120 Jahre „AltNeuLand“
Theodor Herzls Roman aus dem Jahr 1902 beschreibt den Entwurf eines selbstbewussten jüdischen Gemeinwesens und ist eine Hommage an das heutige, hochtechnisierte und multikulturelle Israel (Teil 1)
Theodor Herzl © WIKIPEDIA
Vor 120 Jahren erschien der Roman „AltNeuLand“ als letztes Werk, zwei Jahre vor Herzls Tod, den manche als reine zionistische Utopie, umrahmt von einer phantastisch-romantischen Erzählung sehen. Er ist aber kein Roman im klassischen Sinne, sondern Teil eines Stufenplans, der letzte Baustein des Nachlasses Herzls an das jüdische Volk, der gleichzeitig ein imaginäres Konzept eines jüdischen Staates ist, aber eben auch eine Art Gebrauchsanweisung, eine Überzeugungsschrift dahingehend, dass die Rettung der Juden aus ihrer Not und die geographische Widerherstellung eines jüdischen Gemeinwesens für ihn alles andere als Utopien sind.
Herzl erschafft ein durchaus realistisches zionistisches Zukunftsmärchen, das nicht nur von heute aus betrachtet die Konturen zwischen Leben (Realität) und Roman (Fiktion) verschwimmen lässt, und zudem Züge eines autobiographischen Bildungsromans enthält. Die dichterische Phantasie und seine zionistischen Aktivitäten eröffneten ihm den Spielraum, um dem Roman „Leben“ und dem Leben einen „Roman“ abzutrotzen.
Welches literarische Stilmittel wäre da angebrachter, als der von Herzl fast schon provokant zum Märchen stilisierte utopische Roman? Und der Untertitel: „Wenn Ihr wollt, ist es kein Märchen.“ An Erzherzog Friedrich von Baden schreibt er im Oktober 1902: „Es ist ein Märchen, das ich gleichsam bei den Lagerfeuern erzähle, um meine armen Leute auf den Wanderungen bei gutem Mute zu erhalten.“
Bereits der Titel ist jedoch Programm: AltNeuLand! Das neue Land als alte Heimat, das alte Land als neue Heimat. Wie auch immer: das Neuland als Altland, (aus dem alten Land ein Neues erbauen); für ein heimkehrendes jüdisches Volk, dass zurecht für sich in Anspruch nimmt, Teil vom Ende und vom Anfang einer alten und neuen Geschichte zu sein, die ineinander übergleitet, bei der die Grenzen von jetzt und damals verschwimmen und zu einer Nation verschmelzen. Der Roman liest sich aber auch wie eine Entdeckungsreise zwischen Wien 1902 und Palästina 1923, mit Theodor Herzl als Reiseleiter.
Sein jüdisches Leiden an den Juden
Was ich ganz persönlich an Theodor Herzl schätze, ja geradezu liebe, sind seine Geistesschärfe und seine jüdische Traurigkeit, wie man sie auch bei Heinrich Heine findet. Jener litt an seinem Heimweh nach Deutschland; es ist sein jüdisches Leiden an den Deutschen, dass zutiefst berührt. Diese jüdische Traurigkeit erkennt man auch in dem literarischen Vermächtnis von Herzl; in seinen Tagebüchern oder in der Art, wie er in AltNeuLand seinen jüdischen Protagonisten aus der Wiener Diaspora darstellt.
Herzl krankt an einer Art „jüdischen Sensibilität“. Sie ist sein jüdisches Leiden an den Juden, die ihn dennoch unaufhörlich antreibt, sein literarisches Schaffen, vollständig in den Dienst einer Sache zu stellen: Dem jüdischen Volk, an dessen Unbelehrbarkeit er jedoch ebenso litt wie am antisemitischen Europa selbst. Wenn etwas bei Herzl aus dem tiefsten seines Herzens kam, dann sein zionistisches Engagement. Er passt noch heute in keine Schublade, ist nicht auf den Bühnenautor, den Literaten oder den Journalisten zu reduzieren; schon gar nicht auf den Politiker. Es ist die Metamorphose all dieser Verpflichtungen und Leidenschaften, die es ihm gestattete, sich der jüdischen Sache, der „Lösung der Judenfrage“, anzunehmen und ihr bestmöglichsten Ausdruck zu verleihen.
