Die Welt mit Jerusalem verbinden
Der orthodoxe Rabbiner Jehuda Glick setzt sich dafür ein, dass Juden trotz geschichtsklitterndem und unduldsamen arabischen Alleinanspruchs auf die Eroberungsmoschee, wie früher auf dem Jerusalemer Tempelberg beten dürfen. Mit Israelnetz hat der ehemalige Knesset-Abgeordnete unter anderem über den Bau des Dritten Tempels und religiöse Toleranz gesprochen.
Jehuda Glick während einer Knesset-Sitzung© MENAHEM KAHANA / AFP
Israelnetz: Vor sechs Jahren verübte ein „Palästinenser“ in Jerusalem ein Schussattentat auf Sie. Sie wurden schwer verletzt. Wie geht es Ihnen heute?
Jehuda Glick: Körperlich viel, viel besser – Gott sei Dank! Ich habe an verschiedenen Stellen noch Schmerzen. Aber das Wichtigste ist, ich kann wieder ein normales Leben führen. Ich danke Gott, dass ich den Anschlag überlebt habe und wieder ich selbst sein kann.
Israelnetz: In vielen Medien liest man von Ihnen immer wieder als „Tempelberg-Aktivist“. Was muss man sich darunter vorstellen?
Jehuda Glick: Ich mag die Bezeichnung „Aktivist“ nicht. Das klingt nach jemandem, der draußen protestiert. Ich war Mitglied des Parlaments und habe die Knesset vor einem Jahr verlassen. Dann habe ich die „Schalom-Jerusalem-Stiftung“ gegründet. Wir wollen Menschen auf der ganzen Welt mit Jerusalem verbinden. Die Bibel beschreibt Gott als Schöpfer aller Menschen nach seinem Abbild. Er hat jeden von uns anders erschaffen. Er wollte unterschiedliche Nationen. Aber wir sind um einen Gott vereint. Ich sehe mich als einen Diener der Öffentlichkeit, als einen Diener Gottes. Ich betrachte mich definitiv als eine Person, die versucht, in der Welt etwas zu verändern. Aber ich sehe mich nicht als Oppositionsperson. Ich sehe mich mehr als jemand, der versucht Brücken zu bauen, zu verbinden, als Person, die versucht mit den Herzen der Menschen zu sprechen.
Israelnetz: Wie sieht das praktisch aus, wenn Sie Brücken bauen?
Jehuda Glick: Ich war viel mit Touristen unterwegs, die wir auf den Tempelberg gebracht haben. Ich verfolge ein Konzept der Vielfalt, der Harmonie, der Inklusivität. In Zeiten von Corona mache ich das über Zoom und auf Sozialen Medien. Ich gehe mindestens einmal pro Woche zum Tempelberg. Die Leute schicken mir Gebetsanliegen und wir beten dort für sie. Ich bringe Menschen über Zoom oder andere Nachrichtendienste in Verbindung und wir beten zusammen. Wir hatten Leiter aus Afrika, die gemeinsam beteten, Menschen aus den USA, die für die Menschen in Afrika beten. Und während der großen Brände in Australien gab es Menschen, die für das Land beteten. Es ist eine Bewegung von Menschen, die glauben, dass die Welt eins ist und dass wir alle Verantwortung füreinander haben.
Israelnetz: Und diese Menschen, mit denen Sie beten, sind Christen oder auch Juden?
Jehuda Glick: Es sind viele Juden und viele Christen. Viele Menschen aus anderen Ländern. Ich überprüfe ihre Identität nicht, aber es sind Menschen aus Indien, Indonesien, Abu Dhabi, Korea und aus Lateinamerika dabei – Menschen, die diese Idee verbindet.
Israelnetz: Sie setzen sich dafür ein, dass Juden wieder auf dem Tempelberg beten dürfen. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Jehuda Glick: Laut der Bibel ist der Tempelberg das Zentrum des Gebets der Welt. Dass Menschen, die keine Muslime sind, dort nicht beten dürfen, ist verstörend. Dieser Ort sollte ein Symbol der Inklusivität, der Toleranz, des gegenseitigen Respekts und des Friedens sein. Es gibt dort Menschen, die auf Gewalt aus sind, auf Belästigung. Das ist das komplette Gegenteil von Gott und der Idee der Inklusivität. Ich setze mich nicht nur dafür ein, dass Juden dort beten dürfen. Ich kämpfe dafür, dass alle Menschen im Weltzentrum des Gebets beten dürfen.
