Deutsch-Israelische-Gesellschaft: Von gecancelten Juden und dem Boykott unliebsamer Meinungen

Das neue Präsidium der DIG hat den Antrag mehrerer Gliederungen ihres Verbandes und des Jungen Forums (JuFo) abgelehnt und damit die Israel-freundlichen Vorträge des früheren Gesandten der Jewish Agency Yonatan Shay verhindert. Die Angelegenheit wirft viele Fragen auf die Struktur von Entscheidungsprozessen und Transparenz innerhalb der DIG. Überaus bedenklich sind die Auswahl von Referenten und die Rolle des Auswärtigen Amts als Geldgeber der Gesellschaft. Eine mehr als fragwürdige Rolle spielt dabei auch der gegenwärtige DIG-Präsident Volker Beck. (JR)

Yonathan Shay mit Volker Beck im Deutschen Bundestag© © Cyrus Overbeck

Von Anna Sofia Magaras

Vor wenigen Wochen haben mehrere lokale Gruppen der DIG und des Jufo (Forum für Mitglieder der DIG bis 35 Jahren) bei der bundesweiten DIG, von der sie finanziell abhängig sind, einen Antrag für eine Vortragsreise mit Yonatan Shay gestellt. Konkret ging es dabei um Argumentationstraining gegen antisemitische und antiisraelische Positionen und um die Leitung und Organisation von Weinproben. Yonatan Shay hat sich in seiner Zeit in Deutschland nicht nur als Gesandter der Jewish Agency engagiert, sondern darüber hinaus aktiv gegen Judenhass gekämpft. Er hat sich medial für eine größere Wahrnehmung von Judenhass unter Muslimen stark gemacht, in dem er beispielsweise mit der WELT als Experiment ein Flüchtlingsheim mit Kippa besuchte oder einen Artikel auf Vice über seine Anwesenheit als Jude bei einem Salafistenprozess veröffentlichte. Außerdem spricht Yonatan Shay nicht nur fließend Deutsch, er ist auch in Israel zertifizierter Wein-Sommelier. Es ist also davon auszugehen, dass er für die angefragten Vorträge qualifiziert ist, gerade, weil er diese in seiner Zeit als Gesandter bereits für die DIG durchgeführt hat. Trotzdem hat das neugewählte Präsidium der DIG den betroffenen Gliederungen für Vorträge mit Yonatan Shay eine Absage erteilt. Eine offizielle, schriftliche Erklärung dieser Entscheidung liegt bisher unseren Informationen zufolge keiner der lokalen Gruppen vor, obwohl das Präsidium von ihnen darum gebeten wurde.

Eine Anfrage der Jüdischen Rundschau, warum Yonatan Shay nicht für Vorträge zugelassen wird und, inwiefern das Auswärtige Amt als Förderer der DIG einen Anteil daran trägt, wurde leider nur mit dem Hinweis beantwortet, dass es sich um „interne Entscheidungen über Förderungen“ handelt. Es gibt jedoch widersprüchliche Aussagen verschiedener Präsidiumsmitglieder.

