Kretschmer zu deutschem Impfversagen: „Israel drängelt sich vor.“

Nach Ministerpräsident Haselhoff (Sachsen-Anhalt) will nun mit Ministerpräsident Kretschmer (Sachsen) ein zweiter Landesvater vom deutschen Impfversagen ablenken, indem er die Schuld ausgerechnet bei Israel und damit den Juden sieht.

Von Elisabeth Lahusen

 

Am 1. April sind bei Markus Lanz Michael Kretschmer (CDU), seines Zeichens seit 2017 Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, Wolfgang Kubicki (FDP), Bundestagsvizepräsident, die Journalistin Anja Maier, Parlamentsberichterstatterin des „Weser-Kurier“ und die Virologin Prof. Melanie Brinkmann zu Gast. 77 Minuten lang spricht man hier über die Frage: „Wo ist der Ausweg – Deutschland steckt fest in der Coronakrise.“

Es geht, so sagt Lanz in der Anmoderation, darum, zu klären: „An welchem Punkt haben wir nicht aufgepasst und was ist vor allen Dingen jetzt zu tun?“. Dabei spricht man über Lockdown, Teststrategien und Impfen. Und in den letzten 20 Minuten der Show wird da von dem Ministerpräsidenten aus Sachsen, in dessen Bundesland die Zahlen gerade durch die Decke gehen, ein Deutschland beschworen, das den europäischen Zusammenhalt pflegt – ganz im Gegensatz zu einem Israel, dass sich ja „vorgedrängelt“ habe.

Wie kommt der Mann dazu, so etwas zu behaupten? Hören wir einmal herein, ab Minute 56:46.

Kretschmer: „Wir haben in den ersten Monaten dieser schweren Zeit einen großen Zusammenhalt gehabt zwischen Bund und Ländern, Bundestag, Bundesrat, den Ministerpräsidenten, der Bundesregierung, mit der Öffentlichkeit, die das getragen haben. Das ist ein Stückweit verloren gegangen, durch Fehler würde ich sagen, aber auch durch Erschöpfung. Und jetzt sollten wir zu dem Erfolgsrezept wieder zurückkehren dieser Gemeinsamkeit und versuchen, die Dinge so zu benennen, wie sie sind. Über den Impfstoff ist viel gesprochen worden. Aber ich finde, man muss auch da bei der Wahrheit bleiben. Es war immer klar, Deutschland drängelt sich nicht vor, so wie das ein Land wie Israel oder wie das Großbritannien kann, sondern wir gehen gemeinsam in Europa vor, weil wir es nicht ertragen können, dass die Deutschen mit ihrer Kraft und ihrem Geld den Impfstoff haben und die Polen und die Tschechen und die Slowaken alle reihenweise nacheinander sterben, das wird diese Europäische Union nicht erleben. Deswegen kriegen alle diese europäischen Länder gleichmäßig nach ihrer Bevölkerung den Impfstoff. Deswegen wird es dauern.“

Lanz: „Herr Kretschmer. Was Sie jetzt gerade machen, ist Populismus.“

Kubicki: „Es ist auch wirklich falsch.“

Kretschmer bekräftigt seinen Standpunkt: „Das ist die europäische Impfstrategie. Und deswegen bekommen wir… am Anfang haben wir 3.000 Impfdosen gehabt, jetzt haben wir 16.000 pro Tag, die wir verimpfen in Sachsen. Wir kommen auf 5 Millionen nach oben, und dann wird mehr.“

Lanz interveniert: „Es tut mir leid. - Herr Kubicki?“

Aber Kretschmer beteuert noch einmal: „Das, was ich Ihnen gesagt habe, ist die Wahrheit.“

Lanz widerspricht wieder: „Nein, ist es nicht.“

Kretschmer: „…ist der Grund, warum wir diese Impfdosen bekommen, und jetzt geht’s darum, wir haben Impfzentren aufgebaut, um am Anfang schnell voranzukommen. Jetzt kommen die Hausärzte dazu kommenden Dienstag. Und dann haben wir zwei Säulen, die ungefähr gleich stark sind, die dafür sorgen werden, dass auch schnell diese Bevölkerung dann auch entsprechend mit dem Impfstoff durchgeimpft wird.“