Wir haben die Bibel, die in so viele Sprachen übersetzt wurde. Sie ist ein Bestseller. So viele Menschen sind mit der Bibel verbunden und die Bibel spricht davon, dass Gott das Volk Israel erwählt hat und die Stadt Jerusalem als Zentrum der Welt. Dafür setzen wir uns mit der Stiftung ein. Wir glauben, dass wir in den Zeiten der letzten Tage leben. Und in dieser Zeit müssen wir sicherstellen, dass Jerusalem, der Thron Gottes, die Vorstellung Gottes widerspiegelt. Und Gottes Idee ist nicht Hass, sondern Frieden.
Israelnetz: Es ist nicht bekannt, wo genau sich das Allerheiligste des Tempels befand, das nicht betreten werden darf. Das Oberrabbinat warnt Juden deshalb davor, den Tempelberg zu besuchen, um den Ort nicht zu entweihen. Dennoch wächst seit Jahren die Zahl der religiösen Juden, die den Tempelberg besuchen. Wie lässt sich das miteinander vereinbaren?
Jehuda Glick: Ich glaube, dass es offensichtlich ist, wo das Allerheiligste ist: An der Stelle des Felsendoms. Die Muslime haben eine Moschee auf der Südseite errichtet, um sie nicht an der Stelle des Tempels zu bauen. Aber wissen Sie, bei vielen Gelegenheiten führen religiöse Führer nicht die Revolution an. Es gab religiöse Führer, die waren gegen den Feminismus, gegen die Rückkehr des jüdischen Volkes nach Israel – nur säkulare Juden führten die zionistische Bewegung an. Aber wenn wir heute zurückblicken, dann sehen wir, dass viele dieser Revolutionen zu großen Veränderungen in der Welt geführt haben. Und dann hat sich auch die religiöse Führung angeschlossen.
Es gibt heute mehr als 300 führende Rabbiner, die uns unterstützen. Die Zahl wächst ständig. Ich erwarte nicht, dass die religiösen Führer irgendeine Art von Revolution beginnen. Ich glaube nicht an Revolution. Ich glaube mehr an Evolution, daran, dass sich die Dinge schrittweise entwickeln und nicht an einem Tag passieren. Unser Auftrag ist es, das Thema anzusprechen und ich hoffe, dass sich uns das Oberrabbinat irgendwann anschließt.
Israelnetz: Vielen Muslimen gilt es als so schlimme Provokation, wenn Angehörige anderer Religionen auf dem Tempelberg beten, dass es zu gewaltsamen Ausschreitungen kommen kann. Wissen Sie, warum das so ist? Sind Sie darüber im Gespräch mit Muslimen?
Jehuda Glick: Wir sprechen mit vielen Muslimen und wir haben viele muslimische Freunde. Leider gibt es verschiedene Orte auf der Welt, an denen radikale Muslime den Islam übernommen haben. Sie haben anfangs erwähnt, dass auf mich ein Anschlag verübt wurde – von einem Muslim. Aber später wurde ich von muslimischen Pflegern versorgt. Ich glaube, dass diese Muslime, die mich im Krankenhaus behandelt haben, viel mehr für den Islam tun als Menschen, die im Namen des Islam töten. Ich glaube, dass der Islam sehr oft von Menschen benutzt wird, die gewalttätig sind.
Ich setze mich dafür ein, Verständnis unter den Menschen zu fördern. Viele Muslime, die mit mir zusammenarbeiten, haben Angst vor dem politischen Islam hier in Israel. Das ist beunruhigend. Denn wir sind nicht hier, um zu kämpfen. Wir sind hier, um zu kooperieren. Ich glaube, dass die Muslime in unserer Region nur davon profitieren können, mit Israel zusammenzuarbeiten. Ich strecke meine Hand in Frieden aus. Unsere Bewegung lädt Menschen aller Nationalitäten und Religionen ein, sich uns anzuschließen und Brücken zu bauen.
