Billy Joel: „Alle meine Lieblingskomponisten sind Deutsche“

Jüdische Singer-Songwriter (4)

Billy Joel 2003 während eines Benefiz-Konzerts für Kinder© AFP

Von Theodor Joseph

William Martin genannt „Billy“ Joel, 1949 in New York geboren, ist Sänger, Pianist und Songschreiber. Musikalisch angesiedelt ist er zwischen Paul Simon und Bruce Springsteen. Mit mehr als 80 Millionen verkauften Alben ist Billy Joel einer der erfolgreichsten Solokünstler in den USA. Wer kennt sie nicht, seine Songs? Hier einige Titel: „Captain Jack“, 1973; „Piano Man“, 1973; „New York State of Mind“, 1976; „Don’t ask me why“, 1980; „Uptown Girl“, 1983; „My Life“, 1978, und all die anderen zu Welthits gewordenen Songs.

Joel ist der einzige namhafte jüdische Musiker, der seine Wurzeln in Deutschland hat. Warum er seine frühen Musikstunden nicht in Nürnberg oder Berlin erhalten hat, ist besonderen Umständen geschuldet. Seine Familiengeschichte ist deutsch-jüdisch geprägt, eine Geschichte von Erfolg und Leid – man könnte sie auch bizarr nennen.

Helmut Joel, Billys Vater, der selbst gerne Pianist geworden wäre, brachte seinem kleinen Sohn das Klavierspielen bei. Schon früh zeigte sich dessen musikalisches Talent, und im Alter von fünf Jahren konnte „Billy the Kid“ bereits ein Stück von Mozart auswendig spielen. Billy setzte sich gerne an das Instrument, aber er hasste es, die Tonleiter auf und ab zu üben. Stattdessen improvisierte er lieber vor sich hin. Diese wilde Spielfreude brachte ihm eines Tages sogar eine Ohrfeige seines klassikbegeisterten Vaters ein, der sich darüber aufregte, dass Billy eine Beethoven-Komposition zum Jux als Boogie spielte.

Religion spielte im Hause Joel bei der Erziehung keine große Rolle. Man hielt es wie schon die Elterngeneration mit dem jüdischen Glauben sehr liberal und locker. Billy Joel erinnert sich: „In meiner Familie wurde seit mindestens drei Generationen keine Religion praktiziert, und soweit ich weiß, war das gar nichts Ungewöhnliches. Wir haben Weihnachten gefeiert und weil meine Freunde Italiener, Polen oder Iren waren, ging ich sonntags oft mit zur Messe. Ich dachte damals, das machen alle Kinder so. Ich hatte keine jüdische Erziehung.“

Sein Judentum verleugnet hat Billy Joel allerdings nie, ja, er bekannte sich offen zu seinem Judentum, auch wenn er bekennender Agnostiker ist.

 

Beethoven war die Musik in Person!

Und wie kam Billy Joel zur „richtigen“ Musik? „Ich kann mich an den Moment erinnern, in dem ich mich entschloss, Musiker zu werden: Beethoven war mein Lieblingskomponist, er atmete und aß Musik, der Typ war die Musik in Person. … aber die Beatles! Plötzlich taucht da diese Band auf mit Haaren wie Mädchen. Sie spielten ihre eigenen Instrumente und sie schrieben ihre eigenen Songs. Sie schauten so aus, wie die Typen, die wir kannten. Und John Lennon hatte diesen Ausdruck: Fuck you all. In diesem Moment dachte ich, das will ich auch machen.“

Musik zieht sich wie ein roter Faden durch die wechselvolle Geschichte der Familie Joel: „Ich bin mit klassischer Musik aufgewachsen. Seltsamerweise sind fast alle meine Lieblingskomponisten Deutsche: Bach, Händel, Mendelssohn, Beethoven, Wagner, Schumann... Irgendetwas in der deutschen Seele lässt sich am besten mit Musik ausdrücken: Sturm und Drang. Ich weiß auch nicht genau, was das ist. Mein Vater hatte es, ich habe es und mein Bruder Alex hat es auch.“

