Von Apartheid und Impfdosen in Ramallah

Dass ausgerechnet Israel beim Impfen gegen Covid international vorn liegt, können „Süddeutsche“ und „Frankfurter Rundschau“ kaum ertragen. Das linke Kampfblatt FR, das die wahrheitswidrige Behauptung verbreitet, Israel sei ein „Apartheidstaat“, will es weder der dänischen noch der österreichischen Regierung verzeihen, dass sie in höchster Not wie der aktuellen Corona-Krise mit dem jüdischen Staat zusammenarbeiten.

Mobile Impfstation des Magen David Adom im arabischen Bezirk von Jerusalem© Ahmad GHARABLI , AFP

Von Alexander Wendt

Für etliche Journalisten in Deutschland gilt eine Abstufung in der Problemwahrnehmung.

Dass sich die Impfstoffbeschaffung der EU als desaströses Unternehmen erweist, Deutschland selbst innerhalb der EU beim Impftempo nur auf Platz 13 liegt und der Lockdown in der Bundesrepublik auch mit der Begründung fortdauert, es seien eben noch zu wenig Menschen immunisiert – das sehen viele Medien mittlerweile als suboptimal an, wobei sie gleichzeitig aber auch Gründe finden, warum die Lage doch nicht so schlecht sei.

Mit deutlich größerem Ärger registrieren einige Journalisten, welche Länder die Impfung ihrer Bürger auffallend gut organisieren. Denn in der Impf-Rangfolge liegen Staaten weit vorn, denen deutsche Medienschaffende regelmäßig ihre ganz besondere Aufmerksamkeit widmen: In der EU beispielsweise Ungarn und Polen, international Großbritannien, die USA und – hier beginnt die publizistische Sonderzone – Israel.

Stand 7. März 2021 haben in Israel 57 Prozent der Bevölkerung die erste beziehungsweise schon beide Impfungen erhalten, in Großbritannien 32,3 Prozent, in Ungarn 10,4 und in Deutschland – dem Land, in dem das BioNTech-Pfizer-Vakzin im Wesentlichen entwickelt wurde – acht Prozent. Israel kehrt inzwischen weitgehend zum normalen Leben zurück.

Am Donnerstag flogen Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz und Dänemarks Premierministerin Mette Frederiksen nach Israel, um sich über die Impfkampagne zu informieren und mit Regierungschef Benjamin Netanjahu eine Allianz für die Entwicklung von neuen Vakzinen zu vereinbaren. Höchste Zeit also, den Lesern ein Narrativ zu verabreichen, das Israel schlecht aussehen lässt. Mag der Impfstoff im eigenen Land auch knapp sein – an konzentrierter Bösartigkeit gegen den jüdischen Staat mangelt es nie.

Für die Süddeutsche spielen nebensächliche Fragen keine Rolle, etwa nach den Gründen für den Erfolg der israelischen Impfkampagne. Autor Peter Münch kommt gleich zum wichtigsten: dem trickreichen Netanjahu und dessen Wahlkampf. Denn eigentlich, das wusste Süddeutsche-Kommentator Stefan Kornelius im Dezember 2020, war Netanjahu zusammen mit den anderen Populisten schon erledigt:

„Trump, Johnson, Netanjahu – alle drei zehren von den kümmerlichen Resten ihres Kapitals.“

Jetzt sieht es doch nach einem Wahlsieg aus. Schuld ist der Impfstoff, mitschuldig der Besuch aus Europa, wie Münch analysiert:

„Für Netanjahu ist der Besuch relativ kurz vor der Parlamentswahl am 23. März eine willkommene Gelegenheit gewesen, seinem Wahlvolk die hervorgehobene Rolle Israels bei den weltweiten Impfanstrengungen zu demonstrieren. Eingerahmt von seinen beiden Gästen gefiel er sich augenscheinlich in der Rolle des ‚Impf-Weltmeisters’.“

Augenscheinlich missfällt der Süddeutschen das. Denn nun folgt das eigentliche Narrativ:

„Hohe Wellen schlägt die Reise von Regierungschefin Frederiksen nach Jerusalem in Dänemark. Die Unterstützerparteien der sozialdemokratischen Minderheitsregierung distanzierten sich von der Visite unter Verweis auf die bislang schlechte Impflage in den besetzten Palästinensergebieten. Ein Sprecher der Sozialliberalen sagte, die Dänen sollten ‚den Palästinensern keine Impfstoffe wegnehmen’. Die große liberale Zeitung Politiken sprach von ‚Impf-Apartheid’ in Israel und sagte, Frederiksen solle sich nicht von Israels Premierminister Netanjahu ‚mit Impfstoffen bestechen lassen’.“

 

Angriffe gegen Österreich und Dänemark

Damit übernimmt die Süddeutsche Zeitung gleich drei Lügengeschichten auf einmal. Die Behauptung, Dänen würden „Palästinensern“ „Impfstoffe wegnehmen“, ist eine lächerliche und substanzlose Erfindung, die Insinuation, Netanjahu würde die dänische Premierministerin mit Impfstoff „bestechen“, ein wirrer und grotesker Kommentar. Und so katastrophal stellt sich die Impflage im „palästinensischen“ Autonomiegebiet gar nicht dar. Dazu gleich mehr. Für den Impfstand in dem PA-Gebiet interessiert sich die Süddeutsche überhaupt nicht. Denn das würde nur zu verwirrenden Fakten führen.

