Scholz‘ Schweigen und das jüdische Selbstbewusstsein

Bundeskanzler Scholz schwieg lautstark, als sein Gast, Israel-Hasser und Judenmord-Finanzierer Abbas, den Holocaust relativierte – und wird von offizieller jüdischer Seite in Deutschland mit halbherziger und lauwarmer Kritik auffallend geschont. Dabei müssen gerade die Juden angesichts ihrer Geschichte und den jüngsten Entwicklungen dieses Landes weder diplomatisch sein noch zurückhaltend, wenn die linke Politik die Gedenktage ritualisiert, aber keinerlei Rücksicht auf die hier lebenden Juden nimmt. (JR)

Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem damaligen israelischen Ministerpräsident Naftali Bennett in Yad Vashem
© Joel ROBINE / AFP

Michal Kornblum/Achgut.com

In München hat am 16. August 2022 ein Security-Mitarbeiter mit „arabischem Namen“ den Hitlergruß gezeigt, als die israelische Delegation von Sportlern der European Championships das Mahnmal für die Opfer des Attentats von 1972 besucht hat. Wer sich fragt, wie so etwas in Deutschland immer wieder passieren kann, findet die Antwort in der inzwischen gut bekannten Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und dem eigentlich nicht mehr legitimierten „Palästinenserpräsidenten“ Abbas. Denn wie so oft stinkt der Fisch vom Kopfe her. Der schweigende Scholz, der wie ein kleiner Schuljunge dabei zusah, wie in seinem Haus und in seiner Hauptstadt der Holocaust relativiert wurde, wird nun paradoxerweise ausgerechnet vom Antisemitismusbeauftragten Dr. Felix Klein in Schutz genommen.

Dr. Klein spricht von einem Kommunikationsproblem zwischen Scholz und dessen Regierungssprecher Hebestreit. Dieser hat inzwischen schon die Schuld für Scholz‘ Schweigen auf sich genommen; so gäbe es bei Pressekonferenzen strenge Verfahrenswege, die Mikrofone seien bereits ausgeschaltet gewesen und weitere Äußerungen waren nicht vorgesehen. Wenn ein deutscher Bundeskanzler nicht einmal in der Lage ist, gegen die Tagesordnung einer Pressekonferenz zu verstoßen, wenn es ihm tatsächlich ein Herzensanliegen ist, wie soll dann dieser Bundeskanzler ein Land regieren und in der Weltpolitik vertreten, zumal es dort sicherlich größere Hindernisse als ausgeschaltete Mikrofone gibt?

Natürlich ist diese Erklärung von Regierungssprecher Hebestreit absolut lächerlich, aber sie zeigt, worum es im Politikbetrieb geht: Verfahrenswege. Wenn Scholz sich zum Holocaustgedenktag mit einem Schild „WeRemember“ fotografieren lässt und es anschließend twittert, wenn Politiker Erinnerungs- und Gedenkveranstaltungen besuchen oder abhalten, wenn sie Auschwitz besuchen, wenn sie Kränze niederlegen oder wenn sie, umzingelt von Fotografen, Stolpersteine putzen, dann sind das alles Verfahrenswege. Referenten erstellen Tagesordnungen und Ablaufpläne, die dann von einem Politiker wie von einer Marionette abgespult werden. Und ein Widerspruch gegen Abbas war einfach in keinem Verfahrensweg vorgesehen.

 

Nicht zu viel Wert auf die Gedenkreden von Politikern legen

Genau aus diesem Grund sollten wir (und damit meine ich explizit auch uns Juden) nicht zu viel Wert auf die Gedenkreden von Politikern legen und vor allem keine Erwartungen haben. Denn offenbar leiten die Politiker für sich selbst auch keine Erwartungshaltung daraus ab. Dies ist ein Ausschnitt aus Olaf Scholz' Rede vom 27. Januar 2022 zum internationalen Holocaustgedenktag:

„…Ich sage das mit großer Sorge. Denn Antisemitismus, Hassreden, Hetze gegen Israel und Gewalt gegen Menschen jüdischen Glaubens nehmen zu – in Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern weltweit.

Gerade in der Coronapandemie haben auch Desinformation und Verschwörungstheorien aus dem Internet noch einmal zugenommen. Wir haben immer wieder gesehen, wie die Erinnerung an den Holocaust auf unseren Straßen bewusst verfälscht wurde – etwa bei Protesten gegen die Coronamaßnahmen. Ich denke etwa an die Demonstranten, die sich gelbe Sterne mit der Aufschrift „ungeimpft“ angeheftet haben.

Umso deutlicher möchte ich heute sagen: Antisemitismus hat in unseren Ländern keinen Platz. Freie und offene Gesellschaften dürfen ihren Feinden nicht das Heft des Handelns überlassen. Wir müssen Antisemitismus, Diskriminierung, Rassismus und Extremismus bekämpfen – überall und in all ihren Formen.

