Die Gedenkstunde zur Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar 2021

Die beiden Gastrednerinnen Charlotte Knobloch und Marina Weisband betrachten im Deutschen Bundestag das Datum der Befreiung aus dem Blickwinkel unterschiedlicher jüdischer Generationen, kamen aber wenigstens in einem Falle trotz aller emotionaler Erlebnisvermittlung nicht ohne politisierende Relativierung des grauenvollen NS-Geschehens aus.

Marina Weisband spricht vor dem Bundestag

Von Filip Gaspar

Seit nunmehr 25 Jahren findet am oder um den 27. Januar im Bundestag eine Gedenkstunde zum „Tag des Gedenkens für die Opfer des Nationalsozialismus“ statt. Der Anlass ist die Erinnerung an die Befreiung der Überlebenden des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee am 27. Januar 1945.

Eingeführt hatte diese 1996 der damalige Bundespräsidenten Prof. Dr. Roman Herzog. Neben dem Bundespräsidenten nahmen auch der Bundesratspräsident, die Bundeskanzlerin und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts teil.

 

1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

In diesem Jahr stand die Veranstaltung unter dem Motto „321 – 2021: 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Als Gastrednerinnen waren Dr. h. c. Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, und die Publizistin Marina Weisband geladen. Aufgrund der strengen Corona-Auflagen war die Gästetribüne im Gegensatz zu den Vorjahren mit wenig Gästen belegt. Der Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble eröffnete die Gedenkstunde um 11 Uhr mit einer Begrüßungsansprache im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes in Berlin. Er sprach in seiner Rede von den 1.700 Jahren jüdischen Lebens in Deutschland und betonte, dass die deutsch-jüdische Geschichte wechselvoll und widersprüchlich gewesen sei. Das eindeutig dunkelste Kapitel sei gewesen, als man versuchte, die jüdische Geschichte aus der deutschen und der Weltgeschichte zu tilgen. Man gedenke und verneige sich 76 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz vor allen Opfern des Nationalsozialismus.

Nach Schäuble kam die erste Gastrednerin ans Pult, Charlotte Knobloch, geboren 1932. Sie schilderte teils sehr emotional, wie sich das Leben für Juden unter Hitler stetig verschlechterte, die Mutter sie mit ihrem Vater alleine zurückließ, weil sie als Konvertitin dem Druck nicht mehr standhielt und die junge Charlotte dann von ihrer Großmutter erzogen wird, die ihr auch die Grundlagen des Judentums näherbringt. Später wird diese Großmutter in Theresienstadt ermordet. Um seiner Tochter das Schicksal der Deportation zu ersparen, versteckt der Vater die Sechsjährige auf einem Bauernhof in Mittelfranken, wo sie den Holocaust überlebt. Der Vater, der Rechtsanwalt Fritz Neuland, muss Zwangsarbeit verrichten, die ihn schwer zeichnen wird. Weiter erzählt sie davon, wie sie 1951 den Schoah-Überlebenden und „die Liebe ihres Lebens“, Samuel Knobloch aus Krakau, heiratet. Die Familie Knobloch plante in die USA auszuwandern, doch dazu kam es dann doch nicht und sie blieben in ihrer Heimat Deutschland.

Charlotte Knobloch berichtet von ihren Erlebnissen aus der NS-Zeit.

Natürlich durfte in der Rede kein politischer Bezug zur Gegenwart fehlen. Den lieferte sie, indem sie anfing, von aktuellen Formen und Gefahren des Antisemitismus zu sprechen und auch, dass manche heutzutage den Begriff „Jude“ durch „Israel“ ersetzt hätten. Und Knobloch hat Recht, wenn sie sagt, dass wer die heutigen Corona-Maßnahmen mit dem vergleiche, was die Juden einst in Deutschland ertragen mussten, der verharmlose den antisemitischen Staatsterror der Nationalsozialisten und die Schoah. Sie hat aber ebenso Unrecht, wenn sie sie die AfD mit den Worten angreift, dass diese „ihren“ Kampf schon vor 76 Jahren verloren hätten und somit selbst den Staatsterror der Nationalsozialisten verharmlost. Dies ist nicht nur in einer Gedenkstunde unwürdig. Wer Aleph sagt, muss auch Beth sagen und kann nicht eine Partei des politisch rechten Spektrums angreifen, deren parlamentarische Arbeit im Bundestag die israelfreundlichste ist – aus welchen Motiven auch immer – und gleichzeitig jene Parteien auslassen, die bei jeder Gelegenheit ihre Liebe zu toten Juden öffentlich zur Schau stellen, und auf der anderen Seite keine Gelegenheit auslassen, um den Staat Israel an den Pranger zu stellen oder israelhassende Staaten, wie den Iran, zu unterstützen. Soweit bekannt, hat Die Linke hat ihren Kampf 1989 verloren und die DDR ist nicht für ihre israelfreundliche Politik in die Geschichte eingegangen. Ihre Geschichte ist nicht nur eine jüdische, sondern auch eine deutsche Geschichte, die gehört werden sollte. Doch ihre Bemerkungen zum Schluss der Rede hin wirken fehl am Platze.

