Kein sicherer Ort für Juden Teil I: Eine Reisewarnung für Hamburg

Panorama des Jungfernstiegs Hamburg
© WIKIPEDIA

1912 eröffnete der jüdische Unternehmer Oscar Tietz am Jungfernstieg ein fünfstöckiges Warenhaus, das heutige „Alsterhaus“. 1934 enteigneten die Nationalsozialisten die Familie Tietz. Auch deren KaDeWe in Berlin und andere Hertie-Häuser wurden „arisiert“. Heute ist der Jungfernstieg schon wieder kein guter Ort für Juden, denn die ehemals prachtvolle Promenade ist zu einem Treffpunkt vor allem jugendlicher muslimischer Migranten geworden. Von der damaligen Pracht keine Spur, herrschen hier seither zunehmend Alkoholmissbrauch, Gewalt und Judenhass. (JR)

Von Birgit Gärtner

Der Jungfernstieg, einst Prachtboulevard, an dem jüdisches Leben blühte und – im wahrsten Sinne des Wortes – gut betuchte Familien mit ihren „Jungfern“, sprich unverheirateten Töchter, flanierten, ist heute nicht nur optisch der Trostlosigkeit anheimgefallen, sondern auch kein guter Aufenthaltsort – weder für Juden noch für junge Frauen im Allgemeinen.

Stattdessen machen sich dort häufig – vor allem in den Abendstunden – „Jugendliche“ breit, mit ihnen Alkohol, Drogen und Gewalt, was nicht selten zu Polizeieinsätzen führt und sowohl Einheimische als auch Touristen den Platz meiden lässt. In den Medien ist die Rede vom „Brennpunkt Jungfernstieg“, an dem sich abends „500 Jugendlichen“ träfen. Erwähnt werden "Beschimpfungen, Prügeleien, aggressives Verhalten", nicht selten wird von Messerattacken berichtet. Die Jugendlichen seien nicht straff organisiert, sondern die Polizei habe es zu tun mit "..., eher losen Verbindungen, die sich Namen wie „Bruderschaft 786“ ..." geben.

Was bedeutet das konkret? Für Frauen – gleich welchen Alters – und für Juden? Wir haben nachgefragt bei der Polizei Hamburg. Die Antwort lesen Sie in Teil II in der Januar-Ausgabe, Teil I beschäftigt sich mit der historischen Bedeutung jüdischer Bank- und Kaufleute am Jungfernstieg.

Ende des 12. Jahrhunderts ließ Graf Adolf III., Edler Herr von Schauenburg und Holstein, einen Damm durch die Alsterniederung bauen, um „eine neue – im weiten Umkreis die bei weitem leistungsfähigste – Mühle“ betreiben zu können. Somit beförderte er 1187 die Gründung der Hamburger Neustadt, indem er den Siedlern gegenüber den Bewohnern der bischöflichen Altstadt Privilegien und Freiheitsrechte, Zollfreiheit und Marktrechte versprach.

Leider verabsäumte er, diese Freiheitsrechte kaiserlich bestätigen zu lassen. Adolf III. verlor um 1202 seine Herrschaftsrechte an den König von Dänemark und Hamburg stand somit unter dänischer Herrschaft. Die von Adolf III. großzügig gewährten Freiheitsrechte wären futsch gewesen, wenn die Bürger nicht so pfiffig – oder durchtrieben – gewesen wären, eine entsprechende Urkunde einfach zu fälschen. Darauf begründete die Stadt ihre Rechte als „Freie und Hansestadt“.

Adolf III. war nicht nur „Edler Herr von Schauenburg“, sondern laut Wikipedia auch „Graf von Holstein und Storman“ und stammte aus dem Geschlecht der Schauenburg, heute Schaumburg, ursprünglich beheimatet in Rinteln an der Weser. Heute wird das Geschlecht von Alexander Fürst zu Schaumburg-Lippe geführt, der auf Schloss Bückeburg lebt und sich u.a. sehr gegen Antisemitismus engagiert. Der musikalische Prinz ist mit der iranisch-stämmigen Künstlerin Mahkameh Navabi verheiratet und unterstützt aktuell aktiv die Freiheitsbestrebungen der – vor allem weiblichen – iranischen Bevölkerung.

