Maaßen im Visier der Meinungspolizei

Der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist durch seine klaren Aussagen zu Migration und der Bedrohung durch den islamischen Terror gerade in den eigenen politischen Reihen in Ungnade gefallen. Die Versuche ihn mundtot zu machen, gehen sogar so weit, ihm Antisemitismus vorzuwerfen. Die JR hat ihn zu den Vorwürfen befragt. (JR)

Von Michal Kornblum

 

Dr. Hans-Georg Maaßen ist Jurist und war von 2012 bis 2018 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Er kandidierte bei der Bundestagswahl 2021 für einen Wahlkreis in Thüringen alsDirektkandidat der CDU, unterlag jedoch seinem Kontrahenten aus der SPD. Nachdem Herr Dr. Maaßen ein Video des Mediziners und Mikrobiologen Prof. Bhakdi, der sich kritisch gegenüber den Coronaimpfungen ausgesprochen hat, in sozialen Medien teilte, wurden u.a. von der schleswig-holsteinischen Bildungsministerin Karin Prien (CDU) Forderungen zum Parteiausschluss Maaßens laut. Daraufhin hat auch der Präsident des Zentralrats der Juden Dr. Josef Schuster eine Distanzierung der CDU von Dr. Maaßen gefordert und ihm Antisemitismus vorgeworfen.

 

Michal Kornblum: Herr Dr. Maaßen, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland warf Ihnen kürzlich laut einem Artikel der Jüdischen Allgemeinen vom 10.  Januar 2022 nicht nur Antisemitismus, sondern auch Volksverhetzung vor. Was sagen Sie zu den Vorwürfen des Zentralrats?

 

Ist jemand ein Antisemit, der wiederholt seine israelischen Kollegen und Freunde bis an die Grenze des Möglichen im Kampf gegen Terrorismus und gegen Feinde Israels unterstützte und dem mehrfach für seinen Einsatz für die Sicherheit Israels gedankt wurde? Ist jemand ein Antisemit, der sich für die Sicherheit der Juden in Deutschland einsetzte, der rechtsextremen, wie islamischen Antisemitismus bekämpfte? Ich könnte noch einiges hinzufügen. Der Vorwurf des Präsidenten des Zentralrats der Juden gegen mich ist so abwegig, dass ich darüber hätte lachen müssen. Aber es war mir nicht zum Lachen. Das, was er sagte, empfand ich nicht nur als ungerecht und ungeheuerlich, sondern menschlich als zutiefst niederträchtig. In Deutschland als Antisemit bezeichnet zu werden, ist die härteste Art einer sozialen Ächtung und Ausgrenzung. Der Betreffende wird auf die gleiche Stufe gestellt wie Goebbels, Julius Streicher oder die Antisemiten von der Hamas. Kein vernünftiger Mensch in Deutschland ist bereit, mit Antisemiten Umgang zu pflegen. Dies geschieht bei wirklichen Antisemiten zurecht. Wir wollen nämlich keinen Antisemitismus in unserer Gesellschaft, und wir wollen nicht, dass antisemitisches Denken anschlussfähig wird. Wenn aber Menschen ohne Grund aus politischen Motiven als Antisemiten etikettiert werden, dann ist dies zutiefst niederträchtig. Vor allem dann noch, wenn dies mit der moralischen Autorität des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden geschieht. Ich habe mich leider daran gewöhnen müssen, von meinen politischen Feinden angegriffen und diffamiert zu werden. Schlimmer und verletzender ist es, wenn man von denen angegriffen wird, denen man immer freundschaftlich gegenüberstand. Das ist charakterlich bösartig.

 

Michal Kornblum: Es ging bei den Vorwürfen konkret um ein kritisches Video von Prof. Bhakdi zum Thema Coronaimpfungen. In einem Video hat Prof. Bhakdi den Umgang Israels mit dem Coronavirus kritisiert. Es gab daraufhin den Vorwurf der Holocaustrelativierung und Volksverhetzung; die Ermittlungen wurden von der Staatsanwaltschaft Kiel zunächst eingestellt, später jedoch von höherer Instanz wieder aufgenommen - bislang ohne Ergebnis. Es erscheint mir merkwürdig, dass Sie als Jurist Videos von Personen verbreiten würden, die angeblich strafwürdige Aussagen treffen. Wie ist Ihre Einschätzung zu den betreffenden Inhalten?

