Klein, aber fein

Die Juden sind ein sehr kleines Volk und wurden über Jahrtausende durch viele Schicksalsschläge, Verfolgungen und den schrecklichen Holocaust noch weiter dezimiert. Ihrer Bedeutung für die Geschichte und ihrem immensen Einfluss auf die ethische Entwicklung der Menschheit hat das keinen Abbruch getan (JR).

Ben-Jehuda-Straße, Jerusalem

Von Michael Selutin

In unserem Thora-Wochenabschnitt, W’etchanan, kommt ein kleiner Vers vor, der sehr leicht zu übersehen, aber von großer Bedeutung ist:

„Nicht deshalb, weil ihr zahlreicher wärt als alle Völker, hat der Herr sein Herz euch zugewandt und euch erwählt – denn ihr seid das geringste unter allen Völkern.“ (5. Mose 7,7)

Das geringste unter allen Völkern kann sich auf die Zahl der Menschen beziehen, aber auch auf die Stellung des Volkes, das von anderen Völkern im Laufe der Geschichte oft als geringer gesehen wurde sowie auf die eigene Einstellung des Volkes, das sich selbst als nicht besonders hoch einschätzt. Diese historischen Wahrheiten werden in nur einem kleinen Vers in der Bibel beschrieben.

Dass das jüdische Volk zahlenmäßig so gering ist, ist heute vielleicht am deutlichsten zu erkennen. In Israel leben etwa 7 Millionen Juden und weltweit sind es etwa 15 Millionen. Das Leben der Juden in den letzten 2000 Jahren war nicht besonders einfach und Pogrome, Kreuzzüge, Holocausts und die allgemeine Unterdrückung der Juden in den jeweiligen Ländern, all das hat die Zahl des Volkes gering gehalten.

 

Das Mädchen in Erbil

Ich hatte vor kurzem einen Ausschnitt eines Buches von Israel Joseph Benjamin gelesen, der das Leben der Juden im Nahen Osten Mitte des 19. Jahrhunderts beschreibt. In diesem Ausschnitt beschreibt er eine Szene in Erbil, dem kurdischen Teil des heutigen Iraks:

„Kurz vor meiner Ankunft leerte ein jüdisches Mädchen etwas schmutziges Wasser auf die Straße und besprengte damit versehentlich einen Muselmanen, der zufällig vorbeikam. Sofort versammelte sich eine Menschenmenge vor dem Haus, brach die Tür auf, ergriff das Mädchen und überhäufte sie mit allerlei Beschimpfungen; man fragte sie, wie sie, die Tochter einer verfluchten Rasse, es wagen könne, einen wahren Gläubigen zu beleidigen. Das Mädchen verteidigte sich nach Kräften, aber der Anführer des Aufruhrs rief ihr zu: ‚Es gibt nur einen Weg für deine Rettung, nimm unseren Glauben an, und du sollst einen aus unserem Volk heiraten, der jung, gutaussehend, reich und aus guter Familie ist.‘ Aber das Mädchen weigerte sich und antwortete: ‚Ich bin eine Jüdin, so geboren, und als solche werde ich sterben; niemals werde ich meinen Gott, mein Volk und meinen Glauben verleugnen. Wenn ihr mich tötet, wird Gott mein Blut von euch fordern, und der Herr wird mich rächen.‘ – Daraufhin ergriffen sie sie und töteten sie vor den Augen ihrer Eltern, indem sie sie mit ihren Messern erstachen und in Stücke rissen. Die Gemeinde wollte zunächst eine Klage beim Pascha von Bagdad und danach in Konstantinopel einreichen, aber aus Furcht vor weiteren Verfolgungen und einem allgemeinen Massaker sahen sie davon ab.“

 

Mischehen

Juden lebten also nicht nur in Europa unter ständiger Lebensgefahr, auch in den moslemischen Ländern wurden sie schwer unterdrückt. Heute jedoch könnte man meinen, dass das jüdische Volk in Israel und dem relativ sicheren Leben in der Diaspora zahlenmäßig stark zunehmen würde, aber irgendwie ist das nicht der Fall, was wahrscheinlich an der hohen Rate der Mischehen in den USA liegt, wo 5,7 Millionen Juden leben. Es scheint ein göttliches Dekret zu sein, dass das jüdische Volk klein bleibt.

Der oben genannte Vers sagt uns jedoch, dass das nicht so schlimm ist, wir sind klein, aber Gott ist auf unserer Seite und auch weltlicher Erfolg scheint nicht von der Zahl der Bürger abzuhängen, wie Israel immer wieder zeigt.

Die wirtschaftlichen, technologischen, medizinischen (und sportlichen) Erfolge Israels sind im Vergleich zu zahlenmäßig viel größeren Ländern ein regelrechtes Wunder und vielleicht wird uns dies irgendwann ermöglichen auch ein großes und kein geringes Volk zu werden. Ich mit meinen vier Kindern leiste leider nur einen kleinen Beitrag zum Bevölkerungswachstum Israels, aber ich bin mit denen schon überfordert. Es sind übrigens noch 5 Wochen, 4 Tage und 13 Stunden, bis die Ferien zu Ende sind und die Kinder endlich wieder in Schulen und Kindergärten gehen.

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