten und somit den eher älteren Tänzen fanden. Darüber hinaus entsprachen Musik und Charakter dieser Tänze im Gegensatz zu den neueren dem Geschmack allseitiger Folkloretänzer. Ab Mitte der 80-er Jahre begann schließlich die Sportlehrerin Arnhild Scheiermann mit ihrer Aufführgruppe Ma’agal (hebr. für „Kreis“) in Witten erste Wochenendveranstaltungen mit israelischen Volkstänzen unter Einladung von Tanzmeistern wie Moshe Telem oder Shmulik Gov-Ari zu organisieren.

Ein Wendepunkt war mit der Gründung des Israelischen Tanzhauses e.V. 1992 in München zu registrieren. Ein Verein, der sich bis heute ausschließlich der Thematik des israelischen Volkstanzes widmet und dem angesichts dessen am 24.11.2017 zum 25jährigen Bestehen für seine „geleistete Arbeit der Pflege des Volkstanzes“ mit einer Urkunde „Dank und Anerkennung“ ausgesprochen wurde, gezeichnet von Dieter Reiter, dem Oberbürgermeister der Stadt München. Bis heute wurden über diesen Verein über fünfzig verschiedene Choreografen und Tanzmeister aus Israel eingeladen, darunter so bekannte Namen wie Yankele Levi (1932-2017), Moshe Eskayo (1932-2021), Moshiko Halevy, Shlomo Maman, Gadi Biton, Shmulik Gov-Ari oder Dudu Barzilai. Ergänzt wurden diese Veranstaltungen durch organisierte Reisen nach Israel mit Schwerpunkt Tanz, indem vor allem deutsche Reiseteilnehmer der Besuch beliebter wöchentlicher Tanzveranstaltungen im Lande ermöglicht wurde.

Tanzleiterin Lucy Maman (links) mit Tirza Hodess und Matti Goldschmidt © Archiv Israelisches Tanzhaus

Mittlerweile existieren in vielen Städten Deutschlands meist kleinere und eher jeweils autark arbeitende israelische Volkstanzkreise. Die Größe der Tanzzirkel mag sich von etwa vier oder fünf bis gut über fünfundzwanzig bewegen. Dass sich unter deren Teilnehmern so gut wie keine Juden befinden, mag man als Kuriosum feststellen – der israelische Volkstanz wäre in Deutschland ohne die nichtjüdischen Tänzerinnen und Tänzer fast inexistent, insbesondere eingedenk dessen, dass selbst in den jüdischen Gemeinden des 21. Jahrhunderts der israelische Folkloretanz eher ein Nischendasein fristet.

Das war allerdings nicht immer so. In den ersten etwa 25 Jahren nach Ende des 2. Weltkrieges waren es insbesondere die jüdischen Gemeinden Westdeutschlands, die den israelischen Volkstanz in Mitteleuropa pflegten. In einer Zeit, als die Koffer in Deutschland noch gepackt waren (um im Notfalle rechtzeitig das Land verlassen zu können), sollte die Kenntnis einiger Kreistänze den nach Israel Auszuwandernden eine zionistisch orientierte Integrationsstütze geben. Die Kulturzentren größerer jüdischer Gemeinden wie beispielsweise in Berlin oder Frankfurt/M. hielten an ihren wöchentlichen Volkstanzkursen allerdings auch danach noch fest, nämlich als die Koffer ausgepackt im Lande bleiben konnten, in München beispielsweise über die Jüdische Volkshochschule.

 

Die ZWST lädt ein

Ein erstes Mal lud vor etwa dreißig Jahren die ZWST (Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, Frankfurt/M.) die in Düsseldorf gebürtige Tirtza Hodess (alias Angelika Borkenfeld) für mehrtätige Tanzkurse in das Max-Willner-Heim in Bad Sobernheim (Landkreis Bad Kreuznach) ein. Die Einrichtung wurde nach Max Willner (1906-1994), dem ehemaligen Mitbegründer und Vorsitzenden der ZWST (1960-1979), benannt. In Ermangelung aktiver Teilnehmer in den jüdischen Gemeinden, die sich für die in Israel populären Kreistänze interessierten, wünschten die Tanzverantwortlichen mehr Anleitung in Bühnen- bzw. reinen Aufführtänzen, die sie mit jeweils einigen anderen Enthusiasten auf Gemeindefestlichkeiten präsentieren könnten. Dafür wurde vor etwa fünfzehn Jahren Lucy Maman engagiert, die im Prinzip schon ihr ganzes Leben tanzt. 1973 wanderte sie zehnjährig mit ihren Eltern aus Yaroslavl kommend, etwa 270 km nordöstlich von Moskau an der Wolga gelegen, nach Israel aus. Es dauerte nur wenige Wochen, bis sie zu von den ihr bislang unbekannten israelischen Volkstänzen gefesselt war und hatte alsbald Kontakt mit den seinerzeit wichtigsten Namen des israelischen Volkstanzes, insbesondere durch die von Moshe Telem in Caesarea bzw. der Sporthalle des benachbarten Kibbuz Sdoth Yam organisierten, heute bereits legendären Freitagabende mit live-Musik und zehnstündigem Tanzen bis weit in die Morgenstunden des folgenden Tages. Nur 16-jährig wurde sie Mitglied des bekannten Karmon Tanzensembles unter Leitung von Jonathan Karmon (1931-2020, vormals Joel Kalman). Seitdem ist Lucy Maman praktisch ohne Pause tänzerisch aktiv, so etwa auch auf dem israelischen Eurovisionsbeitrag von 1982 mit Avi Toledano und dem Titel „Hora“.

