Neuerscheinung „Teufelsberg“: Linker Antisemitismus im West-Berlin der 60er Jahre

Im Ullstein-Verlag ist ein neuer Kriminalroman erschienen über den linken Antisemitismus in der 68er-Szene, der sogar in einem versuchten Bombenanschlag auf das jüdische Gemeindehaus in der Fasanenstraße gipfelte.

Von Filip Gaspar

Nach dem Sechstagekrieg hatte ein Großteil der Linken in Deutschland kein Verständnis mehr für Israel. Stattdessen wurde es als Teil des US-amerikanischen Imperialismus angesehen und als dessen „zionistischer Vasall“ gleich mit zum Feind auserkoren. Die Deutschen müssen endlich den Judenknax überwinden, sich solidarisch mit der Fatah zeigen, „die im Nahen Osten den Kampf gegen das Dritte Reich von Gestern und Heute und seine Folgen aufgenommen hat“, denn ansonsten sei der Kampf gegen die „faschistische Ideologie“ namens Zionismus nicht zu gewinnen.

Diese Aussage geht auf Dieter Kunzelmann, eine Galionsfigur der 68er, zurück. Er war der Meinung, dass die Linke aufgrund ihres Schuldkomplexes nicht in der Lage sei, ihre Augen für das Leid der „Palästinenser“ zu öffnen und die Israelis offen für ihre „faschistische Politik“ zu kritisieren. Diese und weitere Forderungen machte er in seinem im November 1969 veröffentlichten „Brief aus Amman“ öffentlich. Es ist ein Dokument, das vor antisemitischen Äußerungen nur so strotze. Kunzelmann selbst war im November 1969 bereits wieder in Berlin und lebte hier versteckt im Untergrund. Tatsächlich hatte er einige Wochen in Jordanien verbracht und wurde dort in einem Ausbildungslager in den Grundzügen des Guerillakampfes unterwiesen. In diesem paramilitärischen Lager erlernten er und seine Genossen auch den Umgang mit Sprengstoff und die Herstellung von Bomben. In seinem „Brief aus Amman“ fanden sich dann auch Anspielungen auf eine „Bombenchance“ und „Bombenleger“.

 

Stasi-unterwanderter Treffpunkt Wielandstraße

Dass er zusammen mit seiner in Berlin gegründeten Stadtguerilla „Tupamaros West-Berlin“ auf Worte Taten folgen lassen wollte, wurde am 9. November 1969 deutlich. Das ummauerte West-Berlin blieb an diesem Tag von einer Katastrophe verschont. Am 10. November 1969, einen Tag nach der Gedenkstunde zum 31. Jahrestag des Novemberpogroms von 1938, entdeckte eine Reinigungskraft einen Mantel unter einem Cola-Automaten. Dieser Automat befand sich in der Nähe der Garderobe. Im Mantel war eine anderthalb Kilogramm schwere Bombe eingewickelt. Nachdem sie ein Ticken gehört hatte, ließ sie umgehend Hilfe holen. Was für einem blutrünstigen Anschlag man an diesem Tag entgangen war, geht aus einem Polizeibericht hervor. Man hatte die Bombe nachbauen lassen. Bei deren kontrollierter Sprengung kam man zum Ergebnis, dass diese bei einer Detonation das jüdische Gemeindehaus in Berlin in Schutt und Asche gelegt und viele Menschenopfer gefordert hätte. Der Staatschutz konnte bereits einige Tage darauf der linksextremen Szene, die sich damals im von der Stasi finanzierten, edlen Altbau in der Wielandstraße 27 nahe dem Kurfürstendamm, traf, die Tat zuschreiben.

Dort kursierte bereits vor der Tat ein Flugblatt, auf dem unter anderem stand: „Im jüdischen Gemeindehaus wurde eine Brandbombe deponiert.“ Dass die Bombe nicht hochging und West-Berlin einem antisemitischen Anschlag aus der linksextremen Szene entging, war einem bloßen Zufall zu verdanken. Der Glühdraht an der Zündpille hatte sich gelöst. So lautet die offizielle Version.

