Einer der glücklichsten Tage des Jahres in Israel: Der Jom HaAtzmaut

Den Feiern zum israelischen Unabhängigkeitstag gehen die traurigen, das schwere Schicksal des jüdischen Volkes abbildenden Gedenktage Jom HaSchoah und Jom HaSikaron (Gedenken an die Gefallenen des Krieges) voraus.

Eine Offizierin steckt Fahnen auf die Gräber der Kriegsgefallenen.© WIKIPEDIA

Von Dr. Nikoline Hansen

Es ist der fröhlichste Tag in Israel, der ausgelassen gefeiert wird: Jom Ha‘Atzma‘ut, der Tag der Unabhängigkeit und Staatsgründung Israels. Das Ereignis, das nach hebräischem Kalender am 5. Ijar 5708 stattfand und das Leben der Juden in aller Welt für immer veränderte, fällt dieses Jahr auf den 14./15. April 2021. Jedes Jahr wird dieses Ereignis ausgiebig mit Musik und gutem Essen bei einem Picknick in Gemeinschaft gefeiert, und so war der Corona-bedingte Ausfall der Feierlichkeiten für viele Israelis im letzten Jahr ein ungewöhnlicher Einschnitt, denn normalerweise herrscht auf den Straßen und in den Parks eine ausgelassene Stimmung: israelische Fahnen schmücken dabei das Land, und die Luftwaffe führt am Himmel waghalsig wirkende Kunststücke vor.

 

Vor der Freude liegt die Trauer

Jom Ha‘Atzma’ut ist aber auch der Tag, der ins Bewusstsein bringt, wie nahe Trauer und Freude hier beieinander liegen, denn er folgt auf den Jom HaSikaron, den israelischen Nationalfeiertag, an dem der Veteranen, gefallenen Militärangehörigen der israelischen Armee sowie der getöteten Zivilisten gedacht wird. Dabei geht die Trauer unvermittelt in Freude über – der Toten wurde angemessen gedacht und das Leben wird fröhlich gefeiert. Bereits eine Woche zuvor, am 27. Nissan gedenkt Israel der Opfer des Holocaust. Jom HaSchoa ist zwar kein offizieller israelischer Feiertag, aber die Fahnen wehen auf Halbmast und er wird am Abend durch das Entzünden von sechs Fackeln zur Erinnerung an die sechs Millionen im Holocaust ermordeten Juden eröffnet. Am Tag heulen um 10 Uhr für zwei Minuten die Sirenen im ganzen Land und das öffentliche Leben kommt in dieser Zeit zu einem kompletten Stillstand. Die Fahrzeuge halten an, Passanten bleiben dort stehen, wo sie gerade sind – ein beeindruckendes Szenario, das kurze Zeit für schmerzliche Erinnerungen lässt.

Auch der Jom HaSikaron eine Woche später ist ein trauriger Tag, auch an diesem Tag heulen die Sirenen. Am Abend um 20 Uhr steht auch an diesem Tag das Leben für eine Minute still. Die Fahnen werden zum Gedenken auf Halbmast gesenkt, es wird der Toten erinnert, die den Menschen oftmals noch näher sind als die Toten des Holocaust, denn es sind die Toten, die die Gründung des Staates Israel selbst gefordert hat. Der unmittelbare Übergang in die ausgelassene Fröhlichkeit, der mit dem jüdischen Tagesanbruch am Abend durch das Hochziehen der Fahnen eingeleitet wird, ist für alle, die nicht in Israel leben und es zum ersten Mal vor Ort miterleben ein beeindruckendes Ereignis, das man nicht so schnell vergisst.

 

Angriff direkt nach der Staatsgründung

Warum erfolgte die Staatsgründung an diesem Tag? Am 14. Mai 1948 oder nach hebräischem Kalender dem 5. Ijar 5708 endete das britische Mandat in Palästina. Angesichts dieser Tatsache und auf Grundlage der UN-Resolution 181 vom 29. November 1947 war die Gründung eines eigenen jüdischen Staates historisch unvermeidlich. Dabei war es zugleich ein riskantes Unternehmen, denn fast zeitgleich mit der Freude begann am nächsten Tag bereits der erste Krieg des jungen Landes: noch in der Nacht griffen Ägypten, Jordanien, Libanon, Irak und Syrien den neuen Staat an, um seine Proklamation rückgängig zu machen. Ben Gurion hat den Augenblick der Staatsgründung in seinem Tagebuch in einem neuen Kapitel vorausschauend mit den Worten festgehalten: „Um 16 Uhr wurde die israelische Unabhängigkeit erklärt und der Staat gegründet. Sein Schicksal liegt in den Händen der Verteidigungskräfte“.

