Leo Weiss alias Muhammad Asad
Die beeindruckende Geschichte eines österreichischen Juden, der im 20. Jahrhundert das Gesicht der islamischen Welt mitprägte – in einer Zeit als der Islam fortschrittlicher war, als er es heute ist.
Muhammad Asad spricht zu Radio Pakistan © WIKIPEDIA
Zu allen Zeiten, insbesondere im Mittelalter, gab es Juden, die zum Islam konvertierten. Sie erreichten hohe Positionen an den Höfen muslimischer Herrscher. In der Regel waren dies sephardische Juden, die hohe Ämter bekleideten. Und Tausende von Juden sind seit vielen Jahrhunderten Christen geworden; nicht wenige von ihnen haben Ruhm und Reichtum erlangt. In der Regel waren es aschkenasische Juden (aschkenasische Juden oder Hebr. אַשְׁכְּנַזִים, Aschkenasim – europäische Juden aus Nord-, Ost- und Mitteleuropa, - Anm. d. Übers.), die zu Christen wurden. Dass aber ein Aschkenasi zum Islam konvertierte, ist ein außergewöhnliches Ereignis!
Als Kind freiwillig zur österreichischen Armee gemeldet
Leopold Weiss, der Sohn eines jüdischen Rechtsanwalts, kam am 2. Juli 1900 in Lemberg (früher Galizien, zu besagter Zeit Österreich-Ungarn, heute Lwiw, West-Ukraine, - Anm. d. Übers.) zur Welt. In jungen Jahren studierte Leo Heilige Bücher und bereiste mit seinen Eltern Europa. 1914, als österreich-ungarischer Patriot, fälschte der jüdische Bub seine Papiere, indem er sich zwei Jahre älter machte, und ging zum Militär. Doch wurde er entlarvt und nach Hause geschickt; vier Jahre später, als er ordnungsgemäß einberufen wurde, war der Krieg bereits zu Ende.
Die Familie Weiss wohnte jetzt in Wien. Leopold studierte zunächst an der Universität Wien Kunstgeschichte und Philosophie, unterbrach jedoch alsbald sein Studium und ging nach Berlin, wo er Assistent des Kinoregisseurs Murnau wurde. Beim Film konnte Leopold keine Kariere machen, stattdessen nahm er 1921 eine Stelle als Telefonist in der Redaktion der „Frankfurter Zeitung“ an. Ein Freund – Portier in einem Hotel – erwähnte, dass in diesem Hotel Marija Andrejewa wohne, die Lebensgefährtin des russischen Schriftstellers Maxim Gorki, die um Spenden für Hungersnot leidende Menschen aus der Povolschje-Region bemüht war. Spontan, ohne die Genehmigung seiner Redaktion, eilte Leopold ins Hotel, um mit Andrejewa über das katastrophale Ausmaß der Hungersnot in Russland zu sprechen. Sein Manuskript bat Leopold die Druckerei, sofort in die aktuelle Ausgabe aufzunehmen. Das Interview war ein fulminanter Erfolg. Für seinen Alleingang erhielt Weiss eine Abmahnung und ...eine Stelle als Reporter.
Im Frühling 1922 bekam Leopold einen Brief von seinem Onkel Dorian Fejgelbaum, der in einer Jerusalemer psychiatrischen Klinik arbeitete. Fejgelbaum, einer der ersten Studenten Sigmund Freuds, schrieb: „Warum kommst du nicht für einige Monate zu mir? Zurück kannst du, wann immer es dir beliebt, ich zahle dir dein Rückticket. Das alte schöne arabische Haus steht dir zur Verfügung… Bücher habe ich auch zur Genüge…“ Bald darauf konnte der Onkel Leo in seinem Haus am Jaffator begrüßen. Der arabische, muslimische Orient faszinierte Weiss und eroberte ihn für immer.
In Jerusalem freundete sich Weiss mit dem umstrittenen niederländischen Journalisten und Dichter Jacob Israël de Haan (1881-1924) an. Als Freunde und Kollegen bereisten Weiss und de Haan Transjordanien, wo Leopold den Emir Abdallah ibn Husain kennenlernte, wie auch Syrien. Zurück in Berlin, veröffentlichte Weiss Artikel über den islamischen Orient und hielt Vorträge an der Deutschen Akademie der Geopolitik in Berlin. Dabei lernte er die fünfzehn Jahre ältere Künstlerin Elsa Schiemann kennen.