Die Rolle des Volker Beck

Während ein Präsidiumsmitglied betont, dass es keine Entscheidung gegen Yonatan Shay als Person war, sondern lediglich ein Kostenaspekt (obwohl Yonatan Shay für seine Vorträge kein Honorar verlangt und es nur um die Reisekosten gehen würde), führte der Präsident der DIG, Volker Beck, andere Gründe an. Uns liegen Belege vor, nach denen er die Kontrolle des Auswärtigen Amts als Geldgeber der Gesellschaft, als wichtigsten Punkt gegen Yonatan Shay anführt. Denn Yonatan Shay engagiert und arbeitet in Israel für „Im Tirtzu“, eine zionistische NGO, die Wert darauf legt, dass Israel seinen jüdischen Charakter behält. So setzt sich Im Tirtzu beispielsweise gegen die finanzielle Förderung von linksradikalen, antizionistischen und propalästinensischen NGOs in Israel durch das Ausland, wie z.B. durch deutsche Steuergelder, ein, da mit diesen Geldern u.a. Terror finanziert wird und Anwälte für Terroristen bezahlt werden. Yonatan Shay habe sich laut Beck radikalisiert, so dass man Probleme mit dem Auswärtigen Amt befürchte. Die Kontrolle der Bildungsveranstaltungen der DIG durch das Auswärtige Amt soll in Zukunft noch strenger werden, so dass es heikel wäre, jemanden wie Yonatan Shay einzuladen. „Wir sind unter Beobachtung!“ habe Beck geäußert. Außerdem kritisierte er, dass Yonatan Shay angeblich andere Juden auf sozialen Onlineplattformen diffamiert haben soll. Ein Fall dieser „Diffamierung“ ist mir selbst bekannt. Vor wenigen Wochen hat der linke Aktivist jüdischer Abstammung Shai Hoffmann auf seiner Israelreise ein Foto mit Alena Jabarine, einer bekannten Israelhasserin und BDS-Aktivistin gepostet. Daraufhin hat Yonatan Shay Hoffmann dafür kritisiert und gefragt, ob er ein Alibijude sei, wenn er solche Personen und Positionen unterstützt.

Beck könnte sich Shay in einer Kontroverse beispielsweise mit Aktivisten vom New Israel Fund, die BDS unterstützen und die Abschaffung Israels als explizit jüdischen Staat fordern, vorstellen. Denn er hält Im Tirtzu für eine „nicht Mainstream“, also eine extreme, Organisation und führte als Beleg die Teilnahme von Im Tirtzu am Jerusalemer Flaggenmarsch an.

Cancel Culture bei der DIG

Die Cancel Culture ist spätestens jetzt in der DIG angekommen. Dass ein Jude und Israeli gecancelt wird und sich damit über den ausdrücklichen Wunsch der betreffenden Mitglieder der DIG hinweggesetzt wird, ist ein Skandal für eine Gesellschaft, die sich die Freundschaft zwischen Deutschland und Israel auf die Fahne schreibt. Die Tatsache, dass seit Wochen keine offizielle Begründung der Entscheidung vorliegt und sich Präsidiumsmitglieder in ihren Aussagen widersprechen, zeigt das Ausmaß an intransparenter und undemokratischer Arbeitsweise der DIG. Wenn die Überwachung und der Einfluss des Auswärtigen Amts tatsächlich ein solches Ausmaß annehmen, dann wirft das die Frage auf, wie unabhängig die DIG und auch jüdische Verbände in Deutschland, die mehrheitlich durch die Bundesregierung oder bestimmte Ministerien über Steuergelder finanziert werden, überhaupt sein können. Sind Verbände, die durch ihre Förderung aus der Politik immer mehr in ihrer Freiheit beschnitten werden, überhaupt noch in der Lage eine funktionale Interessensvertretung für Juden oder Freunde Israels darzustellen? Wie kann es sein, dass das Auswärtige Amt einen Vortrag von Yonatan Shay- für den es eine Ehrung sein muss, dass sein Name dem Auswärtigen Amt bekannt sein soll- laut Beck nicht billigen würde, aber 2020 ein Vortrag von Dr. Moshe Zimmermann, einem bekannten BDS-Aktivisten und Israelkritiker, bei der DIG Magdeburg kein Problem darstellte?

