Jüdisches Leben in Deutschland: Schutzhaft de luxe

Das angeblich so blühende jüdische Leben in der Bundesrepublik findet mit zunehmender Islamisierung unter noch mehr Polizeischutz statt. Der von der Bundesregierung großzügig geförderte Zentralrat aber kritisiert den islamischen Antisemitismus zaghaft bis gar nicht.

Polizei bewacht jüdische Einrichtungen in Berlin© MICHELE TANTUSSI / AFP

Von Henryk M. Broder

Die Gefahr, irgendjemand könnte dem Berliner Innensenator Andreas Geisel, SPD, vorwerfen, er sei für seinen Job überqualifiziert, ist recht überschaubar. Gäbe es für die Angehörigen des Berliner Senats, also der Regierung, „Kopfnoten“ wie in einer Schule, würde in seinem Zeugnis der Satz stehen: „Er hat sich immer Mühe gegeben.“

Letzten Montag berichtete der Innensenator vor dem Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses über eine anti-israelische Demonstration im Berliner Bezirk Neukölln, die, sagen wir es freundlich, ein wenig aus dem Ruder gelaufen war. Den 3.500 Teilnehmern standen 900 „Einsatzkräfte“ gegenüber, die „mehrere Stunden brauchten, um die Lage in den Griff zu bekommen“ (taz). Dabei wurden 93 Polizisten verletzt und 65 Demonstranten „vorläufig festgenommen“.

Obwohl es Kundgebungen dieser Art in Berlin schon öfter gegeben hat, schien die Polizei diesmal überrascht zu sein. Sie hatte offenbar nicht mit der Militanz der Berliner Exil-Palästinenser gerechnet. Vor dem Event noch ahnungslos, brauchte der Innensenator keine 36 Stunden, um sich Klarheit über die Klientel zu verschaffen. Die Gewalt sei „nicht von politisch organisierten palästinensischen Gruppen ausgegangen“, ließ der Innensenator die Mitglieder des Innenausschusses wissen, vielmehr seien es 300 bis 400 „erlebnisorientierte arabischstämmige Jugendliche und junge Männer“ gewesen, von denen „eine unglaubliche Aggressivität“ ausgegangen wäre.

 

Erlebnisorientierte junge Männer

Ja, das hat der Innensenator so gesagt, es waren keine katholischen Pfadfinder, keine Wandervögel aus der Pfalz und keine Austauschschüler aus dem Altmühltal, die in Neukölln eine Hamas-Party feierten, nein, es waren „erlebnisorientierte arabischstämmige Jugendliche und junge Männer“, unpolitisch und nicht organisiert. Wie hat der Innensenator das so schnell herausgefunden? Festgenommene interviewt, Speichelproben genommen? Oder nur auf sein Bauchgefühl gehört, das ihm zuraunte: „Die wollen nur spielen!“

Tröstlich an dieser Geschichte ist, dass Einfalt keine Heimat hat. Sie wohnt Dummen und Klugen inne, Christen und Juden, Armen und Reichen.

Am selben Tag, da Andreas Geisel die Mitglieder des Innenausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus informierte, gab der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, der „Tagesschau“ ein Interview. Auf die Frage, wie sich die jüdische Gemeinschaft in Deutschland fühlen würde, antwortete er: „Die jüdische Gemeinschaft fühlt sich nicht unsicher, sie fühlt sich nicht unwohl, aber: sehr wohl ist im Moment erhöhte Aufmerksamkeit geboten…“

Das hätte auch eine Antwort von Monty Python auf die Frage sein können, wie er sich so fühlen würde, wenn ihm jemand an der Supermarktkasse eine Pistole an den Kopf hielte: „Nicht unsicher und nicht unwohl, aber wohl wissend, dass im Moment eine erhöhte Aufmerksamkeit geboten ist.“

 

Goldfische in einem Piranha-Becken

Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist kein demokratisch legitimiertes Gremium, eher eine Honoratiorenversammlung, die rund 100 jüdische Gemeinden mit etwa 100.000 Mitgliedern „repräsentiert“. Wichtigste Aufgabe des Zentralrates ist es, dafür zu sorgen, dass der gute Ruf der Bundesrepublik nicht beschädigt wird. Er darf Kritik üben, aber immer mit Maß und Mitte. Dafür wird er von der Bundesregierung generös gefördert. Nur wenn er den Ast, auf dem er sitzt, absägen möchte, würde es Präsident Schuster wagen zu sagen, dass sich die Juden in Deutschland fühlen wie Goldfische in einem Piranha-Becken.

Angst ist ihr ständiger Begleiter, und nicht erst seit gestern. Während deutsche Politiker nicht müde werden zu verkünden, wie glücklich sie darüber sind, dass jüdisches Leben in Deutschland wieder blüht und gedeiht, müssen jüdische Gotteshäuser, Schulen, Altersheime und Kindergärten rund um die Uhr bewacht werden. Das ist kein Leben, das ist Schutzhaft de luxe.

Wären die Juden ebenso „erlebnisorientiert“ wie die militanten Palästinenser, würden sie diese Art der Sonderbehandlung möglicherweise als etwas Positives empfinden. Und manche tun es auch. Der Zentralrat hat das Jahr 2021 zu einem „Festjahr“ des jüdischen Lebens in Deutschland erklärt, denn: „Im Jahre 2021 leben Jüdinnen*Juden nachweislich seit 1.700 Jahren auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands“ – eine Formulierung, die dem Umstand Rechnung trägt, dass es vor 1.700 Jahren noch kein Deutschland gegeben hat. Macht nichts, „Ziel des Festjahres ist es, jüdisches Leben sichtbar und erlebbar zu machen und dem erstarkenden Antisemitismus etwas entgegenzusetzen.“

Letztes Wochenende ist das jüdische Leben wieder sichtbar und erlebbar geworden, mit Hilfe „erlebnisorientierter arabischstämmiger junger Männer“, die in Neukölln und zwei Dutzend weiteren Städten eine große Sause feierten, zu der Juden nicht eingeladen waren.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Weltwoche.

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