Israels berechtigte Angst vor der fünften Kolonne: Der Fall Yaqoub Abu al-Qian

Illoyalität und tiefsitzender Hass gegen Juden kennzeichnen nicht geringe Teile des arabischen Bevölkerungsanteils des jüdischen Staates. Die internen Ausschreitungen während des Raketenterrors aus Gaza haben die daraus resultierende Bedrohung für die innere Sicherheit Israels noch einmal deutlich belegt (JR).

Zahlreiche Moslems wissen, dass sie in Israel einen höheren Lebensstandard und mehr Freiheiten genießen als in den arabischen Nachbarländern - doch einige von ihnen wissen dies nicht zu schätzen.© HAZEM BADER / AFP

Von Antje C. Naujoks

Noch nie in der Geschichte Israels waren Vertreter der arabischen Minderheit in ähnlichem Ausmaß in das Regierungshandeln eingebunden – für alle gewöhnungsbedürftiges Neuland, das für jüdische Israelis viele Fragezeichen mit sich bringt. Der Weg, den der muslimisch-beduinische Unternehmer Yaqoub Abu al-Qian einschlug, führt vor Augen, dass Bedenken nicht unbegründet sind.

 

Israelische Chancen

Der 46-jährige Abu al-Qian wuchs mit mehreren Geschwistern in einer Wellblechhütte auf, ohne Strom und fließend Wasser. Trotz entstehender Planstädte für Beduinen zog es sein Stamm vor, in dem Gebiet zu verbleiben, das er 1956 von der Militärverwaltung zugesprochen bekommen hatte. Abu al-Qian wuchs in der Region Wadi Yatir auf, 40 Kilometer nordöstlich von Be’er Scheva. Weil Israel auf Schulpflicht auch für Beduinen ohne festen Wohnsitz besteht, besuchte er bis zum Abschluss der 10. Klasse die Schule.

Als 16-Jähriger suchte er sich zunächst eine Arbeit in der Landwirtschaft. Schnell stellte er fest, dass ein Kleinbusfahrer, der die Arbeiter zu den Feldern brachte, mehr verdiente als er. Somit führte ihn sein Weg als Unternehmer von einem zu mehreren Minibussen, dann zur Gründung einer Firma für Zeitarbeitskräfte, um schließlich den Sprung ins Baugewerbe zu wagen. Längst ist er ein in vielen verschiedenen Sektoren wirkender Millionär. Sein jährliches Geschäftsvolumen soll sich auf rund 100 Millionen Schekel (26 Mio. Euro) belaufen.

 

Vom „jordanischen Schloss“ hinter schwedische Gardinen

In der beduinischen Kleinstadt Hura, die zu den sozioökonomisch schwächsten Orten Israels zählt, jedoch nahe der Ländereien liegt, die einst Abu al-Qians Zuhause waren, erbaute er eine hochherrschaftliche Villa. Obwohl er das vergoldete Interieur des Erdgeschosses aus Ägypten importierte, nennt er sie sein „jordanisches Schloss“. Inzwischen kann er seine Villa nur noch als Meldeadresse, aber nicht mehr als Wohnadresse bezeichnen – denn er sitzt in Haft.

Landesweite Schlagzeilen machte Abu al-Qian erstmals vor fünf, sechs Jahren wegen seiner Karriere zum Selfmade-Millionär. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er bekannt, als er von arabischen Politikern des Landes forderte, den politischen Einsatz für die „palästinensischen“ Brüder und Schwestern zurückzustellen, um vorrangig die Probleme der eigenen Gemeinschaft anzugehen. Da kaum ein arabischer Abgeordneter seine politische Arbeit nicht irgendwie mit der „palästinensischen Sache“ verknüpft, war Abu al-Qians Forderung höchst ungewöhnlich.

 

Kehrtwende

Statt sich in einer der arabischen Partei zu engagieren, schloss sich Abu al-Quian der Partei Telem des Ex-Generalstabs- und -Verteidigungsministers Moshe (Bogie) Ya’alon an. Als er 2019 wegen eines aussichtslosen Listenplatzes nicht in die Knesset kam, wurde es still um ihn. Umso mehr stutze man, als er während der jüngsten Eskalationsrunde zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen im Mai 2021 mit unzähligen Posts in den sozialen Medien „den Kampf um Al-Aqsa“ ebenso wie die Hamas bejubelte.

Als nur wenig später bekannt wurde, dass er in Untersuchungshaft sitzt, kursierten schnell Verschwörungstheorien: Untersuchungshaft wegen seiner Äußerungen in den sozialen Medien? Insbesondere Beduinen spekulierten, Abu al-Qian solle etwas anhängt werden. Die Gerüchteküche lief umso mehr auf Hochtouren, als die arabische Partei Ra’am sich zu genau dieser Zeit der neuen Vielparteienkoalition an der Regierung anschloss.