Aus der Anzahl seiner erfolgreichen Hits sticht ein Song aus dem Jahre 1989 heraus – „We didn’t start the Fire“. Zu seinem 40. Geburtstag hatte sich Billy Joel überlegt, was alles seit seinem Geburtsjahr 1949 passiert war und notierte sich Stichworte, beginnend mit Harry Truman und endend mit dem Tiananmen-Massaker in Peking. Auch der Name Adolf Eichmann wird in seiner Namenliste aufgeführt. Joels beschwörend-suggestiver Gesang und der treibende Beat machen diesen Song zu einem verzweifelten Gedächtnis des 20. Jahrhunderts und seiner Katastrophen entlang seiner Pop-Geschichte. Unter Joels Schlagworten finden sich zentrale Figuren und Schlüsselbegriffe der modernen jüdischen Geschichte. Und das ist gewiss kein Zufall: „The Rosenbergs“, Albert Einstein, „Palestine, terror on the airline“.

 

Von Nürnberg nach New York

In der Geschichte der Familie Joel spiegelt sich die Geschichte des 20. Jahrhunderts in allen Höhen und Tiefen. Es geht um Erfolg und Misserfolg, Geschäftsmänner und Geschäftemacher, um Glück und Unglück, um Politik, Terror und Musik – sie beginnt in Nürnberg und endet in New York. Die Hauptrollen spielen ein fränkischer Unternehmer und ein amerikanischer Weltstar. Karl Joel und sein Enkel Billy. In der Joelschen Familiengeschichte gibt es auch einen Teil, der nichts mit Musik zu tun hat. Es ist eine sehr deutsche Geschichte, ein deutsches Lehrstück – und sie handelt von menschlichen Abgründen:

Karl Joel hatte 1928 in Nürnberg einen Versandhandel gegründet. Als erster Versand bot er auch aktuelle Modeartikel an und bald gehörte sein Wäsche- und Konfektionsversandhaus zu den Großen der Branche, er selbst kam zu Wohlstand.

Hier sei aus den „Erinnerungen“ eines „großen“ deutschen Publizisten zitiert, Josef Neckermann, der im Jahre 1990 feststellte (Josef Neckermann: Erinnerungen, 1990) : „Karl Amson Joels Unternehmen hatte nur zwei Haken: Er war Jude, und er hatte sich seinen Firmensitz ausgerechnet in der Stadt Nürnberg ausgesucht, die Stadt des berüchtigten Julius Streicher mit seinem ‚Stürmer‘, der seit 1923 allwöchentlich die Parole ‚Die Juden sind unser Unglück!‘ in bis zu 500.000-tausenfacher Auflage unters Volk brachte. […] Joel war ein weitsichtiger Mann. Er wusste, dass das nicht gutgehen konnte“.

 

Zum Verkauf an Neckermann gezwungen

Unter dem Druck der politischen Verhältnisse in Nazi-Deutschland musste Joel 1938 sein Unternehmen weit unter Wert an einen jungen, dynamischen und aufstrebenden Kaufmann namens Josef Neckermann verkaufen, der daraus den „Neckermann-Versandhandel“ schuf. Den ursprünglich vereinbarten Kaufpreis reduzierte er einseitig und hinterlegte ihn auf einem Sperrkonto, dessen Verfügungsberechtigter Josef Neckermann selbst war. Karl Joel war inzwischen in die Schweiz geflüchtet. Dort wartete er aber vergeblich auf sein Geld. Während Neckermann mit seiner Familie Joels Berliner Villa (samt einem Teil der Einrichtung) bezog, lebte Karl Joel mit seiner Familie mittellos in einer Einzimmerwohnung.

Über Frankreich und Kuba flohen die Joels in die USA, wo Karl Joel 1942 in New York mit der Herstellung von Haarschleifen ganz von vorne begann. Die meisten anderen Mitglieder der Familie hatten nicht so viel „Glück“, ihnen gelang die Flucht nicht, viele wurden in Konzentrationslagern ermordet.

