Das Uganda-Programm – Eine zum Glück verhinderte Idee der britischen Kolonialherren in Nahost
Statt der Rückgabe ihres nahöstlichen Mandatsgebietes boten die Briten den Juden brachliegendes und schwer zu bewirtschaftendes Land in ihrer afrikanischen Kolonie als Siedlungsgebiet an. Das Angebot wurde von jüdischer Seite verworfen, weil Uganda weder ein Teil der jüdischen Geschichte ist, noch den seherischen Ideen Herzls auf die Wiederherstellung der historischen jüdischen Heimat auf dem alten Gebiet des Königreichs Judäa entsprach. Dazu hätte es den Briten als Alibi gedient den Juden eine Rückkehr in ihr von den Briten besetztes Heiliges Land zu verwehren.
Alte Briefmarke aus Britisch-Ostafrika © WIKIPEDIA
Die Hintergründe
Denkt man an wichtige Kongresse der letzten zwei Jahrhunderte mit Relevanz für das jüdische Volk, denkt man selbstverständlich sofort an die Zionistenkongresse, welche von 1897 an jährlich in der Schweiz tagten. Die im Basler Stadtcasino abgehaltenen Veranstaltungen unter Leitung von Theodor Herzl definierten erstmals die Gründung eines jüdischen Nationalstaates als erklärtes Ziel der unzähligen Kinder Abrahams in der Diaspora.
Ein eigener Staat in der Heimat, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die eigene Kultur und Sprache zu fördern und allen Juden auf dem Planeten Sicherheit zu gewährleisten, sollte her.
Leider war dies kein leichtes Ziel, veranschaulicht man sich die geopolitische Lage jener Tage. Im Zeitalter des europäischen Kolonialismus und der expansionswilligen Großreiche wollte niemand – wie zu erwarten war – auf ein Stück Land verzichten. Erst recht nicht, wenn es sich um eines der geschichtsträchtigsten Gebiete der Welt handelt.
Den Pragmatikern unter den frühen Zionisten war durchaus klar, dass die Errichtung ihres Staates in Erez Israel Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern würde, sofern sich dieser Wunsch überhaupt jemals erfüllen sollte.
In Hinblick auf 2000 Jahre Vertreibung, Zwangskonversionen, Enteignungen und anderen Gräueltaten sowie die damals tagesaktuellen Eindrücke von antisemitischen Pogromen vor allem in Osteuropa und Russland, konnten und wollten viele Juden jedoch nicht länger warten.
Das Angebot der Briten
Genau in diese klaffende Lücke des Anspruchs auf nationale jüdische Autonomie und der Wirklichkeit grausamer Verfolgung und Misshandlung stieß ein Plan englischer Diplomaten, der heute bei vielen in Vergessenheit geraten ist: Das Uganda-Programm.
Diese Idee wurde 1903 vom britischen Kolonialsekretär Joseph Chamberlain an Theodor Herzl ausgesprochen und sah vor, den Zionisten ca. 13.000 km² Fläche zum Siedeln in Ostafrika anzubieten.
Zum einen wollte man von Seiten Großbritanniens den akut von Pogromen geplagten Juden Osteuropas und Russlands einen sicheren Hafen bieten, zum anderen würden böse Zungen wohl vermuten, dass man den Sehnsüchten der Juden nach einer Heimat nachkommen wollte, ohne ihnen „Palästina“ und damit ein umkämpftes Gebiet anbieten zu müssen.
Bei den meisten Stimmberechtigten auf dem sechsten Zionistenkongress im Jahr 1903 stieß diese Idee daher auf wenig Gegenliebe. Obwohl Befürworter des Uganda-Programms fortlaufend betonten, dass es sich bei dem Gebiet lediglich um einen Zufluchtsort, und nicht um einen Ersatz für Zion als Heimat aller Juden handeln sollte, überwog die Skepsis der Kritiker.
Faires Angebot oder fauler Kompromiss?
Aus Sorge, Israel dauerhaft als Standort zu verlieren, sollte man Ostafrika als sicheren Hafen akzeptieren, votierte eine deutliche Mehrheit gegen den Plan.
Nachdem zwei Jahre nach der erstmaligen Unterbreitung der Idee eine dreiköpfige Delegation das Gebiet besuchte, wobei zwei von drei Delegierten das Areal für untauglich befanden, wurde das Angebot im Jahr 1905 höflich abgelehnt. Einige Juden verließen daraufhin aus Protest gegen diese aus ihrer Sicht fatale Fehlentscheidung den zionistischen Weltkongress und organisierten sich fortan in anderen Verbänden, darunter der Jewish Territorial Organization.
Was wäre, wenn?
Der weitere Verlauf der Geschichte sollte den Gegnern des Uganda-Programms Recht geben. Der Erste Weltkrieg, an dessen Ende der Zusammenbruch des Osmanischen Reichs stand, die nach und nach verlorenen britischen und französischen Kolonien und selbstredend die Katastrophe der Schoah und das Ende des Zweiten Weltkrieges sollten die Karten neu mischen.
Wer weiß, ob die Briten sich nach Ende des Zweiten Weltkrieges derart beherzt für die Errichtung eines souveränen jüdischen Staates in Israel eingesetzt hätten, wenn sie auf ein Refugium in Ostafrika hätten verweisen können?
Wer weiß, wie sich die seit Urzeiten in der Region beheimateten Massai mit den fremdartigen Nachbarn arrangiert hätten?
Andererseits: Wer weiß, wie viele Juden dem NS-Terror hätten entkommen können, hätten sie ein britisches Protektorat weit entfernt von Europa ihr Eigen nennen können?
Wer weiß, ob die Region nicht möglicherweise von einem Zuzug gutausgebildeter Juden hätte profitieren können?
Letzten Endes ist es müßig, über alternative Geschichtsverläufe zu sinnieren. Zu vieles ist unwägbar und was heutzutage wie ein vernünftiger Vorschlag daherkommt, kann sich in wenigen Jahrzehnten als katastrophaler Fehler erweisen. Interessant ist es jedoch alle Male, denn es lehrt uns alle, politische Entscheidungen in weiser Voraussicht zu planen. Manchmal verhindert die Orientierung an kleinen Lösungen und Kompromissen die langfristige Erreichung großer Ziele. Wenn die Freunde Israels diese Erkenntnis aus dem Scheitern des Uganda-Programms ziehen, ist es vielleicht nicht komplett gescheitert.
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