Mansour Abbas: Das Kuckucks-Ei des„Ministerpräsidenten um jeden Preis“, Naftali Bennet

Seit dem Antritt der neuen israelischen Links-Regierung unter Bennett und Lapid gibt es zunehmend Probleme mit den zum Zwecke der merkwürdigen Koalitionsbildung gemachten zahlreichen Konzessionen an den neuen arabischen Bündnispartner (JR).

Mansour Abbas, der Anführer der arabischen Ra'am-Partei in Israel© Abir SULTAN / POOL / AFP

Von Antje C. Naujoks

Wegen der Stimmverweigerung des Ra’am-Abgeordneten Said al-Kharumi fiel der Regierungsantritt blamabel aus. In dem Stil ging es weiter. In den wenigen Wochen seit Vereidigung musste die Koalition mehrmals beschämende wie alarmierende Abstimmungsschlappen einstecken.

Dabei sorgte keineswegs nur die bewusst gegen eigene Einstellungen abstimmende Opposition für Hingucker, sondern vor allem Ra’am, die Vereinigte Arabische Liste, die sich als erste arabische Partei in Israels Geschichte tolerierend an die Seite der Regierungskoalition stellte.

 

Schmerzgrenzen

Ra’am legte einen wechselhaften Abstimmungsmodus an den Tag. Dass Mansour Abbas und ein weiterer Ra’am-Abgeordneter trotz Protest letztlich für den Erlass zur Unterbindung der Familienzusammenführung israelischer und palästinensischer Araber stimmten, bügelte die Schlappe nicht aus.

Das Votum der anderen beiden Ra’am-Abgeordneten sorgte nämlich dafür, dass der Erlass erneut durchfiel. Für die Koalition, die zur regierungsfähigen Mehrheit auf die Stimmen dieser vier Abgeordneten angewiesen ist, warf das lange Schatten auf die Zuverlässigkeit dieses Partners.

Hinzu kamen Statements, darunter vom Ra’am-Abgeordneten Ghanaim Mazen, die erneut die Alarmglocken läuten ließen: „Gaza, Libanon sowie die muslimischen und christlichen Heiligen Stätten [in Jerusalem] sind unsere Schmerzgrenze.“ Noch schärfer fielen die ablehnenden Ra’am-Töne anlässlich jüdischer Besucher des Tempelberges zum Tisha BeAv aus, wenn Juden der Zerstörung der Tempel gedenken.

 

Eine Koalition im Würgegriff

Als die Koalitionsleitung Sondierungsgespräche mit anderen arabischen Knesset-Mitgliedern aufnahm, die gegenwärtig die einzige Alternative sind, die Koalitionsmehrheit auszubauen, ging der Ra’am-Abgeordnete Walid Taha umgehend in den Strafandrohungsmodus. Vorerst werde Ra’am die Arbeit in allen Komitees einstellen und Plenarsitzungen fernbleiben.

Ra’am ließ durchblicken, auch vor weiteren Koalitionskrisen nicht zurückzuschrecken. Man will sich die Machtposition nicht nehmen lassen; schon gar nicht von der anderen arabischen Knesset-Partei, deren Abgeordnete zu Ra’ams schärfsten Kritikern zählen und von denen sich Ra’am weiterhin distanziert, indem es betont, der (einzige) „legitime Player“ zur Durchsetzung der Belange der arabischen Gemeinschaft zu sein.

Um den Ra’am-Partner bei der Stange zu halten, gab die Koalitionsleitung grünes Licht, einige vertragliche Zusicherungen früher als geplant umzusetzen. Nicht wenige sahen darin ein Einknicken. Noch mehr Verstimmung kam auf, als sich Ra’ams die Koalition auf die Probe stellender Abstimmungsmodus nicht änderte.

 

Trickreiches Knesset-Parkett

Ausgerechnet in dieser Atmosphäre musste Mansour Abbas, der als Mann des Kompromisses gilt, eingestehen, in Sachen Cannabis keine Möglichkeit für Zugeständnisse zu sehen. Somit stand der Koalition sogar bei einer vermeintlich „leichten parlamentarischen Übung“ wie der Lockerung des Strafmaßes für Marihuana-Besitz erneut eine Blamage in Aussicht.

Aber Mansour Abbas ist nun einmal Mansour Abbas: „Auch wenn Cannabis einerseits eine [laut islamischem Gesetz] verbotene Droge ist, so möchten wir andererseits die Auswirkungen dieses Gesetzes für die gesamte Gesellschaft analysieren.“ Daher bat er um eine zweiwöchige Vertagung der Abstimmung. Ra’am hatte den Kopf aus der Schlinge gezogen; vorerst zumindest.

Obwohl Katerstimmung herrschte, wurde von den Koalitionspartnern betont: „Die Beziehungen sind bestens.“ Alle würden Neuland beschreiten und lediglich etwas mehr Zeit brauchen, um einen Arbeitsmodus zu finden.