Am 14. März 1901 notierte er, von der scheinbaren Erfolglosigkeit seiner zionistischen Tätigkeit erschöpft, in sein Tagebuch:
„Ich bin jetzt eifrig an AltNeuLand. Die Erfolgshoffnungen im Praktischen sind zerflossen. Mein Leben ist jetzt kein Roman. So ist der Roman mein Leben.“
AltNeuLand erschien im Oktober 1902, als die zionistische Bewegung viel von ihrer ehemals breiten Aufmerksamkeit verloren hatte, die der Erste Zionistenkongress fünf Jahre zuvor in Basel erregt hatte. Herzls diplomatische Bemühungen waren ergebnislos geblieben; er hatte auch die notwendigen Geldsummen zur Unterstützung der Bewegung nicht auftreiben können. Weder Zusammentreffen mit europäischen Politikern, noch Kontakte nach Konstantinopel hatten das zionistische Vorhaben weitergebracht und die wohlhabenden Juden der westlichen Diaspora hatten sich als ausgesprochen zugeknöpft, knauserig und desinteressiert bis gleichgültig bezüglich der Not der Juden erwiesen. Erbittertste Ablehnung erfuhr er von westeuropäisch-assimilierten Juden, die sich sogar in den religiösen Reihen befanden, die als „Protestrabbiner“ in die Geschichte eingehen sollten und Herzl schlichtweg für geisteskrank erklärten, als dieser in einem klar strukturierten Programm die Staatsschrift: „Der Judenstaat – Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage“ am 14. Februar 1896 veröffentlichte.
Verlieren die Juden ihre Seele?
Für andere Kritiker war Herzls Zionismus-Konzept von einer stolzen und selbstbewussten jüdischen Gemeinschaft, ein zu säkulares: Nicht die jüdische kulturreligiöse Tradition schien aus deren Sicht bei Herzls Priorität zu haben. Und bei der Ausgestaltung eine hebräisch-jüdischen Renaissance schien seine Phantasie zu versagen, da im Roman erwähnte jüdische Gebräuche nicht im Vordergrund standen. Gegner wie Achad Haam missbilligten, dass in dem Zukunftsbild mit all den technischen Errungenschaften, die jüdische Eigenheit und die jüdische Seele fehlten.
Der Schritt, seine Vorhaben und Pläne in einen zweckmäßigen Roman zu verpacken, galt daher der Absicht, aus dem kleinen Kreis der Aktivisten herauszutreten, um ein breiteres Publikum zu erreichen. Heute würde man sagen: Die eigene Bubble zu verlassen. Herzl war ein brillanter Essayist und Journalist, jedoch ein schwacher Bühnenautor und Romancier.
Wie andere utopischen Romane leidet auch AltNeuLand an einer gewissen Sentimentalität und Schwermütigkeit. Die Handlung ist vorhersehbar. Den Figuren fehlt leider der Tiefgang. Der Roman oszilliert zwischen der allgemeinen vorherrschenden Stimmung des Fin-de-Siecle- Weltschmerzes und Pionierromantik, schafft es aber, ein glaubhaftes Sozialgemälde zu entwerfen.
Wer also gewillt ist, über jene Mängel hinwegzusehen, dem eröffnet sich beim Lesen ein packendes Zeitdokument, wie es kein anderer Protagonist der zionistischen Literatur hervorgebracht hat. Herzls Moral der Geschichte ist, dass gesellschaftliches Glück durch wirtschaftlichen Fortschritt herbeigeführt werden könne, und das weder Religion noch Ethnie diesem Gemeinschaftsprojekt entgegenstünden, da alle daran partizipierend eine gemeinsame Zukunft erschaffen könnten.
