Die Juden von Albanien

Jüdische Albaner sind ein wahres Exotikum: Interview mit Amos Dojaka von der jüdischen Gemeinde Tirana (Teil 2)

Das älteste Mitglied der jüdischen Gemeinde in Tirana


Von Filip Gašpar

Jüdische Rundschau: Wie hast du von deinem Jüdisch sein erfahren?

Amos Dojaka: Meine Großmutter hat lange unter dem Verlust Ihrer Familie gelitten. Das hat sich darin geäußert, dass sie nicht mehr Deutsch sprechen wollte. Mit Leuten aus der deutschsprechenden Gemeinde wollte sie auch nichts zu tun haben. Meine Großmutter hat die jüdischen Feiertage gefeiert und für mich war es normal sie mitzufeiern. Aber über ihre Vergangenheit und auch damit einhergehend unsere jüdische Kultur und Tradition wollte bzw. konnte sie nicht reden. Es klingt makaber, aber sie fühlte sich schuldig dafür, überlebt zu haben. Erst sehr viel später habe ich das ein wenig nachvollziehen können.

Jüdische Rundschau: Der kommunistische Diktator galt auch nicht gerade als ein Freund von Religionen.

Amos Dojaka: Ab 1967 war die Ausübung von Religion komplett verboten, egal für wen. Enver Hoxha hatte den ersten atheistischen Staat der Welt ausgerufen. Alles Religiöse war verboten und man wurde abgeholt, wenn auch nur der Verdacht bestand, dass man sich nicht daranhielt. Viele Katholiken wurden abgeholt, gefoltert und sind daran gestorben.

Jüdische Rundschau: Wie war es in deiner Familie?

Amos Dojaka: Meine Großmutter hat zusammen mit einer österreichischen Freundin im kleinen Kreis die jüdischen Feiertage begangen, natürlich unter ständiger Lebensgefahr.

Jüdische Rundschau: Wie war die Beziehung von Albanien zu Israel während der Herrschaft von Enver Hoxha?

Amos Dojaka: Für Hoxha war Israel ein zionistisches Projekt der Amerikaner und der Großkapitalisten. Es galt sich mit den angeblich unterdrückten Palästinensern zu solidarisieren. Albanien hat sich zu gebunkert und die guten Taten der Albaner während der Shoah gerieten ins Vergessen und darüber zu reden, stand unter Strafe. Es war schlicht und weg ein Tabu.

Jüdische Rundschau: Wie sah deine Jungend als Jude in Albanien aus?

Amos Dojaka: Es herrschte eine permanente große Angst in der Gesellschaft. Das konnte man förmlich spüren. Das galt auch für mich. Ich gebe dir ein Beispiel: Es hätte schon ausgereicht sich bei einem Nachbarn ein Länderspiel, sagen wir Deutschland gegen Italien anzuschauen. Es brauchte nur eine dritte Person Wind davon zu bekommen und dich anzuzeigen.

Schneller als du gucken konntest, kam die Geheimpolizei und du bekamst 8-15 Jahre Gefängnis dafür aufgebrummt. Manchmal kam es vor, dass mich jemand im Café auf Politik angesprochen hat und versuchte das Gespräch in eine Richtung zu lenken und mir nach dem Mund sprach. Oder plötzlich tauchte ein Tourist auf, es gab nicht viele in Albanien zu der Zeit, und wollte sich mit mir unterhalten. Ich habe mich mit diesen Leuten niemals unterhalten und bin ihnen aus dem Weg gegangen.

Jüdische Rundschau: Wann hast du eine Sehnsucht nach Israel entdeckt?

Amos Dojaka: Die war eigentlich immer schon da. Ich erinnere mich sehr gut daran, wie meine Großmutter reagiert hat, wenn es im Fernsehen um Israel und Palästina ging. Meine Großmutter hat generell nicht viel geredet, und schon gar nicht über Politik, weil sie ihr ganzes Leben darunter gelitten hat, aber bei diesem Thema hat sie immer gesagt: „Schluss Aus Ende, das ist Propaganda, das Land gehört zu Israel“.

Jüdische Rundschau: Wie kamst du nach Deutschland?

Amos Dojaka: Mein Bruder Artur und ich sind 1990 über Ostberlin nach Konstanz geflohen. Wir haben in Albanien gemerkt, dass der Ostblock und die kommunistischen Regime auseinanderbrachen. 1989 sind viele Albaner in die ausländischen Botschaften in Tirana gegangen, weil wir alle nur noch raus aus dem Land wollten. Mein ursprünglicher Plan war, nach Kanada zu einer Cousine meiner Mutter zu gehen. Doch ein Visum zu bekommen war alles andere als leicht. Wir hatten zwar eine Einladung der Cousine, aber darüber hinaus nicht viel und schon gar nicht Geld.