Deutschland trägt in dieser Hinsicht eine besondere Verantwortung. Und mein Dank gilt Ihnen allen, die Sie uns helfen, dieser Verantwortung gerecht zu werden: Gemeinsam mit Israel haben wir auf eine UN-Resolution gegen die Leugnung des Holocaust hingearbeitet. Letzte Woche wurde sie einstimmig verabschiedet. Und es ist mir eine große Ehre, dass wir dabei Seite an Seite mit unseren israelischen Freunden stehen durften. Mit vielen von ihnen haben wir zudem im vergangenen Jahr zusammengearbeitet, um eine globale Task Force gegen Holocaustverfälschung ins Leben zu rufen. Und ich bin auch den Vereinten Nationen und der UNESCO zutiefst dankbar, dass sie durch ihre Arbeit mithelfen, Antisemitismus, Rassismus und Extremismus weltweit zu bekämpfen.

Es ist ein Kampf gegen das Böse, das oft unter dem Deckmantel der Normalität daherkommt. Vor allem aber ist es ein Kampf für mehr Menschlichkeit, die uns verbindet.“

Schluss mit der Ausschlachtung der Holocaust-Opfer zu politischen Zwecken!

Wenn ich diese Rede lese, habe ich den Eindruck, dass das Verhalten von Olaf Scholz schizophren ist. Er warnte noch im Januar vor Holocaustrelativierung auf Coronademonstrationen, schwor Deutschland auf seine besondere Verantwortung ein und verabschiedete eine Resolution gegen die Leugnung des Holocaust. Ob er diese Resolution wohl vorher gelesen hat? Es waren jetzt aber keine ominösen Querdenker oder Nazis, die den Holocaust relativiert haben, sondern ein „Politiker“, der auf der gleichen Bühne wie Scholz stand. Das obligatorische Händeschütteln (ist wohl ein Verfahrensweg!) hinterher durfte selbstverständlich nicht fehlen. So sieht für Olaf Scholz der Kampf gegen das Böse und für mehr Menschlichkeit aus.

Spätestens jetzt ist es an der Zeit, dass jüdische Gemeinden und Verbände ihre Erinnerungs- und Gedenkkultur überdenken. Zu jeder Gedenkveranstaltung, ob Novemberpogrom, Befreiung von Auschwitz oder Yom HaShoah, kommt die gesamte politische Schickeria – teils sogar als Ehrengäste – in die Synagogen dieses Landes. Sie halten Reden, zeigen Betroffenheit und sind am nächsten Tag damit in der Zeitung. Solche Veranstaltungen werden dadurch mehr zum Politikum als zum echten Gedenken. Jüdische Verbände geben Politikern damit eine Bühne für ihren Wahlkampf und ihre politische Arbeit. In unserer Gesellschaft ist der Besuch dieser Veranstaltungen so etwas wie ein politischer Pflichttermin, jedoch mit absoluter Bedeutungslosigkeit.

Scholz ist mit seinem fehlenden Widerspruch gegen Abbas leider keine Ausnahme, sondern ein weiterer Meilenstein in einer ganzen Reihe von antijüdischen und antiisraelischen Fettnäpfchen in der Politik. Dass jüdische Verbände und Gemeinden damit den Missbrauch und die endgültige Ausschlachtung der Opfer der Holocausts, also unserer Großeltern und Urgroßeltern, zu politischen Zwecken erlauben, kann ich unter diesen Umständen nicht nachvollziehen. Trotzdem werden vermutlich im November wieder alle Synagogen voller Politiker sein, die etwas von „niemals schweigen“ erzählen werden. Die Realität ist doch, dass die Politiker diese Gedenkveranstaltungen für ihr Image mehr brauchen als wir, die Juden, ihre Anwesenheit dort benötigten. Wir sind in der Lage, jeden jüdischen Feiertag „allein“ abzuhalten; wieso sollten wir es nicht schaffen, unserer Vorfahren ohne „Unterstützung“ aus der Politik würdevoll zu gedenken?

Mir fehlt jegliches Verständnis für Beschwichtigungsversuche von jüdischer Seite. Wir müssen weder diplomatisch sein noch etwas beschönigen. Wenn wir wirklich, wie der Zentralrat der Juden häufig betont, ein starkes, jüdisches Leben in Deutschland haben, gehört es auch zum jüdischen Selbstbewusstsein dazu, scharfe und eindeutige Kritik zu äußern und gegebenenfalls Konsequenzen zu fordern. Prof. Michel Friedman hat in einem Interview bei der Welt Scholz zu Recht kritisiert, aber in einem Nebensatz erwähnt, dass wir „natürlich auch darüber diskutieren müssen, dass auch den Palästinensern Unrecht geschieht“. Damit nimmt er sich leider selbst den Wind aus den Segeln und relativiert seine eigene Kritik an Scholz. Die jüdische Appeasement-Mentalität ist mitverantwortlich dafür, dass das deutsche Judentum – politisch gesehen – nicht ernst genommen werden kann (manchmal frage ich mich, ob es sich selbst ernst nimmt). Wenn Scholz in seiner Rede sagt, dass er Seite an Seite mit unseren israelischen Freunden stand, dann mag das stimmen – aber trotzdem steht er den „palästinensischen“ Freunden eben doch ein Stückchen näher.

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