Eine andere Darstellung der Hintergründe des gescheiterten Anschlags vom 9. November 1969 bieten nun der Historiker Sven Felix Kellerhoff, der Drehbuchautor Uwe Wilhelm und der Investigativ-Journalist Martin Lutz, die sich hinter dem Pseudonym von „Lutz Wilhelm Kellerhoff“ verbergen. Diese veröffentlichten im Ullstein-Verlag den Krimi mit dem Titel „Teufelsberg (Wolf Heller ermittelt 2)“. Bei der Hauptfigur handelt es sich, wie der Titel schon vermuten lässt, um den Oberkommissar Wolf Heller. Angestellt beim Kriminalreferat M in der Keithstraße in der Mordinspektion ist er für die Observation der Wohnung des Präsidenten des Amtsgerichts Tiergarten, Joachim Hirsch, abgestellt. Hirsch und seine Ehefrau Rebecca haben die Schoah überlebt. Nachdem Hirsch einen linksradikalen Studenten zu einer zehnmonatigen Haftstrafe verurteilt hatte, geriet er auf die Abschlussliste derer, die ihm danach mit einem Bombenattentat drohten. Wie in jedem guten Krimi ist der Held natürlich kein Superheld, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut mit all seinen Schwächen.

Schwester im linksradikalen Milieu

Ausgezerrt von der Brustkrebserkrankung seiner Frau und dem Schlafmangel, bereitete ihm zusätzlich seine jüngere Schwester Kummer, die sich neuerdings im linksradikalen Milieu Berlins herumtrieb. Nunmehr brachte ihn ein schreiendes Baby aus der Fassung. Er missachtet seine Order, verlässt seinen Observierungspunkt, um nach dem Baby zu schauen und vermasselt die Observierung. In den 17 Minuten seiner Abwesenheit bekommt Rebecca Hirsch Besuch und wird von diesem zu Tode gewürgt. Als der Besucher und mutmaßliche Mörder von Rebecca Hirsch einige Tage später selbst ermordet aufgefunden wird, tappt die Polizei, was Hintergründe und Motive angeht, vollends im Dunkeln. Im Laufe ihrer Ermittlungen tauchen Heller und seine Kollegen in das Berlin der 68er ein. Neben der Hochphase der Hippiekultur bekommt der Leser auch einen Einblick in das Leben im geteilten Berlin und in den Kalten Krieg.

Zusätzlich zu einem Krimi entwickelt sich die Geschichte auch zu einem Spionagethriller und einer Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte. Hellers Vater war nämlich an „Säuberungen“ der Wehrmacht beteiligt, was ihm seine Tochter, Wolfs Schwester, nicht verzeihen will. Den Aufenthaltsort von Joachim Hirsch in der Tatnacht und welches dunkle Geheimnis er mit sich trägt, muss Heller zur Aufklärung des Falles auch noch ermitteln. Ein passender Gegenspieler darf selbstverständlich nicht fehlen und ist in der Figur des KGB-Spion Alexander Poljakov gefunden. Man ist den Autoren zu Dank verpflichtet, dass die Zeiten der Schwarz-Weiß Malerei vom „bösen Russen“ vorbei sind und sie die Motivation von Poljakov gut nachzeichnen und diese über blinden Befehlsgehorsam hinaus eine persönliche Geschichte mitbringt. Natürlich fehlt auch hier nicht der Hinweis darauf, dass die Figuren frei erfunden sind und Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen reiner Zufall sind. Trotzdem schaffen es die Autoren, das Berlin der 68er für den Leser hervorragend zu beschreiben und ermöglichen es dem Leser in die damalige Zeit einzutauchen. Wie in jedem guten Krimi darf auch hier der Showdown zum Schluss nicht fehlen.

 

Lutz Wilhelm Kellerhoff:

Teufelsberg (Wolf Heller ermittelt 2).

Wallstein, Berlin 2021.

384 S.,

14,99 €

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