Neue Hoffnung am Literaturhorizont: Finn Jobs Israel-Sehnsucht in seinem Debütroman „Hinterher“

Die Jugend in Europa ist einer zähen Apathie verfallen, sie findet keine Abenteuer, keinen Sinn und verliert sich in Surrogaten für das wirkliche Leben: Friday for Future, Last Generation oder der Anti-Atomkraft-Bewegung. Der junge deutsche Autor Finn Job erzählt in seinem Erstlingswerk von der eignen Suche nach etwas Realem, seiner Begegnung mit dem Israeli Chaim, der ihm zeigt, wie die Jugend Israels lebt und feiert - obwohl alles ständig vom nächsten Raketen-Alarm abhängt. (JR)

Von Chaim Noll

In diesem kurzen Roman geschieht nicht viel, eigentlich fast nichts. Das Nichtgeschehen ist das Stigma einer Generation junger Europäer, die man an jeder bemerkenswerten Aktion gehindert, jeglicher Verantwortung beraubt hat. Abenteuer gibt es kaum noch zu bestehen, alles scheint geregelt, angepasst, finanziell einigermaßen gesichert – und im Osten ihres Erdteils braut sich das Gewitter zusammen. Diese Generation hat Surrogate für das wirkliche Leben gefunden, in Friday for Future, in der Anti-Atomkraft-Bewegung, in diffusen Projekten zur Rettung der Welt, in einem vorgeblichen „Linkssein“, das nichts anderes ist als Konformismus.

Nur wenige, die etwas dagegen setzen. Finn Job versucht es, er hat einen Trumpf im Ärmel, der die trügerische Ereignislosigkeit seiner Sphäre in Bewegung bringt. Zunächst reist ein junger Mann aus Berlin, schwul, in moderner Literatur belesen, berauschenden Substanzen nicht abgeneigt, mit einem Gelegenheitsfreund im Porsche von dessen Mutter nach Frankreich, um dort… Ja, was? Zu vergessen? Zeit totzuschlagen? Denn die jungen Männer wissen, außer Kokain zu schnupfen und trübsinnigen Betrachtungen nachzuhängen, wenig mit sich anzufangen. Die Geschichte wäre banal, trüge sie nicht ein verzweifelt ironischer Unterton, genährt aus beginnender Abwendung und knallharten Beobachtungen. Die knapp skizzierten Milieus sind eine Stärke des Ich-Erzählers: Europas Apathie schärft seinen Blick.

Allmählich arbeitet sich der Plot aus sein Hüllen, aus den Watteschichten von Nichtgeschehen. Der unbeschäftigte Ich-Erzähler trauert einem israelischen Freund hinterher, einem gewissen Chaim, der Deutschland nach kurzem Aufenthalt angeödet wieder verlassen hat. Er war begeistert in das alte Land der „Dichter und Denker“ gereist, hatte extra Deutsch gelernt, um „Hegel und Horkheimer lesen zu können“. Doch bei den jungen Deutschen war er nur auf Leere und Langeweile gestoßen, schlimmer noch: auf Besserwisserei. Er kam mit ihnen nicht ins Gespräch: „Nein, sie fragten auch nicht danach, fragten ihn eigentlich nie. Immerzu redeten sie ihn voll, meistens mit ihren Ansichten zum Nahostkonflikt, ließen ihn nicht zu Wort kommen. Und er nahm es hin – nicht aus Unsicherheit. Er wollte gar nicht zu Wort kommen, ganz einfach, weil er wusste, dass er von diesen Leuten, diesen Gesprächen nichts zu erwarten hatte.“

 

Verpasste Gelegenheit

Nun ist Chaim abgereist, entflogen ins warme Tel Aviv, wie ein exotischer, buntgefiederter Vogel, der kurz in einem kalten Ambiente Station machte, und der Ich-Erzähler trauert ihm hinterher. Daher der Titel der Erzählung: Hinterher. Der junge Israeli hätte Bewegung und Leben in die Ereignislosigkeit bringen können, neue Gedanken, aufregende Diskussionen, schillernde Facetten des Nachdenkens. Der Ich-Erzähler erkennt erst nachträglich, „dass Chaim meine einzige Chance war, dass es ein historischer Glücksfall war, dass wir uns überhaupt kennen und lieben gelernt hatten.“

