Plötzliche Aufrüstung der Polizei als Eingeständnis politischen Scheiterns
Die neue Polizei-Ausrüstung in Bayern erinnert eher an Militär als an Freund und Helfer. Dieselben Politiker, die die Polizei so martialisch aufrüsten wie jetzt in dem süddeutschen Bundesland geschehen, haben übrigens erst das Entstehen von Situationen zugelassen, in denen solche Ausrüstung überhaupt gebraucht wird. Und es sind auch diese Politiker, die die Anwendung dieser Ausrüstung vor allem gegen nicht-regierungskonforme politische Gegner wünschen, obwohl sie bei linken Gewalttätern für Deeskalation plädieren.
Die Polizei muss aufrüsten, weil Politiker Situationen haben entstehen lassen, die diese Aufrüstung überhaupt erst nötig machen.© Odd ANDERSEN / AFP
Bitte werden Sie jetzt nicht nervös, aber die Polizei kauft aktuell Fahrzeuge, die beunruhigend nach Kriegsgerät aussehen.
Die Bereitschaftspolizei in Nürnberg hat stolz ihre zwei neuen „Offensivfahrzeuge“ den Bürgern präsentiert (@PolizeiMFR, 30.1.2020).
Es gibt glückliche Länder und Zeiten, da wissen die Menschen wenig über Waffen und ihre Gattungen – sind diese noch solche Zeiten?
Das Modell dieses „Offensivfahrzeugs“ heißt „Enok 6.2“. Es ist, so Wikipedia, ein „Light Armoured Patrol Vehicle“, also ein geschütztes Patrouillenfahrzeug, das einen „ballistischen Rundumschutz gegen panzerbrechende Sturmgewehrmunition“ bietet, selbst aber eine „fernbedienbare Waffenstation FLW 100“ oder eine „Drehringlafette“ als Bewaffnung tragen kann (was laut den martialischen anmutenden Fotos aus dem idyllischen Franken der Fall zu sein scheint).
Maschinen wie die ENOK-Patrouillenfahrzeuge auf der Basis der Mercedes-G-Klasse-Chassis werden sonst von der Bundeswehr im Ausland eingesetzt, wenn in rohstoffreichen Ländern wie Afghanistan oder Mali „freie Handelswege“ (Bundespräsident Horst Köhler, 22.5.2010) … – pardon! – wenn dort Demokratie und Menschenrechte verteidigt werden.
In Mali etwa hat man es mit einem veritablen Blumenstrauß an Terrorgruppen zu tun – Zitat: „There are a number of terrorist groups active in the region. These include JNIM, Islamic State West Africa (ISWA), Islamic State Greater Sahara (ISGS), Al Qaeda in the Islamic Maghreb (AQIM), Al Murabitoun, Ansar Dine and Boko Haram“ (gov.uk). Da ergibt es wirklich Sinn mit Panzerung und fernbedienbaren Waffenstationen auf dem Dach herumzufahren, aber in Franken? Was haben die da vor?
Wenn Politiker neues Waffenzeug vorstellen, klingen sie nicht selten dabei stolz und stark, als wäre die (angebliche) Notwendigkeit solcher Geräte nicht das Eingeständnis, dass das Gesellschaftsprojekt zu scheitern droht.
Die Bewaffnung der Polizei in Bayern wirkt wie die waffengewordene Dokumentation des Politikversagens – bereitet man sich auf neuartige Krisenlagen im Inland vor? Worauf sonst?
Dieser merkwürdige Stolz der Politiker auf die martialische Dokumentation ihres Politikversagens ist nicht die einzige Dissonanz heute – da wäre noch ein anderer Ton, den wir hören. Ich habe jenen Ton in Essay wie „Auf welchem Hügel willst du kämpfen?“ und „Erdoğan und die deutsche Heimat“ notiert.
Ich frage mich: Was und wer ist es eigentlich, den die bayerische Polizei da verteidigen wird?
Wird „das Volk“ verteidigt? Nun, das Volk darf schon lange nicht mehr Volk sein. Wird „das Land“ verteidigt? Nun, das ist seit den offenen Grenzen von 2015 eher ein im popperschen Sinne metaphysisches Thema.
Die „öffentliche Ordnung“ wird es sein, die waffenstarrend verteidigt werden soll. Man schafft Kriegsgerät an, um „in Ordnung“ zu halten, was in Unordnung rutscht. Was aber soll das „Endspiel“ sein? Was ist die realistische Hoffnung?
Denken Sie nicht zu sehr darüber nach! Solange weder „fernbedienbare Waffenstation FLW 100“ noch die „Drehringlafette“ auf Sie gerichtet sind, besteht keinerlei Grund zur Sorge. (Und wenn es soweit ist, ist es eh zu spät.) Alles wird gut (je nachdem wie man „gut“ definiert) – bitte werden Sie jetzt nicht nervös!
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