Anders als der Beobachter aus München begnügt sich die Frankfurter Rundschau nicht damit, Anti-Israel-Polemik aus zweiter Hand aufzukochen. Die Zeitung fabriziert sie gleich selbst. Unter der Überschrift: „Höchstpreis Apartheid“ rechnet Thomas Borchert, FR-Korrespondent in Kopenhagen, mit dem jüdischen Staat ab, dass der Schaum nur so von der Lippe tropft:

„Österreichs Kanzler und Dänemarks Ministerpräsidentin machen dem israelischen Premier den Hof, um beim Impfen in den eigenen Ländern voranzukommen. Dabei verschließen sie die Augen davor, dass die fünf Millionen Menschen im Westjordanland vom Impfen ausgeschlossen sind. […] Vollkommen unverzeihlich ist die neue Allianz als stillschweigende Anerkennung von Israels völkerrechtswidrigem Ausschluss fast aller fünf Millionen Palästinenser:innen in den besetzten Gebieten von Impfungen. In der Not frisst der Teufel Fliegen, heißt es. In der Corona-Not mal eben Apartheid zu schlucken, kann man dem Teufel nachsehen, nicht aber Frederiksen und Kurz.“

Abgesehen davon, dass Borchert offensichtlich nicht weiß, was „den Hof machen“ bedeutet, und dass er die Regierungschefs von Dänemark und Österreich für diabolischer hält als den Teufel: Seine Behauptung, Israel habe fast alle fünf Millionen Bewohner des „Palästinensischen“ Autonomiegebietes „völkerrechtswidrig“ von Impfungen gegen Covid-19 „ausgeschlossen“, ist noch nicht einmal Polemik – sondern eine frontale Lüge, mit der sich der Presserat befassen sollte.

 

Falsche Zahlen

Das beginnt schon mit seiner Zahl von „fünf Millionen Menschen im Westjordanland“. Sie ist schlicht falsch. In dem Gebiet der „palästinensischen“ Autonomiebehörde – und von dem spricht er in seinem Kommentar – lebten im Jahr 2020 gut 2,9 Millionen Menschen, nicht fünf. Etwas mehr als fünf Millionen zählen die als „palästinensischen Gebiete“ bezeichneten Areale insgesamt – also Westbank plus Gazastreifen. Der Gazastreifen ist allerdings kein von Israel „besetztes Gebiet“. Das Autonomiegebiet auch nicht, jedenfalls nicht komplett. Die „palästinensische“ Verwaltungsbehörde in Ramallah und Israel teilen sich nach dem Oslo-Abkommen die Zuständigkeiten. Gesundheitsvorsorge fällt in den Aufgabenbereich der Autonomiebehörde. Sie verfügt über ein eigenes Gesundheitsministerium, das unter anderem für die Organisation von Impfungen zuständig ist. Auch die Hamas-Regierung im Gazastreifen unterhält ein eigenes Gesundheitsministerium.

Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz und die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen besuchen Benjamin Netanjahu.© AVIGAIL UZI / POOL / AFPr

Die Autonomiebehörde im Westjordanland gab vor einiger Zeit bekannt, für ihren Zuständigkeitsbereich den russischen „Sputnik“-Impfstoff besorgen zu wollen. Bisher lief die Beschaffungsaktion nicht erfolgreich – was allerdings nicht an Geldmangel liegen kann. Allein 2020 überwies die EU als Hauptfinanzier insgesamt 90 Millionen Euro für Haushalt der „palästinensischen“ Selbstverwaltung, davon 10 Millionen für den Gesundheitssektor.

 

Israel ist nicht zuständig – hilft aber dennoch

Israels Regierung unterliegt also entgegen der Behauptung der Frankfurter Rundschau keinerlei völkerrechtlicher oder vertraglicher Verpflichtung, für das Autonomiegebiet Impfstoff zu liefern. Erst recht nicht an den Gazastreifen, aus dem die Hamas immer wieder Raketen abfeuert. Nirgends hinderte Israel die Regierung von Machmud Abbas und die Hamas daran, Vakzine zu beschaffen. Darüber hinaus gibt es einen entscheidenden Unterschied: Israels Regierung half sogar direkt, ohne dazu verpflichtet zu sein. Sie überließ der Autonomiebehörde im Westjordanland 5.000 Dosen Impfstoff des Herstellers Moderna, um Mitarbeiter des „palästinensischen“ Gesundheitswesens zu immunisieren. Zusätzlich begann Israel, die etwa 120.000 „Palästinenser“ nach und nach zu impfen, die zur Arbeit nach Israel einpendeln.