 

Der Weg des Mansour Abbas

Im Herbst 2019 rückte das angesehene Mitglied der Islamischen Bewegung Israels, Mansour Abbas, mit einem Paukenschlag ins Bewusstsein der israelischen Öffentlichkeit: Er habe keine Probleme, sich einer Netanjahu-Koalition anzuschließen, erklärte er damals.

Unter seiner Leitung schlug Ra’am einen bislang von einer arabischen Partei nie zuvor beschrittenen Weg ein, denn es galt als absolutes Tabu, sich an einer israelischen Regierung zu beteiligen. Das würde nämlich bedeuten, auch Entscheidungen rund um Besatzung und Krieg mittragen zu müssen. Ra’am brach mit diesem grundsätzlichen Tabu einer arabischen Nichtbeteiligung, sicherte sich als tolerierende Partei somit die Möglichkeit, bezüglich Themen, die für arabische Kreise von Relevanz sind, Einfluss geltend zu machen, im Hinblick auf andere Themen zugleich jedoch Distanz wahren zu können.

Viele Betrachter heben am Weg von Ra’am das beständige Hin und Her hervor, das über das Ausspielen einer Machtposition als „Zünglein an der Waage“ hinauszugehen schien: Nach der Wahl hielt man sich alle Türen offen, redete mit dem Likud, liebäugelte zweigleisig fahrend auch mit Lapid und Bennet, setzte bei Raketen- und Bombendonner Gespräche aus, strauchelte während der Unruhen wegen versöhnlicher Gesten, nur um schlussendlich doch mit Bennett-Lapid zu gehen.

Nicht wenige deuten diesen Weg – erst recht nach den ersten Wochen parlamentarischer Arbeit – nicht nur als von Unzuverlässigkeit zeugend, sondern auch als mit versteckten politischen Interessen gekoppelt und von Skrupellosigkeit kündend; vor allem weil Mansour Abbas auch jetzt noch zugibt, dass er den neuen Weg lieber an Netanjahus Seite beschritten hätte.

Zwei Aspekte fördern dabei interessante Facetten des Mansour Abbas‘ wie auch seiner Islamischen Bewegung Süd zu Tage.

 

Dogmatischer Pragmatiker

Der 47-jährige dreifache Familienvater Mansour Abbas wandte sich mit 16 Jahren dem Islam zu. Schnell wurde er als „Koran-Wunderkind“ bezeichnet, weil er die 114 Suren auswendig kennt. Mit 17 Jahren hielt er bereits Predigten in der örtlichen Moschee seines Dorfes Maghar im Norden Israels, in dem Drusen und Christen die Mehrheit der Einwohner stellen.

Während der Zeit seines Zahnmedizinstudiums in Jerusalem (approbiert 2001) erlangte er in der Islamischen Bewegung Ansehen als sogar in schwierigsten Konflikten mit Geschick erfolgreich vermittelnder Mediator.

Als Vorsitzender der Arabischen Studentenvereinigung der Hebräischen Universität Jerusalem machte er Ende der 1990er Jahre Furore, weil er den hochgradig theoretisch-ideologischen Debatten seiner Kommilitonen die praktische Arbeit entgegensetzte. Damals erachtete er als vorrangig, die Studienbedingungen arabischer Studenten zu verbessern.

Mit diesem praktischen Ansatz fiel er in den mehrheitlich säkularen Kreisen arabischer Studenten ebenso auf, wie wegen seiner Frömmigkeit, dies jedoch im Stil des moderat-modernen Islam (Wasat).

 

Israels Islamische Bewegung

Mansour Abbas hält viel auf Scheich Abdullah Nimar Darwish, der die Islamische Bewegung Israels 1971 gründete und im Verlauf von zwei Jahrzehnten leitete, zeitweilig wegen terroristischer Aktivitäten in Haft sitzend. Nachfolgend gehörte Darwish, mit dem Mansour Abbas bis zu dessen Tod 2017 eng befreundet war, zu denjenigen, die Terrorakte israelisch-arabischer Bürger verurteilten, die Oslo-Abkommen begrüßten und sich sogar im interreligiösen Dialog engagierten.

1996 gewannen in der Islamischen Bewegung Darwishs die Befürworter eines Gangs in die israelische Parlamentspolitik die Oberhand. Die Gegner schlossen sich zum Ableger Nord zusammen, der immer radikaler wurde, was Israel 1995 zu einem Verbot veranlasste.

Der als gemäßigt einzustufende Ableger Süd, dessen stellvertretender Generalsekretär Mansour Abbas 2007 wurde, um 2010 zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt zu werden, ist seither durch Ra’am in der israelischen Politik vertreten.

