Der „Nathankomplex“ – ein jüdisches Stück von Gerd Buurmann

Zu dem Kammerspiel, das die Ursachen des europäischen Antisemitismus erklärt, hatte die „WerteUnion“ der CDU den Schauspieler Gerd Buurmann kürzlich nach Paderborn eingeladen.

„Nathan der Weise“, Skulptur von Adolf Jahn, (um 1900)© WIKIPEDIA

Von Simone Schermann

Mit dem „Nathankomplex“ ist Gerd Buurmann etwas Einzigartiges gelungen, das es in Deutschland und womöglich in ganz Europa so noch nicht gibt: die Erklärung für den Judenhass und den Antizionismus, untermalt mit Auszügen aus Gedichten von Heinrich Heine; hauptsächlich aber mit „Nathan der Weise“ und Shylock.

Gerd Buurmann brillierte in seinem jüdischen Kammerspiel mit schauspielerischer Hochkunst, bestehend aus jüdischem Humor à la Woody Allen, melancholischen Heine-Versen, kunstvoller Rede und mit wortgewaltigen Shakespeare-Einlagen.

Die WerteUnion war begeistert; man hätte eine Stecknadel fallen gehört, so sehr hingen die Zuschauer an Buurmanns Lippen, vertieft in seine Darbietung.

Die Ein-Mann-Aufführung setzt sich mit dem komplexen christlich-jüdischen, aber auch mit dem hochproblematischen deutsch-israelischen Verhältnis auseinander, deren Komplexe sich auch daraus ergeben, dass die Christen ihre Herkunft aus dem Judentum am liebsten von der Festplatte der Geschichte löschen würden.

Den Zugang zu diesem „Nathankomplex“ gestattet uns Buurmann durch die Fokussierung auf jene drei bekanntesten literarischen Judenfiguren der christlich-okzidentalen Welt. Shylock aus Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“, Gotthold Ephraim Lessings „Nathan der Weise“ und der „Jude Jesus“ bilden die Grundlage für eine kulturhistorische Herangehensweise, wobei der Jude Shylock den jüdischen Idealfiguren diametral gegenübersteht.

Buurmann geht der zentralen Frage nach, warum Juden abverlangt wird, illusorische und gottgleiche Charaktereigenschaften zu haben. Woran liegt es, dass Juden in Europa nur dann Empathie erwarten dürfen, wenn sie sich als ideale Judengestalt ewig verzeihend und opferbereit verhalten?

Nach der Schoah strebt man auf christlicher Seite – bis heute – nach der „Wiedergutwerdung“ der Deutschen, woraus sich die politische und mediale Täter-Opfer-Umkehr ergibt, wie man auch in der beunruhigenden Popularität der „Israelkritik“ und in der dahintersteckenden Doppelmoral erkennen kann.

Es ist nicht möglich, diese kluge und faszinierende Vorstellung hier auch nur ansatzweise wiederzugeben. Nur ganz wenige und gezielte Auszüge werden Platz finden können und daher empfiehlt sich dem Leser der dringende Besuch dieses jüdischen Kammerspiels in der Live-Version, um den „Nathankomplex“ verstehen zu können.

 

Das Herz Recht angenehm verblute

Dazu rezitiert der Schauspieler neben weiteren Versen auch diesen Auszug aus dem Gedicht „Deutschland. Ein Wintermärchen“, als Heinrich Heine seine Heimat besuchte und er die unbändige Liebe zu seinem Deutschland dichtend zum Ausdruck brachte:

„Im traurigen Monat November war‘s / Die Tage wurden trüber /

Der Wind riss von den Bäumen das Laub/ Da reiste ich nach Deutschland hinüber.

Und als ich an die Grenze kam / Da fühlte ich ein stärkeres Klopfen in meiner Brust / ich glaube sogar / Die Augen begunnen zu tropfen.

Und als ich die deutsche Sprache vernahm / Da ward mir seltsam zumute /

Ich meinte nicht anders, als ob das Herz Recht angenehm verblute.

