Ein neues jüdisches Gesicht bei BILD TV
Antonia Yamin
Die israelische Reporterin Antonia Yamin wurde 2018 in Berlin Neukölln während einer Berichterstattung in Hebräisch von Jugendlichen mit Migrationshintergrund angepöbelt und mit einem Böller attackiert. Trotz des Übergriffs entschied die Mutter einer Tochter, sich in Deutschland niederzulassen. Die Jüdische Rundschau traf die deutsch-israelische Journalistin an ihrer neuen beruflichen Wirkungsstätte „Bild Live“. Wie es um die Sicherheit der Juden in Deutschland bestellt ist, beantwortet sie in einem charmanten und ehrlichen Interview. (JR)
Zweimal attackierte man sie bereits während und wegen ihrer Arbeit. Die erfahrene Fernsehfrau Antonia Yamin ist seit 1. Mai Chefreporterin des neuen TV-Programms der BILD-Zeitung. Als solche reist sie zu den Nachrichten-Brennpunkten in Deutschland und der Welt. Ihre Berichte - oftmals auch über jüdische Themen - sind meist in der Sendung „BILD LIVE“ zu sehen. 1988 wurde Antonia Yamin als Tochter einer deutschen Christin und eines aus Libyen stammenden Israeli geboren. Die Eltern hatten sich bei einem Israel-Urlaub der Mutter kennengelernt. Antonia wuchs überwiegend in der Küstenstadt Netanja auf. Während ihres Dienstes bei der Armee konvertierte sie zum Judentum. Danach studierte sie Journalismus in Tel Aviv. Nach Deutschland kam sie für ein Praktikum bei der "Frankfurter Rundschau". Bevor sie bei „BILD TV“ landete, arbeitete sie noch beim ZDF als Producerin im Studio Tel Aviv und zuletzt als Europa-Korrespondentin des israelischen Rundfunksenders „KAN“ in Berlin. Björn Akstinat führte mit Frau Yamin ein Interview zu ihrer Arbeit und ihrem Leben zwischen zwei Kulturen.
Björn Akstinat: Liebe Frau Yamin, warum braucht Deutschland das neue Programm „BILD TV“ und warum braucht das Programm Sie als neue Reporterin? Wollen Sie selbt besondere neue thematische Akzente setzen?
Antonia Yamin: Deutschland braucht „Bild TV“, weil es Live-Nachrichten braucht, die schnell sind und auf den Punkt kommen. Ich als "News-Junkie" bekomme nie genug Nachrichten und habe früher oft Meldungen auf Twitter gesehen (beispielsweise zur Flut, zu einem Terror-Anschlag, zum Beginn der Ukraine-Invasion), habe dann schnell mein Fernsehgerät eingeschaltet, um weitere Informationen zu erhalten, aber es gab nichts. Mit der Sendung „BILD LIVE“ hat der Sender in kurzer Zeit bereits bewiesen, dass er schnell auf jede Situation reagieren kann - und zwar mit zunehmendem Erfolg im Zuschauermarkt. Ich denke, es ist Konsens in der deutschen Medienbranche, dass BILD zum Beispiel mit Paul Ronzheimer derzeit die beste Berichterstattung aus der Ukraine leistet. In den letzten 5 Jahren war ich in ganz Europa als Korrespondentin tätig – ich habe jeden Terroranschlag, Naturkatastrophen, Wahlen aber auch Adelshochzeiten begleitet. Ich bin schnell, präzise und schalte gerne live. Das ist mein Vorteil als Reporterin. Ich denke, dass ich genau in so ein Programm hineinpasse, und ich mach es während ich eine Halskette mit dem Davidstern trage, weil ich hoffe, dass es eines Tages einfach normal wird. Natürlich setze ich im Programm auch einige jüdische Akzente. So habe ich kürzlich dem Antisemitismus-Skandal bei der Lufthansa durch meine Fernsehberichterstattung zu internationaler Beachtung verholfen: Anfang Mai verweigerten Lufthansa-Mitarbeiter einer größeren Pilgergruppe von über 100 orthodoxen Juden in Frankfurt/Main pauschal den Weiterflug nach Ungarn - nur weil einzelne keine Corona-Masken tragen wollten.
Björn Akstinat: Sie sind als jüdische Reporterin bereits zweimal in Berlin-Neukölln attackiert worden. Wie lief das ab? Wer waren die Täter?
