Die kriegstreiberische Rhetorik der Grünen

Pazifismus passt wohl nicht mehr in die Politiklinie der Grünen© Kay Nietfeld / POOL / AFP

Die Grünen im Kriegsfieber: Aus der ehemaligen „Friedenspartei“ wurde ganz offensichtlich und gegen jeden vernünftigen und im Sinne der unschuldigen Opfer moralisch begründeten Deeskalations-Anspruch eine grüngefärbte fanatisierte Lobby der Waffenindustrie. Wurden Waffenexporte in Kriegsgebiete im Wahlprogramm noch ausgeschlossen, rufen jetzt grüne Parteisoldaten nun lauter als alle anderen danach. Der in seiner damaligen Überzogenheit geradezu infantile ehemalige Pazifismus scheint für Außenministerin Annalena Baerbock und ihre politischen Seitengänger angesichts des Ukraine-Kriegs ausgedient zu haben. Heute warnt sie, man mag es glauben oder nicht, tatsächlich und eindringlich vor der „Kriegsmüdigkeit“ des Westens. (JR)

Von Mirjam Lübke

»Kriegsmüdigkeit« mache sich in den westlichen Staaten breit–davor warnte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bei einem Treffen des Ostseerates in Kristiansand. »Wir haben einen Moment der Fatigue erreicht«, sagte sie im Hinblick auf die Angst in Europa vor steigenden Energiepreisen durch den Krieg in der Ukraine. Man kann nur staunen: Ist das noch die Annalena Baerbock, die wir aus dem Wahlkampf kennen? Stets plapperte sie ein wenig unbeholfen, naiv, aber fröhlich daher, die Medien und die Wähler verziehen ihr einfach alles: Schummelei im Lebenslauf und Plagiate in ihrem Buch »Jetzt – Wie wir unser Land erneuern«. Die Medien schilderten sie uns als eine erfrischende Abwechslung im Einerlei des Politikbetriebes. Nun zeigt man sich von ihrem neuen Selbstbewusstsein beeindruckt, ebenso von ihrem kompromisslosen Auftreten im Kreis der Außenminister. Doch Moment: Geht es hier noch um den Krieg in der Ukraine oder die Reifung der Annalena Baerbock zur streitbaren Amazone, welche die Europäer mit erhobenem Schwert in den Kampf führt?

»Die Maus, die brüllte« hieß ein britischer Filmklassiker mit Peter Sellers, in dem ein kleines Fürstentum sich mit den Vereinigten Staaten anlegt – als hätten die Macher damals schon Frau Baerbock vor Augen gehabt. Doch der aktuelle Krieg darf weder als Selbstfindungstherapie für die Außenministerin genutzt werden, um ihr Profil auf dem internationalen Parkett zu schärfen, noch eine Gelegenheit für die Grünen sein, zu zeigen, dass sie auch »hart können«. Das bringt der Ukraine den Frieden nicht zurück.

Als Juden mit großem Herzen für das von Feinden umgebene Israel wissen wir um die Notwendigkeit von Verteidigungsbereitschaft für den Fall der Fälle. Notwehr und Nothilfe – »Steh nicht still beim Blut deines Nächsten«, sagt die Bibel – sind im jüdischen Recht durchaus vorgesehen. Der Talmud nennt hier das Beispiel eines nächtlichen Einbruchs: Wird der Dieb von einem Hausbewohner auf frischer Tat ertappt, so steht zu befürchten, dass er, um seine Straftat zu verdecken, den Hausbewohner tötet. Dieser geht also straflos aus, wenn er dem Dieb zuvorkommt, weil er sein eigenes Leben selbstverständlich schützen darf. Daraus kann man auch das Recht eines Staates ableiten, sich gegen einen Aggressor zu verteidigen, der die eigene Heimat überrennt, so wie es Putins Armee in der Ukraine getan hat. Vorrang muss hier der Schutz der Zivilbevölkerung haben, nicht nur der eigenen, sondern auch der des angreifenden Staates, wenn man zur Selbstverteidigung Truppen in sein Territorium schicken muss. So warnt etwa die israelische Armee stets durch Flugblätter oder Telefonanrufe bei Vertrauenspersonen vor, wenn sie eine Raketenstellung der Hamas durch einen Luftangriff zerstört, damit Zivilisten das Gebiet verlassen können.

Auch wenn die Halacha keinem grenzenlosen Pazifismus huldigt, so fordert sie stets die Abwägung der Rechtsgüter der beteiligten Parteien. »Kriegslust« ist hierbei unangemessen, die Kampfhandlungen sind notwendiges Übel zur Schadensabwehr, bei denen die Verhältnismäßigkeit im Auge behalten werden muss. Hauptziel muss sein, den Angreifer so weit zurückzudrängen, dass er keinen Schaden mehr anrichten kann – alles darüber hinaus ist sorgfältig zu überdenken. Eben diese Sorgfalt lassen die Grünen gegenwärtig sehr vermissen, es scheint, als seien sie in eine Art Kriegstaumel geraten, der sie – in Moral gegürtet – ihren bisherigen Pazifismus vergessen lässt. Noch in ihrem Bundestagswahlprogramm 2021 hörte sich das so an: »Exporte von Waffen und Rüstungsgütern an Diktaturen, menschenrechtsverachtende Regime und in Kriegsgebiete verbieten sich. Für die Reduktion von europäischen Rüstungsexporten wollen wir eine gemeinsame restriktive Rüstungsexportkontrolle der EU mit einklagbaren strengen Regeln und Sanktionsmöglichkeiten.«

