Die Diktatur der Minderheiten

Eine entschlossene, linksideologisierte und dogmatische Minderheit hat es in Deutschland ebenso wie die sich zurzeit noch in der Minderheit befindliche muslimische Bevölkerung geschafft, die ihr keinesfalls zugeneigten ignoranten Mehrheit ihre Regeln aufzuzwingen. (JR)

Immer mehr Geschäfte bieten Halal-Produkte an© AFP

Von Paul Nellen

Freie Gesellschaften werden stets durch Extremisten aller Couleur bedroht, seien es nun rechte, linke oder religiöse Fanatiker. Der Punkt aber ist: Sie werden jeweils danach, wie die eigene Nase gepudert ist, unterschiedlich bewertet und behandelt, und selten kommt es vor, dass ein Extremismus gemeinsam richtungsübergreifend verurteilt wird.

Linke tun sich schwer, Linksextremismus zu brandmarken oder zu bekämpfen –das Umgekehrte gilt für Rechts gegenüber dem Rechtsextremismus. Beim politischen, frauen- und menschenrechtsfeindlichen Islam wird’s dagegen kurios. Da kämpfen sich Linke an Rechten ab, die gegen den Islam und seine Feindschaftserklärung gegen alles Nicht-Islamische gerne mit den Worten argumentieren:

„Der Koran und die auf ihm fußende muselmanische Gesetzgebung reduzieren Geographie und Ethnographie der verschiedenen Völker auf die einfache und bequeme Zweiteilung in Gläubige und Ungläubige. Der Ungläubige ist „harby“, d.h. der Feind. Der Islam ächtet die Nation der Ungläubigen und schafft einen Zustand permanenter Feindschaft zwischen Muselmanen und Ungläubigen.“

Wobei diesen Linken allerdings entgeht, dass das Zitat von Karl Marx stammt. Wie man sieht, hat auch Marx anscheinend schon einen Hang zur Islamophobie und zur Pauschalisierung gehabt. Nur macht es einen Unterschied, ob ich mit Marx sage: „der Islam“, oder ob ich sage: „die Muslime“.

 

Der Islam und die Islamisten

Doch ebenso unbestreitbar ist, dass sich in den kanonischen Schriften des Islam vieles wiederfindet, mit dem sich die Islamisten gerne und im Einklang mit den Grundsätzen der Religion munitionieren. Um es drastisch zu formulieren: Der christlich-militante Extremist handelt nicht im Einklang mit dem Neuen Testament und ganz gewiss nicht mit der friedvollen Botschaft von Jesus.

Der Islamist und Jihadist aber sehr wohl im Einklang mit der Botschaft und den überlieferten Taten des Propheten Mohammed. Nur die historisch-kritische Exegese kann den Islam aus dieser Falle befreien; diese theologische Herangehensweise ist im Islam aber höchst umstritten und weitgehend verpönt. Umso mehr muss man die säkulare Haltung vieler Muslimas und Muslime unterstützen, z.B. die Gründung des Hamburger Landesverbandes „Verein Säkularer Islam e.V.“ im Januar 2020.

Die Tatsache allein, dass viele, vielleicht sogar die meisten der hier lebenden muslimischen Menschen nicht fanatisch orthodox sind, ist allerdings genauso wenig ein Grund, sich bequem zurückzulehnen, wie die Feststellung, dass nicht alle Deutschen rechtsradikal oder Rassisten seien. Denn auch nicht alle Deutschen waren vor 1933 Nazis –diese waren sogar bei Wahlen bis zuletzt eine Minderheit. Und dennoch…

Die Lehre, die daraus zu ziehen ist, hat der amerikanisch-libanesische Finanzguru und Philosoph Nassim Nicholas Taleb („The Black Swan“) in einem sehr lesenswerten Aufsatz unter dem Titel zusammengefasst: The Most Intolerant Wins: The Dictatorship of the Small Minority.

Talibs zentrale Botschaft: Es genügt, wenn eine unnachgiebige Minderheit –eine bestimmte Art von unnachgiebigen Minderheiten –ein winzig kleines Niveau erreicht, sagen wir drei oder vier Prozent der Gesamtbevölkerung, damit sich die gesamte Bevölkerung deren Präferenzen unterwerfen muss.

 

Auch die Nazis waren eine Minderheit

Das hatte auch den bekannten Wuppertaler Kunstprofessor Bazon Brock schon vor Jahren zu einem Ausruf auf seinem privaten Internet-Blog inspiriert: „Die Gutmenschen unter uns heulen: ‚Aber diese militanten Islamisten sind doch bloß eine Minderheit, die Mehrheit ist doch ausgesprochen freundlich gesonnen und kennt den Quraan überhaupt nicht richtig.' Ja, mein Freund, und die Nazis waren auch bloß eine Minderheit, die ihre eigenen Kampfschriften nicht las und dann eine Mehrheit herumdiktierte.“

Dass und wie es kleine, aber entschlossene ideologische oder religiöse Minderheiten ohne viel Aufwand schaffen, der völlig anders gepolten ignoranten Mehrheit nach einiger Zeit ihre Regeln aufzuzwingen, wird immer noch zu wenig durchschaut. Taleb unternimmt diesen Versuch. Er ist überzeugt: Minorities, not majorities, run the world, Minderheiten, nicht Mehrheiten geben in der Welt den Ton an.

