Vor 40 Jahren: Israel zerstört Saddam Husseins Kernreaktor

Im Sommer 1981 vernichtete die israelische Luftwaffe in einer beispiellosen Geheimdienstoperation den irakischen Atomreaktor Osirak in der Nähe von Bagdad. Ebenso wie der heutige Iran, durfte ein Regime, das Israel offen mit der atomaren Vernichtung drohte, nicht in den Besitz von Kernwaffen gelangen (JR).

Der damalige irakische Diktator Saddam Hussein© MONA SHARAF / AFP

Von Carmen Shamsianpur (Israelnetz)

Anfang der Siebzigerjahre verstaatlichte Saddam Hussein – damals noch Vizepräsident des Irak – die Ölfirmen des Landes und schaffte damit die finanziellen Voraussetzungen für das irakische Atomprogramm. Für den Bau eines Reaktors musste alles eingekauft werden – das Material, das Knowhow und die Arbeiter.

Einen verlässlichen Bündnispartner fand der Irak in dem französischen Premier Jaques Chirac. 1975 wurde ein Atomabkommen zwischen Frankreich und dem Irak abgeschlossen. Frankreich verkaufte, baute und betrieb für den Irak dessen ersten Kernreaktor – natürlich zu rein zivilen Zwecken der Energiegewinnung, wie es hieß. Israel betrachtete das Programm mit Sorge. Es war offensichtlich, dass der ölreiche Irak keine zusätzlichen Energiequellen brauchte, noch dazu für mehrere hundert Millionen US-Dollar.

 

Ein Militärschlag sollte vermieden werden

1979 wurde Saddam Hussein Staatspräsident und Regierungschef. Er schaltete alle Opposition gegen seine Linie brutal aus, erging sich in Machtphantasien und antisemitischen Tiraden. Spätestens jetzt begann Israel, Szenarien für die militärische Zerstörung des Atomreaktors zu proben. Es sollte das letzte Mittel nach Ausschöpfung aller diplomatischen und weniger rabiaten Möglichkeiten sein. Der Friedensvertrag mit Ägypten war gerade erst geschlossen worden und Israel hatte kein Interesse an zusätzlichen Streitigkeiten mit arabischen Ländern. Zum eigenen Schutz wollte es den Militärschlag verhindern – und war am Ende aus demselben Grund doch dazu gezwungen.

Denn Frankreich ließ sich nicht umstimmen und der Irak wetterte weiter. Die gezielte Tötung eines oder mehrerer Atomphysiker, Spionage und Sabotageakte, selbst auf französischem Boden, konnten den Prozess nicht aufhalten. Am 6. April 1979 beschädigten Unbekannte zwei Reaktorkerne in den Hallen eines französischen Maschinenbauunternehmens in La Seyne-sur-Mer, kurz bevor sie in den Irak verschifft werden sollten. Trotzdem steuerte der Golfstaat erklärtermaßen weiter auf die Atombombe zu und verkündete öffentlich in den Zeitungen, dass diese für Israel bestimmt sei.

Laut Shaul Gabbay, dem Direktor des Instituts für Nahoststudien der Universität in Denver, Colorado, hatte der Irak sogar gegenüber dem Iran versichert, dass die zukünftige Bombe nur für das „zionistische Gebilde“ bestimmt sei und nicht gegen die Islamische Republik eingesetzt würde. Denn auch der Iran beobachtete die Bestrebungen Saddam Husseins mit Argwohn. Vielleicht war es nach der Islamischen Revolution im Iran das letzte Mal, dass Israel und der Iran ein gemeinsames Ziel verfolgten.