Über die Impfstoff-Spende aus Israel berichtete der Sender Al Jazeera bemerkenswert sachlich:

„Palestinians begin COVID vaccinations in occupied West Bank. Moderna vaccines the first batch of a promised 5,000 shots to be delivered by Israel to inoculate medical workers“, hieß es dort am 2. Februar 2021.

Diese Faktenlage erwähnt sogar die Süddeutsche, wenn auch sehr verklausuliert und gewunden. „Israels Regierung hat jedoch bislang stets auf die Osloer Verträge aus den Neunzigerjahren verwiesen. Diese schreiben der damals gegründeten Palästinensischen Autonomiebehörde die Verantwortung für das Gesundheitswesen zu“, heißt es dort. „Schreiben zu“ – das ist eine ziemlich bizarre Formulierung für einen Vertrag, in dem nicht irgendeine ominöse Macht jemand etwas zuschreibt, sondern den die „palästinensische“ und die israelische Seite miteinander geschlossen hatten.

„Als Geste des guten Willens war zuvor lediglich die Lieferung von 5.000 Impfdosen für das palästinensische Gesundheitspersonal zugesagt worden“, referiert die Süddeutsche säuerlich, obwohl diese Dosen zum Zeitpunkt der Artikelveröffentlichung nicht nur zugesagt, sondern auch angekommen waren. Aber immerhin, in dem Münchner Fachblatt für Israelkritik findet sich wenigstens der Hinweis. In der Frankfurter Rundschau dagegen kein Wort davon.

 

Abbas lässt Impfstoff abzweigen

Beide Blätter interessieren sich nicht im Geringsten dafür, was im „palästinensischen“ Autonomiegebiet mit dem aus Israel gelieferten Vakzin passierte. Auch dazu finden sich interessante Beiträge auf Al Jazeera. Sie passen nur nicht in das Raster vom ewigen „Apartheid-Staat“ Israel und seinen „palästinensischen“ „Opfern“.

Unter der Überschrift „Palestinian Authority under fire for VIP vaccacines“ berichtet Al Jazeera am 3. März darüber, wie die Autonomiebehörde zehn Prozent der eigentlich für medizinisches Personal gedachten Impfdosen abzweigte – für Minister, Mitglieder der Garde von Präsident Machmud Abbas und Spitzenfunktionäre der PLO und das „palästinensische“ Fußballteam. Außerdem habe der jordanische Königshof einen Anteil von 200 Dosen verlangt.

(„A PA health ministry statement on Tuesday said 10 percent of the 12,000 doses it received were given to the Palestinian national football team, government ministers, presidential guards and members of the Palestine Liberation Organization’s (PLO) Executive Committee. Another 200 doses went to the Jordanian royal court, after a request from Amman.“)

Darüber gebe es in der Westbank-Bevölkerung erheblichen Unmut. Bei Twitter kursiert auf Arabisch der Hashtag „Wo ist der Impfstoff?“ Der „palästinensische“ Aktivist Issa Amro, ein ausgewiesener Gegner Israels, warf der Autonomiebehörde auf Facebook vor, bei der gerechten Verteilung des Impfstoffs versagt zu haben.

Fazit: Israel schaffte es nicht nur in Rekordzeit, fast seine gesamte Bevölkerung mit zumindest einer Impfdosis zu versorgen – was selbstverständlich die gut 20 Prozent arabischen Israelis einschließt. Das Land lieferte außerdem noch, ohne dass es dazu verpflichtet wäre, 5.000 Impfdosen an die „palästinensische“ Autonomieregierung von Machmud Abbas, und impft nach und nach alle Arbeitspendler aus den „palästinensischen“ Gebieten.

 

Journalisten eines Landes, das impftechnisch viel weniger geschafft hat

Journalisten in einem Land, dessen Regierung es bis jetzt noch nicht einmal schafft, seine Senioren zu impfen, machen daraus den „Apartheid“-Staat Israel, weil er nicht alle 2,9 Millionen „Palästinenser“ im Selbstverwaltungsgebiet mit dem Vakzin beliefert. Die Frage nach der Verantwortung von Abbas’ Regierung (und des Hamas-Regimes in Gaza) für die eigene Bevölkerung stellt weder die Süddeutsche noch die Frankfurter Rundschau. Genau so wenig wie die Frage, was mit dem Geld eigentlich geschieht, das die EU der Abbas-Regierung überweist. Fragen erübrigen sich allerdings, wenn deutsche Medienschaffenden sowieso schon die immergültige Antwort für alle mit Israel zusammenhängenden Themen kennen:

Selbst Al Jazeera berichtet über das Impfgeschehen im Nahen Osten sachlicher und ausgewogener als die Blätter aus München und Frankfurt.

Das Gegeifer der Frankfurter Rundschau gegen Israel markiert eine neue Qualität. Für die FR stellt das schon eine bemerkenswerte Leistung dar. Das Blatt hatte 2019 nach den Wahlen in Israel getitelt: „Der ewige Netanjahu“ – eine halbbewusste Anspielung an den NS-Propagandafilm „Der ewige Jude“.

Damals entschuldigte sich die Chefredaktion immerhin.

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