Antonia Yamin: Der erste Angriff war 2018 auf einer Straße in Neukölln. Ich war allein mit meinem Kameramann vor Ort und drei jugendliche Araber haben einen Böller auf mich geschmissen. Der zweite Vorfall passierte in der großen Anti-Israel-Demo im Mai 2021. In beiden Fällen war ich live auf Sendung und habe in mein Mikrofon hebräisch gesprochen. Das zweite Mal war ich mit einem größeren TV-Team vor Ort. Die Leibwächter des Teams haben die Täter erkennen können, sie als arabische Männer beschrieben und auch gehört, wie sie sagten: „Sie spricht hebräisch!“ Es war also ein gezielter Angriff. Leider hat die Polizei in beiden Fällen die Täter im Nachhinein nicht gefunden, obwohl sie einmal deutlich in den TV-Aufnahmen zu sehen waren.
Björn Akstinat: Was denken Sie und Ihre jüdischen Freunde über diese jährlichen Demonstrationen in Berlin und den muslimischen Antisemitismus in Deutschland?
Antonia Yamin: Dass es langsam genug sein muss. Es kann doch nicht sein, dass man in Berlin, auch wenn nur für ein Tag, Russland- und Ukraine-Flaggen verbietet, aber Demos erlaubt, in denen man schon vorher weiß, dass Israel-Hass und Antisemitismus verbreitet werden. Jedes Jahr sagen die Politiker dasselbe. Immer wieder hören wir, dass es beschämend für Deutschland ist, das Deutschland ein Problem mit importiertem Antisemitismus hat – aber dann macht doch mal was dagegen! Reden ist nicht genug. Zuletzt versicherte mir am 6. Mai die Berliner Bürgermeisterin Franziska Giffey in einem Interview, dass man in Demos keine antisemitischen und antiisraelischen Äußerungen mehr zulassen will. Da werde ich dranbleiben und die Einhaltung des Versprechens immer wieder prüfen.
Björn Akstinat: Alle jüdischen Institutionen in Deutschland müssen von der Polizei gesichert werden. Ist ein normales jüdisches Leben in Deutschland möglich und wie sehen Sie die Lage in der Zukunft, also beispielsweise in 20 Jahren?
Antonia Yamin: Die Tatsache, dass jüdische Institutionen in Deutschland von der Polizei gesichert werden, ist alles andere als normal. Aber wie wir leider immer wieder sehen, ist es auch ein Muss. Ich werde Halle niemals vergessen. Als die erste Meldung kam, war ich bei meiner Oma in Mannheim. Ich stand sofort auf und fing an, meine Sachen zu packen, um schnell loszufahren. Meine Oma fragte mich, was denn los ist. Ich antwortete mit Tränen in den Augen: „In Deutschland versucht man wieder, Juden in Synagogen umzubringen". Erst als ich dann mit den Überlebenden im Bus saß und alle zusammen „Am Israel Chai“ gesungen haben, war ich erleichtert. Was die Zukunft angeht, da hoffe ich, dass es besser wird. Ich habe mich jetzt entschieden, in Deutschland zu leben und meine Tochter hier aufwachsen zu lassen. Aber ich weiß nicht, was ich machen werde, wenn eines Tages meine Tochter in der Schule gemobbt wird, weil sie Jüdin ist. Und wenn es mal wirklich schlimm wird in Deutschland, habe ich immer noch Israel.
Björn Akstinat: Sie wuchsen in Israel auf. Was denken ihre Eltern darüber, dass Sie als Journalistin und Auslandskorrespondentin nach Deutschland - ins Heimatland ihrer Mutter - zurückgekehrt sind?
Antonia Yamin: Ich habe erst vor kurzem mit meiner Mama drüber gelacht, dass im Leben immer alles so unerwartet kommt. Meine Mama kam nach Israel für eine Woche Urlaub, traf meinen Vater am zweiten Tag am Strand und als der Urlaub vorbei war, hat sie sich entschieden, dass sie bleibt. Ein Jahr später kam ich auf die Welt - und zwar in Mannheim, weil meine Mama ihre Mutter bei der Geburt dabei haben wollte, aber es war klar für sie, dass sie mich in Israel aufzieht. Und jetzt, 33 Jahre später, hat mich mein Job zurück nach Deutschland geführt und ich werde meine Tochter hier erziehen – eine Entscheidung, die meine Mama total gut findet.
Björn Akstinat: Halten Sie persönlich die Lage in Israel für sicherer als in Deutschland?
Antonia Yamin: Die Welt ist gerade kein sicherer Ort - Punkt. Aber ich freue mich, dass ich mich in beiden Ländern zu Hause fühle und dass ich mich immer entscheiden kann, auch woanders zu leben.