 

Schauen Sie einmal: Ich hatte ein Video von Professor Bhakdi auf dem kleinen Kurznachrichtendienst GETTR retweetet. In dem Video hatte er sich zu Nebenwirkungen von mRNA-Impfstoffen geäußert. Professor Bhakdi war bis zu seiner Kritik an Regierung und Medien wegen der Corona-Maßnahmen einer der anerkanntesten Mikrobiologen Deutschlands, der zahlreiche Ärzte ausgebildet hatte. Als er sich kritisch zur Corona-Politik äußerte, wurde er von heute auf morgen zur Unperson. In dem Video hatte er sich mit beachtenswerten Argumenten kritisch zur Vergabe des mRNA-Impfstoffes an Kinder geäußert und auf die Gefahren für ihre Gesundheit hingewiesen. Mit diesen Warnungen steht er nicht allein. Ich bin der Überzeugung, wir brauchen eine vorurteilsfreie Diskussion über die mRNA-Impfstoffe, über ihren Nutzen, aber auch ihre Gefahren. Für mich ist es völlig inakzeptabel, dass jemand diffamiert und diskreditiert wird, wenn er sich kritisch zum politisch-medialen Mainstream äußert. Dies ist heutzutage in Deutschland leider gang und gäbe. Ich hatte ihn wegen seiner medizinischen Expertise und nicht deshalb retweetet, weil er sich früher einmal antisemitisch geäußert haben soll, was mir auch nicht bekannt war. Wenn ich eine Äußerung eines Arztes retweete, billige ich damit doch nicht alles, was er sagt, und schon gar nicht frühere Aussagen. Der Vorwurf, dass ich durch den Retweet eine antisemitische Aussage gebilligt hätte, ist so absurd und widersinnig, wie wenn man dem Besucher einer Wagner-Opernaufführung unterstellt, durch den Opernbesuch Antisemit geworden zu sein, oder dem Fahrgast vorwirft, durch den Einstieg in das Taxi sich frühere antisemitische Aussagen seines Taxifahrers zu eigen gemacht zu haben.

 

Michal Kornblum: Ich erinnere mich noch gut an den Jugendkongress der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden 2015, bei dem ich das erste Mal einen Vortrag zur inneren Sicherheit und insbesondere zur Lage der Juden in Deutschland von Ihnen gehört habe. Ihr Vortrag war damals einer der meistbesuchten - selbst in der letzten Reihe war alles besetzt und auch seitens der jüdischen Verbände wurden Sie als Verbündeter der deutschen Juden betrachtet. Wie können Sie sich die Kehrtwende beispielsweise des Zentralrats dahingehend erklären?

 

Ich kann mich auch noch sehr gut an den Jugendkongress erinnern, und es hatte mir große Freude gemacht, mit den vielen jungen Menschen zu diskutieren. Ich sehe mich weiterhin als Verbündeter der Juden in Deutschland und Israels, und der niederträchtige Umgang des Zentralrats mit mir hat in keiner Weise mein freundschaftliches Verhältnis zu den Juden und zu Israel verändert. Ich kann mir nicht erklären, warum sich der Zentralrat mir gegenüber so verhält, und ich will auch nicht spekulieren. Mit mir hat kein Vertreter des Zentralrats über die Vorwürfe gesprochen und auch nicht Gelegenheit gegeben, dazu Stellung zu nehmen. Ich bin gerne zu einem Gespräch bereit.

 

Michal Kornblum: Stellungnahmen des Zentralrats der Juden werden häufig als „jüdische Meinung“ wahrgenommen. Selbstverständlich haben Juden wie auch alle anderen Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedliche Meinungen zu bestimmten Themen, gerade auch, weil die positive Streitkultur ein wichtiger Teil jüdischer Tradition ist. Deswegen fühle ich mich als Jüdin durch öffentliche Positionierungen des Zentralrats, gerade zu politischen Themen, häufig bevormundet und instrumentalisiert. Wie nehmen Sie den Stellenwert der Aussagen des Zentralrats in der nichtjüdischen Bevölkerung wahr? Verliert der Zentralrat aus Ihrer externen Perspektive seine eigentliche Bedeutung als Interessensvertretung der Juden und unabhängige, kritische Institution zu Gunsten wachsender Politisierung und Regierungsnähe?

 

Der Zentralrat wird in erster Linie als Interessenvertretung der Juden in Deutschland wahrgenommen. Dabei geht es gewiss auch um die politische Vertretung der jüdischen Interessen. Ich verstehe, dass eine Interessenvertretung die Nähe zur Politik und zur Regierung sucht, um dadurch die Interessen wirksamer durchsetzen zu können. Allerdings birgt dies die Gefahr, dass man durch den ständigen Umgang mit den Mächtigen und den Medien den Bezug zur Basis verliert. Man fühlt sich als Teil der so genannten politisch-medialen Blase. Und man verliert aus den Augen, dass man die Interessen der Basis gegenüber der Politik und nicht die Interessen der Politik gegenüber der Basis vertreten soll.

