„Meine Stimme ist ernst und voller Schlaglöcher“
Neil Diamond, der jüdische Elvis. (Aus unserer Reihe jüdische Singer-Songwriter, Teil 5)
Neil Diamond aus New York © Wikipedia
Neil Leslie Diamond, 1941 geboren als Sohn russisch-polnischer Emigranten aus dem gutbürgerlichen, jüdischen Brooklyn stammend, ist ausgestattet mit einem breiten musikalischen Spektrum: Rock, Blues, Pop, Folk, Country, Musical-Melodien und World Beat-Einflüsse. Er hat in seiner musikalischen Karriere, die sich über fünf Jahrzehnte erstreckt, fast alles erreicht: Über 130 Millionen verkaufte Alben weltweit, 37 Top-10-Singles und 16 Top-10-Alben. Der Sänger, Interpret und Songschreiber startete seinen kometenhaften Aufstieg bereits Mitte der 1960er Jahre als Hitkomponist. Er hatte vor allem in den späten 1960er und in den 1970er Jahren Top-Ten-Hits wie „Sweet Caroline“, „I Am… I Said“, „Song Sung Blue“ und „Cracklin’ Rosie“.
Neil Diamond musste stets mit Vorurteilen kämpfen, wurde „jüdischer Elvis“ gerufen, nicht immer schmeichelhaft gemeint. Jahrelang musste der „jüdische Cowboy“ in seiner Heimatstadt New York bei Musikverlegern Klinken putzen, bis man merkte, was er zu bieten hatte: die wohl melodramatischsten Popsongs dies- und jenseits des Atlantiks.
Alles fing mit einer Gitarre an, die Neil Diamond als Geschenk zu seinem 16. Geburtstag erhielt. Auf der High School sang er Seite an Seite mit Barbra Streisand im Chor. Die Künstlerszenerie von Greenwich Village, wo auch Bob Dylan seine ersten Auftritte hatte, faszinierte ihn. Das Medizinstudium warf er hin für das Angebot, für 50 Dollar pro Woche Songs zu schreiben. Doch diese Jobs waren nicht von Dauer: die Musikverleger heuerten und feuerten ihn.
1997 wurde in den USA sein Lied „Sweet Caroline“ erstmals zu Beginn eines Football-Spiels gespielt. In der Folgezeit entwickelte sich das Abspielen von „Sweet Caroline“ zu Beginn US-amerikanischer Footballspiele zu einer Tradition mehrerer Football-Teams. Es wurde zur Stadion-Hymne. Mittlerweile geschieht dies auch bei europäischen Fußball-Teams. „Sweet Caroline“ wird vor jedem Heimspiel der irischen Nationalmannschaft im Stadion gespielt – und das Publikum singt lautstark mit.
Neil Diamond wuchs im New Yorker Stadtteil Brooklyn in einer polnisch-russischen-jüdischen Einwandererfamilie auf. In den frühen 1960er Jahren arbeitete er zunächst als Songwriter mit eher bescheidenem Erfolg. Mit dem Titel „I’m a Believer“, den er den „Monkees“ zur Verfügung stellte, hatte er seinen ersten Welterfolg, ein Millionenseller. Dann folgten die bekannten eigenen Hits, die auch im Repertoire zahlreicher anderer Popgrößen wie Roy Orbison, Elvis Presley, Frank Sinatra, Shirley Bassey, Harry Belafonte, Engelbert Humperdinck, Julio Iglesias, Tom Jones, Daliah Lavi, Tina Turner oder Johnny Cash zu finden waren bzw. sind. Als erfolgreichster Song, der von ihm gesungen, aber nicht von ihm geschrieben wurde, gilt „He Ain't Heavy… He's My Brother“, ein Platz-20-Hit aus dem Jahr 1970, den zuvor die „Hollies“ aufgenommen hatten. 1977 veröffentlichte er den Song „You Don’t Bring Me Flowers“ auf dem Album „I'm Glad You're Here With Me Tonight“. Der Song wurde von Barbra Streisand auf ihrem Album „Songbird“ gecovert. Ein Radio-DJ mixte beide Versionen zusammen und sorgte damit für Aufsehen. Diamond und Streisand nahmen das Lied schließlich gemeinsam neu auf. Diese Aufnahme wurde ein weiterer Nr.-1-Hit.