Mit Lucy Maman sollte ab 2007 den Tanzlehrgängen der ZWST eine neue Richtung gegeben werden: Den Teilnehmern aus den jüdischen Gemeinden wurden nun „Ideen“ für eigene Choreographien präsentiert. So wurden insbesondere Tanztechniken unterrichtet, aber auch auf – um ein modern gewordenes Wort zu benützen – „Nachhaltigkeit“ Wert gelegt. Die Gruppenleiter sollten eben nicht mehr an genau eine einzige Aufführung hingeführt werden, wie es zuvor Usus war. Ein jeder sollte nun die Möglichkeit erhalten, unter letztlich eigener Regie in seiner Heimatgemeinde ein eigenes Programm aufzubauen, das optimal über viele Jahre und zu vielen Anlässen angewandt werden könne. Dabei mussten sich die an der im Herbst 2022 (12.-15. September) unter der Leitung von Larissa Karwin organisierten Veranstaltung teilnehmenden rund dreißig Tanzleiterinnen aus den jüdischen Gemeinden von Bamberg, Berlin, Dortmund, Erfurt, Fürth, Gießen, Hamburg, Hannover, Heidelberg, Karlsruhe, Köln, Leipzig, Marburg, München, Offenbach, Rostock, Trier, Wiesbaden, Witten, Wuppertal und Würzburg gerade nicht explizit starr an den Vorgaben Mamans halten. Diese sind, so betonte Maman in einem Gespräch, vielmehr als Inspiration der Teilnehmer gedacht, um darauf aufbauend mit eigenen Vorstellungen weiterzuarbeiten. Wie auch in anderen Bereichen des Tanzes waren Männer bei dieser Veranstaltung deutlich in der Unterzahl, das Gros der Mittanzenden waren eindeutig Frauen. Der Unterricht Mamans fand im Wesentlichen auf Englisch und Russisch statt, auch wenn sie im Eifer des Gefechts die eine oder andere hebräische Floskel einbaute.

Neben diesem reinen für die Bühne gedachte Tanzunterricht wurden, unter Anleitung des Schreibenden, auf Deutsch auch fünf israelische Folkloretänze unterrichtet, die möglichst der Thematik des Treffens „we-samakh‘tha be-khagecha“ bzw. „und freue dich an deinem Feste“ (Zunz) angepasst waren, einem Bibelzitat aus Deuteronomium 16:14. Dies schloss Tänze ein wie beispielsweise „Mekhol ha-Dvash“ mit dem zum jüdischen Neujahr passenden Stichwort „Honig“ (Choreographie: Moshiko Halevy, 1973) oder auch „wa-Yineqehu“ mit einem Text aus der Bibel (Deuteronomium 32:13, Choreographie: Rayah Spivak, 1959) ein. Zum ersten Mal wurden auf einem solchen Treffen zusätzlich Tanzbeschreibungen zu den erlernten folkloristischen Tänzen verteilt. Allerdings fehlt in den meisten jüdischen Gemeinden Deutschland der Unterbau, d.h. die Nachfrage vor allem im jüngeren Sektor, um diese neu erlernten Kreistänze auch in den Heimatgemeinden pflegen zu können.

Der dritte und somit letzte Abend war mit meist tänzerischen Präsentationen der einzelnen Teilnehmer gefüllt, entweder solo oder in Gruppenformation, darunter etwa mit einer aus vier Personen bestehenden Gruppe, die über die ZWST im Frühjahr 2022 ein Tanzseminar in Mexiko Stadt besuchte, oder ein heftig beklatschter Gesangsbeitrag in jiddischer Sprache, vorgetragen von Nathalie Ivasov aus Leipzig. Er endete schließlich unter der Leitung des Akkordeonisten Elik Roitstein, der an diesem Abend als souveräner Discjockey auftrat und die Seminarteilnehmer zum freien Tanzen aufforderte.

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