Antisemitismus und freie Rede in sozialen Medien: Ein Spannungsfeld

All zu oft sind Soziale Medien ein Hort für Hassrede, auch gegen das Judentum und Israel
© DENIS CHARLET / AFP

Wo sind die Grenzen der Meinungsfreiheit? Strafbare Inhalte werden von den Betreibern der sozialen Medien oft stehen gelassen, während harmlose Postings gelöscht werden und ihre Nutzer gleich mit ihnen. Ein Blick in die Sozialen Medien offenbart, dass selbst geringste Ansätze der Islamkritik zu sofortigen Sperrungen führen, während Judenhass und Israelfeindlichkeit, besonders wenn sie von islamischer Seite kommen, nahezu durchweg toleriert werden. (JR)

Von Julian M. Plutz

Ob Elon Musk Twitter übernimmt oder nicht, eines hat die Meldung in jedem Fall erreicht: Eine breite Debatte über sagbare und strafbare Inhalte in sozialen Medien. Dabei kann man grob von zwei argumentativen Lagern sprechen. Da gibt es die einen, für die Twitter immer wieder freie Rede verhindert. Ihnen ist es ein Dorn im Auge, dass ausgerechnet Donald Trump als damals noch amtierender Präsident der Vereinigten Staaten gesperrt wurde. Sie sehen dadurch und durch viele andere Dinge, dazu später mehr, ihr Recht auf Meinungsfreiheit gefährdet.

Und dann gibt es die, die bemängeln, dass Twitter oftmals eine Bühne für „Hass und Hetze“ sei. Sie befürchten, dass gerade aufgrund vieler verbaler Entgleisungen die freie Rede in Gefahr ist, da sich viele Nutzer schlicht nicht mehr trauen, ihre Sicht der Dinge zu beschrieben. Einem Shitstorm, also das gezielte Niedermachen einer Person, sehen sie sich nicht gewachsen. Also zensieren sie sich lieber selbst.

 

Twitter muss Grundgesetze wahren

Beide Standpunkte haben ihre Berechtigung. So kann und darf es nicht sein, dass Twitter einen amtierenden und demokratisch gewählten Präsidenten sperrt. Da Twitter laut dem Medienanwalt Joachim Steinhöfel ein Monopolist auf seinem Gebiet ist, steht das soziale Medium besonders in der Verantwortung, freie Rede möglich zu machen. Twitters Alleinstellungsmerkmal ist die Pflicht der Nutzer, sich pointiert zu äußern. Pflicht deshalb, da sie aufgrund der Zeichenbegrenzung, die mit 280 Zeichen etwa der Größe zweier SMS entspricht, gezwungen sind, sich klar und deutlich auszudrücken. Tun sie es nicht, werden sie nicht getwittert und damit nicht gelesen.

Im Idealfall kann ein Tweet eine Debatte auslösen. Vielleicht moderiert man damit auch einen längeren Artikel an. Greift nun Twitter aktiv in diesen Prozess ein, sei es durch Sperren von Nutzern oder Löschen von Inhalten, wird die freie Rede beschnitten. Freie Rede ist kein Selbstzweck, sondern Voraussetzung für Demokratie und Freiheit.

Doch die freie Rede, in Deutschland eher unter freie Meinungsäußerung bekannt, wird hierzulande sanktioniert. Die Grenzen der Meinungsfreiheit bestimmen jedoch keine Algorithmen, oder Social-Media-Vorstände, letzteres wie im Falle Trump, sondern Gesetze. Twitter muss das Grundrecht auf Meinungsfreiheit respektieren. Kleinere Einschränkung im Sinne der marktwirtschaftlichen Selbstbestimmung gewährt der Gesetzgeber sozialen Medien schon, immerhin trägt Twitter ein unternehmerisches Risiko mit unternehmerischen Interessen. Dennoch bleibt die Grundrechtsfähigkeit bestehen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass soziale Medien Artikel 5 des Grundgesetzes mit kleineren Einschränkungen einzuhalten hat. Eine willfährige Löschung mit Verweis auf ihr Hausrecht zieht, nicht zuletzt aufgrund der Monopolstellung, nicht.

„Hass“ und „Hetze“ nicht präzise definiert

Ein weitverbreiteter Irrtum ist die landläufige Definition des Begriffs „Meinung“. Für den Schutz dieser kommt es nicht darauf an, ob es sich um ein richtiges oder falsches, emotionales oder rational begründetes Werturteil handelt. So präzisierte bereits 1972 das Bundesverfassungsgericht den Begriff: „In einem pluralistisch strukturierten und auf der Konzeption einer freiheitlichen Demokratie beruhenden Staatsgefüge ist jede Meinung, auch die von etwa herrschenden Vorstellungen abweichende, schutzwürdig.“ Man definiert „Meinung“ als den Moment der Stellungnahme, des Dafürhalten und des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung.

Ein großes Problem, das weiß auch Rechtsanwalt Steinhöfel, ist die Formulierung „Hass und Hetze“. Hass ist ein Gefühl, das im Gesetzbuch unscharf definiert ist. Und die einzige „Hetze“, die das Gesetz kennt, ist „Volksverhetzung“, welche eng definiert ist. Statt von „Hass und Hetze“ zu sprechen, wäre es sinnhafter und vor allem präziser, über „strafbare Inhalte“ zu reden. Da weiß jeder, was damit gemeint ist. Denn manche sprechen bereits von „Hass“, wenn sie eine Fernsehserie oder einen Fußballclub nicht mögen. Von strafbaren Inhalten kann hierbei keine Rede sein. Das Wort „Hass“ ist im Kontext der freien Meinungsäußerung nicht hilfreich.