Aber der Zentralrat wird von der deutschen Gesellschaft nicht nur als jüdische Interessenvertretung wahrgenommen. Man nimmt ihn auch als Vertretung der Überlebenden der Shoah und als Vertretung einer Religionsgemeinschaft wahr. Damit genießt der Zentralrat ein hohes Maß an moralischer Autorität in Deutschland. Damit hat die Aussage eines Vertreters des Zentralrates, ob etwas als antisemitisch oder rechtsextrem zu beurteilen ist, eine ganz andere Qualität, als wenn irgendeine andere Einrichtung in Deutschland sich so äußert.

 

Michal Kornblum: Ich habe manchmal den Eindruck, dass der Antisemitismusvorwurf in Deutschland ein politisches und gesellschaftliches Mittel ist, um bestimmte politische Gegner zu diskreditieren und die Seriosität einer Person in Frage zu stellen. So erging es auch Ihnen als Luisa Neubauer Sie einige Monate vor der Wahl in einer Talkshow des Antisemitismus bezichtigte. Obwohl Frau Neubauer dafür keine stichhaltigen Beweise anführte, schwebt seitdem dieser vage Antisemitismusvorwurf wie ein Damoklesschwert über Ihnen. Denken Sie, dass dies einen wesentlichen Einfluss auf den Ausgang der Bundestagswahl in Ihrem damaligen Wahlkreis hatte?

Man kann einen politischen Gegner vernichten, ohne ihn zu töten oder wegzusperren. Das war früher eine Spezialität von Stasi und KGB. Sie zerstörten den Ruf der politischen Gegner. Durch die Medien, im Übrigen auch durch die westlichen Medien, verbreiteten sie Unwahrheiten über sie, diffamierten und diskreditierten sie, bis diese ihre Arbeit oder Ämter verloren, Freunde und Angehörige sich von ihnen zurückzogen und sie komplett ausgegrenzt und isoliert waren. Diese Opfer hatten dadurch keine Möglichkeiten mehr, Anhänger und Unterstützer zu finden und ihre politischen Positionen in die gesellschaftliche Diskussion einzubringen. Durch die Diskreditierung von Personen ersparte man sich jede Sachdiskussion, denn wenn so jemand etwas sagt, dann brauchte man darüber nicht zu reden. Manchmal kamen die Opfer mit der Ausgrenzung und Isolation nicht zurecht, radikalisierten sich, wurden krank oder begingen Selbstmord. Die Stasi nannte diese Technik „Zersetzung“. Was wir heute von Seiten der Linken in Medien und Politik – im Übrigen auch in meiner Partei – erleben, ist die Anwendung dieser Zersetzungs-Technik. Menschen werden diffamiert und diskreditiert, sobald sie sich kritisch äußern. Früher hochangesehene Wissenschaftler und Nobelpreisträger werden als Verschwörungstheoretiker, Schwurbler und Rechtspopulisten diffamiert, wenn sie sich beispielsweise kritisch zur Migrationspolitik, zur Energiewende, zur Corona-Politik oder zu den mRNA-Impfstoffen äußern. Ich wurde als AfD-nah diffamiert, weil ich der Auffassung war, dass es keine Beweise für Hetzjagden in Chemnitz gab. Ich wurde als Rechtsextremist diffamiert, weil ich die Migrationspolitik der alten Bundesregierung kritisierte und ich wurde als Verschwörungstheoretiker verunglimpft, weil ich eine Corona-Politik forderte, die verhältnismäßig ist. Sie sehen, es gibt Politiker und Medien, die unter keinen Umständen wollen, dass ihre Politik in Frage gestellt wird, und sie wenden die Zersetzungstechnik gegen die Personen an, die die Möglichkeit haben, mit ihrer Kritik öffentlich wahrgenommen zu werden. Jetzt zu Ihrer Frage: Der Vorwurf, Antisemit zu sein, ist einer der schwersten, den man in Deutschland gegen jemanden erheben kann. Und er wird leider auch politisch eingesetzt, um politische Gegner zu diskreditieren.

