Isaac Bashevis Singer: Ein Leben für die jiddische Sprache
„Der Scharlatan“: Rezension des neu verlegten Buches des einzigen jiddischsprachigen Literatur-Nobelpreisträgers
Isaac Bashevis Singer
Was wird im New York der 1940er Jahre aus einem Spross einer angesehenen Rabbiner-Dynastie, der eine Vorliebe für Psychoanalytik und Existentialismus besitzt? Richtig, ein Schürzenjäger und Scharlatan. Genauso einer ist die Hauptfigur Herzt Minsker aus dem nun erstmal in Romanform erschienen Buch „Der Scharlatan“ des Literaturnobelpreisträgers Isaac Bashevis Singer (1902 – 1991). Dieser erscheint von Ende 1967 bis Mitte 1968 im „Forverts“, einer jiddischen Tageszeitung, als Fortsetzungsroman. Vor zwei Jahren war bereits der Roman „Jarmy und Kalla“ erschienen, der zuvor ebenfalls im „Forverts“ publiziert worden war.
Singer erblickte 1904 das Licht der Welt in Polen und emigrierte 1937 im Alter von knapp 33 Jahren von Warschau in die Vereinigten Staaten nach New York. Er schrieb sehr produktiv, verfasste seine Werke auf jiddisch und erhielt als bisher einziger jiddisch-schreibender Autor 1978 den Literaturnobelpreis.
Im „Scharlatan“ entführt Singer den Leser in das New York der 1940er Jahre in eine Parallelwelt von jüdischen Migranten aus Europa. In Europa wüten Hitlers Nazischergen und die Neu-New Yorker machen sich Sorgen über die zurückgelassenen Freunde und Verwandten, während sie nebenbei versuchen sich ein einigermaßen normales Leben aufzubauen. Daneben kommt es zu wechselnden Liebesbeziehungen, Ehen und Herzen werden gebrochen, Freunde und Partner betrogen. Und mittendrin der, wie Singer, aus Polen stammenden Herzt Minsker. Dieser schreibt seit Jahren an einem Buch, zumindest erzählt er das allen. Mit seinen Vorträgen zu einem nicht näher definierten Mischmasch aus Esoterik, Philosophie und Psychoanalyse, die er als „Humanforschung“ bezeichnet, vermag er Frauenherzen für sich zu gewinnen. Das Problem dabei ist nur, dass er weder Geld damit verdient noch das er noch zu haben wäre.
Kinder in Polen zurückgelassen
Ganz im Gegenteil. Er ist chronisch klamm und in vierter Ehe mit Bronja verheiratet, die für Minsker sogar ihren Ehemann und ihre Kinder in Polen zurückließ. Sie wird von Gewissensbissen geplagt, denn sie weiß nicht, ob ihre Kinder im mittlerweile besetzten Polen überhaupt noch am Leben sind. Das hält sie aber nicht davon ab einer Tätigkeit als einfache Arbeiterin in einer Fabrik nachzugehen. Herzt stört es zwar, dass seine Frau solch einer Tätigkeit nachgeht, doch die Miete – die beiden wohnen zur Untermiete bei einem älteren weiblichen Fan von Herzt – muss bezahlt werden und der werte Gatte denkt nicht daran, etwas zum Lebensunterhalt beizusteuern. Stattdessen schläft er lange, macht sich ständig Notizen zu seinem noch nicht vollendeten Buch, wovon er selbst weiß, dass er es nie vollenden wird. Oder er verbringt Zeit in Cafés mit seinem Freund Morris Calisher. Morris hat es mit Immobilien zu einem Vermögen gebracht. Morris ist Herzts einziger Freund, weiß um dessen Laster, aber hält ihn trotzdem aus, auch weil er tief in dem aus einer frommen Familie stammenden Herzt etwas Gutes zu erkennen glaubt.
Seine Gutmütigkeit wird nichtsdestotrotz eiskalt ausgenutzt. Seine Frau Minna, die grottenschlechte Gedichte verfasst, wurde von Herzt verführt und hat bereits seit längerer Zeit eine Affäre mit ihm. Und als ob das noch nicht genug wäre, taucht plötzlich der Ex-Mann von Minna auf. Obwohl er Minna kein guter Ehemann war, sie schlecht behandelte, besitzt er trotzdem die Chuzpe ihre Hilfe zu verlangen, um Kunstwerke, die er aus Europa mitgebracht hat, zu verhökern. Im Großen und Ganzen ein riesen Schlamassel, der für niemanden ein gutes Ende haben kann. Aber Singer verwebt die Themen Religion, Liebe und Exil mit einem immer wie eine dunkle Wolke über allen schwebenden Holocaust zu einer sehr spannenden Lektüre.
Isaac Bashevis Singer: Der Scharlatan. Roman. A. d. Engl. v. Christa Krüger. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 396 S., 25 Euro.
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