In seinen „Erinnerungen“ erwähnte der frühere „Arisierer“ und inzwischen erfolgreicher Reiseunternehmer, Versandhändler und Dressurreiter, Josef Neckermann, auch die Familie Joel, der er für einen Spottpreis das Versandhaus abgeschwatzt hatte. Hier erdreistete er sich, sein damaliges „Arisierung-Geschäft“ so darzustellen, dass die Joels allein des angenehmeren Klimas wegen Deutschland freiwillig verlassen hätten und nach Südfrankreich gezogen seien. Damit hatte Neckermann sogar unfreiwillig recht, denn in Deutschland war das Klima für die Joels tatsächlich nicht mehr angenehm.

Josef Neckermann war nie Antisemit – nach eigener Aussage. Doch hatte er einen „arischen“ Riecher, wenn’s ums Geschäft ging. Geschäftlich stand er stets auf der Höhe der Zeit und lebte ganz nach dem Grundsatz: „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“ Und für ihn waren die Zeiten ab 1933 günstig – er marschierte mit der Zeit.

Dabei waren jüdische Kaufhäuser für ihn nichts anderes als „jüdische Ramschläden“, in die man eigentlich keinen Fuß setzt. Zitat Neckermann: „Wie es da schon riecht“. Die ganz eigentümliche, diffuse Mischung, an der man mit „verbundenen Augen erkannte, wo mach sich befand“: in einem jüdischen Warenhaus. „Jüdisch“ und „Warenhaus“, so ein semantisch versierter Neckermann, zwei Begriffe, die zusammengehörten „wie Pünktchen und Anton“. Und das hatte für ihn, mit Glaubensfragen nichts zu tun – „und nichts mit Judendiskriminierung“.

Und es wurde die normalste und deshalb grauenhafteste Geschichte im Schnittpunkt von Egoismus und Zeitgeist, eine Geschichte von blanker Habgier und „arischem“ Wahnsinn.

Als es 1949 zu einem Wiedergutmachungsverfahren kam, drehte Neckermann den Spieß um: Er bekam es mit der Angst zu tun und verstieg sich in der Behauptung, Karl Joel hätte begonnen, ihn, Josef Neckermann zu verfolgen, indem er seine Wiedergutmachungsforderungen immer weiter, schließlich auf 26 Millionen DM „hochschraubte“. Auch hätte Joel nichts unversucht gelassen, ihn bei der Militärregierung „anzuschwärzen“. Neckermann war „fassungslos über so viel Hass“.

Und wie ging es mit Josef Neckermann „danach“ weiter? Das Unternehmen, das zunächst nur Textilien, bald aber auch zahlreiche weitere Konsumgüter zu äußerst günstigen Preisen anbot, erlebte in den 1950er Jahren einen rasanten Aufschwung. Neckermann baute seine Firma zu einem Konzern aus. Mitte der 1950er Jahre kamen eine Warenhauskette und Anfang der 60er Jahre das Reiseunternehmen „Neckermann und Reisen“ (NUR) sowie weitere Tochtergesellschaften hinzu. Der Firmenslogan „Neckermann macht’s möglich“ wurde zu einem Symbolspruch für das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit und Neckermann zu einer seiner Galionsfiguren. Und sonst? Hier eine Liste über die Ehrungen, die Josef Neckermann für seine „Verdienste“ erhielt: 1968: Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland; 1974: Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland; 1982: Großes Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland; 1987: Großes Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband der Bundesrepublik Deutschland; Mitglied der Hall of Fame des deutschen Sports; Silbernes Lorbeerblatt …

 