Ich glaube schon, dass meine politischen Gegner und ihre Unterstützer in den Medien mit ihrer Diffamierungskampagne gegen mich erfolgreich waren. Viele ältere Wähler vertrauen immer noch den klassischen Medien und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das sind die Menschen, die die Veränderungen in der Berichterstattung noch nicht wahrnehmen und die glauben, die Tagesschau heute wäre nicht anders als die vor 30 Jahren. Dadurch, dass ich in den Massenmedien unwidersprochen als Rechtsradikaler und Antisemit diffamiert wurde und man mir keinerlei Möglichkeit einräumte, mich zu verteidigen, hatten Menschen, die mich nicht kannten, Vorbehalte gegen mich. Nach jeder meiner Wahlkampfveranstaltungen kamen Menschen auf mich zu, die mir sagten, sie hatten aufgrund der Medienberichte ein negatives Bild von mir, aber sie seien froh, mich persönlich kennengelernt zu haben, denn ich sei völlig anders, nämlich ein ehrlicher und aufrichtiger Kämpfer für eine vernünftige Politik.

 

Michal Kornblum: Sie waren Deutschlands höchster Verfassungsschützer und werden nun mit dem Antisemitismusvorwurf konfrontiert. Wie definieren Sie Antisemitismus und was ist für Sie ein Antisemit?

 

Für mich ist Antisemitismus jede Form von Judenhass oder Judenfeindlichkeit. Antisemit ist jemand, der eine solche Einstellung vertritt. Judenhass und Judenfeindlichkeit können sich unter anderem ausdrücken in der Abwertung, Verächtlichmachung, Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung von Juden, aber auch in der Rechtfertigung oder Verharmlosung des Holocaust. Auch das Infragestellen des Existenzrechts Israels sehe ich als Judenfeindlichkeit und damit als antisemitisch.

 

Michal Kornblum: Antisemitismus ist leider in Deutschland – paradoxerweise trotz immer mehr Antisemitismusbeauftragten, Kampagnen und auch immer mehr Geldern, die in den Kampf gegen Antisemitismus fließen – ein stetig zunehmendes und erstarkendes Problem. Wo sehen Sie die Ursachen dafür und was kann und muss aus Ihrer Sicht getan werden, um die Sicherheit für uns Juden zu verbessern? Welche Fehler werden Ihrer Meinung nach zurzeit vielleicht auch im Kampf gegen Judenhass begangen?

 

Ich teile Ihre Einschätzung, dass der Antisemitismus in den letzten Jahren trotz verschiedener politischer Maßnahmen zugenommen hat. Ich denke, dass es sich teilweise um beschwichtigende Symbolpolitik handelte, die keine relevanten Auswirkungen hatte. Die Probleme werden aus meiner Sicht nicht wirklich angepackt, sondern man redet darüber, initiiert „Projekte“ oder installiert neue Beauftragte. Und ein Teil dieses Problems sind auch einige unserer Politiker. Das sind diejenigen, die am liebsten auf der Seite der muslimischen Antisemiten oder der palästinensischen und iranischen Extremisten marschieren würden und denen nichts an den deutschen Juden und Israel liegt. Bei den einen ist es Gleichgültigkeit gegenüber den Juden, bei anderen Abneigung, die allerdings hinter Lippenbekenntnissen versteckt wird. Es ist diese linke Verlogenheit, die zutiefst irritierend ist. Nicht an den Worten, sondern an ihren Taten müsst ihr Eure Politiker messen. Leider glauben immer noch zu viele Menschen lieber ihren Worten als ihren Taten.

 

Michal Kornblum: Eine kürzlich veröffentlichte Spiegel Recherche wirft Ihnen vor, während Ihrer Zeit als Präsident des Verfassungsschutzes „Gefahren von Rechtsaußen gerne ignoriert“ zu haben. Dabei soll es sich konkret z.B. um den Thüringer AfD Chef Björn Höcke gehandelt haben. Was entgegnen Sie dieser Recherche?

 

Die Behauptung des Spiegel ist falsch und ehrenrührig. Richtig ist, dass während meiner Zeit als Präsident des Verfassungsschutzes die Bekämpfung des gewaltbereiten Rechtsextremismus eine hohe Priorität hatte. Gegen den Willen des Ministeriums hatte ich eine große Zahl von Stellen und Haushaltsmitteln zur Bekämpfung des Rechtsextremismus beim Bundestag eingeworben. Die Abteilung Rechtsextremismus wurde von mir neu aufgebaut und breit aufgestellt. Das „Gemeinsame Abwehrzentrum Rechtsextremismus“ wurde unter meiner Leitung geschaffen. Wir hatten große Erfolge bei der Bekämpfung des gewaltorientierten Rechtsextremismus zum Beispiel mit der Aufklärung und Festnahme von Mitgliedern der rechtsterroristischen Gruppe „Old School Society“, den Verboten von „Weiße Wölfe Terrorcrew“ und „Altermedia“. Richtig ist aber auch, dass unsere Politiker aufgrund des NSU-Debakels entschieden, dass sich der Verfassungsschutz vor allem mit gewaltorientiertem Extremismus und Terrorismus beschäftigen sollte. Die Beobachtung von Parteien und nichtgewaltorientierte Bestrebungen musste deshalb aus Priorisierungsgründen zurückgestellt werden. Deshalb wurde auch die Beobachtung der Partei Die Linke eingestellt. Diese Neuausrichtung des BfV und damit die Abkehr von der Beobachtung von Parteien und anderen nichtgewaltorientierten Organisationen war von allen Parteien begrüßt worden. Das Anliegen war auch, dass der Verfassungsschutz zu einem „normalen“ europäischen Inlandsdienst wird, denn in fast keinem anderen europäischen Staat wird der Inlandsgeheimdienst von einer Regierung damit beauftragt, Parteien und andere nichtgewaltorientierte Organisationen zu beobachten. Die Parteien sollten in einem demokratischen Diskurs miteinander ringen und der Geheimdienst sollte sich nicht einmischen.