Die meisten Muslime, aber auch einige Juden sehen in Ihnen einen Extremisten und eine Gefahr für den Weltfrieden, weil Sie den Status quo auf dem Tempelberg ändern möchten.
Ich bin sehr radikal und eifrig, wenn es darum geht, Menschen zu lieben. Ja, ich bin ein Extremist, wenn es um Toleranz und um Inklusivität geht. Viele Menschen glauben, dass das, was sie denken, die Wahrheit ist und niemand sonst einen anderen Schlüssel zur Wahrheit hat. Ich bin sehr extremistisch, wenn es um dieses Problem geht. Ja, ich liebe Menschen wirklich. Ich liebe die Tatsache, dass wir andere Menschen respektieren sollen. Ich weiß, dass viele Menschen denken, dass Religion radikal sein sollte und in ihrer Orthodoxie, ihrer Sturheit glauben, dass allein sie die Wahrheit kennen.
Es ist schwer, Menschen zu erklären, dass Gott ein inklusiver Gott ist und möchte, dass die Menschen unterschiedlich sind – so als wäre die Menschheit ein Orchester. Die Trommel ist kein Cello und das Klavier ist keine Violine und die Flöte ist definitiv keine Trompete. Ich finde, das ist das Schöne an einem Konzert, dass jedes einzelne Instrument seinen Platz hat. Manche Christen akzeptieren das nicht, manche Muslime akzeptieren das nicht. Manche Europäer akzeptieren keine Afrikaner. Manche Menschen erhöhen sich selbst. Ich bin ein Schüler König Davids und der sagte, sein Herz stehe nicht höher als andere. Wenn wir über Gott sprechen, dann sollten wir ein Instrument in Gottes Konzert sein und nicht jemand, der versucht, sich anderen aufzuzwingen. Und wenn die Leute uns deshalb als Extremisten betrachten, ja, dann sind wir Extremisten.
Israelnetz: Mehrere jüdische Organisationen wollen den jüdischen Tempel wiederaufbauen. Das Jerusalemer Tempelinstitut bereitet seit Jahrzehnten alles für die Wiederherstellung eines Dritten Tempels vor – wie die für den Tempeldienst notwendigen Utensilien oder die priesterlichen Gewänder. Können Sie sagen, ob alles bereit ist, fehlt noch etwas?
Jehuda Glick: Der Tempel ist nicht nur das Gebäude. Nach dem Motto, gib mir eine Million Dollar und wir werden einen Tempel haben. Ja, das Tempelinstitut bereitet Gefäße vor. Und wir warten darauf, das Haus des Gebets für alle Nationen wieder aufzubauen. Aber es gibt ein noch wichtigeres Gefäß. Und das sind die Seelen und die Herzen der Menschen. Der Wiederaufbau des Tempels als Gebetshaus für alle Nationen muss Teil einer humanitären Bewegung sein. Wir müssen unser Herz für die Waisen und die Witwen öffnen. Wir müssen unsere Herzen für Behinderte öffnen. Das ist die Idee eines Tempels. Ein Tempel verändert die Welt. Jeder einzelne Mensch ist einzigartig und besonders. Wir reden also über die Gefäße, die vorbereitet werden müssen. Das wichtigste Gefäß ist wirklich die Bereitschaft, all unsere negativen Gefühle aus unseren Herzen und Seelen zu entfernen und unsere Herzen zu öffnen. Das lässt zu, dass Gott in diese Welt kommt und nicht hinausgedrängt wird.
Israelnetz: Auf dem Tempelberg stehen mit dem Felsendom und der Al-Aqsa-Moschee islamische Heiligtümer. Jede kleinste Veränderung am Status quo sorgt für Zündstoff. Es scheint kaum vorstellbar, dass dort wieder ein jüdischer Tempel stehen könnte.
Jehuda Glick: Er wird nicht gebaut werden, wenn es uns nicht gelingt, dafür die Unterstützung der muslimischen Welt zu erhalten. Dass die Lage des Tempels, das Zentrum des Felsendoms, Hass, Schrecken und Aufstachelung im Namen Gottes darstellen, ist in meinen Augen etwas sehr Schreckliches. So etwas dürfen wir nicht tolerieren. Nein, wenn es um den lebendigen Gott geht, dann sollte es ein Ort des Friedens sein. Und deshalb glaube ich, dass wir versuchen müssen, auch die Herzen der muslimischen Welt zu berühren. Das wird nicht einfach. Wir müssen entschlossen und hingebungsvoll sein. Wir müssen demütig und bescheiden zu der Einsicht gelangen, dass Gott uns als sein Werkzeug benutzt. Das braucht Zeit.