In Herzls zionistischem Streben nach einem jüdischen Staat in Palästina, war der Roman ein Puzzle im Handlungsverlauf eines von ihm ersonnenen Drehbuchs. Über den Zionismus sagte er einst, er sei „das jüdische Volk unterwegs“, also so eine Art „work in progress“. Erster Akt war die innovativ-revolutionäre Staatsschrift „Der Judenstaat“, das Erscheinen seines kritischen Dramas ohne Happy End, „Das Neue Ghetto“, war die Ouvertüre gewesen und der zweite wirkungsmächtige Streich war die geradezu bühnenreife, in der Außenwirkung gelungene Veranstaltung des ersten Baseler Zionistenkongresses. Letzter Akt ist, nach dem Intermezzo einer Palästina-Reise, wieder ein Buch: AltNeuLand. Ein utopischer Roman, in den aber alle bisherigen Erlebnisse einflossen und der einen greifbaren Gründungsmythos entstehen ließ.
Der verzweifelte jüdische Anwalt in der Südsee
Der junge Anwalt Friedrich Löwenberg, die Hauptfigur des Romans, ist zutiefst verzweifelt. Sein Freund Heinrich hat Selbstmord begangen, ein anderer Freund, Oswald, ist in Brasilien, wo er sich um die Ansiedlung jüdischer Proletarier bemühte, am gelben Fieber umgekommen. Seine große Liebe verschmäht ihn wegen eines reicheren Bewerbers, sodass Löwenberg ein ungewöhnliches Angebot annimmt.
Er antwortet auf die Zeitungsannonce des Millionärs Kingscourt: „Gesucht wird ein gebildeter und verzweifelter junger Mann, der bereit ist, mit seinem Leben ein letztes Experiment zu machen.“ Der sonderbare Mann wirbt Löwenberg an, ihm auf seine Pazifik-Insel im Cook Archipel zu folgen, wo jener die Schlechtheit der Menschen vergessen will und der jüdische Anwalt Zuflucht vor „Liebeskummer, Weltschmerz und Judengram“ zu finden hofft.
Zuvor trifft Friedrich auf die bettelarme Hausiererfamilie Littwaks. Sie sind jene sogenannten „Luftmenschen“; Ostjuden aus Galizien, die von Luft, Gottvertrauen und der Auswanderung nach Erez Israel träumen. Ihr schenkt er eine stattliche Geldsumme, die ihm Kingscourt zur Verfügung gestellt hatte, wodurch die Littwaks vor dem Hungertod bewahrt werden und der Sohn, David, verspricht ihm ewige Dankbarkeit.
Geschildert wird auch die Lage unzähliger junger Juden, die dem aufgeklärt-liberalen und gebildeten Proletariat angehörten und kaum berufliche Aussichten hatten. In einem Wiener Caféhaus sinniert der mittellose Anwalt über seine Schicksalsgenossen:
„Es waren angehende Ärzte, neugebackene Doktoren der Rechte, absolvierte Techniker. Die höheren Studien hatten sie vollendet, und zu tun gab es nichts. Die Söhne sollten etwas anderes werden, als die Väter gewesen. Los vom Handel, von den Geschäften. Da hatte ein Massenauszug des Nachwuchses nach den gebildeten Berufen stattgefunden. Das Ende war ein jammervoller Überschuss an studierten Leuten, die keine Beschäftigung fanden, zu bescheidener Lebensführung nicht mehr taugten, in Ämtern nicht unterschlüpfen konnten, wie ihre christlichen Kollegen, uns sozusagen auf dem Markte lagen.“
Friedrich wurde von der Tochter eines Tuchfabrikanten zurückgewiesen, die eine arrangierte Verbindung mit einem ungebildeten, dafür aber vermögenden Geschäftsmann vorzog. Herzls Schilderung der Verlobungsfeier im Salon der Brauteltern, entfaltet ein beißend scharfes Bild der vulgär-neureichen, assimilierten jüdischen Bourgeoisie, ähnlich wie Herzl dieses Milieu der „Mimikryjuden“ bereits zuvor in dem Theaterstück „Das Neue Ghetto“ spöttisch erfasst hatte.
