Ein Brite für Israel

Wie ein nicht-jüdischer britischer Soldat zum ersten israelischen Fallschirmjäger wurde

Tom Bowden

Von Benjamin Tschernuchin

Die Fallschirmjägerkorps ist eine der besten Militäreinheiten Israels; es ist berühmt und der Traum vieler, die einberufen werden, dort ihren Wehrdienst leisten zu können. Interessant ist dabei der Umstand, dass die Gründung des Korps in den 1950er Jahren keinem Israeli, noch nicht einmal einem Juden zu verdanken ist, obwohl er in Israel unter dem „charakteristischen“ Namen David Appel weithin bekannt war.

In Wirklichkeit war der Mann Brite und hieß Tom Derek Bowden. Vor 100 Jahren am 17. Dezember 1921 geboren, ist Bowden als Soldat im Unabhängigkeitskrieg Israels 1948 in die Geschichte eingegangen, indem er Seite an Seite mit Juden in Latrun und Galiläa kämpfte. Es war kein Zufall, dass der Generalstabschef der israelischen Streitkräfte, Chaim Laskov, 1949 ausgerechnet Bowden beauftragte, für Israel die erste Fallschirmschule zu gründen und zu leiten. Dort, an dieser Schule, wurde er Kommandeur und Chefausbilder. Auch gelang es ihm, die benötigte Ausrüstung aus England zu beschaffen; er stellte für die Einheit das erste Lernprogramm zusammen, ins Hebräische von seiner Sekretärin Chava (Eva) Heilbronner, einer aus Deutschland eingewanderten Jüdin, übersetzt.

 

Warum nun entschloss sich ein britischer Offizier ohne Bezug zum Judentum für ein fremdes Land zu kämpfen?

Tom war das siebte Kind einer wohlhabenden Familie in Süd-London. Die Schule verließ er mit 15; mit 17 Jahren wurde er einberufen und zusammen mit dem Schottischen Kavalleriekorps nach Palästina verlegt, das damals unter britischem Mandat stand. Sein Kommandeur war der legendäre Orde Charles Wingate – ein Brite, der mit den Juden sympathisierte und die paramilitärischen Einheiten der Hagana, (einer paramilitärischen zionistischen Untergrundorganisation in Palästina zur Zeit des britischen Mandats, Vorgängerin der IDF, - Anm. d. Übers.) gründete, die überwiegend nachts agierten. Auch der junge Bowden begleitete den Widerstandskampf der Juden mit Bewunderung: „Sie waren wie die Siedler im Wilden Westen, ich mochte sofort ihre Geschichte und dieses Land“, erinnerte sich der Brite später.

 

Kämpfe gegen die Vichy-Franzosen in Syrien

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges führten die Briten von Palästina aus Razzien auf dem Territorium des benachbarten Syrien durch, das von der französischen pro-faschistischen Vichy-Regierung kontrolliert wurde. Bei einem dieser Einsätze wurde Bowden am Bein schwer verletzt, und sein Partner, Sergeant Mosche Dayan, verlor ein Auge. Bowden wurde lange Zeit in Jerusalem behandelt und erholte sich danach drei weitere Monate in Tel Aviv, wo er im Haus der Familie Appel lebte; deren Nachnamen machte er zu seinem Pseudonym. Im Winter 1942 versetzte man ihn in eine in Ägypten stationierte Fallschirmeinheit in der Nähe des Suezkanals.

Nach der Landung der angloamerikanischen Streitkräfte in Italien war er beteiligt an den Schlachten auf Sizilien und gehörte am 6. Juni 1944 – dem historischen D-Day – zu den Fallschirmjägern, die die deutschen Stellungen in der Normandie stürmten. Im September desselben Jahres sprang er über den Niederlanden ab; die Schlacht um Arnheim, an der er teilnahm, wurde Teil einer der größten Landungsoperationen der Alliierten, die leider erfolglos blieb. Die Briten landeten zu weit von den Rheinbrücken entfernt, die eingenommen werden sollten; als Folge wurden sie fast alle von den Deutschen gefangengenommen. Bowden wurde in ein Kriegsgefangenenlager in der Nähe von Hannover überstellt; es gelang ihm, zu entkommen, er wurde jedoch gefasst und in dasselbe Lager zurückgebracht. Dort fand man bei ihm im Zuge einer Durchsuchung hebräische Briefe jüdischer Freunde aus Palästina, was im Vergleich dazu die Flucht als Kavaliersdelikt erscheinen ließ. Der zuvor äußerst korrekte SS-Offizier änderte schlagartig seinen Ton und versprach, dem Engländer zu zeigen, wie die Nazis mit den Juden umgehen. Der SS-Mann hielt sein Versprechen: Bowden wurde in das Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert. Dort tobte zu dieser Zeit eine Typhus-Epidemie, und Bowden wurde einem Team zugewiesen, das die Leichen einsammelte und in eine gemeinsame Grube brachte. Einen Monat später wurde der Brite jedoch nach Hannover zurückgebracht, wo er freigelassen wurde.