Auch Aktivistin Malca Goldstein-Wolf ausgegrenzt

Der Fall von Yonatan Shay ist jedoch nicht der einzige von Cancel Culture in der DIG. Die jüdische Aktivistin Malca Goldstein-Wolf, die sich für Israel und gegen Judenhass einsetzt, wurde kürzlich mit einer Kommentiersperre auf der Facebookseite der DIG belegt. Sie war zuvor in einer Diskussion bei Twitter zum Genderthema anderer Meinung als der Präsident der DIG Volker Beck. Wenn das der Grund für die Kommentiersperre ist und Volker Beck die DIG benutzt, um persönliche Fehden zu rächen, ist das unprofessionell und inkonsequent, da er selbst Yonatan Shays öffentliche Kritik an Hoffmann bemängelte. Im Übrigen ist Yonatan Shays Reaktion auf Shai Hoffmann nicht nur legitim, sondern die Pflicht eines jeden Zionisten und im Grunde jedes Juden. Denn, wenn sich ein Jude mit Israelhassern, Antisemiten und BDS-Unterstützern gemein macht und dies dann auch noch veröffentlicht, ist es brandgefährlich. Gerade in Deutschland wird damit der Eindruck vermittelt, dass es in Ordnung ist, Zionisten und Israel zu hassen und es kein Problem ist, Menschen, die diese Israelkritik promoten, zu unterstützen, wenn es selbst ein Jude tut. Dass also ausgerechnet der Präsident der DIG eine couragierte Antwort auf den Versuch Antizionismus zu legitimieren, als Problem und Ablehnungsgrund sieht, widerspricht dem eigentlichen Zweck der DIG. Es ist genauso eine Provokation und ein Armutszeugnis, dass Beck die Teilnahme am Flaggenmarsch in Jerusalem, an dem die Mehrheit der Bevölkerung Jerusalems teilnimmt, als Beleg für eine Radikalisierung von Im Tirtzu und Yonatan Shay wertet. Nur weil Deutschland ein pathologisches Verhältnis mit Flaggen und Nationalstolz hat, darf man das nicht auf andere Länder übertragen. Wenn also Juden stolz mit der israelischen Flagge in der ewigen israelischen Hauptstadt Jerusalem einen Marsch abhalten, hat man das als Präsident der DIG nicht zu monieren.

Auf welcher Seite steht die DIG?

Die aktuellen Entwicklungen rund um die DIG besorgen mich. Wenn bestimmte Juden und Israelis - ohne sich etwas handfestes zu Schulden kommen zu lassen - nicht mehr willkommen sind, keine Vorträge halten oder auf Facebook kommentieren dürfen, dann läuft in dieser Gesellschaft etwas falsch. Es kann nicht sein, dass ein Israeli keine Vorträge halten darf, weil man entweder Probleme mit ihm als Person hat oder seine politische Ausrichtung nicht links genug ist. Auch ist es skandalös, dass eine Gesellschaft, die angibt proisraelisch zu sein, einen Israeli und Zionisten nur im Rahmen einer Diskussion sprechen lassen will, wenn ein Vertreter einer antiisraelischen und terrorverharmlosenden NGO ihm Kontra bietet. Vor allem ist es unglaublich, dass den beteiligten Gliederungen keine Erklärung über die Ablehnung vorliegt; alles scheint über Mauscheleien und ohne Transparenz abzulaufen. Da die Gelder vom Auswärtigen Amt über Steuergelder generiert werden, müssen solche Begründungen öffentlich thematisiert werden und können nicht nur Gegenstand „interner Entscheidungen“ sein. Die Angelegenheit wirft ein sehr schlechtes Licht auf die Struktur von Entscheidungsprozessen in der DIG aber auch auf die Inhalte der Gesellschaft. Während sich das neue Präsidium in letzter Zeit bezüglich externer Angelegenheiten wie dem Documenta-Skandal oder der Frage nach Entschädigung für die Familien der Opfer des Olympia-Attentats von 1972 wirklich stark für jüdische und israelische Interessen eingesetzt hat, wirkt es nach innen desaströs. Eine Gesellschaft darf nicht Mittel zum Zweck sein, um persönliche Befindlichkeiten zu rächen oder politisch unliebsame Meinungen auszuschalten und aus dem öffentlichen Diskurs zu entfernen. Wir brauchen gerade in den aktuellen Zeiten keinen Linksdrift der DIG, sondern eine uneingeschränkte Solidarität mit Israel und den Israelis.

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