 

Wenn Religion Politik macht

Doch auch wenn Mansour Abbas nach außen tonangebend zu sein scheint, so steht er nicht alleine da, denn: Wie in islamischen Bewegungen üblich hat bei allen Entscheidungen der Schura-Rat mehr als nur ein Wörtchen mitzureden.

Auch in das Verfassen der Reden des Mansour Abbas ist nicht nur sein massiv in Richtung Legitimierung in der jüdischen Gesellschaft Israels strebender Kampagnenmanager Aaed Kayal, sondern immer auch der Leiter der politischen Abteilung der Islamischen Bewegung Ibrahim Hajaji involviert, der die Bremse zieht und dennoch im Namen des Schura-Rates Rückendeckung gewährt.

Man muss es als eine Fortsetzung der moderaten Linie der Islamischen Bewegung Süd ansehen, dass der Schura-Rat seine Zustimmung zu Ra’ams Sprung an die Seite der Regierung gab. Doch es gibt sogar in Kreisen arabischer Bürger Israels, die sich als (streng)gläubig bezeichnen, nicht wenige, die wegen dieser Struktur Magenschmerzen haben.

Organisatorisch ist die Bewegung nach dem Konzept der Muslimbruderschaft aufgebaut, wozu u.a. auch das Wirken in den Bereichen Da’awah („Einladung“, sich dem Islam anzuschließen) und Wohlfahrt gehört. Schon seit Jahren häufen sich die Hinweise, dass auf diese Weise letztlich nicht nur sozial Gutes getan wird, sondern gesellschaftliche Realitäten geschaffen und handfest Politik gemacht wird, die einen zunehmenden Druck auf die gesamte muslimische Gesellschaft ausübt.

Solche Kreise sehen den Segen, den der Schura-Rat Abbas‘ Bekenntnis zu Israel in Nazareth gab, als wohlkalkulierten Schachzug, um nach Etablierung im jüdischen Israel die eigentliche Agenda durchzusetzen, die vielen arabischen Bürgern Israels nicht wirklich geheuer ist.

 

Drahtseilakt …

Mansour Abbas beharrt darauf, Probleme der Lebensrealität seiner arabischen Gemeinschaft praktisch angehen zu wollen. Er wird allerdings dabei selbst auch in der Realität ankommen müssen, denn als tolerierende Partei einer Koalition von Partnern, die u.a. LGBT- und Frauenrechte vorantreiben wollen, wird er wieder und wieder in Zwickmühlen geraten, die ihn auf dem eigenhändig in luftigen Höhen gespannten Drahtseil ins Straucheln bringen werden.

Einerlei wie aufgeschlossen er selbst als Mensch, als Mann und als Muslim auch eingestellt sein mag, er muss bei seinem Drahtseilakt nicht nur die Schwingungen überstehen, die seine Koalitionspartner verursachen. Auch die Islamische Bewegung wie die arabische Wählerschaft insgesamt drehen an der Drahtseilspannung.

Dass Ra’am bei der Wählerschaft trotz Mansour Abbas‘ Netanjahu-Affinität punkten konnte, ist u.a. darauf zurückzuführen, dass seit 2019 immer mehr arabische Bürger des Landes dazu tendieren, eine Beteiligung an einer israelischen Regierung zu befürworten. Zu sehr machen die Probleme zu schaffen, die man, das schwant inzwischen fast allen, nicht mehr in den Griff bekommen wird, ohne bei den diesbezüglichen Entscheidungen auch mitzuwirken.

Vergessen darf man allerdings nicht, dass Abbas‘ arabischer Gegenspieler, die Vereinigte Liste, weiterhin mehr Knesset-Mandate errichte als seine Ra’am-Partei. Gerade diese Partei hat in der arabischen Öffentlichkeit Israels eine umfassende Ra’am-Delegitimationskampagne eingeläutet, die u.a. dafür sorgt, dass Ra’am umso lauter auf den Tischt pocht, was das Thema Jerusalem betrifft.

 

… ohne Sicherheitsnetz

Mansour Abbas hat nur eine einzige Chance, seinen Drahtseilakt zu überstehen und auf der anderen Seite anzukommen: Er muss abliefern und handfeste Ergebnisse einfahren. Geht es um das Thema Kampf gegen illegale Waffen und Bandenkriminalität stehen seine Chancen gegenwärtig trotz aller Koalitionsmisstöne extrem gut. Noch nie in der israelischen Geschichte genehmigten verschiedene Ministerien innerhalb von so wenigen Tagen einen vorgelegten Aktionsplan und begannen umgehend damit, bürokratische Hürden zu beseitigen und erste Finanzhilfen auszuschütten.

Und dennoch: Das sind lediglich kleine Schritte auf einem Drahtseil, von dem einige behaupten, dass Mansour Abbas auf ihm zudem noch ohne Sicherheitsnetz und über einem gut gespickten Minenfeld balanciert.

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