Monika Maron: Das neueste Opfer der linken „Cancel Culture“

Die uneheliche Tochter einer „Halbjüdin“ eckte schon bei den Kommunisten in der DDR an. Nun versucht der offenbar dem linken Trend der bundesdeutschen Kulturlandschaft verpflichtete S. Fischer-Verlag, der ihr nach 40 Jahren die Zusammenarbeit aufkündigt, sie an den „rechten Rand“ der Gesellschaft zu verorten und auszugrenzen.

Die Schriftstellerin Monika Maron
© WIKIPEDIA

Von Carl Jancke

Es ist einer dieser ersten Herbsttage im Oktober. Ich begleite Monika Maron zu einer ihrer wenigen Lesungen. Ihr Roman „Artur Lanz“ ist ein Buch über verschwundenen Heldenmut und mangelnde Zivilcourage in unserer Gesellschaft. Er wird vom Literatur-Establishment nicht geliebt, weil es getroffen und ein wenig spöttisch beschrieben wird.

Für mich ist Monika Maron eine Autorität. Ihre Lebensleistung beschreibt, was sie schreibt: Zivilcourage. Selten sind Werk und Charakter so offensichtlich kompatibel. Aufgewachsen ist die bald Achtzigjährige in einer DDR-Funktionärsfamilie. Ihr Stiefvater war Innenminister. Vorher im Westen schon als unehelich geborenes Kind einer „halbjüdischen“ Mutter Außenseiter, opponierte sie auch im Osten. „Flugasche” ihr erstes Buch, dass die Umweltsünden in Bitterfeld anprangerte, durfte dort nicht erscheinen. Der westdeutsche S.Fischer-Verlag brachte es heraus. Im Osten schwieg man bescheiden, nachdem man Stefan Heym durch Verbote und Sanktionen noch populärer gemacht hatte, als er ohnehin schon war.

Corona-gerecht fahren wir mit Uber und Maske von Schöneberg nach Lichtenberg. Berlin ist groß und die Reise ist länger als man denkt. Optisch ist der Westen vom Osten nicht mehr zu unterscheiden. Die Reklamen der Handelsketten sind dieselben und die Einkaufspassagen sehen in Lichtenberg genauso aus wie in Spandau.

Dennoch wird es eine Zeitreise. Denn es geht ins Stasimuseum in der Normannenstraße, in das alte Hauptquartier, wo einst Erich Mielke den Menschen, die er zu lieben vorgab, schadete. Welch ein Kontrast, von den heutigen Hausherren, dem Ehepaar Drieselmann, herzlich empfangen zu werden. Welch ein Triumph, hier heute die Meinungsfreiheit über die Zensur siegen zu sehen.

 

Ayurveda in West-Berliner Wohnungen

Maron verschwindet fast hinter einer Monstranz von einem Schreibtisch, einer Insignie der Macht derjenigen, die solche Symbole nötig hatten, um sich zu rechtfertigen. Mit vom Zigarettenrauch angerauter Stimme liest sie von absurden Dialogen über Ayurveda in West-Berliner Wohnungen, in denen die Höhe des „Berliner Zimmers” die Illusion von Gedankenfreiheit schafft. Die Beschreibung der teils absurden Dialoge in gepflegter, bildungsbürgerlicher Atmosphäre kommt uns allen irgendwie bekannt vor.

Ich werde stutzig als Jörg Drieselmann die Lesung ohne Diskussion beendet. Statt dass wir im Forum der wohl Corona-bedingt auf rund 50 Zuschauer gestutzten Audienz über Werk und Politik mit ihr diskutieren, findet der Meinungsaustauch unvermeidlich bei Rotwein und trockenem Back-Konfekt im Stuhlkreis statt. Vorher ist die Autorin den Wünschen der Zuhörer nachgekommen und hat die Bücher signiert.

Vor fast einem Jahr hat Monika Maron in einem dichten Essay in der NZZ unter dem Titel „Unser galliges Gelächter” fast schon prophetisch über den Zustand der Meinungsfreiheit in diesem Land geschrieben und versichert, sie wolle die DDR nicht mit dem heutigen Deutschland vergleichen. Das hat sie dann aber doch getan, und das war gut so. Ein Vergleich macht nur Sinn, wenn die betrachteten Gegenstände unterschiedlich sind. Und natürlich leben wir nicht in einer „DDR Light”.