 

Michal Kornblum: Es gab in den letzten Wochen, Forderungen einiger Ihrer Parteikollegen nach einem Parteiausschlussverfahren gegen Sie. Auch während Ihres Wahlkampfs wurde innerhalb der CDU Ihre Kandidatur sehr öffentlich diskutiert – sogar bis zur indirekten Wahlempfehlung gegen Sie. Teilen Sie meine Meinung, dass solche öffentlich ausgetragenen Sticheleien am Ende mehr der CDU als Ganzes schaden als Ihnen als Person? Wie ist der aktuelle Stand in Bezug auf den Parteiausschluss?

 

Sicherlich schadete es der CDU sehr. SPD, Grüne und die ihnen nahestehenden Medien hatten die CDU vor sich hergetrieben. Sie diffamierten und dämonisierten mich. Der Spiegel nannte mich den „Mephisto“. Die CDU ließ sich davon in die Enge treiben, in dem immer wieder gefordert wurde, sich von mir zu distanzieren. Fatalerweise ließ sich die CDU in der Hoffnung, positive Schlagzeilen zu erhalten, auf das schmutzige Spiel ein, und stieß damit sehr vielen Wählern vor den Kopf. Immer wieder hörte ich im Wahlkampf, man würde mich gerne wählen, aber auf keinen Fall diese CDU. Das war bitter. Es war töricht als einzelne CDU-Politiker ein Parteiausschlussverfahren gegen mich ins Spiel brachten. Es schadete dem Ansehen der CDU und nutzte den linken Parteien, die sich über die Selbstzerfleischung der CDU amüsierten. Christian Hirte, der Thüringer Landesvorsitzende der CDU, sagte mir jüngst, dass die Partei nicht an ein Ausschlussverfahren gegen mich denkt. Damit ist für mich das Thema erledigt.

 

Michal Kornblum: Unter Juden in Deutschland sorgt die Metapher der „gepackten Koffer“ häufig für viel Diskussionsstoff. Während ein Teil der Überzeugung ist, die Koffer seien ausgepackt und Juden seien in Deutschland heimisch und sicher, sieht ein anderer Teil die Notwendigkeit, die Koffer zu packen und über Auswanderung nachzudenken, da sie keine Zukunft mehr für Juden hier sehen. Wie ist Ihre Prognose – auch unter dem Aspekt der neuen Bundesregierung – für die Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland? 

 

Ich kenne die Diskussion auf Grund meiner Gespräche mit jüdischen Freunden. Die Situation in Deutschland ist besonders, aber ich höre auch von Freunden in Frankreich, dass sie darüber nachdenken, in Tel Aviv zumindest einen Zweitwohnsitz zu begründen. Was soll ich zur Sicherheitslage für Juden in Deutschland sagen? Ich möchte nicht, dass Juden Deutschland verlassen, weil sie hier keine Zukunft sehen und sich nicht mehr sicher fühlen. Es ist auch ihr Land und sie gehören zu Deutschland. Und wir alle tragen dafür Verantwortung, dass die Sicherheit auch für die deutschen Juden gewährleistet ist. Aber ich bin manchmal fassungslos, mit welcher Gleichgültigkeit oder Abneigung deutsche Politiker den Sorgen der Juden in Deutschland begegnen. Als Geheimdienstler habe ich gelernt, in Szenarien zu denken. Und das wahrscheinlichste Szenario ist, dass es so weiter geht wie bisher. Und dann mache ich mir wirklich Sorgen um die Stabilität unseres Land und um die Sicherheit. Ich würde trotzdem die Koffer nicht packen, aber ich würde zusehen, dass ich für den Fall des Falles schon einmal einen Koffer woanders habe.

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