Jüdische Rundschau: Wie ging es weiter?

Amos Dojaka: Jemand gab mir den Tipp, in die Botschaft der damaligen DDR zu gehen. Ich hielt das für unmöglich, aber meine typisch jüdische Mutter ist in die Botschaft gegangen und hat mir und meinem Bruder ein Visum besorgt. Am 27. August 1990 standen mein Bruder und ich am Flughafen von Tirana und wollten nach Berlin fliegen. Doch die Sicherheitspolizei hat uns abgefangen und das Visum für ungültig erklärt, es also zerrissen.

Jüdische Rundschau: Was habt ihr dann gemacht?

Amos Dojaka: Wir sind mit einer ungarischen Fluggesellschaft über Ungarn am 30. September 1990 nach Berlin Tempelhof geflogen. Wir wollten eigentlich weiter nach Bonn um dort ein Visum für Kanada zu ergattern, aber am Schluss hat es nicht geklappt.

Jüdische Rundschau: Warst du Amos der Albaner oder Amos der Jude als du in Deutschland ankamst?

Amos Dojaka: Ich kam als Amos der Albaner. Ich habe mich nicht für mein Jüdisch sein geschämt – (Ich bin Jude – Gott sei Dank) – aber mit der Erfahrung meiner Großmutter und auch meiner Erfahrung in Albanien, habe ich mich nicht getraut offen darüber zu reden. Ich möchte auch ehrlich sein. Ich hatte keine Ahnung über den Rest der Welt und ich wollte anfangs auch nicht nach Deutschland kommen.

Jüdische Rundschau: Einmal in Berlin, wohin ging es dann?

Amos Dojaka: Wir sind in den Zug nach Bonn gestiegen und mussten in Karlsruhe umsteigen. Ich sage es nochmal, wir hatten wirklich keine Ahnung von der Welt. In Bonn angekommen, haben wir mit einer Landkarte die Botschaft von Kanada gesucht. Unsere Odyssee begann erst richtig (lacht)

Jüdische Rundschau: Was ist passiert?

Amos Dojaka: Es hat nicht geklappt, uns fehlten die Mittel, sowohl die finanziellen als auch weitere Dokumente, die wir vorweisen sollten. Da standen wir nun. Die Botschaft sagte uns, dass sie kein Interesse an uns hat. Studenten und andere gute Leute haben uns anfangs ausgeholfen, denn wir waren vollkommen mittelos. Wir wussten nicht weiter, aber das Leben beweist es geht immer weiter. Wir gingen zum Deutschen Roten Kreuz und dort haben wir unseren Helden getroffen.

Jüdische Rundschau: Euren „Helden“?

Ja, unseren Helden. Ich kenne immer noch seinen Namen, Strunz heißt der Mann vom Deutschen Roten Kreuz. Ich werde ihm ewig dankbar sein. Er hat uns geholfen unseren Aufenthaltsstatus zu klären.

Jüdische Rundschau: Dann habt ihr Asyl beantragt?

Amos Dojaka: Wir haben Asyl beantragt und sind in einem Asylheim in Bad Godesberg untergekommen, in einem alten Hotel. Von dort sind wir nach Karlsruhe gekommen.

Jüdische Rundschau: Wovon habt ihr gelebt?

Amos Dojaka: Mein Bruder Artur hat in Konstanz BWL studiert und ich habe als Elektriker bei der Firma Götz gearbeitet, der Chef war a richtiger Konstanzer. Er lebt mittlerweile nicht mehr, Gott hab ihn selig, aber er hat uns viel geholfen. Nebenbei habe ich Volleyball gespielt, aber noch nicht für Geld.

Jüdische Rundschau: Wie erging es den Juden in Albanien nach der Unabhängigkeit Albaniens 1991?

Amos Dojaka: 1991 hat der Staat Israel Kontakte mit Albanien aufgenommen. Der kommunistische Staat war ein zahnloser Tiger geworden. Leute von der Jewish Agency „Suknut“ waren nach Albanien gekommen und bereiteten die Aliya der Juden Albaniens vor. Über Rom flogen die meisten nach Israel, ein kleiner Teil ist in die USA gegangen, aber die meisten der 400 Personen sind im März 1991 nach Israel geflogen.

Jüdische Rundschau: Wie erging es deinen Eltern?