Selbstzweifel und das Mädchen von der Autovermietung
Die ersten Erfolge stellten sich nur mühsam ein, und er begann an sich zu zweifeln. Diamond erinnert sich: „Am Anfang war ich ganz auf mich allein gestellt. An jedem neuen Konzertort musste ich mit einer neuen Band üben. Ich musste sogar mein Hotelzimmer selbst buchen. Es war schon hart. In San Francisco versuchte ich, ein Auto zu mieten. Ich hatte keine Kreditkarte und das Mädchen am Schalter lehnte meine Anfrage ab. Zufällig lief gerade der ‚Solitary Man‘ im Radio. Ich konnte sie davon überzeugen, dass ich der Sänger sei. Ich sang ihr sogar einige Takte vor und bekam das Auto.“
Vor der Veröffentlichung von „Solitary Man“ dachte Neil Diamond ernsthaft darüber nach, sich einen Künstlernamen zuzulegen. „Noah Kaminsky“ oder „Eice Chary“ würden interessanter klingen, so seine Idee. Dann starb seine Großmutter und die Entscheidung, ob Noah oder Eice, wurde auf später verschoben. Es blieb bei Neil Diamond…
Auf seinem Album von 2009 „A Cherry Cherry Christmas“ coverte Diamond den bekannten Musiktitel „The Chanukah Song“ des Comedian Adam Sandler. Das Musikvideo dazu wurde von DJ Ashba, Gitarrist bei Guns N’ Roses, produziert. Neil Diamond lieferte hier ein Musikwerk rechtzeitig zum achttägigen jüdischen Fest Chanukka, dem Vorabend des 12. Dezember 2009, ab. Im März 2011 wurde Diamond in die „Rock and Roll Hall of Fame“ aufgenommen, eingeführt wurde er dabei von Paul Simon. Am 10. August 2012 erhielt Diamond einen Stern der Kategorie Musikaufnahmen auf dem Hollywood Walk of Fame. Der „Rolling Stone“ listete Diamond 2015 auf Rang 47 der 100 besten Songwriter aller Zeiten.
„Ich habe halt eine gewisse Melancholie in mir, die sich auch in der Musik äußert und die die Leute attraktiv finden. Aber das ist nichts, was ich bewusst mache, es ist keine Masche, sondern einfach ein Teil von mir,“ sagte Neil Diamond, der im Januar 2021 achtzig Jahre alt wurde. „Ich habe auch eine fröhliche Seite, aber in der Musik kommt eher die melancholische zum Tragen. Und die scheint die Leute mehr zu berühren als alles andere.“ Und wie beurteilt er sich selbst? „Meine Stimme ist, was sie ist. Sie ist ernst und voller Schlaglöcher, wie ich das gerne bezeichne. Aber: So war sie schon immer, und sie ist ein Teil von mir. Ich habe nie versucht, sie zu ändern. Sie ist ungeschönt und ich setze auch keine Technik ein, um da etwas zu verbessern. Zumal die Leute sie über die Jahre akzeptiert zu haben scheinen – zum Glück.“
Kunst und Politik nicht vermischen
Gegenüber der Politik hat ein ambivalentes Verhältnis: „Natürlich habe ich mich über die Jahre an diversen politischen Aktionen in den USA beteiligt, gerade in Sachen Waffenkontrolle. Aber ganz allgemein halte ich mich von Politikern und Parteien fern. Ich halte es nicht für fair, meinen Einfluss dahingehend zu nutzen, um Menschen in eine bestimmte Richtung zu lenken. Etwas für einen guten Zweck zu tun, ist eine Sache, aber sich in den Dienst eines Politikers zu stellen, habe ich immer vermieden.“
Das aktuelle Zeitgeschehen nimmt Neil Diamond dennoch bewusst wahr. Zuletzt hat er seinen Hit-Klassiker „Sweet Caroline“ im Zeichen der Corona-Krise umgedichtet. „Passt auf euch auf dort draußen!“ Doch wo es in dem Song heißt „Hands, touching hands“, singt er nun „Hands, washing Hands“. Und statt „Touching me, touching you“ heißt es „Don’t touch me, I won’t touch you“. Der Rest läuft dann wie gewohnt: „Sweeeeeet Caroline“ Diamond verlinkte ein Video von der Neuaufnahme, in dem er vor einem brennenden Kamin zur Gitarre greift.
Ein Ausflug ins Filmgeschäft („The Jazz Singer“, 1980) geriet zum cineastischen Flop, während der gleichnamige Soundtrack nichtsdestotrotz die Charts stürmte. In diesem Film spielte Diamond neben Laurence Olivier die Hauptrolle und lieferte zusätzlich die Filmmusik. Das Remake des weltweit ersten Tonfilms von 1927 zeigt Diamond als Sohn eines jüdischen Kantors, dessen Leidenschaft für weltliche Popmusik fast die Liebe seines traditionell gesinnten Vaters kostet. Vielleicht auch eine Anspielung auf das reale Leben Neil Diamonds?
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