Europa kam ihm fad vor – es zog ihn in den Orient
Doch letztlich kam ihm Europa fad und banal vor. Ihn zog es in den Orient, zu neuen Abenteuern. So berichtet einer seiner Biografen von einer Zugfahrt, bei der es Weiss schien, in ausdruckslose, stumpfe Gesichter wohlgenährter, gut gekleideter deutscher Zeitgenossen zu sehen; dabei glaubte er, in diesen Gesichtern ein verborgenes Leiden zu entdecken. Zuhause angekommen, las er auf der geöffneten Seite des Korans: „…und ihr seid voller Begierde nach mehr und mehr Besitz, bis ihr eure Gräber erreicht habt. Wenn ihr das nur wüsstet, würdet ihr die Hölle sehen, in der ihr euch befindet.“ Und der Entschluss fiel im selben Augenblick: Innerhalb weniger Tage erhob der Jude Leopold Weiss in Anwesenheit zweier Zeugen seine rechte Hand und beteuerte: „Ich bekunde: Es gibt keinen Gott außer Allah, und Muhammad ist sein Prophet.“
Auf diese Weise also wurde der Jude Leo Weiss zu dem Moslem namens Muhammad Asad. Einen Teil seines Namens behielt er dann doch bei: „Asad“ heißt auf Arabisch „Löwe“. Ebenfalls zum Islam konvertierten Elsa Schieman, mittlerweile seine Ehefrau, und ihr Sohn Heinrich aus erster Ehe. Anfang 1927 unternahm die Familie eine Pilgerfahrt nach Mekka – die Hadsch, auf der Elsa unerwartet verstarb. Muhammad schickte Heinrich nach Berlin zurück und blieb in Arabien, um Arabisch zu lernen sowie den Koran und islamische Traditionen zu studieren. Er veröffentlichte pro-arabische Artikel in europäischen Zeitungen, lernte wichtige Leute kennen, unter anderem den Sohn des Landesherrschers, der seinerseits Asad seinem Vater vorstellte – dem Gründer des neuen Staates Saudi-Arabien, dem König Abd al-Aziz ibn Saud. Nur wenig später wird Asad zum Berater und Geheimagenten des Königs.
Im Dienst des Königs
Folgendes schrieb Muhammad Asad über Arabien und dessen König:
„Mit diesem Land verbindet mich eine Liebesgeschichte, die ich intensiv und mit einer so bemerkenswerten Kraft erlebe wie kein anderer Europäer. Niemand, nach meiner Überzeugung, würde dem Zauber eines Lebens in Arabien widerstehen, wenn er eine Weile mit den Arabern leben würde; niemand wäre imstande, Arabien aus seinem Herzen zu verbannen. Selbst beim Verlassen dieses Landes wird der Mensch für immer ein Teil dieser herrlichen Atmosphäre der Wüste mitnehmen und selbst in den schönsten und reichsten Ländern der Welt von Sehnsüchten befallen werden… Er [der König] nennt mich seinen Freund, obwohl wir weit von einander entfernt sind da, wo wir uns aufhalten,… Dennoch wage auch ich zu sagen, wir seien Freunde, denn er vertraut mir seine innersten Gedanken an mit einer solchen Großzügigkeit, mit er auch anderen Menschen hilft.“
Gleichwohl konnte es keine Liebesgeschichte mit Arabien sowie Freundschaft mit dem König werden: So wissen wir, dass Muhammad Asad mit seiner 15-jährigen Ehefrau Munira Hussein Al-Shammari, Tochter eines arabischen Scheichs, und dem gemeinsamen neugeborenen Sohn das Land verlassen hat; einige Quellen behaupteten: fluchtartig. Die Gründe sind unbekannt.
Reisen nach Indien, in den Iran und ins sowjetische Zentralasien
Muhammad Asad bereiste die islamische Welt von Gibraltar bis Indien und besuchte auch den Iran. Aus seinen Artikeln erfuhren die Europäer – womöglich zum ersten Mal – von den unterschiedlichen religiösen Ansichten der iranischen Schiiten. Vom Iran aus bereiste Asad das sowjetische Zentralasien, konnte sich aber schnell davon überzeugen, dass dies kein guter Platz für einen gläubigen Muslim wäre. Danach ging er nach Britisch-Indien, schloss sich dem Kampf der Muslime für die Unabhängigkeit Pakistans an und unterstützte die Anführer dieses Kampfes, Muhammad Iqbal und Muhammad Ali-Jinnah. Asad lernte Urdu und half, die erste Zeitung in dieser Sprache zu veröffentlichen.
Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde Muhammad Asad als österreichischer Staatsbürger zusammen mit seiner Familie von den britischen Behörden in einem Auffanglager in Bombay interniert, wo sie die einzigen Muslime waren. Hier erfuhr Leo 1942, dass sein Vater, seine Schwester und seine Stiefmutter in den Öfen des Holocaust verbrannt worden waren...