Erst rund einen Monat später, Mitte Juli 2021, kam ans Tageslicht, warum Abu al-Qians Facebook-Konto schon vor Wochen gelöscht worden war und er noch immer in U-Haft saß: Der Verdacht des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shabak, dass Abu al-Qian mit einem libanesisch-irakischen Mann namens Haider al-Mashhadani in fortwährendem Kontakt gestanden hatte, erhärtet sich ebenso wie die Erkenntnis, dass dieser Verbindungen zum iranischen Geheimdienst gehabt habe.

 

Verstummte Solidarität

Während einige aus der beduinischen Gemeinschaft weiter an Verschwörungstheorien festhielten, mutmaßten andere, dass Abu al-Qian einfach nur gutgläubig auf etwas hereingefallen sei. Zu gerne habe er schließlich nicht nur mit seinem Reichtum geprahlt, sondern auch zur Schau gestellt, dass er mit seiner Ehefrau Nummer zwei und den Kindern im jüdischen Örtchen Meitar wohnt, um die gemeinsamen Söhne möglichst gut in die jüdische Gesellschaft zu integrieren.

Wenngleich vielen aufstieß, dass dieser gläubige Muslim nur mäßig durch wohltätige Arbeit aufgefallen war und andere nicht begeistert waren, dass Abu al-Qian in Polygamie lebt, wahrte man darüber nach außen Schweigen – schließlich hält man als Minderheit zusammen. Inzwischen herrscht umfassendes Schweigen, auch die Gerüchteküche ist verstummt; keiner will mit der Affäre in Zusammenhang gebracht werden.

 

Betretenes Schweigen

Zu den Ermittlungsergebnissen des Shabak schweigen ebenfalls zwei Ex-Generalstabschefs, deren Namen auf das Engste mit dieser Affäre in Verbindung stehen. Weder der inzwischen aus der Politik ausgeschiedene Moshe (Bogie) Ya’alon äußerte sich dazu, dass Abu al-Qian Information zu ihrer Beziehung und somit zu gehobenen Regierungskreisen weitergab, noch kommentierte Benny Gantz, dass Abu al-Qian die Termine und Aufenthaltsorte des amtierenden Verteidigungsministers weitergeleitet haben soll.

Abu al-Qian wird zudem zur Last gelegt, Treffen mit weiteren „Geschäftsmännern“ erbeten zu haben, obwohl er Kenntnis hatte, dass es sich um Iraner handelt. Dass diese Zusammenkünfte nie stattfanden, entlastet ihn wenig. Bedenkt man, dass um die Zeit, als Abu al-Qian seine Kontakte pflegte, das Mobiltelefon von Gantz gehackt wurde, so wird klar: Israel hat immer mit allen Eventualitäten zu rechnen.

Rundumschlag gegen Israels Araber?

Der Fall Abu al-Qian scheint die Befürchtungen der jüdischen Gesellschaft Israels zu bestätigen, dass man nicht auf die Loyalität der arabischen Bürger des Landes bauen könne. Es steht außer Frage, dass das Sicherheitsrisiko für Israel enorm hoch ist. Doch schützt sich Israel, so wird das immer wieder als Bestätigung dafür angeführt, dass nicht alle Bürger gleichbehandelt werden. In diesem Zusammenhang sollte man einen Blick auf einen sich parallel zu den Ermittlungen gegen Abu al-Qian zusammenbrauenden Sturm um die arabische Abgeordnete der Arbeitspartei Ibtisam Mara’ane-Menuchin werfen.

Gegen die Ernennung dieser Abgeordneten in den Ausschuss für Auswärtiges und Verteidigung begehrte vor allem die Opposition auf, die Mara’ane-Menuchin u.a. eine Nähe zu terroristischen Kreisen unterstellt. Sie selbst verstand die Aufregung um ihre Ernennung nicht, „schließlich geht es ebenfalls um meine Sicherheit“, meinte sie. Sie hat durchaus recht, denn weder Terroristen noch Raketen unterscheiden zwischen jüdischen und arabischen Staatsbürgern Israels, doch zugleich kam ihr keine Verurteilung der Hamas-Angriffe auf israelische Zivilisten über die Lippen.

Solche Haltungen lassen israelische Alarmglocken schrillen. Doch Israel ist, ob man es nun wahrhaben möchte oder nicht, eine Demokratie, deren Gewaltenteilung dazu beinträgt, dass nicht auf Gutdünken mit zweierlei Maß gemessen werden kann. Der Oberste Gerichtshof ordnete nämlich an, dass Mara’ane-Menuchins Ernennung in diesen Ausschuss, der über sensibelste Angelegenheiten berät, zulässig ist.

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