 

Von „Jungfern“ und später berühmten Dichtern

Die von Adolf III. erbaute Kornmühle wurde später von dem Müller Heinrich Reese gepachtet; der Damm und die 1843 parallel zum Jungfernstieg errichtete Brücke, mit der der kleine See im Innenstadtbereich in die Binnen- und Außenalster geteilt wird, wurden nach ihm benannt. Laut Welt ließ der damalige Senat 1799 den Jungfernstieg verbreitern, mit 200 Linden verschönern und mit 40 ölbefeuerten Lampen erleuchten. Ein pfiffiger Franzose, „der Vicomte Augustin Lanclot de Quatre Barbes, …, der nach Hamburg geflüchtet war, um seinen Kopf vor der französischen Revolution zu retten“, beantragte eine Lizenz zur Eröffnung eines Restaurants, in dem Kaffee und Kuchen, warme Speisen, Erfrischungsgetränke und auch Speiseeis gereicht werden sollten. Wie die Welt berichtete, stellte die Stadt Bedingungen an die Lizenzvergabe: „Die Gäste mussten auf Karten- und Würfelspiel und das öffentliche Tabakrauchen verzichten.“

Der Vicomte ließ sich darauf ein und eröffnete am 20. August 1799 den später weltberühmten Alsterpavillon. Der existiert heute noch, blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück, auch, was das Gebäude anbetrifft, und beherbergt eine Filiale der Restaurantkette „Alex“. Auf zwei Ebenen und einem großen Außenbereich bietet sich den Gästen ein eindrucksvoller Blick auf die Binnenalster. Immer noch verwöhnt die Küche ihre Gäste mit süßen Leckereien, schmackhaften warmen und kalten herzhaften Speisen, selbstgemachten Kaltgetränken und Cocktails mit und ohne Alkohol. Das alles in zwar gehobener, für die Lage indes absolut akzeptabler Preisklasse. Selbst „das öffentliche Tabakrauchen“ ist inzwischen erlaubt, jedenfalls im Außengastronomie-Bereich.

Der zwei Jahre vor dessen Eröffnung geborene jüdische Dichter Heinrich Heine war seinerzeit gern zu Gast im Alsterpavillon. In den "Memoiren des Herrn Schnabelewopski" schwärmte er:

„Da läßt sich gut sitzen, und da saß ich gut manchen Sommernachmittag und dachte, was ein junger Mensch zu denken pflegt, nämlich gar nichts, und betrachtete, was ein junger Mensch zu betrachten pflegt, nämlich die jungen Mädchen, die vorübergingen.“

Wenige Schritte vom Alsterpavillon entfernt, auf dem Rathausmarkt, wird der Dichter mit einem Denkmal geehrt.

Bereits 1838 wurde der Jungfernstieg als eine der ersten deutschen Straßen asphaltiert. Wenige Jahrzehnte später, Anfang der Kaiserzeit, den sogenannten Gründerjahren, entstand eine geschlossene Bebauung mit Geschäfts- und Bürokomplexen. Bäume säumten beide Seiten der Straße, so dass diese sich zunehmend zum Prachtboulevard mauserte, der zum Flanieren einlud. Beispielsweise die im wahrsten Sinne des Wortes gut betuchten Familien, die ihre unverheirateten Töchter, die Jungfern, entsprechend herausputzten und dort regelrecht zur Schau stellten, um diese alsbald unter die Haube zu bringen. Der Jungfernstieg ist also sozusagen die Blaupause für heutige Datingportale – oder im Umkehrschluss ist beispielsweise „Tinder“ sowas wie Jungfernstieg 2.0.