Björn Akstinat: Der Axel-Springer-Verlag, zu dem „BILD TV“ gehört, beschäftigt überdurchschnittlich viele jüdische Journalisten und setzt sich sichtbar für Israel ein. Meinen Sie, dies sollten alle deutschen Medienhäuser tun? Finden Sie, dass einige andere deutsche Medienhäuser in ihrer Personalpolitik und in ihrer Berichterstattung ein Antisemitismus-Problem haben?
Antonia Yamin: Axel Springer beschäftigt viele großartige Journalisten und ich freue mich, dabei zu sein. Dass zu den fundamentalen Werten hier die Unterstützung des jüdischen Volkes und das Existenzrecht Israels gehören, bestärkt mich darin natürlich. Aber auch die Vielfalt der Meinungen, die ich hier erlebe, ist sehr angenehm. Wenn alle Medienhäuser in Deutschland gleich wären, würde ich das sehr schlecht finden und sehr undemokratisch. Aber ja, natürlich sehe ich manche Sendungen im deutschen Fernsehen und schüttele den Kopf. Manchmal sieht es wirklich so aus, als ob man es in manchen TV-Sendungen gezielt auf Israel abgesehen hat. Das ist noch ein Grund, warum ich Axel Springer für mich als berufliches Zuhause gewählt habe.
Björn Akstinat: Als Tochter einer Christin und eines Juden waren Sie nicht automatisch Jüdin, sondern sind erst im Erwachsenenalter während Ihres Militärdienstes in Israel zum Judentum übergetreten. Warum haben Sie sich für den jüdischen Glauben entschieden?
Antonia Yamin: Ich habe mich nicht wirklich für das Judentum entschieden, es war schon immer ein Teil von mir. Meine Mama, obwohl Christin, hat seit ich klein war eine riesige Davidstern-Kette um den Hals getragen. Ich bin in Israel groß geworden und habe bei den Eltern meines Vaters die jüdischen Feste gefeiert. Weihnachten haben wir immer bei Oma und Opa in Mannheim gefeiert und das mache ich bis heute noch so. Irgendwann als ich Teenager war, habe ich erfahren, dass ich offiziell keine Jüdin bin. Da habe ich mich geschämt - im Nachhinein eigentlich blöd, weil ich denke, dass diese Vielfältigkeit mir im Leben nur geholfen hat. Ich habe in der Armeezeit konvertiert, weil ich es offiziell haben wollte, aber ich wusste schon immer, wer ich bin.
Björn Akstinat: Wodurch sind Sie auf die Idee gekommen, Journalismus zu studieren?
Antonia Yamin: Ich war schon immer sehr neugierig. Das ist vielleicht die wichtigste Eigenschaft eines Journalisten. Und ich habe schon immer sehr gut Geschichten erzählt. Als ich in der Armee war, habe ich eines Tages einen Vortrag von einem Journalisten gehört, der früher Direktor des Präsidiums von Premierminister Yitzhak Rabin war. Ich war fasziniert. Nach dem Vortrag haben wir uns auf einen Kaffee getroffen und er meinte, dass es eine tolle Journalistenschule an der Tel Aviver Universität gibt.
Björn Akstinat: Sie sind in Israel aufgewachsen und sprechen trotzdem sehr gut Deutsch. Hat Ihre aus Mannheim stammende Mutter mit Ihnen in Israel immer Deutsch gesprochen? Wie war die deutsche Kultur in Ihrem Elternhaus präsent?
Antonia Yamin: Ja, meine Mutter hat mit mir nur Deutsch gesprochen und alle anderen Hebräisch. Untereinander haben sich meine Eltern auf Englisch unterhalten. Das führte dazu, dass ich erst im Alter von zwei Jahren mit dem Sprechen anfing. Aber auch das ist okay, weil ich so gelernt habe, dass es viele Möglichkeiten gibt, irgendwas zu sagen und eine Geschichte zu erzählen. Auf der anderen Seite war meine Erziehung sehr deutsch und für israelische Verhältnisse sehr streng. Ich habe die typisch deutschen Sprüche gehört und ich durfte nie zu spät kommen. Einmal, als ich 12 Jahre alt war, bin ich 5 Minuten zu spät gekommen. Meine Mama hat mir daraufhin - mitten in den Sommerferien - sofort Stubenarrest gegeben. Seitdem komme ich nie mehr zu spät und ich bin meiner Mama auch sehr dankbar dafür.
Björn Akstinat ist Leiter der Internationalen Medienhilfe (IMH), die u.a. deutschsprachige Zeitschriften in Israel unterstützt und das „Verzeichnis jüdischer Medien in deutscher und jiddischer Sprache“ herausgibt (www.medienhilfe.org).
Antonia Yamin im Gespräch mit JR-Autor Björn Akstinat
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