Buchbesprechung: Arye Sharuz Shalicar sagt „Shalom Habibi“

Die Abraham-Abkommen sind eine historische Zeitenwende in den Beziehungen zwischen Israel und vielen arabischen Staaten. Der persisch-stämmige Deutsch-Israeli Arye Sharuz Shalicar nimmt in seinem Buch die Leser mit auf eine Reise der erhofften Völkerverständigung. (JR)

Von Filip Gašpar

Arye Sharuz Shalicar kam 1977 als Sohn persisch-jüdischer Eltern in Göttingen zur Welt. Später zieht die Familie in den Berliner Stadtteil Wedding um, wo er als „Schwarzkopf“ unter seinen muslimischen Freunden akzeptiert wird, bis sie erfahren, dass er gar kein Muslim wie sie, sondern Jude ist. Über Monate hinweg wird er antisemitisch beleidigt und bedroht, bis er es schafft, sich in diese Parallelgesellschaft von muslimischen Jugendbanden zu integrieren. Er wird Mitglied der Bande „Black Panthers“. Bevor er auf die schiefe Bahn gerät, macht er sein Abitur, geht zur Bundeswehr und macht schließlich 2001 Aliya, um wie er sagt, endlich als Jude sicher leben zu können. Alles nachzulesen in seinem ersten Buch „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“, das 2021 auch verfilmt worden ist.

 

Ein Buch, wie eine Reise

Sein neuestes Buch „Schalom Habibi: Zeitenwende für jüdisch-muslimische Freundschaft und Frieden“ handelt von den positiven Veränderungen im Verhältnis zwischen dem jüdischen Staat und einiger muslimischer und arabischer Staaten. Darunter die Vereinigten Arabischen Emiraten, Aserbaidschan, Bahrain, Marokko, Kurdistan, dem Sudan noch weitere. All diese Entwicklungen haben sich größtenteils unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit vollzogen. Shalicar bringt das als erster Autor auf Deutsch wieder, lässt dabei seine persönliche Perspektive gepaart mit seinen Erfahrungen mit einfließen und nimmt den Leser im wahrsten Sinne des Wortes mit auf eine Reise, blickt hinter die Kulissen und zeigt, wie sich echte Freundschaften bilden. Die bestehenden Probleme werden angesprochen, gleichzeitig aber auch vermittelt, wie schwierig es ist, alte Feindbilder hinter sich zu lassen und sich näher zu kommen, sowohl auf persönlicher als auch staatlich-institutioneller Ebene.

Das Buch beginnt in Shalicars Wohnzimmer. Sein neunjähriger Sohn Raphael starrt auf den Fernsehbildschirm und versucht zu begreifen, weshalb ein arabischer Terrorist zwei Tage zuvor das Feuer auf Juden eröffnet hat, nur weil diese Juden sind. Wofür Erwachsene schwerlich eine Erklärung haben, wird ein Kind erst recht nicht haben, doch Shalicar macht seinem Sohn klar, dass aufgrund solcher Ereignisse, er niemals alle Araber oder Muslime gleichsetzen dürfe, und es immer Hoffnung auf eine Veränderung gebe.

Gegen verzerrte Wahrnehmungen

Das zweite Kapitel macht noch einen Rundumschlag zum Bild über Israel und Juden in der deutschen Öffentlichkeit. Er kritisiert, dass selbst heute noch den meisten Deutschen bei der Erwähnung des Wortes „Jude“ die Begriffe Holocaust, Antisemitismus und der Nahostkonflikt in den Sinn kommen, ohne mitbekommen zu haben, dass sich im Nahen Osten immer weniger Leute um den sogenannten „Nahostkonflikt“ scheren. Dieser verzerrten Wahrnehmung ist auch ein ganzes Kapitel gewidmet, da viele bei „Nahostkonflikt“ eher an die israelische Armee oder Regierung denken, diese wahlweise als Besatzer oder Unterdrücker sehen oder wie er von „absurden Vergleichen zu der deutschen Vergangenheit zur Zeit der Nationalsozialisten“ schreibt.

Shalicar möchte mit seinem Buch dazu beitragen, weg von diesem Israelbild in Deutschland zu kommen und fordert auf, endlich die positiven Seiten und Entwicklungen zu betrachten. Seien es zum Beispiel seine muslimischen Freunde, die ihn in Berlin vor anderen Muslimen in Schutz genommen haben oder die kopftuchtragende Kindergärtnerin, der er jeden Morgen seine Tochter anvertraut hat. So sind Verbesserungen auch auf staatlicher Ebene möglich, egal was die Europäer davon halten. Dem vorrevolutionären Iran ist ein eigenes Kapitel gewidmet und vor den aktuellen Entwicklungen im Iran besonders wertvoll. Shalicar zeigt auf, dass ein moderner nicht islamischer Iran, wo Frauen ganz selbstverständlich selbst entschieden ob mit oder ohne Kopftuch auf die Straße zu gehen, und Muslime und Juden friedlich zusammenlebten, noch gar keine fünfzig Jahre her ist. Aber er spricht auch die großen damaligen Toleranzunterschiede zwischen dem modernen und aufgeklärten Teheran und der Situation auf dem Lande an, die ein Faktor in der Machtergreifung durch die Mullahs waren.