 

Marina Weisband

Die zweite Gastrednerin war Marina Weisband. 1987 in der Ukraine in eine jüdische Familie geboren, kam sie 1994 mit ihrer Familie als Kontingentflüchtling nach Deutschland. Die studierte Psychologin, und jetzt als Expertin für digitale Partizipation und Bildung tätige Weisband, sprach als Vertreterin der dritten Generation nach der Schoah. Die ehemalige „Piratin“, die nun in grünen Polit-Gewässern ihr Glück sucht, eröffnet ihre Rede, wie es sich gehört, mit den Worten „Sehr geehrte Menschen“. Somit konnte sich niemand ausgeschlossen fühlen, weder alte weiße Männer noch junge klimarettende Frauen.

Weiter berichtete sie davon, wie schwer es heute in Deutschland für Juden sei ein ganz normales Leben zu führen und „einfach nur Menschen“ zu sein. In der Ukraine trug die Familie nicht den Nachnamen Weisband und war sich sicher, dass sie ihr Jüdischsein in Deutschland nicht versteckten müsste. Doch leider ist dem nicht so. Vor dem Gebet müsse sie durch eine Sicherheitsschleuse, was leider trauriger Alltag für Juden in Deutschland ist. Als sie während ihrer Studienzeit einen Stammtisch für jüdische Studenten ins Leben rufen wollte, riet ihr die Polizei dringend davon ab, Ort und Zeit in die Zeitungsannonce zu schreiben.

Musikalisch wurde die Gedenkstunde begleitet vom Violinisten-Professor Kolja Lessing, der Sängerin Yael Nachshon Levin (begleitet von Haggai Cohen Milo am Kontrabass) und dem Gitarristen Tomer Moked.

Sulzbacher Thorarolle

Nach den Reden sollte noch mit einer feierlichen Zeremonie die Sulzbacher Thorarolle fertiggestellt werden. Dazu wurde ein kurzer Film abgespielt, unter Beteiligung der Repräsentanten der Verfassungsorgane, der Gedenkrednerin Charlotte Knobloch, des Amberger Rabbiners Elias Dray und Dr. Josef Schuster, des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, bevor es im Andachtsraum des Bundestages im Reichstagsgebäude weiterging. Elias Dray und Rabbiner Shaul Nekrich sprachen die Begrüßungsworte. 1793 wurde die Sulzbacher Thorarolle für die dortige Synagoge in der Oberpfalz geschrieben. Sie zählt heute zu den besterhaltensten Thorarollen aus Süddeutschland. Sie überstand sogar einen Stadtbrand 1882, der die Sulzbacher Synagoge vollends zerstörte.

Als 1934 aus der Synagoge ein Heimatmuseum gemacht wurde, brachte man die Thorarolle nach Amberg. Kurz vor der Reichspogromnacht im November 1938 rettete Leopold Godlewsky, damaliger Gemeindevorstand, die Rolle, indem er sie Georg Döppl zur heimlichen Verwahrung im Heimatmuseum übergab, wo sie die Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 unversehrt überstand. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs entstand in Amberg wieder eine jüdische Gemeinde, der die Sulzbacher Thorarolle zurückgegeben wurde, wenn auch erst auf Geheiß US-amerikanischer Besatzungseinheiten. Im dortigen Aron HaKodesh (Thoraschrein) geriet sie bis Mitte des letzten Jahrzehnts in Vergessenheit, bis sich Rabbiner Elias Dray ihrer annahm. Durch tatkräftige Unterstützung wurde die Thorarolle durch einen Sofer (Thoraschreiber) in Bnei Brak (Israel) restauriert. Nach der feierlichen Fertigstellung im Andachtsraum im Zuge der Gedenkstunde wird die Thorarolle wieder nach Amberg zurückgebracht werden.

 

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