Und als der Morgennebel zerrann / Da sah ich am Wege ragen /

Im Frührotschein, das Bild des Mannes / Der ans Kreuz geschlagen /

Mit Wehmut erfüllt mich jedes Mal / Dein Anblick, mein armer Vetter /

Der du die Welt erlösen gewollt / Du Narr, du Menschheitsretter! …“

Neujahr = Jesus Beschneidung

Der „Nathankomplex“ ist im Grunde genommen ein „Jesus-Komplex“, so Buurmann, mit dem Juden Jesus als Vorbild. Die Verdrängung der Christen, dass Jesus Jude war, spielt dabei eine zentrale Rolle, da heute kaum noch ein Christ weiß, dass der Feiertag des Neujahrs eine sehr jüdische Eigenschaft an Jesus feiert. Wer also war dieser Jesus, den Heine als seinen Vetter bezeichnete? Jesu Geburt wird am 25. Dezember gefeiert und im Lukas-Evangelium steht: „Und dann kam der achte Tag, der Tag an dem er beschnitten wurde. Das Neujahrsfest ist das Beschneidungsfest von Jesus und heißt auf Latein Circumcisio Domini. Demnach feiern Christen an Neujahr nichts anderes als die Beschneidung des Herrn, die Brith Mila eines Juden, so Buurmann.

Der „Jesus-Komplex“ sei dann in der katholischen Kirche weiterentwickelt worden, da man in den christlich-katholischen Messen seit Jahrhunderten an die sogenannte Transsubstantiation glaubte, in der sich beim Gottesdienst die Hostie der Substanz nach in Jesu Fleisch verwandelt. Gerd Buurmann gibt hier einen intellektuellen, aber auch schonungslosen und humoristischen Einblick in diese christlich-jüdischen Verquickungen.

So geht er auch der Frage nach, was wohl aus der Vorhaut Jesu geworden ist und ob diese auch in der Hostie stecke! Hat eine Hostie ein Verfallsdatum wie Salz? Und warum stehen die Texte einer Nonne wegen des Verzehrs der Hostie auf dem Index der Kirche?

 

Die Hostie und das Christenblut

Der Spagat zwischen historisch belegter Realsatire und den traurigen Konsequenzen daraus, gelingt dem Schauspieler anhaltend und so fügt sich Baustein für Baustein ein Puzzle zusammen; im Aufbau des eigentlichen Komplexes.

Wir erfahren, dass die Judenverfolgung mit der umgekehrten Projektion der katholischen Kirche auf die Juden ihren Anfang nahm. Wenn Christen den Leib Christi in der Hostie verzehren, so schien es ihnen nur opportun zu verbreiten, dass Juden zum Backen des Mazza-Brotes Christenblut verwenden. So sei die mittelalterliche Lüge der Ritualmordlegenden entstanden.

Zudem sei der Jude Jesus zum Maß aller Dinge auserkoren, an dem sich die Juden auszurichten hatten, auch wenn es die Christen selbst nicht schafften, sich an die religiösen Vorgaben ihres eigenen Erlösers zu halten. Der „perfektionierte Jude Jesus“ wurde zur Vorgabe für das Judentum erklärt und den Juden abverlangt, sich nach ihm zu modeln; es ihm gleich zu tun. Das perfektionierte Judentum war, so Buurmann, für die Christen das Christentum schlechthin geworden. Martin Luther schrieb daher die Blaupause für „Mein Kampf“ von Adolf Hitler, sagt Buurmann über den Reformator, der in seinen Schriften dazu aufgerufen hatte, die Synagogen der Juden niederzureißen, ihre Bücher zu verbrennen und diejenigen Juden zu töten, die sich nicht zwangskonvertieren lassen wollten.

In den Nürnberger Prozessen, so referiert Buurmann, verteidigte Julius Streicher sich mit den Worten: „Ich weiß gar nicht, was Sie haben, ich habe nur getan was Dr. Martin Luther uns aufgetragen hat.“

Judenhass sei in uns allen und zwar von Anfang an, beginnend mit dem Evangelium und dem Christentum, und es ziehe sich durch bis in unsere Gegenwart.

Diese Erkenntnis benennt Buurmann zurecht als brutal, aber sie ist die Quintessenz und die erste zu nehmende Etappe, in die er seine Zuhörer mit meisterhafter Erzählkunst in Kombination mit weiteren berührend rezitieren Liebeserklärungen Heines an Deutschland, geführt hat. Es sei die nicht erwiderte Liebe Heines zu Deutschland gewesen, die den Dichter dazu bewogen habe, nach einer Erklärung für diesen Umstand der unerwiderten Liebe zu den Juden zu suchen. Diese habe er bei William Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“ gefunden.

 

Shylock wollte kein Heiliger sein

Shylock ist ein Mensch mit guten und mit schlechten Eigenschaften. Er ist also ein Mensch wie alle Christen in Venedig, jedoch ist er, der Jude, derjenige, der dafür gehasst und verurteilt wird, obwohl er sich genauso verhält wie ein Christ.

Antisemitismus also ist es, wenn man bei Juden etwas kritisiert, was man bei anderen durchgehen lässt. Dann ist man ein Judenhasser, so die Erkenntnis Buurmanns.