Zeitenwende grüner Politik

Man kann nur spekulieren, ob die plötzliche Regierungsverantwortung den Sinneswandel verursacht hat, denn die Krisenherde dieser Welt sind zahlreich und rüttelten bisher nicht am grünen Pazifismus – nun jedoch vergisst Annalena Baerbock bisweilen ihre Rolle als »Chefdiplomatin« und übernimmt nahtlos die Rolle, die auch schon Joschka Fischer in seiner Zeit als grüner Außenminister in der Regierung Schröder spielte. Der jüdischen Kriegsethik ist sie als deutsche Außenministerin natürlich nicht verpflichtet, aber im Hinblick auf ihre mahnenden Worte an den Staat Israel bei ihrem Besuch im Februar dieses Jahres darf man sie durchaus daran erinnern: Auch während notwendiger Kampfhandlungen zur Selbstverteidigung sollte stets ein Kanal für Verhandlungen mit dem Gegner offenbleiben, auch im Hinblick auf die »Zeit danach«. Noch einmal zur Erinnerung: Es geht darum, das Eigene zu schützen, nicht den Gegner zu vernichten.

Leider jedoch paaren sich bei den Grünen – und anderen linken Bewegungen – hier zwei unselige Eigenschaften, die nicht nur konstruktive Lösungen verhindern, sondern auch eine gewisse Zukunftsorientierung vermissen lassen – obwohl diese angeblich der Leitgedanke ihrer Politik ist. Das eine ist die Weigerung, mit politischen Gegnern in einen kritischen, aber demokratischen Diskurs einzutreten. Dies gelingt schon in der deutschen Politik nicht, weil es als Zugeständnis an die andere Seite missdeutet wird. Zum zweiten besteht bei ihnen eine verhängnisvolle Neigung, Bestehendes, was aus ideologischen Gründen abgelehnt wird, wie ein altes Gebäude einzureißen, ohne schon brauchbaren Ersatz anbieten zu können: Im Falle der Energiekrise, die durch den Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland noch verschärft wird, wird das besonders deutlich.

 

Kurzsichtige Außenpolitik

Man muss sich dabei immer vor Augen halten, dass Deutschland selbst nicht das Opfer des russischen Überfalls ist, sondern freiwillig die Rolle des »Nothelfers« übernommen hat. Jemand der nicht schwimmen kann, wird kaum ins Wasser springen, um einen Ertrinkenden zu retten – das würde nur dafür sorgen, dass am Ende zwei Menschen in Not geraten sind. Das heißt im Gegenzug nicht, dem Ertrinkenden die Hilfe komplett zu verweigern, sondern ihm etwa einen Schwimmreifen zuzuwerfen. Es nutzt niemandem, wenn Deutschland sich – wie der Nichtschwimmer – vollkommen in seinen Möglichkeiten überschätzt, anstatt auch das eigene Überleben im Auge zu behalten. Konkret bedeutet dies, auf die Folgen zu schauen, die etwa ein Gasembargo für die deutsche Wirtschaft hat. Faktisch ist es so, dass wir noch bis 2030 vertraglich an die russischen Lieferungen gebunden sind – also zahlen müssen, ohne etwas dafür zu bekommen. Putin wird wahrscheinlich herzlich darüber lachen, wenn er das bezahlte, aber nicht gelieferte Gas an andere Länder noch einmal verkaufen kann. Dieses Embargo verkürzt den Krieg nicht.

Es wird derzeit sehr viel Opferbereitschaft von den Bürgern gefordert, ohne dass man ihnen erklärt, wie es nach Beendigung des Krieges für sie wirtschaftlich weitergehen soll. Berechtigten Ärger zog sich Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow zu, als er leichtfertig äußerte, die 7000 Beschäftigten der Glasindustrie seines Bundeslandes müssten sich darauf einrichten, ihre Jobs dem Krieg zu opfern. Glasherstellung benötigt viel Energie und rentiert sich bald nicht mehr, da erschien es dem Ministerpräsidenten wohl angemessen, der Branche im Namen der Kriegsmoral den endgültigen Todesstoß zu verpassen. Natürlich nahmen die Beschäftigten das nicht ohne Protest hin, also hoffte man auf einen durch Wirtschaftsminister Robert Habeck aufgespannten Rettungsschirm. Der blieb allerdings ebenfalls aus. Das ist nur ein Beispiel von vielen, bei denen die Verantwortlichen kopflos, aber mit viel Haltung durch die Kriegspolitik stolpern.

Das Mindeste, was die Bürger in dieser Situation erwarten können, ist eine offene Debattenkultur, die nicht nur ihre wirtschaftlichen Sorgen ernst nimmt, sondern auch ihre Befürchtungen vor einer Ausweitung des Krieges auf ganz Europa – auch wenn Annalena Baerbock einem Atomkrieg »gelassen entgegensieht«. Es mag stimmen, dass einige Deutsche den Ambitionen Putins zu viel Verständnis entgegenbringen, aber daraus darf keine Tabuisierung der Forderung nach neuen Friedensverhandlungen abgeleitet werden, wie sie von der AfD und Teilen der Linken kommen. Man mag von beiden Oppositionsparteien halten was man will, aber angesichts der gleichermaßen blauäugigen und aggressiven Kriegsrhetorik einer Annalena Baerbock macht es zur Wahrung der deutschen Interessen durchaus Sinn, wenn sie für einen Ausgleich in der Diskussion sorgen. Man kann es nur noch einmal betonen: Dieser Krieg darf nicht zu einem Selbstfindungstrip der Grünen missbraucht werden – dazu steht zu viel auf dem Spiel. Es stünde ihnen gut an, nicht durch Überschätzung der eigenen Möglichkeiten weiteres Öl ins Feuer zu gießen.

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