Frauenrechtler in Pakistan
Mit dem Ende des Krieges lud der Gründer des pakistanischen Staates Muhammad Iqbal Asad ein, ihm beim Entwurf der Verfassung des Landes zu helfen. Dabei bestand Asad darauf, dass die neue Verfassung den Frauen das Recht einräumt, in die politischen Machtstrukturen gewählt zu werden. Als 1988 Benazir Bhutto als erste Frau das Amt des Premierministers Pakistans bekleidete und damit auch die erste weibliche politische Führerin in der gesamten islamischen Welt geworden war, betonte sie Asads maßgebende Rolle.
1951 ernannte die pakistanische Regierung Asad zu ihrem Beauftragten bei den Vereinten Nationen in New York.
In New York nun entwickelte sich eine stürmische Romanze mit der polnischen Immigrantin Pola Kazimirska. Asad schickte seine beduinische Frau zurück nach Saudi-Arabien, Pola konvertierte zum Islam und wurde seine dritte Frau namens Hamida. Angesichts dieser Eskapaden war man in Pakistan alles andere als begeistert, und Asad musste zurücktreten.
Etwa 20 Jahre lang lebte Muhammad Asad in Marokko, war Professor an der al-Azhar-Universität in Kairo und veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten. Als Höhepunkt seines Lebenswerks gilt aber die kommentierte Übersetzung des Korans ins Englische. Aus literarischer Sicht ist diese Übersetzung laut Experten ein Meisterwerk sondergleichen. In orthodoxen muslimischen Kreisen hingegen wurde sie mit Zorn aufgenommen: Man nannte sie viel zu modernistisch und liberal; in Saudi-Arabien war sie gar verboten. Außer der Koran-Übersetzung schrieb Asad „Die Prinzipien von Staat und Regierung im Islam“, „Sahih-al-Bukhari: Die frühen Jahre des Islam“, „Das ist unser Gesetz“ sowie Werke, die sich mit den staatlichen Rückwirkungen der Scharia befassen uvm. Sein Buch „Der Weg nach Mekka“, in dem er seinen Übertritt zum Islam schilderte, wurde zum Bestseller und in zahlreiche Sprachen übersetzt.
In unbekannte Länder geschickt, um sich selbst zu entdecken
In „Der Weg nach Mekka“ suchte Asad den eigenen Lebensweg mit Urvater Abraham zu erklären: „Dieser alte Vorfahre von mir, von Gott in unbekannte Länder geschickt, um sich selbst zu entdecken, würde leicht verstehen, warum ich in Arabien gelandet bin, da auch er durch fremde Länder umherzog, bevor er seine Bestimmung fand, und er war Gast in vielen Ländern, bevor es ihm gegönnt war, Wurzeln zu schlagen...“
2008 behandelte der Dokumentarfilm des österreichischen Regisseurs Georg Misch „Der Weg nach Mekka – Die Reise des Muhammad Asad“ sein Leben. Am 14. April desselben Jahres wurde der Platz vor der UNO-City in Wien ihm zu Ehren in Muhammad-Asad-Platz umbenannt.
Der Iran-Irak-Krieg 1980-1988 erschütterte ihn
Der Iran-Irak-Krieg (der Erste Golfkrieg, der am 22. September 1980 ausbrach und bis zum 20. August 1988 andauerte, - Anm. d. Übers.) erschütterte Asad. Für immer verließ er den muslimischen Orient und ging nach Portugal. Der Traum des muslimischen Liberalen und Reformers von einem säkularen, auf den Prinzipien des Humanismus aufgebauten islamischen Staat, von einer neuen Generation der Muslime zerbrach. Das Wachstum des Fundamentalismus im Islam beunruhigte Asad sehr; daher kritisierte er auch Ajatollah Chomeini, den König Saudi-Arabiens sowie den ägyptischen Präsidenten Nasser, den er persönlich gut kannte.
Später zog Asad von Portugal nach Südspanien, wo er am 20. Februar 1992 in Mijas verstarb und auf einem kleinen muslimischen Friedhof beigesetzt wurde.
Zum Ende seines Lebens schrieb er: „Mir wurde klar, dass die Probleme der Muslime nicht auf Mängeln des Islams beruhen, sondern auf dem fehlenden Willen der Muslime, im Einklang mit der islamischen Weltanschauung zu leben. […] Ich habe mich in den Islam verliebt, aber ich habe die Muslime überschätzt.“
Übersetzung aus dem Russischen von Irina Korotkina
Sehr geehrte Leser!
Die alte Website unserer Zeitung mit allen alten Abos finden Sie hier:
alte Website der Zeitung.
Und hier können Sie:
unsere Zeitung abonnieren,
die aktuelle oder alte Ausgaben bestellen
sowie eine Probeausgabe bekommen
in der Druck- oder Onlineform
Werbung