Und dann taucht er ein in die Rolle des Shylock und führt den Zuschauer ins 16. Jahrhundert auf den Rialto der Kaufmannsrepublik Venedigs, wo Antonio, der christliche Kaufmann von Venedig, den Geldverleiher Shylock bittet, ihm doch mit 3000 Dukaten auszuhelfen. Derselbe Kaufmann, der Shylock sonst als Juden beschimpfte und beleidigte, ihn trat, einen Hund nannte und bespuckte, bittet Shylock nun, ihm Geld zu leihen und akzeptiert dessen Bedingungen mit der Unterzeichnung eines ungewöhnlichen Schuldscheins.

Shylock ist der Mann, der lediglich die Gesetze der Christen auf die Christen anwendet und dennoch dafür bestraft wird. Hier zeige sich die christliche Heuchelei, als es zur Einlösung des berühmtesten Schuldscheins um das Pfund Fleisch kommt, so Buurmann.

 

Der Nathan der Aufklärung

Aus dem „Jesus-Komplex“ wird mit Hilfe spannender Wendungen der „Nathan-Komplex“ entwickelt. So brauchte die Aufklärung eine neue Vorbildfigur, einen neuen, aufgeklärten Jesus und ein Gegenstück zu Shylock. Nathan der Weise sei dann der Jesus der deutschen Aufklärung geworden. Lessing beraubte Nathan dazu all seiner jüdischen Merkmale, er sei der Jude ohne jüdische Eigenschaften; er ist sogar ohne jegliche menschlichen Eigenschaften dargestellt. Denn die Muslime und Christen im Stück sind auch als solche beschrieben und haben gute und schlechte Eigenschaften, die Christen sind Christen, die Muslime sind Muslime. Nur der Jude Nathan ist eben ein total aufgeklärter Mensch. Er ist das Sinnbild der deutschen Aufklärung, Lessings perfekter Mensch und eben kein Jude mehr, so Buurmann.

Anstatt sich wie Shylock zu rächen besitzt Nathan die „Weisheit“ zu diskutieren, selbst dann noch, als seine Tochter nur knapp dem Feuertod entrinnt. Obwohl Nathans Söhne bereits zuvor in einem Pogrom ermordet wurden, ist dies kein Grund für ihn, die Fassung zu verlieren. Nathan ist der Jude, der einfach ausnahmslos alles erduldet und seinen Peinigern vergibt, ganz egal was sie ihm antun; er findet dafür auch noch logische Erklärungen.

Dieser „Nathan-Fluch“ liege auf den Juden und auf Israel.

Da der Ursprung des Christentums in seiner Wurzel antisemitisch war und weil auch die Aufklärung in ihrer Wurzel antisemitisch war, erklärt sich daraus der tiefgehende Antisemitismus bis in die Vereinten Nationen hinein, die Israel als „Besatzungsmacht“ im „Westjordanland“ bezeichnen. Auch das widerlegt Buurmann kunstvoll und fragt sein Publikum danach, warum Juden in Hebron „illegale Siedler“ seien, Araber hingegen nicht. Den berühmten Monolog Shylocks rezitiert Gerd Buurmann sinnbildlich vor den Vereinten Nationen.

Beschäftigen wir uns nun einmal, abseits vom Kammerspiel Gerd Buurmanns, mit der Wirkungsgeschichte von Nathan der Weise:

Nach 1945 hatten deutsche Theater Nathan der Weise zum meistgespielten Stück in Deutschland auserkoren und setzten den verbliebenen Juden damit das Aufklärungs- und Vergebungsstück schlechthin vor die Nase, nachdem sie sechs Millionen von ihnen ermordet hatten. Die Deutschen erwarteten nach dem Sündenfall von Auschwitz von den Juden, die gerade noch die Konzentrationslager überlebt hatten, mit dem „Toleranzstück“ sofortigen Großmuts und Vergebung.