 

Israel und Iran hatten ausnahmsweise den selben Gegner

Als am 22. September 1980 der Iran-Irak-Krieg (Erster Golfkrieg) ausbrach, bombardierte der Iran den Reaktor nur eine Woche später. Die Operation hieß „Scorch Sword“ (brennendes Schwert) und war ein Fehlschlag. Die Anlage wurde nur leicht beschädigt und das irakische Nuklearprogramm lief ungehindert weiter. Noch war der Reaktor aber nicht mit Brennstäben gefüllt. Der israelische Angriff sollte stattfinden, bevor für die irakische Bevölkerung das Risiko einer nuklearen Katastrophe bestand. Viel Zeit blieb nicht.

Die israelische Luftwaffe begann ihre Planungen und bald schon konkrete Übungen bereits im Frühjahr 1980. Die Piloten mussten lernen, ihre Maschinen über lange Strecken unterhalb des feindlichen Radars zu fliegen, da Jordanien und Saudi-Arabien auf dem Weg in den Südosten des Irak lagen. Außerdem würden die Flugzeuge ungewöhnlich schwer und unhandlich zu lenken sein.

Zu diesem frühen Zeitpunkt kannte keiner der Piloten den Sinn ihrer waghalsigen Übungen. Noch hoffte die israelische Führung, dass ihre besonderen Fähigkeiten nie zum Einsatz kommen würden. Im April desselben Jahres stand die US-Luftwaffe vor einer vergleichbaren Herausforderung: Amerikanische Staatsbürger wurden in der Botschaft der USA in Teheran als Geiseln gehalten. Die Kampfhubschrauber, die in der Operation „Eagle Claw“ (Adlerklaue) zu ihrer Befreiung geschickt wurden, gerieten bei ihrem niedrigen Flug in einen Sandsturm. Die Mission scheiterte.

 

Angriff am Sonntag, um die Franzosen zu schonen

Israel geriet inzwischen immer mehr unter Zeitdruck und entschied, den Angriff auszuführen. Die irakische Anlage sollte im September in Betrieb gehen. Nach Möglichkeit, so hatten sich die Beteiligten verständigt, sollte der Angriff an einem Sonntag stattfinden, um Opfer unter den französischen Angestellten zu vermeiden. Sie würden dann ihren freien Tag haben. Noch wichtiger waren aber, wie „Eagle Claw“ gezeigt hatte, gutes Wetter und freie Sicht.

Im Sommer 1980 kam Israel unverhofft in den Besitz von F-16-Flugzeugen, die sich hervorragend für den Einsatz eigneten. Die Lieferung aus den USA war eigentlich für den Iran bestimmt gewesen, allerdings noch unter dem Schah. Durch die Islamische Revolution waren die Verträge hinfällig geworden und kamen jetzt Israel zugute. Mit diesen Kampfbombern übten nun acht Piloten unermüdlich den Einsatz. Mittlerweile hatten sie viele streng geheime Informationen erhalten und ein Bild von der Tragweite ihrer Aufgabe bekommen. Einer der acht, Generalmajor Amos Jadlin, sagte später: „Ich spürte die Last der Zukunft des Staates Israel auf meinen Schultern.“

Premierminister Menachem Begin (Likud) und der Mossad sahen im irakischen Atomprogramm eine existenzielle Bedrohung für den Staat Israel. Die acht Piloten waren Kinder und Enkel von Holocaustüberlebenden, dafür auserkoren, einen weiteren Vernichtungsversuch gegen ihr Volk zu verhindern. Sie wussten, dass sie ihren Einsatz möglicherweise nicht überleben würden. In diesem Fall hätten sie keine Möglichkeit gehabt, sich von ihren Familien zu verabschieden. Denn nicht einmal ihre Frauen durften ahnen, in welche Gefahr sie sich begeben würden. Aber sie wussten auch, dass ihr Scheitern das Ende des Staates Israel bedeuten konnte. Deswegen waren sie bis zum Tode entschlossen, das Unmögliche zu wagen. Einer von ihnen war der damals 26 Jahre alte Ilan Ramon, der später als erster Israeli im All bekannt wurde.