 

Wollte Merkel sich als „gute Europäerin“ verkaufen

Kretschmer hat endlich seinen Beitrag beendet. Nun meldet sich Kubicki: „Herr Kretschmer, Sie wissen es selbst doch besser. Erstens hat die europäische Kommission für Gesundheit doch gar keine Zuständigkeit. Nach den Verträgen sind die Nationalstaaten zuständig. Jens Spahn hatte gemeinsam mit seinem österreichischen, seinem französischen und seinen holländischen Freunden bereits eine Einkaufsstrategie entwickelt. Die ist ihm von der Kanzlerin aus der Hand geschlagen worden. Ich habe mir immer überlegt, warum eigentlich? Ende Juni waren wir bereits so weit, den Impfstoff bestellen zu können. Mir ist klar geworden, warum das so ist, weil wir am 1. Juli die Ratspräsidentschaft übernommen haben und Angela Merkel als gute Europäerin dastehen wollte. Alles kann ich akzeptieren. Nur jetzt so zu tun, als sei das eine Notwendigkeit gewesen, ist schlicht und ergreifend falsch. Es war sozusagen, der geschichtlichen Bedeutung von Angela Merkel geschuldet. Wir hätten das machen können, mit den Franzosen, den Holländern gemeinsam. Wir hätten auch für Europa – Jens Spahn hat ja angeboten, dass andere Länder sich beteiligen könnten. Jetzt für ganz Europa, wobei auch, organisieren können. Wir haben das aus der Hand gegeben, einer Kommission übertragen, die heillos überlastet gewesen ist, in dieser Fragestellung.“

Kretschmer: „Wir haben uns entschieden, dass nicht die Deutschen, die den Impfstoff bekommen, was ohne Probleme möglich gewesen wäre. Wir haben die wirtschaftliche Kraft und wir haben die Finanzen und wir haben den Markt. Es ist bei anderen Medikamenten so, dass die Deutschen Krebsmedikamente haben und sie in der Slowakei ein Jahr, ein halbes Jahr später kommen. Das ist der normale Weg. Weil dieser Markt Deutschland so attraktiv ist. Das haben wir in dieser Krise ganz bewusst nicht gemacht. Deswegen gibt es eine gleichmäßige Verteilung.“

Lanz: „Nein, es tut mir leid, Herr Kretschmer. Wirklich – diese Nebelkerze kann man doch so nicht immer weiter werfen. Warum macht man das? (…) Sie sagten eben gerade im Zusammenhang mit Israel und den USA, die könnten sich es leisten, sich vorzudrängeln.“

Kretschmer: „Das sind souveräne Staaten, die sind nicht in einer Gemeinschaft, wie wir in Europa.“

Vor dem Bildschirm fragt sich der Zuschauer ernsthaft: Also ist Deutschland nicht souverän? Aber hören wir weiter zu.

Lanz: „Und vordrängeln würde mir in dem Zusammenhang ehrlich gesagt, nicht über die Lippen kommen!“

Kretschmer, der die Kritik an seinen Worten offensichtlich schlicht nicht nachvollziehen kann, fragt zurück: „Und warum nicht?“