Vordergründig klingt das wie eine verschwörungstheoretische Blaupause. Die Verwechslung liegt in der Tat nahe. Taleb ist aber kein Verschwörungstheoretiker, der die angebliche Allmacht der Illuminaten, der Juden, der CIA oder der Bilderberger theoretisch unterfüttert. Er analysiert abstrakt Machtübernahmeprozesse und Machterhaltungsbedingungen, die sich historisch „bewährt“ haben und geht dabei bis weit in die Römerzeit zurück. Ontologisch ist für ihn nicht die Herrschaft einer oder mehrerer bestimmter Gruppen, sondern sind nur die Verfahren, welche die Herrschaft überall zu ihrer Gewinnung voraussetzen.

Talebs zentraler Begriff ist überraschenderweise die „Minderheit“ –immer und überall, so die geschichtliche Erfahrung, sind es Minderheiten, die Herrschaft konditionalisieren, und es sind Mehrheiten, die, ob sie wollen oder nicht, sich mit geradezu mechanischer Präzision zwangsläufig und, wie sie selber glauben, freiwillig den von einer Minderheit diktierten Dynamiken unterwerfen. Meist im Glauben, dass sie selbst, die Mehrheit, dabei das Heft in der Hand behalten würde –und nicht die Minderheit, gerade, weil es ja „doch bloß eine Minderheit“ ist.

 

Das Leben ist eine Kantine

Taleb warnt, ähnlich wie Brock, in seinem Artikel den Westen, dass eine entschlossene Minderheit im Schutz der hierzulande vorherrschenden Toleranzethik imstande ist, in relativ kurzer Zeit die Regeln für alle zu bestimmen. So kann eine sich im starr-religiösen Korsett befindende Minderheit die augenscheinlich „flexible“ nicht- oder andersreligiöse Mehrheit davon überzeugen, dass es doch eigentlich ganz „unfair“ wäre, wenn die religiös gebundene und daher zu keiner Verhaltensalternative befähigte Minderheit das praktisch nicht einlösbare Opfer bringen sollte, sich den lockereren Gewohnheiten der Mehrheit anzupassen.

Die Mehrheit dagegen brauche selbst wiederum auf nichts zu verzichten, wenn sie die strengen Regeln der Minderheit gelten ließe und, im besten Falle, am Ende vielleicht sogar übernähme, auch wenn ihr dies zunächst schwerfällt oder nicht hinnehmbar zu sein scheint. Die Mehrheit bekäme, so heißt es dann, zu ihren zahlreichen, tendenziell unbegrenzten Wahlmöglichkeiten einfach nur eine weitere hinzu, während der Minderheit, die ihr einzig erlaubte Alternative überhaupt erst geboten würde. Und damit sei am Ende allen gedient und es herrsche Friede und Eintracht.

In der Theorie klingt das zunächst verlockend. Allerdings wissen wir etwa aus dem Kantinenwesen, dass es sehr rasch eine Kostenfrage wird, ob man gleichzeitig nach islamischen Regeln „Halal“-Gekochtes und Nicht-Halal-Speisen anbietet, damit Muslime sich in einer nichtmuslimischen Umgebung nicht ausgeschlossen fühlen.

Wird ein zweispurig vorbereitetes, um „Halal“-Gerichte erweitertes Angebot irgendwann aber von den Kosten her zu teuer, entscheiden sich Küchenchefs im Zweifelsfall dann doch für ein ausschließliches „Halal“-Angebot, das zu essen den Nicht-Muslimen ja nicht verboten ist und ihnen keine unzumutbaren Opfer auferlegt –„halal“, also islamisch „rein“ zu essen, kann ja auch lecker sein, und vor allem, es verletzt bei Nicht-Muslimen keine religiösen oder sonstigen Vorschriften.

Sich der islamischen Vorschrift unterzuordnen, garantiert daher Muslimen und Nicht-Muslimen am Ende, dass alle auf schmackhafte Weise satt werden, ohne dass dabei jemand ein schlechtes Gewissen haben müsste.

 

Toleranz führt zum Verschwinden der Toleranz

So kommt es, dass letztlich immer der Intoleranteste die Regeln bestimmt, gerade dann, wenn er sich in der Minderheit befindet –etwas, was die Toleranten ursprünglich niemals für denkbar gehalten hätten. Toleranz, so die Schlussfolgerung, gibt der Intoleranz erst den Entfaltungsraum, um ihr schließlich komplett die Herrschaft überlassen zu müssen.

Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz, wusste schon der Philosoph Karl Popper. Oder mit den Worten von Henryk Broder: Toleranz hilft nur den Rücksichtslosen.

Wer ihnen auch nur den kleinen Finger gibt, hat schon verloren. Dafür sorgt früher oder später die „Diktatur der kleinen Minderheit“.

Gerade auch jener, die diese „Diktatur“ jeden Tag unter Verweis auf die „Religionsfreiheit“ ausübt. Jede Schule und jedes Kindertagesheim in Deutschland können inzwischen davon ein, zwei, viele Lieder singen. Nachzulesen etwa in Büchern wie Ingrid König: „Schule vor dem Kollaps“, Ingrid Freimuth: „Lehrer über dem Limit“ oder Ahmad Mansour: „Klartext zur Integration“.

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