Das größte technische Problem war, die Flugzeuge für die lange Strecke mit Treibstoff zu versorgen. Der Tank einer F-16 reichte für den Flug bis Bagdad, aber nie und nimmer für den Rückflug. Eine Zwischenlandung auf feindlichem Gebiet war ausgeschlossen. So wurden die Flugzeuge schließlich mit Flügeltanks ausgestattet, was eigentlich verboten war. Denn so musste der explosive Treibstoff direkt neben den Bomben platziert werden. Außerdem bedeutete es zwei Tonnen zusätzliches Gewicht und einen Verzicht auf Verteidigungswaffen. Spätestens im irakischen Luftraum, wenn die Flugzeuge höher fliegen mussten, um ihr Ziel anzupeilen, rechneten die Militärs mit feindlichem Beschuss. Deswegen wurden den Jagdbombern noch sechs Flugzeuge vom Typ F-15 als Schutz zur Seite gestellt. Trotzdem war mit hohen Verlusten zu rechnen. Es war ein Himmelfahrtskommando.

 

Französischer Spion brachte Peilsender an

Am Sonntag, dem 7. Juni 1981, war es schließlich so weit. Die 14 Flugzeuge starteten am Nachmittag, ohne dass irgendjemand ahnte, was sich an diesem historischen Tag ereignen würde. Nur die wenigen Eingeweihten in Israel wussten Bescheid sowie vermutlich ein französischer Techniker im Irak, der für den Mossad einen Peilsender im Reaktor anbrachte. Um nicht einen einzigen Tropfen Treibstoff beim Rangieren zu vergeuden, wurden die Kampfjets in Startposition auf der Rampe aufgetankt.

Der Astronaut Ilan Ramon war einer der israelischen Piloten, die 1981 die irakische Atomanlage zerstörten.© NASA PHOTO / AFPr

Die Piloten hatten Schwierigkeiten, überhaupt abzuheben, so schwer waren die Maschinen. Das änderte sich erst, als die leeren Treibstofftanks über der saudischen Wüste abgeworfen wurden. Vermutlich liegen sie dort immer noch unter dem Sand. Die Piloten hielten die Flugzeuge bei einer Flughöhe von maximal 150 Metern beständig unter dem Radar. Zugleich flogen sie in so enger Formation, dass sie auf dem Radar als einzige große Passagiermaschine erschienen wären. Um diesen Eindruck zu erhärten, verständigten sich die Flieger über Funk mit dem nicht vorhandenen Bordpersonal.

So erreichten sie den Irak ohne Zwischenfälle. Wie durch ein Wunder begann auch dort der feindliche Beschuss erst kurz vor dem Ziel. Das irakische Militär war so beschäftigt mit dem Iran und rechnete so wenig mit einem Angriff aus dem Süden, dass dort wahrscheinlich eine Radarlücke unbeachtet geblieben war. Über dem Reaktor warf jedes der F-16-Flugzeuge zwei Bomben ab. Alle trafen ihr Ziel. Die ersten sprengten ein Loch in die Ummauerung, durch das die weiteren Bomben Treffer im Inneren des Reaktors erzielen konnten. Erstaunlicherweise wurde keines der Flugzeuge von der irakischen Artillerie getroffen, die völlig überrascht blindlings drauflosfeuerte.

Kurz darauf landeten alle Flieger unversehrt auf dem israelischen Luftwaffenstützpunkt Etzion, von wo sie nur etwa drei Stunden zuvor aufgebrochen waren. Der Reaktor war zerstört. Im Gefecht waren elf Menschen gestorben, zehn irakische Soldaten und der französische Techniker, der zum Mossad gehört haben soll. Es ist wahrscheinlich, dass einige von ihnen durch die irakischen Geschütze umgekommen sind. Etzion wurde kurz darauf im Rahmen des Camp-David-Abkommens an Ägypten abgetreten und ist heute der internationale ägyptische Flughafen „Taba“.