Lanz erklärt es ihm geduldig: „Weil … vordrängeln ist etwas anderes. Die haben einfach die Marktwirtschaft begriffen. Schlicht und ergreifend. Die haben kapiert, dass man sich an der Entwicklung von Impfstoff beteiligen muss, die haben dafür sehr viel Geld in die Hand genommen – die Amerikaner speziell – haben dann aber, zweiter Punkt, auch dabei geholfen, Produktionsstätten aufzubauen. Wir haben 375 Millionen in die Entwicklung von Impfstoff gesteckt. Die Amerikaner haben 16 Milliarden Dollar da reingesteckt und ich frage Sie warum? Da kommt jemand wie Peter Altmeier und sagt bei Anne Will zur besten Sendezeit: Das muss man den Leuten mal erklären, dass wir keinen Impfstoff haben. Liebe Leute, das liegt ja gar nicht daran, dass wir keinen Impfstoff hier in Deutschland hätten, sondern wir in Amerika die Werke für den Biontech/Pfizer-Impfstoff sitzen haben. Warum ist das so? Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Tatsache, dass Peter Altmeier Wirtschaftsminister ist und die Produktionsstätten in Nordamerika sind? Ich glaube, ich trete keinem zu nahe, wenn ich sage: Möglicherweise ja. Denn die Amerikaner haben dafür gesorgt, dass diese Produktionsstätten aufgebaut werden. Schlicht und ergreifend. Wir haben es nicht getan.

Warum haben wir das nicht getan? Wir haben den ersten Schritt gemacht, Entwicklung des Impfstoffes, wir haben den letzten Schritt gemacht und bei der Bestellung – ein Argument noch – ganz kurz: Bestellung. Es geht nicht um die Frage, ob die EU bestellt, es geht nur um die Frage, wie die EU bestellt. Niemand bestreitet, dass es gut ist, dass die EU bestellt. Es geht um die Frage, wie wir bestellen. Die Amerikaner haben im Juli bestellt. Riesige Mengen an Impfstoff. Wir haben reserviert. Und zwar bis November und im November haben wir verbindlich bestellt. Können Sie mir mal erklären, was daran clever ist, was daran smart ist? Wir haben unser eigenes System nicht verstanden. Weil Marktwirtschaft ist an dem Punkt eine feine Sache, wie sich gerade herausstellt. Das Problem ist nicht, dass die EU bestellt hat. Das Problem ist, wie die EU bestellt hat. Dass man sich einigen konnte über einen sehr langen Zeitraum, schlicht und ergreifend verbindlich zu bestellen. Ich kann Ihnen noch eine andere Zahl liefern. Ich habe die irgendwo im Hinterkopf sitzen. Es gibt eine Projektion, die sagen: Wenn wir rechtzeitig von allen relevanten Herstellern bestellt hätten, hätte uns das gekostet, die einen sagen 10 Milliarden, die anderen sagen sogar 30 Milliarden. Lassen Sie es 30 Milliarden sein. Und lassen Sie es sogar 50 Milliarden sein. Wir hätten einfach bei allen namhaften relevanten Herstellern bestellt. Eine Impftechnik, die wir selber im eigenen Land entwickelt haben.“ (…)

Die Diskussion geht noch weiter. Kretschmer möchte lieber nicht an das erinnert werden, was in Deutschland alles schiefgelaufen ist. Doch für die Zukunft stellt der christliche Spitzenmann seinem Bundesland noch mehr Moral statt Medizin in Aussicht- er meint: „Impfstoff – das wird nicht die Lösung sein. Es geht an dieser Stelle um das Verhalten.“

Das Verhalten.

 

Reiner Haseloff stieß ins selbe Horn

Kretschmer ist nicht der einzige Ministerpräsident, der dünnhäutig reagiert, wenn er auf die Erfolge des jüdischen Staates hingewiesen wird. Am 10. Januar durften wir Reiner Haseloff zuhören. Haseloff ist seit 2011 Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt. Seit dem 1. November 2020 ist er der Präsident des Bundesrates. Außerdem ist der Mann 66 Jahre alt, katholisch und der verheiratete Vater zweier Kinder gehört zudem dem Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem an. 1991 erfolgte seine Promotion zum Dr. rer. nat. an der Humboldt-Universität mit der Arbeit „Entwicklung von Messgeräten auf der Basis der linearen Laser-Absorptionsspektrometrie zur empfindlichen Molekülgas-Konzentrationsmessung unter dem Aspekt des Einsatzes in der Umweltkontrolle.“ Ein kluger Mann, sollte man meinen.