Die assimilierten Juden, die den Antisemitismus akzeptieren
Er porträtiert ein exaktes Spiegelbild der „besseren“ jüdischen Gesellschaft und lieferte in AltNeuLand das Produkt seiner scharfsinnigen Analyse: Eine zutiefst unsympathische Clique, die Karikatur eines jüdischen Volkes, das sich seiner jüdischen Identität und Sensibilität entledigt hatte, den Antisemitismus dabei sogar vollständig akzeptierend.
In dieser Atmosphäre begutachten stark herausgeputzte Damen neidvoll die Brillanten-Ausstattung der weiblichen Konkurrenz, während die Herren Firmeninhaber und Großspekulanten den Reichtum anderer taxierten. Gleichzeitig mögen die Hausherren es nicht, wenn man vor den Dienstboten „jüdische Sachen“ redet, schließlich, so die Dame des Hauses, müsse man „es doch nicht an die große Glocke hängen.“ Die Tafelrunde wird durch die Ankunft zweier stadtbekannter „Witzbolde“ komplettiert, zwei groteske Figuren, deren Späße das Gelage vervollkommnen sollten.
In diesen Kreisen macht man sich gerne lustig. Sei es über die zionistische Bewegung oder über jüdische Siedlungsvorhaben in Palästina. „Ich werde Botschafter in Wien,“ ruft einer der Gäste auf der Feier. „Ich auch, ich auch“, erwidern die Umstehenden unter lautem Gelächter. Umrahmt von diesem Reigen der Taktlosigkeiten versinkt Dr. Löwenberg nicht nur ob seiner persönlichen Probleme in tiefste Hoffnungslosigkeit.
Das Abenteuer beginnt, als die Männer auf einer luxuriösen Yacht Kurs auf Polynesien nehmen. Als sie Kreta passieren, fragt Kingscourt seinen Begleiter, ob dieser nicht Lust auf einen Abstecher in sein „Vaterland“ habe. Löwenberg reagiert ablehnend, lediglich Antisemiten hätten ihn dorthin gewünscht, sodass Kingscourt obliegt zu erwidern, er „wäre auf so etwas furchtbar stolz, wenn er ein Jude wäre.“
„Ich, wenn ich an eurer Stelle wäre, ich würde irgendwas Mutiges, Großes unternehmen, dass auch die Feinde vor Staunen die Mäuler aufreißen müssten.“
Überall buntes orientalisches Elend
Jaffa und Jerusalem werden geschildert, wie Herzl sie 1898 auf seiner eigenen Reise gesehen und in Tagebüchern festgehalten hatte. Der Leser bekommt eine authentische und lebendige Beschreibung, wie sich das Land Herzl bei seinem Besuch dargeboten hatte, ein Ort der allgemeinen Vernachlässigung mit dem Potential für Veränderungen, war sein Eindruck. Jaffa ist ein „unangenehmer“ Ort: „Die Gässchen von den übelsten Gerüchen erfüllt, unsauber, verwahrlost, überall buntes orientalisches Elend.“ Die Lage am „blauen Meere“ ist wohl anmutend, jedoch ist bereits die Landung beschwerlich und der „elende Hafen“ selbst wirkt heruntergekommen. Die Reisenden fahren „auf der schlechten Eisenbahn nach Jerusalem,“ diese Strecke ist Herzl 1898 von Fieber geschüttelt, nicht in bester Erinnerung geblieben.