Begegnung mit den Neckermann-Enkeln

Im Jahr 2001 wurde ein Treffen der Enkel-Generationen der Familien Joel, mit Billy, und Neckermann arrangiert. Die erhoffte Versöhnung der Familien blieb aus, da die Nachfahren Josef Neckermanns keinen Grund sahen, sich vom Handeln ihres Großvaters zu distanzieren. Billy Joel erinnert sich an die Begegnung mit den Neckermann-Enkeln: „Die Neckermann-Enkel waren sehr herzlich, aber auch ein bisschen naiv. Sie sagten: Unser Großvater wollte doch nur Gutes. Er habe die Wehrmacht, die vor Stalingrad feststeckte, mit Winterklamotten versorgt. Ich dachte: Das muss ja ein toller Trost für die russischen Soldaten gewesen sein, dass Neckermann die Firma meines Großvaters dazu nutzte, der Wehrmacht zu helfen, die gerade in Russland einmarschiert war. Aber ich trage den Neckermann-Enkeln nichts nach. Es war nicht ihre Schuld.“

Aufgrund dieser krassen Familiengeschichte wird verständlich, dass der Popstar Billy Joel sich viele Jahre lang geweigert hat, in Deutschland aufzutreten, auch wenn er sich später voll und ganz mit der Vergangenheit ausgesöhnt hat und das deutsche Publikum inzwischen schätzt. „Wir müssen uns mit der Vergangenheit auseinandersetzen“, so ein versöhnlicher Billy Joel, „bevor wir weitergehen. Aber wir müssen auch Kapitel abschließen“. Über seine Beziehung zum heutigen Deutschland sagte er: „Als ich das erste Mal für ein paar Auftritte in den 70er Jahren nach Deutschland kam, hatte ich sehr gemischte Gefühle. Heute ist Deutschland einer der Orte, wo ich am liebsten spiele. Ich bin gern dort und fühle mich verbunden mit der deutschen Kultur.“

 

Spende für die jüdische Gemeinde Nürnberg

Billy Joel mag, vordergründig, wenig mit dem jüdischen Leben an sich zu tun haben, aber man kann trotzdem argumentieren, dass sein jüdisches Erbe, seine jüdische Herkunft – darunter die Tatsache, dass seine Eltern den Holocaust überlebt haben – sein Leben und seine Musik beeinflusst haben. Viele seiner Songs werben für den Underdog und rufen nach Gerechtigkeit („Allentown“; „Goodnight Saigon“; „The Downeaster Alexa“; „Keeping the Faith“).

Sein Konzert in Nürnberg 1995 trat Joel mit gemischten Gefühlen an. Auf dem dortigen jüdischen Friedhof liegen seine Großeltern begraben: „Wir sollten die Dinge, die passiert sind, nicht vergessen“, kommentierte er seinen Besuch in Nürnberg: „Wenn einer verzeihen muss, dann ist das mein Vater, nicht ich. Ich übertrage nicht die Sünden der Väter auf die Söhne und Töchter“. Es war eine noble Geste der Versöhnung, dass Billy Joel den Reinerlös seiner zwei Nürnberger Konzerte (50.000 D-Mark) am 4./5. Juni 1995, sechzig Jahre nach der Verkündung der Nürnberger Gesetze, der Israelitischen Kultusgemeinde und für den Menschenrechtspreis der Stadt Nürnberg stiftete.

Seit fast dreißig Jahren hat Billy Joel kein neues Album mehr eingespielt. Das Klavier sei manchmal wie ein Ungeheuer, sinnierte er einmal, ein Ungeheuer mit 88 Zähnen. Er will nun mal nichts unter seinem Niveau produzieren, nur weil seine Plattenfirma meine, etwas herausbringen zu müssen – so wie es Elton John tue. Sein Werk scheint zur Klassik versteinert. Die Popsängerin Pink (Alecia Beth Moore) wollte vor nicht allzu langer Zeit Songs mit ihrem Idol aufnehmen. Doch es kam nichts dabei heraus. Darauf angesprochen sagte Pink: „Das Problem war, er ist einfach zu gut für mich“. Auf die Frage nach dem Geheimnis eines langen Lebens verriet er einmal sein Geheimrezept: „Don’t die!“

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