 

Nathans Tod

George Tabori demontierte bald die „Toleranzparabel“ Lessings, die für ihn nichts als die Wurzel für die vollständige Eliminierung jeglicher jüdischen Andersartigkeit war. Tabori zeigte die Absurdität der ab dem 18. Jahrhundert durch Nathan der Weise propagierten „Menschenliebe“ und machte Nathan in seinem Theaterstück „Nathans Tod“ zum ersten Mal auf einer Bühne zu einem echten Juden. Nathan wird zum Helden der in Jahrhunderten durchlittenen Barbarei, als Tabori ihn jämmerlich sterben lässt, mit den Worten: „Bist nicht der Einzige, der krepieren muss. Auf allen Vieren, wie ein Tier.“

Wie wir wissen, waren unter Hitler die Juden wieder zurück ins Ghetto gekommen. Die europäischen Juden erlitten das Schicksal von Nathans sieben Söhnen und das Märchen von der Toleranz wurde Wirklichkeit: „Tut nichts! Der Jude wird verbrannt“ – ruft der Tempelherr in Lessings dramatischem Gedicht. Der Humanismus war auf dem Sterbebett der Toleranz verbrannt worden und endete unerbittlich in den Krematorien der Nazis. Vorbei mit Duldung und „gelungener“ Emanzipation!

Die Jüdische Rundschau hatte am 22. Januar 1929 anlässlich des 200. Geburtstag von Lessing einen kritischen Beitrag über den „Verkünder der Toleranz“ herausgegeben. Die Redaktion der JR bemerkte einst:

„Die Huldigungen, die Lessing von jüdischer Seite in Deutschland bereitet werden, wirken etwas peinlich. Denn die Dankbarkeit gegen den Dichter der Toleranz darf nicht so weit gehen, dass der Eindruck entsteht, als sei das ganze Judenproblem nur ein Problem des toleriert-werdens. Lessing verteidigt die Juden, indem er zeigt, dass es auch edle Juden gibt.“ (…)

„Wir sind verbunden mit all den Geschlechtern der durch die Golusnacht gejagten, um ihr Leben bangenden, für Gott eifernden Juden, mit ihren guten und schlechten Taten.“

Die JR fährt fort, dass das Judentum unter der Toleranz der anderen leide und das für den Tolerierten die „nachsichtige Duldung“ eine „Kränkung“ sei:

„Sie ist nicht die Lösung, sondern ein Teil und Symptom unserer Judennot.“

Ein gewisser Dr. Ernst Simon aus Jerusalem stellte in dem Artikel der JR „Lessing und die jüdische Geschichte“ die alles entscheidende Frage:

„Was ist wirklich j ü d i s c h an der Figur des Nathan?“

Seinen Artikel beginnt Herr Dr. Simon aus Jerusalem mit den Worten:

„Das Charakterbild des Lessing’schen Juden, Nathan des Weisen, steht in unserer Geschichtsschreibung derartig fest, dass es lohnt, es ins Schwanken zu bringen.“

In seinem Artikel arbeitet Dr. Simon hervorragend aus, dass Shakespeares Shylock „viel eher ein Jude ist als Nathan“ ist und dass Lessing das Judentum mit seinem vorbildhaften und sittlich-tugendhaften „blassen Judenschemen Nathan“ durch Assimilierung „eindeutschen und einmenschen“ wollte.

Wir halten hier kurz folgendes fest: Der Jude war für die Aufklärung demnach erst dann ein Mensch, wenn er sein Judentum vollständig aufgegeben und sich komplett assimiliert hatte; wenn er nur noch ein Schatten seiner selbst war.

 

Stolpersteine sind Nathan, Israel ist Shylock

Mit großem schauspielerischem Talent, Stand-Up-Comedy-Einlagen und mit Liebe zu historischen und theologischen Details verknüpfte Gerd Buurmann seine Erkenntnisse, vor allem die über das Judentum, zu einem spannenden anderthalbstündigen Thriller.

Wenn er wortgewandt erörtert, warum jüdische Siedler mehr stören als Stolpersteine, und wieso es für Jesus so gar nicht von Vorteil war zum auserwählten Volk zu gehören, wird dem Zuschauer klar was der „Nathankomplex“ ist und wie sich die Doppelmoral Europas hieran entlarvt. Auch warum Stolpersteine Nathane sind und lebende Israelis die Shylocks, oder wieso sich für Deutsche für ihre eigene „Wiedergutwerdung“ nur die Stolpersteine und keine wehrhaften, lebendigen Juden eignen.

Auch warum der Weihnachtsabend nach jüdischer Art am 24. Dezember beginnt und was eigentlich Google Maps mit der vierzigjährigen Wanderung der Israeliten durch die Wüste zu tun hat, lohnt sich in einer Live-Veranstaltung zu erfahren.