Wo sein erstes Buch endete, nämlich mit seiner Einwanderung nach Israel 2001, greift eins der Kapitel seine Erzählung an der Stelle wieder auf. Ohne Geld, Sprachkenntnisse und Familie musste er sich ganz neu zurechtfinden und was ist der beste Weg, nicht bloß, um die israelische Gesellschaft zu verstehen, sondern ebenfalls schnell ein Teil dieser werden? Natürlich der Armeedienst. Gelebter Zusammenhalt zwischen Juden, Muslimen, Drusen und Christen ist in der IDF eine überlebenswichtige und nicht aufgezwungene Realität, deren Soldaten diese danach auch vorleben.

 

Annäherung durch Abraham-Abkommen

Nach diesen Schwenkern kommt endlich das heiß ersehnte Kernstück des Buches, nämlich die Betrachtung der einzelnen arabischen und muslimischen Länder in Israels Nachbarschaft und Umgebung. Die Kapitel sind nicht identisch aufgebaut, folgen jedoch einem losen Muster. Sie sind eine Mischung aus historischem Abriss über die Beziehungen zwischen den Staaten zu Israel, einer aktuellen politischen Lage, der im Hintergrund immens unternommenen Anstrengungen zur Verbesserung der Situation, getoppt mit einer großen Portion von Shalicars Reiseberichten. Ein erster Schritt, der den Stein ins Rollen brachte, war das sogenannte „Abraham-Abkommen“ zwischen Israel und den arabischen Staaten, das auf die außenpolitische Initiative des ehemaligen amerikanischen Präsidenten Donald Trump zurückzuführen ist.

Das am 15. September 2020 zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterzeichnete Abkommen war das erste Mal, dass arabische Staaten, die nicht in direkte kriegerische Handlungen mit Israel verwickelt waren, sich eindeutig gegen einen Boykott des jüdischen Staates stellten und Israel auch anerkannten. Dies ist ein eindeutiger „Gamechanger“ der gesamten politischen Lage im Nahen Osten und man weiß nicht, was mehr verwundert: Dass Donald Trump hierfür keinen Nobelpreis erhalten hat, oder dass Barack Obama überhaupt einen erhalten hat.

Shalicar kritisiert auch zurecht, dass diesem Durchbruch in Deutschland und Europa medial viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Ein weiterer Durchbruch ist Israel im Sudan, dem immerhin drittgrößten afrikanischen Staat gelungen. Der Sudan folgte der am 1. September 1967 verabschiedeten Khartum-Resolution, also ein panarabisches Abkommen, dass weder Frieden, Anerkennung oder Verhandlungen mit Israel wollte. Shalicar war an vorderster Front als Teil einer geheimen Delegation mitgereist. Noch mit dem Rückenwind des Abraham-Abkommens sollte nun auch Frieden mit dem Sudan geschlossen werden. Dass die jeweiligen Staaten nicht aus reiner Nächstenliebe, sondern aus realpolitischem Interesse handeln, zeigt der Autor sehr gut auf, indem er erklärt, dass Israel nicht mehr der kleine zerbrechliche Staat ist, sondern als Hightech- und Rüstungsstandort eine Menge zu bieten hat.

Weitere Stationen sind Marokko, Aserbaidschan und sogar bis nach Bahrain. Auch der Situation der Kurden ist ein ganzes Kapitel gewidmet. Wie an vielen Stellen ist das Buch durch persönliche Fotos seiner Reisen oder seiner Familie geschmückt und ergänzt den Lesefluss gut. Shalicar ist ein lesenswerter Rundumschlag über die positiven Veränderungen im Nahen Osten gelungen und zeigt, dass eine Normalisierung nicht nur zwischen dem jüdischen Staat und seinen muslimischen Nachbarstaaten möglich ist, sondern auch zwischen Muslimen und Juden. Ob diese Erkenntnis auch in Deutschland ankommen und umgesetzt wird? Man kann es nur hoffen.

 

Arye Sharuz Shalicar: „Schalom Habibi: Zeitenwende für jüdisch-muslimische Freundschaft und Frieden“, Hentrich & Hentrich Verlag Berlin Leipzig, 162 Seiten

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