Die Malerei im Judentum
Die Kunst spielt im jüdischen Leben eine große Rolle, neben der Musik hat besonders die Malerei prägnante Akzente gesetzt. (JR)
Wenn heute über Kunst in Zusammenhang mit Judentum gesprochen wird, ist meistens die Rede von Literatur, Poesie und manchmal auch von der Musik. Die bildende Kunst kommt dabei nicht häufig vor. Die Gründe dafür sind verschieden. Einer kann sein, dass die Kunst der Sprache, die der Schrift und der Musik mit dem Judentum seit Jahrtausenden traditionell direkt verbunden sind, nicht so die bildende Kunst. Eine weitere Begründung könnte im Bilderverbot der Tora zu finden sein. Wo wird das Bilderverbot praktisch angewendet?
Jüdische Haushalte und Häuser haben oft viele Bilder vorzuweisen. Die Synagogen dagegen kommen ohne Bilder oder Skulpturen aus. Die meisten Gebetsbücher haben keine Abbildungen, aber die Hüllen der Tora-Rollen, genauso wie die Tora-Schreine sind oft mit Abbildungen von Löwen, Händen und Krügen geschmückt. Ebenso die Hagadot, die Gebetsbücher für den Sederabend.
Warum ist dem so? Vermutlich ist die Begründung des Bilderverbotes, genauer gesagt des Verbots der Abbildung in der Tora, nur den wenigsten Juden heute geläufig. Könnte so durch die Tradition eine unausgesprochene, gefühlsbetonte Distanzierung gegenüber der bildenden Kunst entstanden sein? Natürlich werden Bilder auch von Juden gerne angesehen, es werden Kunstmuseen und Ausstellungen besucht und Kunst von jüdischen Galeristen vermittelt und gekauft. Könnte es trotzdem sein, dass noch heute von praktizierenden Juden bildende Kunst mit dem Makel der schleichenden Assimilation belegt wird? Vielleicht wegen der Darstellungen von Tieren oder Menschen? Aber ist die Abhängigkeit der bildenden Kunst von der Darstellung der realen Welt nötig? Kann es vielleicht eine besondere Malerei und Bildhauerei geben, die nicht eine uns bekannte Welt abbildet?
Ja, eine solche Malerei existiert. Sie will nicht auf die Gegenstände in der Welt reagieren. Sie will davon unabhängig sein. Sie möchte keine außerhalb der Malerei bekannten Formen abbilden, keine erkennbare Gestalt wiedergeben, auch nicht in einer abstrahierten Form. Damit unterscheidet sie sich von der Kunst der Moderne des 20. Jh. z.B. von Bildern Picassos oder der Kubisten, auch von den Bildern eines Kandinsky. Dort steht überall die Abbildung der Realität im Focus. Auch Bilder von Künstlern jüdischer Abstammung, wie Pissarro, Modigliani oder Chaim Soutine, sind davon keine Ausnahme. Alle diese Künstler schafften bedeutende, sehr beeindruckende Bilder, die weltberühmt sind. Jedoch bedienen sie sich weiter der klassischen, von der Realität abhängigen Vorlage, sie interpretierten ihre Themen lediglich freier.
Die ersten Künstler, die bewusst eine andere Art der Malerei realisiert haben, waren in den USA in den 40er Jahren des 20ten Jh. die Maler einer Richtung, die wir den Abstrakten Expressionismus nennen. Diese Richtung entstand um den deutschstämmigen Maler Adolph Gottlieb in New York. Besondere Aufmerksamkeit verdienen dabei die Werke von Mark Rothko und Barnett Newman. Beide waren Juden, Rothko als Marcus Rothkowitz in Russland geboren und Barnett als Baruch Newman in USA geboren.
Was war so anders an der künstlerischen Arbeit von Rothko und Newman? Was ist ihre Botschaft? Entscheidend war ihre bewusste Abkehr von der Abbildung der Realität. Aber was kann die Malerei ohne Bezug zu Figur und zu den uns bekannten Formen aussagen? Die Künstler haben sich mit einem anderen Element der Malerei beschäftigt, nicht mit der Form, sondern mit der Farbe und ihrer Wirkung. Die Malerei sollte befreit werden von der Formabhängigkeit. Das ist ihnen auch überzeugend gelungen. Die Kunstrichtung als Farbfelder Malerei/ Colorfield Painting genannt, ist inzwischen weltweit anerkannt und akzeptiert. Rothko sprach in dem Zusammenhang von der Farbe als vom Schleier zwischen dem Heiligtum und dem Allerheiligsten im Tempel. Die Bilder mit pulsierenden farbigen Flächen von Marc Rothko haben unerwartete Popularität entwickelt. Sie werden sogar als Postermotive bei IKEA verwendet.
Die Bilder von Newman sind in ihrer Aussage noch strenger. Er konzentriert sich auf wenige Farben, oft sind das die Grundfarben Weiß, Rot, Blau und Gelb. Die meistens seiner Bilder lassen sogar keinen erkennbaren Pinselschlag erkennen. Gegen die großen Flächen werden manchmal schmale farbige Streifen gesetzt. Das Leitthema von Barnett Newman war die Sublimierung, der Weg von der Materialität der Bilder zu geistigen Werten. Es ist ein zugegeben anstrengendes Unternehmen, das vom Zuschauer verlangt, sich den Bildern gegenüber zu stellen um buchstäblich in sie einzutauchen.
So bleiben die Versuche die Bilder von Newmann und Rothko zu beschreiben nur ein Versuch. Sie führen den Zuschauer in einen Bereich, in dem die Grenzen der Sprache deutlich werden. Das verleitet einige Kritiker immer wieder zu herabsetzenden Äußerungen in Ermangelung einer adäquaten Beschreibung. Aber wir sollen nicht vergessen, unsere Welt ist vielschichtiger als es die Sprache alleine sein kann.
Bei der Auseinandersetzung mit den Bildern ist es nicht bei verbalen Attacken geblieben. Die Bilder von Newman „Who‘s Afraid of Red, Yellow and Blue“ wurden sogar in den Museen mit dem Messer attackiert und zerschnitten. So 1982 in Berlin und 1986 in Amsterdam, wiederholt dann in 1997. Rothko hat seine Bilder vor der Banalisierung schützen wollen und kaufte deshalb mehrere Werke zurück, nachdem er erfahren hatte, dass sie für ein New Yorker Restaurant bestimmt waren.
Die Bilder wirklich zu sehen, bedeutet sie im Original zu erleben. Das ist ein besonderes Erlebnis, das nicht durch Fotos ersetzt werden kann. Bilder von Newman und Rothko sind nicht überall zu sehen. In Deutschland sind sie in den Museen in Köln und in Düsseldorf zu finden. Sonst in Zürich und in Basel und auch in der Tate Modern in London. Die Reise zu den Bildern lohnt sich wirklich. Danach ist es möglich über das Erlebte zu sprechen.
Victor Sanovec, geboren 1943 in Olomouc, Tschechien. Lebt seit 1968 in Deutschland. Studierte an der Städelschule Frankfurt Malerei, Grafik und Bildhauerei. Zahlreiche Projekte in Öffentlichen Raum. Veröffentlicht Texte zu jüdischen Themen.
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