Karäer, Kosaken und Kalmücken
Die erstaunliche Geschichte eines jüdischen Karäers, der im Land der Kosaken eine buddhistische Kalmücken-Frau heiratete. Ein Nachfahre hat sich auf Spurensuche begeben.
Bertha Levin (geborene Voikhansky) mit ihrer Tochter Marussia. Montreal, Kanada. © Quelle: Dror Voikhansky, Familienarchiv
Es begann mit der Bestätigung eines Familienmythos‘: Ich staunte nicht schlecht, als mich ein Y-Chromosom-Test (väterliche Linie) auf einen Stammvater von vor hundert Jahren verwies, der ein Karäer von der Krim gewesen war. Diese Bestätigung deckte sich mit der Geschichte meines Cousins Abrashka Voikhansky, nach der sein Vater, also mein Onkel, ihm einst von unserer familiären Verbindung zu einem Karäer namens Elijah (auch Iljasch) Karaimowitsch erzählt hatte. Von da an wusste ich: Ich muss mehr darüber erfahren!
Im Jahr 1637 war dieser Elijah einer der Offiziere der Saporoger Kosaken in der heutigen Ukraine. Als im selben Jahr der Saporoger Ataman (Anführer) namens Pawljuk einen Aufstand gegen das polnische Regiment erhob, standen Elijah Karaimowitsch 200 Kosaken zur Verfügung, aus denen er in der Stadt Bila Zerkwa eine polen-treue Truppe bildete. Von den Polen für sein Vorhaben gewürdigt, stieg der Karäer zum Oberst seines Regiments auf. In der Schlacht von Goltwa (heute Howtwa) am 5. Mai 1638 hatten seine Männer jedoch große Verluste zu beklagen und das Heer hörte praktisch auf zu existieren. Elijah überlebte und versuchte auf jede erdenkliche Weise, die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung einzudämmen. Beim weiteren Versuch, ein Kosakenregiment zu bilden, kam es zu Aufständen und Karaimowitsch starb durch einen Lanzenstich.
Buddhistische Kalmücken unter den Donkosaken
Zwischen den Saporoger Kosaken der heutigen Ukraine und den russischen Donkosaken wurde 1637 ein Bündnis geschmiedet, um für den Krieg gegen die muslimischen Krimtataren besser gewappnet zu sein. Unter den Donkosaken befanden sich auch – von Historikern oft ignoriert – Kalmücken. Das Volk der Kalmücken ist überwiegend buddhistisch und stammt von westlich siedelnden Mongolen ab. Sie sind das einzige alteingesessene Volk von Buddhisten auf dem europäischen Kontinent. Ursprünglich praktizierten sie den Lamaismus (tibetischer Buddhismus), was erklären könnte, wieso meine Schwester und ich auch ostasiatische und sibirische DNS-Resultate erhalten haben. Im erwähnten Zeitraum, etwa um 1637, hat sich Elijah Karaimowitsch mit einer Frau aus dem kalmückischen Voikhansky-Clan (auch Wojchanski geschrieben) vermählt. Der Familienname geht auf „Woj (Wojsko) Chana“ zurück, was auf Altpolnisch so viel wie „Das Heer des Khans“ bedeutet.
Im Jahr 1684 bot der polnische König Johann III. Sobieski, unterstützt vom Papst, großzügige Belohnungen für Kriegseinsätze an. Einige Kosaken und Kalmücken kämpften auf der Seite des damaligen Staates Polen-Litauen.
Etwa 36 Jahre nach Elijah Karaimowitschs Tod im Jahr 1648 durch Truppen des verfeindeten Kosaken-Anführers Bogdan Chmelnizki, hatten sich Elijahs Kinder und Enkelkinder mit anderen Kalmücken ins Gouvernement Witebsk, an der Ostgrenze von Polen-Litauen, begeben. Dort bekamen sie vom polnischen König die Erlaubnis zu siedeln – auch mit dem Ziel die Grenzen zu schützen.
Sie gründeten schließlich das Dorf Novye Vaikhany (polnisch Wojchanie) nahe Gorodok und Witebsk (heutiges Weißrussland), das anfangs als Militärposten dienen sollte. Nicht weit von dem Dorf entfernt entstanden Ortschaften mit Namen wie Kalmyk („Der Kalmücke“), Kolmaki und Mongolija. In Novye Vaikhany besaßen meine Vorfahren bald eine eigene Taverne, die Kortschma, eigneten sich mit der Zeit viele verschiedene Berufe an, waren im Holzgewerbe, in der Gerberei und der Pferdezucht tätig.
Karaimowitschs Nachkommen nahmen den Nachnamen seiner Ehefrau an, der sich im Laufe der Zeit nur wenig änderte: Wajchan, Wojchanski, Vaikhansky, Voikhansky.
Mein Cousin Abrashka ist der Ansicht, dass der Nachname der Frau aus Angst vor Verfolgungen angenommen wurde. Immerhin waren die Mörder von Elijah Karaimowitsch Männer des berüchtigten Bogdan Chmelnizki! Nicht ganz klar ist, wann genau meine kalmückische Linie zum Judentum übergetreten ist. Sicher ist, dass die Region, in der die Voikhanskys siedelten, von einer christlichen, aber auch einer großen jüdischen Bevölkerungsgruppe bewohnt war. Zwischen den beiden Gruppen kam es selbstverständlich auch zu Eheschließungen.
Soldaten der polnischen und russischen Armee
Meine Vorfahren dienten in der polnischen Armee, und nach der Teilung Polens im Jahr 1772 bis zur Generation meines Großvaters, auch in der russischen.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts, der chassidischen Bewegung von Baal Shem Tov folgend, wurden viele meiner Vorfahren fromme Chassiden. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts gehören die meisten Mitglieder der Familie Voikhansky den Chabad-Chassidim an. Dies führte freilich zu großen Konflikten, als sie als orthodoxe Juden trotzdem in der Zarenarmee Wehrdienst zu leisten hatten. So wanderte ein Teil des Familienclans schließlich nach Nord- und Südamerika, sowie nach Großbritannien, Australien, Südafrika und Israel aus.
Kalmücken im Dienst der Kosaken © Quelle: Dror Voikhansky, Familienarchivr
Mein Vater Mendel Voikhansky, der 1936 als Pionier aus Riga in Lettland nach Eretz Israel kam, setzte den harten Weg seiner Vorfahren fort und kämpfte in den israelischen Kriegen für die Verteidigung der jüdischen Heimat. Auch er wurde 1948 im Unabhängigkeitskrieg schwer verwundet. Und auch ich habe für die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (Zahal) an der Front gegen den Libanon gedient.
Übersetzung aus dem Englischen: Edgar Seibel
Über den Autor:
Der Israeli Dror Voikhansky ist von Beruf Reiseleiter.
Daneben ist die Familienforschung, die er seit vielen Jahren intensiv betreibt, zu seiner zweiten Berufung geworden.
Diese Leidenschaft hat dazu beigetragen, dass seine Familie sich immer wieder vergrößert hat.
Voikhansky lebt im Kibbuz Mischmar haEmek im Norden Israels.
Bertha ist die Cousine des Vaters des Autors.
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