 

Der Jude Oscar Tietz eröffnet ein Kaufhaus

Am 24. April 1912 eröffnete dort, am Jungfernstieg 16-20, der Geraer Kaufmann Oscar Tietz ein fünfstöckiges Warenhaus. Bereits am 1. März 1897 hatte er in der Großen Burstah eine erste Filiale in Hamburg errichtet. Da sich der Jungfernstieg zur ersten Adresse Hamburgs entwickelte, erwarb er besagtes Grundstück und es entstand das heutige „Alsterhaus“. Laut Hamburger Abendblatt betrugen die

„Baukosten für das Warenhaus mit einem gehobenen Sortiment und anspruchsvoller Ausstattung wie Marmor und Kristalllüster … 4½ Millionen Goldmark. Die Pläne entwarf das Architektenbüro Cremer & Wolffenstein, die Bauleitung hatte Richard Jacobssen aus Hamburg. Das Grundstück wurde zuvor mit 5000 Eichenpfählen befestigt, die in den weichen Erdboden des Alsterufers getrieben wurden.“

Am 1. März 1882 eröffnete Oscar Tietz mit dem Kapital seines Onkels Hermann das erste Warenhaus in Gera. Deshalb nannte sich die Firma nach dem Geldgeber „Garn-, Knopf-, Posamentier-, Weiß- und Wollwarengeschäft Hermann Tietz“. Dahinter verbarg sich ein neuartiges Geschäftsmodell mit einigen Merkmalen, wie sie moderne Warenhäuser heute noch aufweisen. Beispielsweise festgelegte Preise und ein vielfältiges, branchenübergreifendes Angebot. Innerhalb von acht Jahren wurden weitere Filialen gegründet und der Firmensitz nach Berlin verlegt und in der Leipziger Straße ein luxuriöses Warenhaus mit eigener Kellerei eröffnet. 1904 wurde das Warenhaus am Alexanderplatz eingeweiht.

Oscar Tietz verstarb 1923, seine beiden Söhne und sein Schwiegersohn übernahmen das Zepter und expandierten fleißig. Warnungen des Verstorbenen, neue Geschäfte nicht auf der Basis von Krediten zu gründen, missachteten die neuen Firmeneigner. So wurde 1926 auch das „Kaufhaus des Westens“ KaDeWe übernommen. Rund 13.000 Menschen beschäftigte das Unternehmen zu dem Zeitpunkt. Zwei Jahre später wurde ein Jahresumsatz von 300 Mio. Reichsmark erwirtschaftet.

 

Enteignung durch die Nazis

Die Weltwirtschaftskrise machte dem „Garn-, Knopf-, Posamentier-, Weiß- und Wollwarengeschäft Hermann Tietz“ zu schaffen, dessen Ende besiegelten allerdings die Nazis, die bereits 1933 mit der „Arisierung“, also der Enteignung jüdischen Eigentums, begannen.

Die schrittweise Enteignung der Familie Tietz wurde von einem Bankenkonsortium aus Dresdner Bank, Deutscher Bank und Disconto-Gesellschaft, Bankhaus Hardy und anderen Gläubigern in Absprache mit dem Reichswirtschaftsministerium abgewickelt. Am 24. Juli 1933 wurde die „Hertie Kaufhaus-Beteiligungs-Gesellschaft m.b.H.“, kurz: Hertie GmbH, gegründet und wenig später ein den neuen Herrschern genehmer Geschäftsführer eingesetzt. Im August 1934 wurden die ehemaligen Eigner gezwungen, ihre Firmenanteile der Hertie GmbH zu überlassen. Als „Entschädigung“ erhielten sie statt der 21,5 Mio. Reichsmark, die das Unternehmen mindestens wert war, insgesamt 1,5 Mio. Reichsmark.

Nach dem Krieg blieb „Hertie“ der Name des Unternehmens – ungeachtet der Gründungsgeschichte. Wenngleich das noble Haus an der Alster nicht als „Hertie“, sondern als „Alsterhaus“ firmierte. Heute hat das Edel-Kaufhaus nichts mehr gemein mit dem Warenhaus, als dass es einmal gegründet wurde. Statt Alltagsgegenständen wie Knöpfen und Schrauben, Wolle und Haushaltswaren oder Alltagskleidung für die ganze Familie ist der größte Teil der Fläche heute an Edelmarken vermietet, die darauf nicht nur eigene Produkte vermarkten, sondern auch eigenes Personal einsetzen.

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