 

Internationale Kritik

Nach dem Angriff sah Israel sich scharfer Kritik von allen Seiten ausgesetzt. Der UN-Sicherheitsrat verurteilte den Angriff in der Resolution 487. Zuvor hatte der damalige irakische Außenminister Sa’adun Hammadi (Ba‘ath-Partei) vor dem Sicherheitsrat erklärt, dass „die israelische Aggression“ sich nicht in erster Linie gegen „die friedlichen Nuklearanlagen des Irak“ gerichtet habe, sondern dass der „zionistische Aggressor“ ein „Großisrael“ und die Vorherrschaft im gesamten Nahen Osten anstrebe. Außerdem wolle Israel den Irak daran hindern, die arabischen Nationen gegen die „Camp-David-Verschwörung“ zu versammeln. Der Irak sei „ein Vorreiter im Kampf gegen Kolonialismus, Rassismus einschließlich Zionismus und alle anderen Formen der Beherrschung“. Israel wolle den neuen Irak und alles, wofür dieser stehe, zersetzen. Aber dieses Ziel sei unzerstörbar.

Viele arabische Länder schlossen sich dieser Deutung an, und auch westliche Länder verurteilten Israel. Denn immerhin habe es keine eindeutigen Beweise für ein irakisches Atomwaffenprogramm gegeben.

 

Irakische Angriffe, obwohl keine gemeinsame Grenze existiert

Israel war das Risiko internationaler Verurteilungen eingegangen und wird dies auch in Zukunft tun müssen. Der israelische Staat kann es sich nicht leisten, abzuwarten, ob arabische (oder iranische) Despoten ihre Drohungen wahrmachen oder nicht. Der Irak hatte Israel schon mehrfach in früheren Kriegen angegriffen, auch im Unabhängigkeitskrieg 1948, obwohl es gar keine gemeinsame Grenze gibt. Saddam Hussein war ein Diktator, der sich nicht um Menschenleben scherte und westlichen Demokratien feindlich gegenüberstand. Niemand unter den Empörten, weder die arabischen noch die westlichen Länder, wollte Atomwaffen in der Hand eines solchen Regimes sehen.

 

Spätestens als Saddam Hussein im August 1990 in Kuwait einmarschierte und damit den Zweiten Golfkrieg auslöste, konnten die USA sich glücklich schätzen, dass sie keiner Nuklearmacht gegenüberstanden. 1991 bombardierten die USA dann ihrerseits das Atomforschungszentrum „Tuwaitha“, die weitläufigen Anlagen, die neben dem Osirak-Reaktor intakt geblieben waren und weiterbetrieben wurden. Der amerikanische Militärschlag war sehr viel größer – mit 56 F-16-Bombern allein beim ersten Angriff. Zudem war er weniger begründet: Eines der stärksten Argumente waren tonnenweise Lieferungen von angereichertem Uran, die allerdings 1980 begonnen hatten und auch von Israel als Begründung angeführt worden waren. Trotzdem blieb der internationale Aufschrei dieses Mal aus. Es ist nicht auszudenken, was das nukleare Potential in den Händen der Terrororganisation „Islamischer Staat“ bedeutet hätte, der 2014 bis 2017 Teile des Irak kontrollierte. Womöglich hat der israelische Präventivschlag der Welt einige Katastrophen erspart.

Israel wird auch weiterhin alles tun, damit Länder, die dem jüdischen Staat mit Auslöschung drohen, nicht in den Besitz von Atomwaffen gelangen. Tausende vom Iran finanzierte Hamas-Raketen aus dem Gazastreifen zeigen deutlich, dass der Iran nicht bei Kriegsrhetorik stehenbleibt. Sein Atomprogramm ist nachweislich sehr viel weiter gediehen, als es das irakische je war. Israel wird sich wehren. Auch wenn sich deswegen die ganze Welt über Israel empört, wird es ihr am Ende zum Besten dienen.

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