Doch die Gelegenheit wurde vertan. Autor Finn Job wagt, eingehüllt in eine depressiv getönte Erzählung, etwas Sensationelles zu thematisieren. Etwas, was für viele Deutsche noch immer ein Reizthema darstellt: dass Israel eine anregende, inspirierende Größe für das demoralisierte Europa sein könnte, eine wirkliche Hilfe, ein, wie es die Popsängerin Madonna nannte, „power house“. Man hat sich mühsam an den Gedanken gewöhnt, dass Israel existiert und weiterhin existieren wird, doch man will ein eher hilfsbedürftiges, armes kleines Land darin sehen, dem man herablassend ein „Existenzrecht“ zugesteht. Und nun stellt sich heraus, dass dieses kleine Land stark ist, vital, reich und voller Ideen, ein Kraftquell, ein magischer Ort.

Wie stark dieses Juwel im Wüstensand leuchtet, beweist nicht zuletzt der Hass seiner Feinde. Dieser Hass ist ein sicherer Indikator für Israels unerträglichen Erfolg. Israel-Hasser haben es mit offenen Kriegen versucht, in denen sie schmähliche Niederlagen einstecken mussten, mit Terrorismus und Guerilla-Aktionen, die außer Blutvergießen nichts bewirkten, mit Raketen- und Mörserbeschuss, der Israel zu neuen Abwehr-Systemen inspirierte, mit Boykotten und Sanktionen, die das verhasste Land wirtschaftlich stärkten. Was macht man mit einem Gegner, der, je heftiger man ihn bedrängt, immer nur stärker wird?

 

Israel floriert, trotz Raketenbeschuss

Die klügeren von Israels früheren Gegnern haben sich eines Besseren besonnen und versuchen es mit Kooperation. Einige alte Feinde halten verbissen zu den bekannten Methoden des Terrors und der überraschenden Raketenangriffe. Mitten auf einem seiner ziellosen Gänge am Strand, auf denen Finn Jobs Protagonist vor sich selbst wegzulaufen versucht, wird er vom Vibrieren seines Handys überrascht: „Bomben auf Israel! Raketen auf Sderot, auf Ashkelon und Ein HaSlosha. Kurz verstummten die Meldungen, aber schon ging es weiter: wieder auf Ashkelon, wieder auf Sderot – jetzt sogar auf Beer Sheva.“

So schlägt die Bombe Wirklichkeit ein ins entrückte Milieu der apathischen Kokain-Schnupfer und Proust-Leser. Die daneben auch noch ein Smartphone besitzen, das sie wie auf Zauberflügeln an den ersehnten, umkämpften Ort bringt: „Ich hatte die Red-Alert-App heruntergeladen, (…), einfach damit ich wusste, ob er in Sicherheit war. In Deutschland las man bloß von den israelischen Vergeltungsangriffen, niemals aber von den palästinensischen Offensiven – meist nicht einmal von den jüdischen Toten. Es vibrierte, es summte; ich starrte auf das leuchtende Etwas. Es war an sich nichts Ungewöhnliches, dieses Vibrieren – nein, ständig schlug die App Alarm, ständig wurde auf Israel geschossen.“

Trotzdem lebt dieses Land, wird immer lebendiger... Und hoffentlich wird auch Chaim, der Entschwundene zurückkehren, wenigstens als Besucher. Der Leser wünscht es dem unglücklichen Helden dieses deutschen Romans, sich so offen zum Land seiner Sehnsucht bekennt.

 

Finn Job, Hinterher. Roman,

Wagenbach Verlag Berlin 2022, 186 S., 19 Euro

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