Zur Konvertiten-Debatte: eine historische Rückblende
Der Einfluss von Konvertiten nimmt in den jüdischen Gemeinden zu© MIGUEL RIOPA / AFP
Der Streit um die Rolle und den Einfluss christlicher Konvertiten in der jüdischen Gemeinde, hat Risse in der Gemeinschaft hinterlassen und eine Debatte darüber ausgelöst, ob es Juden erster und Juden zweiter Klasse gibt. Ein Vorwurf lautet, dass einige Deutsche aus einem Schuldkomplex heraus zum Judentum übertreten. Andere befürchten, dass durch eine nicht-jüdische Sozialisation eine völlig neue Religion entstehen könnte. Ein Zwischenruf der Vernunft von Dr. Peter Gorenflos. (JR)
Die von Avitall Gerstetter ausgelöste Debatte über Konvertiten im deutschen Judentum hat gewisse Wellen geschlagen, fand auch Resonanz in der „WELT“ mit einem Kommentar von Alan Posener, in der „Berliner Zeitung“ mit einem Artikel von Tomer Dreyfus und in der „Jüdischen Allgemeinen“ mit einem Beitrag von Daniel Neumann. Laut Rabbiner Walter Rothschild - ebenfalls in der WELT – sagen nur deutsche Konvertiten Juden, was sie zu tun haben und Gerstetter spricht sogar von der Möglichkeit, dass durch Konvertiten mit nicht-jüdischer Sozialisation eine völlig neue Religion entstehen könnte. Eine historische Rückblende zeigt, dass diese Theorie nicht ganz abwegig ist. Die vermutlich folgenschwerste Konversion zum Judentum war die von Paulus. Allerdings konvertierte er nicht vom Christentum, denn diese Religion ist sein eigenes, späteres Werk, sondern von den Mysterienkulten seiner Heimatstadt Tarsus.
Mit dem Judentum nur oberflächlich vertraut und tief beeindruckt von religiösen Autoritäten wie Gamaliel, Hillel oder Schammaï, entwickelte Paulus jüdische Ambitionen, mit denen er jedoch kläglich scheiterte. Sein Eigenlob in den Briefen, er sei Pharisäer der Pharisäer gewesen, ist nachweislich genauso falsch, wie Lukas Aussage in der Apostelgeschichte, er sei ein ehemaliger Schüler Gamaliels. Irgendetwas musste schiefgelaufen sein, jedenfalls wechselte er die Seiten, wurde Polizeiagent des Hohepriesters, einem Sadduzäer und Kollaborateur Roms, und mit der Verfolgung der Jesus-Anhänger, der Nazarener, beauftragt. Auf dem Weg nach Damaskus erlitt er eine Halluzination, in der ihm Jesus – den er persönlich nie kannte – erschien. In der Kreuzigung Jesu, eine Bestrafung Roms für dessen Kampf gegen das imperialistische Joch und für die Wiederherstellung einer jüdischen Monarchie, erkannte Paulus das stellvertretende Sühneopfer der wiederauferstehenden Mysteriengötter seiner Heimat wieder, welches den Zweck hatte, die Gläubigen von ihren Sünden reinzuwaschen und für das ewige Leben nach dem Tode zu sorgen. Diese Kulte amalgamierte er mit der Jesusgeschichte und dem Judentum zu einer neuen Religion, dem Christentum. Das Gerüst dieses hochexplosiven Mythenmixes war die Gnosis, mit einem vom Himmel herabgestiegenen Sohn des „Höchsten Gottes“, welcher geheimes Wissen bringt und die Welt vom Demiurgen (ursprünglich gemeint: der jüdische Gott) befreit.
Nach seinem Damaszener Erlebnis schloss sich Paulus zunächst den Nazarenern an, alles toratreue Anhänger Jesu, die nach der Kreuzigung an seine Wiederauferstehung durch ein göttliches Wunder glaubten, wie bei Lazarus. Hier erhielt er die Berechtigung zur Heidenmission. Paulus Vorstellung von einem vergöttlichten Jesus, unvereinbar mit dem ersten Gebot, führte aber bald zum Bruch. Das Neue Testament hat vor allem die Aufgabe, diesen tektonischen Riss zu leugnen und eine angeblich einige „Jerusalemer Kirche“ zu postulieren, die sich im Konflikt mit „den Juden“ befand. Die Evangelien – im Grunde nichts anderes als eine Sammlung antijüdischer Hetz-Pamphlete – erklären Jesus zum Gründer einer neuen Religion, die ihren Gläubigen Heil durch seinen Sühnetod verspricht, eine Vorstellung, über die er selbst sehr wahrscheinlich entsetzt gewesen wäre. Die unmittelbaren Jünger Jesu, die ihn ja noch persönlich kannten, werden dann fälschlicherweise so dargestellt, als hätten sie seine Lehren nicht verstanden, als hätten sie nur langsam und widerwillig die überlegene paulinische Version von Jesu Heilsbotschaft begriffen. Ein Konvertit, der dem Judentum ein mysterienreligiöses, paganes Korsett anlegen möchte, belehrt die Anhänger des hingerichteten Juden Jesus über dessen angeblich wahren Ansichten und Ziele. Hyam Maccoby verdanken wir diese unverzichtbaren Einsichten.
Verhängnisvoll wurde das Christentum, das man auch Paulinismus nennen könnte, weil ihm der Antisemitismus inhärent ist. Das vom Gläubigen gewünschte Gottesopfer zwecks Erlösung löst Schuldgefühle aus, die seit 2000 Jahren auf „die Juden“ abgeladen werden. Das Zentrum der neuen Religion wird von Jerusalem nach Rom verlegt, die eigentlichen Verantwortlichen für Jesu Tod, die römischen Besatzer, werden entlastet und die Schuld den Juden in die Schuhe geschoben, denn um sich im Römischen Reich als neue Religion erfolgreich zu etablieren, mussten die Verbindungen zum jüdischen Nationalismus dauerhaft gekappt werden. Erst nach der Zerstörung des Tempels und der Niederlage Judäas 70 n.d.Z. konnte sich dieses Narrativ in den Evangelien voll entfalten. Und selbst dann dauerte es noch einmal tausend Jahre, bis die Gehirnwäsche der europäischen Bevölkerung durch den Klerus die Dämonisierung der Juden hervorbrachte, mit Blutbeschuldigungen, Pogromen, und der Inquisition. Die Shoa ist die folgenschwerste Konsequenz dieser Entwicklung.
Für eine Konversion zum Judentum mag es heutzutage viele Gründe geben. Wenn es stimmt, dass es in Deutschland auffällig viele Religionsübertritte gibt, dann spielen vermutlich auch Schuldgefühle wegen des Zivilisationsbruchs eine wichtige Rolle. Schuldgefühle sind dann ein weiteres Motiv für das groteske „Wilkomirski-Syndrom“, bei dem jüdische Opfer- und Verfolgungsbiographien erfunden werden. Vielleicht wird es langsam Zeit, die gewaltsame Christianisierung Europas mit den Mitteln der Aufklärung zu revidieren und zu einer Konversion zur Vernunft aufzurufen.
Dr. Peter Gorenflos, Herausgeber einer Maccoby-Trilogie bei Hentrich&Hentrich Berlin, Oktober 2022
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