Der evangelische Pastor, der als Jude abgeholt wurde
Paul Leo war evangelisch-lutherischer Pfarrer. Seine jüdischen Vorfahren waren bereits vor mehreren Generationen zum Christentum konvertiert. Vor dem Rassenwahn der Nazis und der Deportation 1938 schützte ihn das aber keinesfalls. Er überlebte das KZ und verstarb in seiner Fluchtheimat USA.
Paul-Leo-Straße in Osnabrück© WIKIPEDIA
Paul Leo trug nicht zufällig den Namen des Evangelisten Paulus. Er stammte aus einer christlichen Familie in Göttingen und war evangelisch-lutherischer Pastor.
Seine Tochter Anne erinnerte sich 2010 in einem bisher nicht publizierten Buchmanuskript daran wie Uniformierte am frühen Morgen des 10. November 1938 Paul Leos Pastorenamt neu definierten: „Where he’s going, ,Herr Pastor‘ will do him no good … Maybe if he were a real Lutheran pastor. But him ... he‘s nothing but a Jew!“ Er wurde also als Jude betrachtet, was als Abwertung gemeint war, und wurde dann nach kurzer Gestapo-Haft für knapp zwei Monate in das Konzentrationslager Buchenwald verbracht.
Tatsächlich hatten seine beiden Elternteile jüdische Vorfahren. Mütterlicherseits hatte mit Paul Leos Ururgroßmutter, der Komponistin Fanny Hensel, das familiäre Christentum begonnen. Auch väterlicherseits war man seit Generationen getauft. Paul Leos Tochter schrieb zu diesen jüdischen Wurzeln: „Of course Vati was a real Lutheran pastor. And of course his ancestors were Jewish … and Vati loved to tell … about them.“
Paul Leo mit seiner zweiten Frau Eva
Das persönliche Thema seines – möglichen – eigenen Jude-Seins begleitete Paul Leos Leben (1893-1958) schon seit er in den 1920er Jahren Pastor geworden war. Von dem Vielen, das geschah, sei exemplarisch seine erste Pastorenstelle bei der Hannoverschen Landeskirche in den 1920er Jahren auf Norderney erwähnt: Nach 1933 wurde eilfertig sein Name aus einer Gedenksteininschrift der dortigen Kirche entfernt, gleichwohl nach 1945 wieder eingefügt, was übrigens an der etwas helleren Schrift bis heute zu sehen ist.
Parallel zum Pastorendienst waren die 1920er Jahre für Paul Leo eine Zeit der Bildung und des Netzwerkens. So verfasste er eine Inaugural-Dissertation über das frühe christliche Mönchswesen. Tatsächlich scheint in Paul Leos eigenem Leben die von ihm untersuchte mönchische Demut als ein Annehmen der Wagnisse des Lebens auf. Auch knüpfte er auf zahlreichen Konferenzen Kontakte, etwa zum evangelischen Amtsbruder Otto Piper, dem nebenbei die Universität Hannover im kommenden Jahr 2022 ein Symposium widmen wird. Paul Leo sollte damit nach seiner Emigration in die USA im Jahr 1939 einen Anlaufpunkt haben, denn Otto Piper hatte Deutschland zusammen mit seiner Frau, die als Jüdin galt, schon vorher in Richtung USA verlassen müssen. Otto Piper organisierte Paul Leo dann tatsächlich eine längerfristige Anstellung und nahm die Tochter Anne für ein Jahr in Pflege, so dass Paul Leo sich beruflich profilieren konnte.
Mehrere Pastoren jüdischer Abstammung um Hannover
Zuvor im Deutschland der 1930er Jahre war Paul Leos Pastorenstelle in Osnabrück eine Bündelung von staatlich direkt finanzierten Teilstellen, die er als Jude bis 1935 alle verlor. Die Konversion und Assimilierung seiner Familie hatte ihm beruflich also nichts genutzt. Eine Selbstdefinition als Nichtjuden brachte auch den anderen Pastoren jüdischer Herkunft der Hannoverschen Landeskirche, Bruno Benfey (Göttingen), Rudolf Gurland (Gifhorn) und Gustav Oehlert (Rinteln) nichts und sie wurden ebenso entlassen. Paul Leo, der seit 1935 bei reduzierter Bezahlung in einer großen Osnabrücker Kirchengemeinde arbeitete, deren sechs weitere Pastoren alle Bekenntnispfarrer waren, durfte 1938 seinen letzten Konfirmandenjahrgang noch selbst konfirmieren und trat danach sofort in den Ruhestand. Ein paar Monate später wurde er in Buchenwald inhaftiert und erhielt als einer der ersten Häftlinge ein niederländisches Visum, das er kurz nach seiner Entlassung nutzte und über die Niederlande zusammen mit seiner Tochter in die USA emigrierte.
Paul Leos erste Frau war bald nach der Geburt dieser Tochter verstorben. Eine Paul Leo nahestehende Freundin reiste ihm über Umwege in die USA nach. Beide bekamen nach der Heirat zwei weitere Kinder und lebten bis zu Paul Leos Tod zusammen.
Späte Ehre in den USA
Nach der zeitlich befristeten, von Otto Piper besorgten Stelle kam Paul Leo 1945-1950 doch wieder als Pastor unter. Von den texasdeutschen evangelischen Gemeinden der Orte Crabapple und Cave Creeks wurde Paul Leo als gemeinsamer Pastor angestellt, gerade weil er Deutscher war und damit Gottesdienste und Kinderlehre in deutscher Sprache garantierte. Seine jüdischen Wurzeln waren für seine Anstellung kein Hindernis, mögen vielleicht ein Pluspunkt gewesen sein, was sich aber aus den Quellen nicht mehr erschließen lässt.
Einmal mehr kam seine Netzwerker-Kompetenz zum Tragen, indem er über Vortragsreisen Kontakt zu einem kleinen lutherischen College in Dubuque (Iowa) knüpfte, wohin er 1950 als Professor fürs Neue Testament berufen wurde. Nach seinem Tod wurde das Eingangsportal des Colleges nach ihm benannt und ist bis heute dort zu sehen.
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