 

Auch auf der anderen Seite standen Briten

Nach dem Krieg arbeitete Bowden eine Zeit lang als Ausbilder in Jugoslawien, verlor dabei jedoch Palästina nicht aus den Augen. 1948 wurde der jüdische Staat ausgerufen. Tom sah, wie der Staat Israel mit den arabischen Armeen zu kämpfen hatte, und ging erneut dorthin, um seinen Freunden zu helfen. Später sagte er: „Mein Gedanke war, wenn wir kein zweites Bergen-Belsen wollen, muss ich dort sein. Ich wollte Juden helfen – und ich wollte ein Teil von dem werden und meinen Part bei dem leisten, was Gott selbst angefangen hat: Geburtshelfer zu sein bei der Wiedergeburt eines jüdischen Staates, zum ersten Mal nach zweitausend Jahren.“

Aus Jugoslawien kam er über Zypern nach Haifa und von dort – als Hauptmann David Appel – weiter; seine Aufgabe war, mit der 7. Brigade den Weg Tel Aviv – Jerusalem zu sichern. Erneut begegnete er Häftlingen aus den Konzentrationslagern, diesmal Ehemaligen, die mit der Waffe in der Hand die Unabhängigkeit ihres Landes verteidigten. Interessant war, dass die 7. Brigade gegen die Transjordanische Arabische Legion ankämpfte, die ihrerseits von britischen Offizieren gegründet und ausgebildet worden war, möglicherweise von Toms „Waffenkameraden“ von gestern…

Nach dem Unabhängigkeitskrieg gründete Tom – David Appel – die Fallschirmjäger-Schule und verließ Israel 1949. Als britischer Offizier wurde er in den Süd-Jemen versetzt, einer damaligen Kolonie Großbritanniens. Bald darauf kam seine israelische Sekretärin Chava zu ihm nach Aden; sie heirateten; das Paar bekam ihr erstes Kind. Jahre später, bereits als Eltern von insgesamt vier Kindern, ließen sie sich scheiden, bewahrten aber eine freundschaftliche Beziehung zueinander. Als Chava 2003 starb, war Tom unter denen, die sie auf dem letzten Weg begleiteten.

 

Rückkehr nach England

Aber das war später, und damals, 1950, kam Bowden samt Familie nach England zurück und widmete sich der Landwirtschaft. Einige Jahre später bildeten seine „Lehrlinge“ in Israel den Kern der berühmten 35. Fallschirmbrigade. Seit der Zeit ihrer Entstehung waren unter deren Kommandeuren Ariel Scharon und Rafael Eitan, Dan Schomron und Yitzhak Mordechai, Mosche Jaalon und Benny Gantz – später leitete jeder von ihnen den Generalstab der IDF oder hielten das Amt des Verteidigungsministers inne.

Stets verfolgte Tom Bowden die Ereignisse in Israel und besuchte das Land regelmäßig; seine Reisen passte er normalerweise dem Unabhängigkeitstag an. Er pflegte auch seine alten Freunde zu treffen, unter denen auch Ezer Weizman war: 1949 der Kommandeur der 101. Fliegerstaffel, danach Oberbefehlshaber der israelischen Luftwaffe und in seinen letzten Lebensjahren Präsident des Landes.

Der Gründer der ersten israelischen Fallschirmjäger-Schule verstarb 2019, er wurde 98 Jahre alt. Zu seiner Beisetzung in der Kirche St. Andrew‘s Church in South Lopham kamen der israelische Botschafter in Großbritannien, Mark Regev, der israelische Militärattaché und Kaplan der britischen Armee, Rabbiner Reuben Livingstone. „Tom kämpfte tapfer für den Sieg über die Nazis und für die Wiedergeburt des Jüdischen Staates“, hob Mark Regev hervor. „Die Erinnerung an ihn wird Israel ewig bewahren.“

 

Übersetzung von Irina Korotkina

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