Vor 100, 200 Jahren bezeichnete die christliche Welt Juden als Feind. Sie sah im jüdischen Volk ein Symbol für das Böse. Aber wie Sie wissen, gibt es heute viele Christen, die Israel unterstützen. Ich denke, das Gleiche geschieht langsam in der muslimischen Welt. Wir sehen viele arabische Länder, die näher an Israel heranrücken. Wir versuchen, die ganze Menschheit zu erreichen. Als Deutsche kommen Sie aus einem Land, das gerade im vergangenen Jahrhundert eine schmerzhafte Geschichte mit Israel hatte. Aber heute arbeiten Israel und Deutschland eng zusammen. Wer hätte das vor 80 Jahren gedacht? Wir müssen also glauben, dass sich die Dinge verändern können. Wir haben es mit unseren eigenen Augen gesehen, und wir müssen weiterhin glauben, dass wir diese Veränderung bringen können.
Israelnetz: Innerhalb des Judentums ist umstritten, ob der dritte jüdische Tempel durch den Messias gebaut wird oder ob er schon stehen sollte, wenn der Messias kommt. Wie denken Sie darüber?
Jehuda Glick geht barfuß über den Tempelberg. Das Beten ist Juden dort verboten.© AHMAD GHARABLI , AFP
Jehuda Glick: Ich bin kein Sprecher Gottes. Aber ich denke, es ist unsere Pflicht, das zu tun, was in der Bibel steht und nicht darauf zu warten, dass Gott Dinge tut. Gott hat die Welt erschaffen. Aber dann übergab er sie der Menschheit und sagte: Jetzt seid Ihr dran! Betreibt die Welt! Ich bin mir sicher, wenn wir Dinge tun, können wir das nicht ohne Gottes Hilfe. Wenn du versuchst, ein Haus ohne Gottes Hilfe zu bauen, ist es vergeblich. Aber das bedeutet nicht, dass wir damit aufhören sollten, sondern wir müssen beten, dass Gott uns dabei unterstützt und uns hilft.
Wir können nicht für den Messias entscheiden, wann er kommen soll, wie er kommen soll. Deshalb spielt der Messias keine so wichtige Rolle in meiner Theologie, weil ich das nicht in meiner Hand habe. Aber die Welt zu verbessern, zu den Herzen der Menschen zu sprechen, das ist unsere Mission. Das ist etwas, was wir tun können. Also anstatt darüber zu sprechen, wann der Messias kommen wird, lasst uns einfach handeln und der Messias wird da sein, er wird kommen, wenn die Zeit reif ist.
Israelnetz: Sie haben einmal gesagt: „Ich will ein Gebetshaus für alle Menschen auf diesem Ort, dem heiligsten auf der Welt.“ Wie stellen Sie sich das vor? Wie könnte so ein Gebetshaus aussehen?
Jehuda Glick: Ich möchte hier nicht ins Detail gehen. Als Theodor Herzl von der Gründung des Staates Israel, träumte, schrieb er im 19. Jahrhundert ein Buch über seinen Traum für einen jüdischen Staat. Wenn man Israel heute betrachtet, sieht man viele Dinge, die er sich vorgestellt hat – ohne, dass er etwas über die Hightech-Welt wusste, die es geben wird. Er wusste nicht, wohin der Weg führen wird.
Zunächst müssen wir Verständnis zwischen den Menschen erreichen. Wir sollten uns wirklich darauf konzentrieren, in unseren Herzen einen Wandel zu vollziehen. Wir könnten wunderbar zusammenarbeiten. Ich glaube, dass alles, was ich sage, kleiner ist als das, was es wirklich sein könnte. Ich sage einfach, lasst uns zusammenarbeiten. Wir können so viele große Dinge erreichen!
Israelnetz: Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Dana Nowak
2021 will Jehuda Glick für das Amt des Staatspräsidenten kandidieren. Das Interview wurde vor dieser Bekanntgabe geführt.
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