Und nun sitzt also der Physiker und Politiker Haseloff am Sonntagabend in der Talkshow von Frau Will und so ab Minute 43 erzählt er, wie er das so sieht mit dem Impfen und was er so von Israel hält.

Und wir sitzen in Jerusalem und trauen unseren Ohren nicht. Es geht erst um Streitereien in der Koalition wegen der Zuständigkeiten, der Impfbestellungen usw.

Hier sagt Haseloff ganz richtig: „Die Menschen erwarten einfach, dass die Impfungen kommen.“

Recht hat der Mann. Auch Anne Will stimmt schnell zu: „Ja, genau!“

Haseloff weiter: „Und die wollen jetzt nicht die ganzen Firmenbezeichnungen und Liefertermine und wer es genehmigt und nicht genehmigt…“

Will unterbricht lebhaft: „Und woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass es nicht klappt, nicht schneller geht, nicht mehr da ist?“

Haseloff erklärt: „Jetzt bin ich mal Naturwissenschaftler. Ich habe es nicht für möglich gehalten, dass es in dieser Geschwindigkeit einen Impfstoff überhaupt gibt, das gab es in der Menschheitsgeschichte noch nie, deshalb war ich da mal noch skeptisch in der letzten Ministerpräsidentenkonferenz (…)“

Und plötzlich wird es spannend, denn jetzt sagt er, wie es in ihm so denkt, woran es liegen könnte, dass die Israelis so viel besser sind.

Haseloff: „Die Impfstrukturen stehen jetzt, mit den Impfzentren in den Landkreisen, den kreisfreien Städten, die können jetzt in den nächsten Tagen und Wochen an – äh abarbeiten, was reinkommt und wir wissen trotzdem, dass nur so und so viel durchgehen, weil wir schlicht und einfach die Impfteams ja nicht beliebig erweitern können, sondern es müssen ja Ärzte machen und äh, es muss beraten werden. Anders als in Israel muss bei uns eine Rechtsberatung erfolgen, da kann man nicht im Drive In sozusagen sich da schnell ne Spritze holen. Das kann man vielleicht äh dort machen, weil die Situation auch dort schwieriger ist, äh weiss ich nicht. Wir haben nen Rechtsstaat, der ist eben so ausjefeilt…

Schade, dass Frau Will hier gar nicht hören will, ob Israel nicht auch einen Rechtsstaat hat, denn das hätte uns an dieser Stelle brennend interessiert. Sie unterbricht Haseloffs Bemerkungen abermals.

Anne Will: „Und weil deren Gesundheitssystem durchdigitalisiert ist.“

Haselhoff antwortet: „Ja, das mag sein, aber so schlecht sind wir da auch nicht, wir sollten das nicht immer schlechter machen als wir sind, und ich bin nach wie vor froh und hab noch keine Ausreiseüberlegungen anjestellt, Deutschland so schnell wie möglich zu verlassen, dass ich mein Leben rette. Ich fühle mich hier immer noch am sichersten, das muss ich auch sagen. Und so soll es auch sein.“

Also Herr Haselhoff weiß weder etwas zur Rechtsstaatlichkeit Israels noch zum Grad der Digitalisierung von Israels Gesundheitssystem zu sagen. Aber er will nicht ausreisen, denn er „fühlt sich sicher“ und am Schluss sagt er noch:

„Letztendlich können wir dieses neue Jahr mit einem Halleluja beginnen, nämlich dahingehend, dass wir sagen, Gott sei Dank ist der Impfstoff da und die Impfbereitschaft hoch und jetzt lasst uns das durchorganisieren und wir schaffen das.“

Zwischen dem Talk bei Anne Will und dem bei Markus Lanz liegen fast drei Monate. Ein „Wir schaffen das“ ist noch in weiter Ferne. Weder die Viruspandemie noch die „Israelkritik“ haben nachgelassen. Für ein Halleluja ist es leider noch zu früh.

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