In der sogenannten Unabhängigkeitshalle, die sich in Tel Aviv im ehemaligen Stadtmuseum am Rothschildboulevard 16 befindet, ist die Geschichte der Staatsgründung ausführlich dokumentiert. Derzeit werden das Gebäude und die Ausstellung, die 1978 erstmals nach Restaurierung der Unabhängigkeitshalle und deren Einrichtung mit originaler Möblierung eröffnet wurde, einer umfassenden Renovierung unterzogen; die Wiedereröffnung mit der dann erneuerten Ausstellung und weiteren Originaldokumenten wie der Balfour-Erklärung, ist für 2023 geplant. Auf der Webseite (ihi.org.il) findet man Fotos, die Eindrücke des Tages vermitteln, an dem die Unabhängigkeit im Radio verkündet wurde – ein spannender Augenblick. Und die Unabhängigkeitserklärung spricht für sich selbst:

„Gleich allen anderen Völkern, ist es das natürliche Recht des jüdischen Volkes, seine Geschichte unter eigener Hoheit selbst zu bestimmen. Demzufolge haben wir, die Mitglieder des Nationalrates, als Vertreter der jüdischen Bevölkerung und der zionistischen Organisation, heute, am letzten Tage des britischen Mandats über Palästina, uns hier eingefunden und verkünden hiermit kraft unseres natürlichen und historischen Rechtes und aufgrund des Beschlusses der Vollversammlung der Vereinten Nationen die Errichtung eines jüdischen Staates im Lande Israel … Der Name des Staates lautet Israel. Der Staat Israel wird der jüdischen Einwanderung und der Sammlung der Juden im Exil offenstehen. Er wird sich der Entwicklung des Landes zum Wohle aller seiner Bewohner widmen. Er wird auf Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden im Sinne der Visionen der Propheten Israels gestützt sein. Er wird all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht, soziale und politische Gleichberechtigung verbürgen. Er wird Glaubens- und Gewissensfreiheit, Freiheit der Sprache, Erziehung und Kultur gewährleisten, die Heiligen Stätten unter seinen Schutz nehmen und den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen treu bleiben.

Der Staat Israel wird bereit sein, mit den Organen und Vertretern der Vereinten Nationen bei der Durchführung des Beschlusses vom 29. November 1947 zusammenzuwirken und sich um die Herstellung der gesamtpalästinensischen Wirtschaftseinheit bemühen. Wir wenden uns an die Vereinten Nationen mit der Bitte, dem jüdischen Volk beim Aufbau seines Staates Hilfe zu leisten und den Staat Israel in die Völkerfamilie aufzunehmen. Wir wenden uns – selbst inmitten mörderischer Angriffe, denen wir seit Monaten ausgesetzt sind – an die in Israel lebenden Araber mit dem Aufruf, den Frieden zu wahren und sich aufgrund voller bürgerlicher Gleichberechtigung und entsprechender Vertretung in allen provisorischen und permanenten Organen des Staates an seinem Aufbau zu beteiligen.“

Dieser Aufruf zum Frieden blieb damals ungehört. Erhört wurde 1967 die Bitte, den Staat Israel in die Völkerfamilie aufzunehmen: Mit der Resolution 242 wurde Israels Recht bestätigt, in eigenen sicheren, auszuhandelnden Grenzen zu leben. Zwar haben nicht alle Staaten dieser Resolution zugestimmt, aber sie fand doch eine große und zur Annahme ausreichende Mehrheit – 2016 hatten bereits 160 Staaten unterschrieben. In der Resolution 338 vom 22. Oktober 1973 wurde sie noch einmal bestätigt. Die in Israel lebenden Araber sind in großem Teilen dem Aufruf gefolgt, wie auch die letzten Wahlen zeigen. Sie freuen sich an den Privilegien, die das Leben in einem demokratischen und fortschrittlich heranwachsenden Land mit sich bringt.

Krieg und Freude sind in Israel seit seiner Staatsgründung traditionell untrennbar miteinander verbunden.

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