Amos Dojaka: Meine Großmutter ist leider 1987 verstorben und hat dieses Glück nach Israel einzuwandern nicht mehr miterlebt. Meine Eltern sind im März 1991 nach BerSheva und Kaniel gegangen. Der größte Teil der Juden aus Albanien lebt in diesen Städten. Später habe ich meinen Eltern eine Wohnung in Aschdot gekauft, wo meine Mutter mittlerweile die meiste Zeit lebt. Drei bis vier Monate im Jahr verbringt sie in Tirana, den Rest in Israel.

Jüdische Rundschau: Wie ging es für dich weiter?

Amos Dojaka: 1994 habe ich mich gefragt, was ich eigentlich immer noch in Deutschland mache? Meine Eltern waren mittlerweile in Erez Israel und mein Bruder und ich hatten einen schwierigen Aufenthaltsstatus. Mein Bruder blieb dennoch in Deutschland, um sein Studium zu beenden und ich bin 1994 nach Israel gegangen.

Jüdische Rundschau: Wovon hast du gelebt?

Amos Dojaka: Ich habe im Kibbuz Elon an der Grenze zum Libanon Volleyball in der ersten Liga für Geld gespielt, damals konnte ich gut davon leben. Aber bei meinem Bruder und mir hat es im Bauch immer gekribbelt, also unternehmerisch etwas Eigenes zu machen

Jüdische Rundschau: Inwiefern?

Amos Dojaka: 1996 wurde ich Trainer in St. Gallen und später in Luxemburg, aber 1998 entschied ich mich zurück nach Albanien zu gehen. Mein Bruder ist 1999 als fertiger BWL-Absolvent nachgekommen.

Jüdische Rundschau: Und was macht ihr unternehmerisch?

Ich bin seit 22 Jahren der exklusive Vertreter der Liqui Moly GmbH, eines Ulmer Unternehmens, das auf die Herstellung von Additiven, Schmierstoffen und Motorenölen spezialisiert ist. Was für ein Motorrad fährst du?

Jüdische Rundschau: Ich fahre kein Motorrad. Dein Bruder Artur, was macht er beruflich?

Amos Dojaka: Mein Bruder Artur ist auch in der Ölbranche, aber andere Öle. Zum Beispiel Olivenöle. Wie du siehst, läuft es bei uns wie geschmiert! (lacht herzlich)

Jüdische Rundschau: Wie war die Situation der Jüdischen Gemeinde 1998 bei deiner Rückkehr?

Amos Dojaka: Als ich zurückkam, gab es wenige Juden in Tirana und ehrlicherweise hätte es zwar für einen Minjan gereicht, aber mehr als Kaffeetrinken war nicht drin zu Beginn. Erst als weitere Geschäftsleute aus Israel kamen, haben wir uns vor knapp zehn Jahren entschlossen eine Gemeinde zu gründen. Ich war damals der 2. Vorsitzende und Gerond Kureta der erste Vorsitzende. Wir sahen es als unsere Aufgabe an, die Juden vor Ort und in der Umgebung miteinander zu verknüpfen. Viel dabei geholfen hat uns die Jüdische Gemeinde von Montenegro. Jaša Alfandari, der mittlerweile nicht mehr unter uns weilt. Er brachte uns mit mehreren jüdischen Netzwerken und Organisationen zusammen, wie zum Beispiel dem Jewish World Congress, wo wir jetzt einen Sitz haben.

Jüdische Rundschau: Wie ist es mit der Botschaft?

Amos Dojaka: Seit ungefähr zehn Jahren hat Israel einen eigenen Botschafter in Albanien, davor war es ein Botschafter für verschiedene Länder hier. Wir sind wie eine große Familie, denn bedenke, dass wir keine Gemeinde von 100.000 Leuten sind, sondern eine eher überschaubare Gemeinde.

Jüdische Rundschau: Wie ist das Verhältnis zwischen Albanien und Israel?

Amos Dojaka: Das Verhältnis ist sehr gut. Albanien war immer ein westlich orientiertes Land, egal, was die Kommunisten versucht haben zu machen. Im Talmud steht: „Wer ein Menschenleben rettet, dem wird es angerechnet, als würde er die ganze Welt retten. Und wer ein Menschenleben zu Unrecht auslöscht, dem wird es angerechnet, als hätte er die ganze Welt zerstört.“. Darum sollte Europa nicht vergessen, was die Albaner während der Shoa für die Juden getan haben und ihnen keine Steine in den Weg legen, bei ihrem Weg in die Europäische Union.

Jüdische Rundschau: Lieber Amos, vielen Dank für das Gespräch!

Amos Dojaka bei der Gedenkstunde zum Holocaust im albanischen Parlament 


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