Auf der Zugfahrt bietet sich ein Bild „tiefster Verkommenheit“, „das flache Land fast nur Sand und Sumpf.“ Angekommen ist der Skeptiker Löwenberg doch überwältigt: „Jerusalem“ sagte er mit „leise bebender Stimme“ und ist zu Tränen gerührt. Es sind jüdische Ansiedlungen, „die als Oasen in der verdorrten Umgebung lagen.“ „Sie sahen wohlbebaute Felder, eine stattliche Weinkultur und üppige Orangengärten.“ Herzl verwendet hier wieder eigene Aufzeichnungen von seinem Besuch in Rishon le Zion und Rechowoth, wo jüdische Siedler die Wüste bereits urbar gemacht haben.
Immer wieder erklingt Kingscourts Optimismus, der die Rolle des griechischen Chors einnimmt, als eine Art Stimme der Vernunft und allwissender Kommentator das Sprachrohr des Autors ist: „Und doch ließe sich da viel machen. Aufforsten müsste man. So eine halbe Million Riesentannen…“ Dem eher ablehnenden Löwenberg gegenüber vertritt Kingscourt die Ansicht, die Juden sollten der Menschheit zeigen, wie man im Zeitalter der Technologie erschaffen könne. Als sie durch den Suezkanal weiterfahren, zieht Kingscourt Bilanz: „Alles Nötige ist schon vorhanden, um eine bessere Welt zu machen. Und wissen Sie, wer den Weg zeigen sollte? Ihr! Ihr Juden! Gerade weil‘s euch schlecht geht. Ihr habt nichts zu verlieren. Ihr könnt das Versuchsland für die Menschheit machen, dort drüben, wo wir waren, auf dem alten Boden ein neues Land schaffen. AltNeuLand!“ Die modernen Techniken anpreisend wagt er die Voraussage, dass mit ihrer Hilfe einst die Wüsten erblühen werden. Aus ihm spricht Herzls Traum; soweit der erste Teil des Romans.
Rückkehr nach 20 Jahren
Haifa 1923: Hier beginnt die eigentliche Geschichte, als die beiden Freunde nach zwanzig Jahren auf der Pazifikinsel in die Welt der Zivilisation zurückkehren, erneut Palästina besuchen und ein völlig verändertes Land vorfinden. Dabei unterteilt sich der Roman in zwei Handlungsstränge. In dem einen wird ein etwas sentimental ausfallender biographischer Bericht über die mittlerweile nach Palästina ausgewanderten Littwaks ausgerollt, die führende Persönlichkeiten geworden sind.
Im Mittelpunkt des Romans steht die Beschreibung eines blühenden, liberalen jüdischen Staates, eine optimistische und autarke Gesellschaft, die modernste technische Errungenschaften besitzt und einsetzt, in der eine rege Kulturszene floriert und die auf soziale Gerechtigkeit ausgerichtet ist. Eine jüdische Gemeinschaft, in der alle Mitglieder vom technischen Fortschritt, wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen profitieren, der eine florierende, industrialisierte Landwirtschaft besitzt und jeden nach seiner Fasson selig werden lässt. „Ob einer im Tempel, in der Kirche, in der Moschee, im Kunstmuseum, oder in den philharmonischen Konzerten die Andacht suchte, die ihn mit dem Ewigen verbinden sollte, darum hatte sich die Gesellschaft nicht zu kümmern.“
Die Geschichte der Staatsgründung wird im Verlauf eines Seder-Abends, an Pessach, erzählt. Die neue Gemeinschaft besitzt Institutionen, eigene Gesetze, eine Regierungsinstanz, es gibt Parlamentsgebäude und es werden Wahlen zur Abgeordnetenversammlung abgehalten. Es gelten Regeln für den Besitz von Eigentum, Staatsangehörigkeit, öffentlichen Dienst und klare Bestimmungen für Rechte und Pflichten aller Bürger, und die Wirtschafts- und Sozialpolitik ist beispielhaft. Freie Religionsausübung, der Respekt heiliger Stätten haben Bedeutung, aber mit Jerusalem als Hauptstadt der Gemeinschaft, während Haifa das wirtschaftliche Zentrum bildet.