Wie auch die Tatsache, dass Deutschland meint „Lehren“ aus dem Holocaust ziehen zu müssen und zudem noch eine „höhere Moral“ daraus abzuleiten, sind Teil eines schizophrenen „deutschen Komplexes.“ Ein Beispiel dafür ist Auschwitz. Auschwitz ist kein „Lehrstück“ für Juden, wohl aber für Deutsche, die es fertig bringen aus „Auschwitz Lehren zu ziehen.“

 

In diesem „Nathankomplex“ ist es für lebende Juden schier unmöglich, mit den verstolpersteinten Juden mitzuhalten. Was es bedeutet, in einem Land zu leben, wo Juden nur zu Trauerveranstaltungen so wirklich gern gesehene Gäste sind, zeigt die Obsession des Erinnerungskultur-Wahns. Wenn Judentum nur noch hinter Panzerglas und unter Polizeibewachung stattfindet, werden Juden wieder ihres Judentums beraubt. So wird der Willen der lebenden Juden genauso gebrochen, wie der Wille jener Juden gebrochen wurde, von denen nur noch Stolpersteine existieren.

Lediglich die Judenhasser und Demagogen wechseln, aber das Skript bleibt das Gleiche. Früher war es der Wahn um das Pfund Fleisch aus dem Schuldschein des Shylock, heute ist es der Wahn um Israel.

Der „Nathankomplex“ ist ein Lehrstück, dass an Schulen, Universitäten, in Firmen und im Programm der Öffentlich-Rechtlichen zur Prime-Time laufen sollte, um die verkrusteten Strukturen aufzubrechen, mit denen sich schon 1929 Herr Dr. Simon aus Jerusalem in der Jüdischen Rundschau kritisch auseinandersetzte und mit diesen Worten exakt beschreibt:

„Die geradezu kanonische Geltung, die Lessings „Nathan der Weise“ bei der deutsch-jüdischen Assimilation genießt, hat sein emanzipatorisches Zukunftsbild zum pädagogischen Vorbilde werden lassen. Kein lebendiger Jude hat den „Nathan“, und sei es auch nur als Modell, mitgezeugt: aber Nathan hat, in Verbindung mit der sozialen, politischen und geistigen Entwicklung, hunderttausende Scheinjuden nach seinem Ebenbilde geschaffen.“

 

Moralische Übermenschen sollen sie sein

Als Zuschauer konnte man diese Schlüsse ziehen. Aus dem „Juden-Komplex“ ist ein „Holocaust-Komplex“ und natürliche above all ein nicht zu ertragender „Israel-Komplex“ geworden.

Man kann den Schrecken des „Nathantums“ für damals und heute auch so beschreiben:

Hätte bei Luther noch die Aufgabe der religiösen (und somit eigentlich jeglicher kulturellen) Identität ausgereicht, so mussten die Juden unter Lessing schon zu moralischen Übermenschen (siehe Nietzsche) werden. Lessing wollte – wie alle Aufklärer – eine bessere Welt ohne Diskriminierung schaffen. Aber anstatt die Juden einfach nur Menschen wie alle anderen sein zu lassen und so zu akzeptieren wie sie sind, sollten sie moralisch besser sein.

Aber warum? Und warum die Juden?

Ganz einfach: Als Volk, dem ja das große Vorbild der Christen, Jesus, entstammte, schienen zwangsläufig sie und nur sie dazu prädestiniert.

„Scheiterten“ sie, die Prädestinierten, an dieser Vorgabe, weil ja auch sie nur Menschen sind, so scheiterte das Ideal an der Realität. Damit wären die Ideale der „Überhöher“ nur Utopie gewesen, deren Scheitern den „Überhöhten“ (den Juden) nicht verziehen werden kann.

Die Deutschen werden daher den „Juden den Holocaust nie verzeihen“ (Zvi Rex), weil ja schon die „Idealtypen“ versagt haben, sodass das Versagen der Realtypen (des christlich-aufgeklärten Hans, Franz und Fritz) folgerichtig und verzeihbar ist.

Erweisen sich doch so die „Überhöhten“ (die Juden) den „Überhöhern“ (den Aufklärern) gegenüber als „undankbar“ für den Weg zu ihrer Errettung und damit der Toleranz ihrer „Überhöher“ doch eigentlich nicht würdig.

 

Simone Schermann ist in Haifa geboren, wuchs in der jüdischen Gemeinde Frankfurt auf und lebt in Freiburg. Sie studierte Neuere und Neueste Geschichte, Osteuropäische Geschichte und Europäische Ethnologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg mit dem Abschluss Magistra Artium (M.A.). Sie war im Jüdischen Museum in Basel tätig, ist freischaffende Historikerin, forscht zum Thema Theodor Herzl, über den sie eine Dissertation plant und ist Vorsitzende im Deutsch-Israelischen Arbeitskreis (Ettenheim), der sich für Israel und das Judentum in Deutschland einsetzt.

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