 

Islamischer Antisemitismus auf Twitter

Auf der anderen Seite lässt Twitter viele strafbare Inhalte stehen. Gerade beim Thema Antisemitismus scheint das soziale Medium immer wieder beide Augen zuzudrücken. So kann man nur von Zynismus sprechen, wenn Donald Trump, ein ausgewiesener Freund der Juden und Israel, gelöscht wird, während einer der bedeutendsten Antisemiten, Ayatollah Ali Chamenei weiterhin fröhlich Tweets absondern kann. Judenhass ist in sozialen Medien an der Tagesordnung und häufig wird er nicht gelöscht.

So wurde vor einiger Zeit ein Nutzer in Twitter Spaces auf das übelste antisemitisch beleidigt. Twitter Spaces ist eine Funktion des sozialen Mediums, bei dem Nutzer „Räume“ eröffnen können, um mit anderen Nutzern zu sprechen. In diesem Falle empfahlen die migrantisch geprägten Protagonisten dem User den Weg in die Gaskammer. Er solle sich doch seine Spindnummer merken, wenn er „vom Duschen“ kommt. Irgendwann sprachen sie ihm nur noch mit „seiner“ gegebenen Nummer an. Auch in Direktnachrichten und in Tweets äußerten sie sich eindeutig antisemitisch.

Konsequenzen seitens Twitter? Bis auf, dass das Opfer selbst für einige Tage von Twitter Spaces gelöscht wurde, während die Täter diese Funktion weiter nutzen konnten: Keine. Die menschenverachtenden Tweets stehen bis heute online und kein Hahn kräht danach, diese zu löschen.

 

Holocaustvergleiche an der Tagesordnung

Kein Einzelfall. Ähnliche Äußerungen betätigen regelmäßig Aktivisten aus dem queerfeministischen Lager. Queerfeministen sehen das Geschlecht weniger als biologische Tatsache, als ein soziales Konstrukt, das man je nach Gefühlslage ändern kann. Damit stehen sie im Gegensatz zu Radikalfeministen, Alice Schwarzer sei hier als prominentes Beispiel genannt, aber auch im Gegensatz zu Konservativen. Wer leugnet, dass eine Transfrau eine Frau ist, bekommt die volle Härte der Social-Media-Ächtung zu spüren. Anbei einige Beispiele:

„Terfs (=Radikalfeministen) sind natalistisch und Natalismus beruht auf Eugenik. Außerdem sind Terfs mega rassistisch“.

„Dass Terfs offen für rechts und Faschismus sind, zeigen schon die meisten ihrer Quellen.“

„Terfs sind bei diesen Unterdrückungen ganz vorne dabei. Da wird gerne mal die „Endlösung für trans*Menschen gefordert oder Gaskammern für Transpersonen sollen geöffnet werden.“

„Es findet ein lautloser Genozid an Trans Personen statt und keinen juckts. Terfs wollen noch Applaus für was sie tun.“

 

Judenfeindliche Internetarmeen aus dem Iran dominieren den Diskurs

Doch auch von islamischer Seite kommt immer wieder lupenreiner Judenhass, der von Twitter oft nicht geahndet wird. Schon vor den jüngsten Terroranschlägen in Israel befeuerte eine Onlinetruppe Antisemitismus: Tweets zeigen Juden, die attackiert werden. Es geht dabei um die Verherrlichung von Anschlägen, um Aufrufe zum Völkermord. Sie zeigen Kämpfer mit Messern und Sturmgewehren, wie die Rechercheplattform „Online Antisemitism Task Force“ akribisch sammelt.

Die Twitter-Botschaften bedienen gezielt antisemitische Klischees, mit denen die islamischen Terrororganisationen Hamas und „Palästinensischer Islamischer Dschihad“, Anhänger mobilisieren. Die meisten verwenden dieselben Fotos, Symbole, Hashtags und Grafiken. Doch auch Realbilder von Selbstmordattentätern oder Messerstechern werden dort geteilt.

Dahinter steckt ein iranisches Netzwerk, welches die Propaganda auf Twitter verbreitet und verstärkt. Laut einer Schätzung sind rund 800 Accounts daran beteiligt, die stets strategisch vorgehen. Die Namen der Konten sind nicht zufällig gewählt, sondern mit Hilfe von 15 Zeichen generiert. Damit wird die Reichweite der Botschaften enorm vergrößert. Einige dieser Konten sind immer noch online und verbreiten ungehindert ihr Gift.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass soziale Medien u.a. vor zwei Problemen stehen. Einerseits löschen die Plattformen harmlose Inhalte und beschneiden damit das Recht auf freie Meinungsäußerung. Andererseits bleiben eindeutig strafbare Inhalte oft stehen. In Bezug auf Judenhass muss Twitter sensibler werden. Sonst kann sich der Bazillus Antisemitismus weiter und weiter verbreiten, während unbescholtene Nutzer wegen Banalitäten gesperrt werden.

Sehr geehrte Leser!

Die alte Website unserer Zeitung mit allen alten Abos finden Sie hier:

alte Website der Zeitung.


Und hier können Sie:

unsere Zeitung abonnieren,
die aktuelle oder alte Ausgaben bestellen
sowie eine Probeausgabe bekommen

in der Druck- oder Onlineform

Unterstützen Sie die einzige unabhängige jüdische Zeitung in Deutschland mit Ihrer Spende!

Werbung


Alle Artikel
Diese Webseite verwendet Cookies, um bestimmte Funktionen zu ermöglichen und das Angebot zu verbessern. Indem Sie hier fortfahren, stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Mehr dazu..
Verstanden