Der Roman betont mehrfach, dass Araber gleichwertige Staatsbürger sind, gleiche Rechte und Pflichten haben und das Land als gemeinsames Vaterland betrachten, dass es aber einen natürlichen „jüdischen Charakter“ besitzt.
Akko beschreibt Herzl „in alter orientalischer Bauschönheit, graue Festungsmauern, dicke Kuppeln und schlanken Minaretts, die sich vom Morgenhimmel reizend abhoben.“ „Tausende weißer Villen tauchten leuchteten aus dem Grün üppiger Gärten heraus. Von Akko bis an den Carmel schien ein großer Garten angelegt zu sein, und der Berg selbst war auch gekrönt mit schimmernden Bauten.“ Hier ließ der Autor seiner Phantasie freien Lauf, wie bei der Beschreibung Haifas mit „hochgeschwungenen Arkaden“, wo Palmen tagsüber Schattenspender waren und an denen nachts elektrischen Straßenlampen hingen, „wie große, gläserne Früchte.“ Es herrscht ein großes Gewühl, ein „Verkehr aller Völker“, Menschen unterschiedlichster Kleidung, „Chinesen, Perser, Araber.“
Es verkehren Schwebebahnen in den Städten Palästinas, ein Netz von Schnellzügen verbindet alle Landesteile miteinander und ein Kanal vom Mittelmeer bis zum tief gelegenen Toten Meer versorgt nicht nur den jüdischen Staat, sondern den gesamten Nahen Osten mit Elektrizität.
Es herrscht das Recht auf Arbeit, Arbeitshilfe, zweijährige allgemeine Arbeitspflicht, Siebenstundentag, freier Schul- und Universitätsbesuch, Wahlrecht für Frauen, alles progressive Ideen für die Zeit. Die Regierung sorgt für umfängliche medizinische Betreuung, Krankenhausbehandlung und Seniorenhilfe. Grundsatz des neuen Landes ist die gesellschaftliche Solidarität. Es ist eine Gesellschaft ohne jegliche Diskriminierung, in der religiöse und ethnische Gleichheit herrscht; nicht zuletzt auch zwischen den Geschlechtern.
Die Wirtschaft ist genossenschaftlich, also „mutualistisch“, die Waage zwischen Individualismus und Kollektivismus haltend. Der Mutualismus strebt danach, die Freiheit und Privatinitiative des Kapitalismus mit dem Streben nach Gerechtigkeit des Sozialismus zu vereinen, um so Gleichberechtigung zu gewährleisten. „In unserer neuen Gesellschaft“, so lässt Herzl die Vertreter der jüdischen Gemeinschaft erzählen, „sind wir durchaus nicht für die Gleichmacherei. Jedem nach seinen Werken: „Den Wettbewerb haben wir nicht abgeschafft. Aber die Bedingungen sind für alle gleich, wie bei einem Preiskampf oder einem Wettlauf.“
Außerdem sollen Industrie und Handel auf Partnerschaften und Kooperativen gründen, Fabrikarbeiter besitzen Anteile an ihrer Fabrik, Angestellte an den Kaufhäusern, die Presse wird von Zeitungsgenossenschaften betrieben, wobei das Aktienkapital den Abonnenten gehört. Korrespondenten, Journalisten und Redakteure werden von den Lesern selbst bestimmt. An dieser Stelle erlaubte sich Herzl einen Seitenhieb auf die Eigentümer der Neuen Freien Presse, die ihm, dem Starkorrespondenten und Feuilletonchef untersagte hatten, von der zionistischen Bewegung zu berichten, die Herzl ja selbst anführte und ins Leben gerufen hatte.
Fortsetzung in der nächsten Ausgabe
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