Riva del Garda – ein Hort der Sicherheit für Juden

Die Stadt am Gardasee widerstand in ihrer Geschichte zahlreichen Versuchen ihre jüdischen Bürger zu vertreiben und stellt damit eine große Ausnahme in Europa dar (JR).

Riva del Garda am Gardasee in Norditalien© WIKIPEDIA

Von Michael Fritz

Der Gardasee war schon immer eine Stätte des Austauschs, der Kommunikation mit den Bewohnern der jeweils anderen Ufer, die zu sehr unterschiedlichen Regionen gehörten: Das Westufer war Teil der Lombardei, das Ostufer des Veneto und das Nordufer des Trentino, wo der Ort mit dem seit den Römern größten Hafen das Zentrum stellte: Riva del Garda. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs wurde das Trentino von den Habsburgern regiert.

Die jüdische Zuwanderung erfolgte im Jahre 1430, etwa 50 Personen ließen sich in der Stadt nieder – bei einer damaligen Einwohnerzahl von 400 eine dann doch beträchtliche Größenordnung. Die Juden stammten vor allem aus Polen und Russland. Ihre Synagoge befand sich unmittelbar gegenüber dem Rathaus, dem Palazzo Municipale, an der Piazza Granda, die heute Piazza 3 Novembre heißt und von venezianisch-lombardisch geprägten Gebäuden aus dem 13. Jahrhundert und dem Hafenbecken umschlossen wird. Die prominente Position sagt einiges aus über die Wertschätzung, die den Zuwanderern entgegengebracht wurde, und deren wirtschaftliche Bedeutung. Hier gab es kein Ghetto.

In Riva herrschte eine liberale Atmosphäre, bereits Ende 1300 existierte ein städtisches Gymnasium, in dem Lehrer aus anderen Regionen unterrichteten.

Die jüdischen Zuwanderer wohnten im lebhaftesten Viertel der Stadt gemeinsam mit Christen. In den von beiden betriebenen Läden in den Bogengängen, wo sich heute Cafés und Restaurants aneinanderreihen, wurden Stoffe, Wein, Öl, Eisenwaren und Juwelen angeboten und Geldgeschäfte getätigt. Die Haupteinnahmequelle der jüdischen Gemeinschaft stellte der Handel mit Cedrizitronen dar, die man auch Zitronatzitronen nennt. Diese Frucht ist die Mutter aller Zitrusfrüchte; mitunter handballgroß und leuchtendgelb, wird von ihnen vorzugsweise die Schale gegessen, die als Delikatesse gilt. Die Früchte gediehen besonders gut am weiter südlich gelegenen Westufer des Sees, in der Nähe von Limone. Sie wurden von jüdischen Händlern geerntet und in Behältnissen aus Hanffasern bis in den Osten Europas transportiert, dorthin also, wo man die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse gut kannte.

 

Lebendiges Wasser aus einer Quelle

Die jüdische Gemeinde besaß eine Mikwe, das rituelles Bad wurde hinter dem Palazzo Vecchio errichtet. Eine Mikwe muss nicht nur sieben Stufen haben, die hinab ins Wasser führen, es hat „lebendiges Wasser“ zu sein. Man griff nicht auf Grundwasser zurück oder auf Regenwasser wie vielerorts, sondern nutzte das Quellwasser aus den nahen Bergen, das anschließend unterirdisch weiter in den See abfloss. Der Friedhof befand sich an der Porta Nuova innerhalb der Stadtmauern, was als Zeichen zu sehen ist: Die Juden gehörten zur Stadt, sie standen unter ihrem Schutz. Auf dem überschaubaren Gelände des Friedhofs werden nun Gärten bewirtschaftet, an denen vorbei die verkehrsreiche Via Monte Oro zieht, auf der anderen Straßenseite fällt die romantische Burgruine auf dem Berg ins Auge, die nachts in den italienischen Farben erstrahlt.

Das Zusammenleben von Christen und Juden verlief ungestört, weil sich beide Seiten gegenseitig respektierten und die Regeln einhielten. Selbst als der Fall des Simonino 1475 in Trient die Provinz erschütterte – der als Ritualmord den ebrei angelastete tragische Tod eines dreijährigen Jungen führte zur Auslöschung der dortigen jüdischen Gemeinde –, blieb die Situation der Juden in Riva davon unberührt, wozu sicherlich auch beigetragen haben mag, dass Riva zu diesem Zeitpunkt zu Venedig gehörte.

Insel der Sicherheit

Zwar ordnete 1554 Ferdinand, König von Österreich, der spätere Kaiser, die Vertreibung der in Riva lebenden Juden an. Doch Cristoforo Madruzzo, Fürstbischof von Trient, widersetzte sich dem Befehl, nachdem ihn der Sechserrat der Stadt darum ersucht hatte. Und mehr, er erlaubte drei Jahre danach sogar die Gründung einer Druckerei, der ersten in dieser Region, die von dem Arzt und Talmudisten Jacob Marcaria aufgebaut wurde. In ihr erschienen zunächst philosophische Werke jüdischer Gelehrter auf Hebräisch, bedeutende Bücher, die indes zum großen Teil keine weitere Auflage erhielten, später wurden sogar die lateinisch verfassten Akten des Konzils von Trient gedruckt, das sich 18 Jahre lang vor allem mit der Reaktion der römisch-katholischen Kirche auf die Forderungen der Reformation beschäftigte. Zweifellos wurde Riva del Garda als eine Insel inmitten eines Meeres der Unsicherheit für Juden betrachtet, die an anderen Orten ebenso Diskriminierung wie Gewalt erfahren mussten und oft vertrieben wurden. Die antijüdischen Anordnungen des Papstes Paul IV. bezogen sich auch auf Schriften; alle in Italien existierenden Ausgaben des Talmudes sollten beschlagnahmt werden.

In Riva blieb die Situation für Juden entspannt, bis 1678 dann trotz der wirtschaftlichen Verflechtungen und des guten Einvernehmens miteinander doch noch die Vertreibung der letzten drei jüdischen Familien angeordnet wurde. Jetzt gab es ebenfalls Widerstand: Der Bürgermeister Giovanni Antonio Trentini bat darum, die Umsetzung hinauszögern zu dürfen. Und tatsächlich, erst einhundert Jahre später, 1777, verließ die letzte jüdische Familie die Stadt.

Heute weist eine Gedenktafel in der zentral vom Hafen abgehenden, von Touristen bevölkerten Gasse nicht nur auf die Existenz der ehemaligen jüdischen Gemeinde und des sich dahinter anschließenden, von Juden bewohnten Viertels hin, sondern auf das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Kulturen. In Zeiten zunehmenden Antisemitismus sollte man daran erinnern. Unter dem Davidstern, in dem eine Menora steht, liest man Io sono forestiero e concittadino: Ich bin Ausländer und Mitbürger.

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