Auch hier beschreibt Maron das Private im Politischen. Oder umgekehrt? Wer nicht in den ostdeutschen Wohnungen, oft im Plattenbau mit ungleich niedriger Decke, war, kann nicht mitreden. Als Westdeutscher war mir das erst nach der friedlichen Revolution vergönnt. Der Geist der Unfreiheit strömte mir an den wenigen Tagen, an denen ich in der DDR war, mit dem Geruch der Braunkohle-Öfen in die Nase. Sie schreibt:

„Wir hatten viel Zeit, waren selten verreist, und weil viele kein Telefon hatten, klingelten sie abends an den Türen ihrer Freunde und waren einfach da. Und dann erzählte man, was man erlebt hatte auf dem Wohnungsamt, mit der Polizei, im Betrieb oder Institut, mit einem Parteisekretär, dem Chefredakteur, den Handwerkern, den Taxifahrern, beim Schuhekaufen für die Kinder, und fast alle diese Geschichten waren so absurd, dass man darüber nur verzweifeln, vor Wut toben oder darüber lachen konnte, wütend und verzweifelt lachen.”

Als ich mit einem Freund über die Corona-Lage telefonierte, meinte der, ich würde über die Absurditäten immer noch lachen. Da musste ich an Marons „galliges Gelächter“ denken, denn zum Lachen ist einem eigentlich nicht zu Mute.

Ihr Text erweist sich als weise Vorausschau:

„Natürlich, Deutschland ist ein Rechtsstaat; darum werden Bücher nicht verboten und Schriftsteller nicht verhaftet. Aber es gibt auch in einem Rechtsstaat Möglichkeiten, Menschen wegen unerwünschter Meinungen die Existenz zu erschweren oder sogar zu zerstören. Wenn Zweifel schon verdächtig sind, wenn Fragen als Provokationen wahrgenommen werden, wenn Bedenken als reaktionär gelten, wenn im Streit nur eine Partei immer recht hat, können einen alte Gefühle eben überkommen. Und dann kann man darüber verzweifeln, vor Wut toben oder darüber lachen, unser schönes galliges Gelächter.”

Monika Maron lacht in diesen Tagen. Schon im März hat sich der S.Fischer-Verlag gemeldet, mit dem sie eine besondere Treue verbindet. Dass man, als sie noch in der DDR lebte, 1981 ihr Manuskript veröffentlichte, hat sie nicht vergessen. Das musste noch unter konspirativen Bedingungen von westdeutschen Korrespondenten aus der DDR geschmuggelt werden.

Susanne Dagen, in deren Dresdner Buchhandlung sie mit ihren Lesungen oft zu Gast war, wurde zur Freundin. Eine, die aneckt und ein politisches Engagement als Stadträtin für die Freien Wähler pflegt. Maron nennt sie eine originelle Oppositionelle, die gelegentlich übers Ziel hinausschießt. Die gibt eine eigene Edition unter dem Namen ihrer Buchhandlung heraus und bittet Maron um Veröffentlichung alter Texte, die vorher u.a. bei S.Fischer erschienen sind. Auch der zitierte NZZ-Text ist darunter.

 

Wie Monika Maron ihr eigenes Schicksal voraussagte

Die Reihe erscheint unter dem etwas anmaßendem Titel „Exil“, wobei wohl weniger die physische Vertreibung als die innere Emigration gemeint sein dürfte. Eine Petitesse. Dass auch der Antaios-Verlag des „neurechten Vordenkers“ Götz Kubitschek das Buch vertreibt, stieß dem Verlagsmanagement S.Fischer übel auf. Der müsste ja eigentlich froh sein, dass die für gut befundenen Schriften Marons so vielleicht verblendete Rechte erreichen und zum Umdenken bewegen. Denn selbst die Verlagsgeschäftsführerin, die man nicht Verlegerin nennen sollte, kritisiert das Werk der Autorin ja mit keinem Wort. Im Gegenteil. Aber hier sollte diese Dame nicht über Gebühr zu Wort kommen.

Der Vorwand entlarvt die Beendigung der Zusammenarbeit als schäbigen Rauswurf und adelt den Text vom November 2019 in der NZZ als kluge Voraussicht. Nicht einmal einen knapp 50-seitigen Essay über die Geschichte des neu erworbenen Hundes Bonnie Propeller, der Maron etwas zu mickrig erschien und der trotzdem ihre Liebe gewann, will Fischer noch veröffentlichen, weil Maron vermeintlich mit Kubitschek fraternisiere. Ein Armutszeugnis.

Mit einem Freund darf ich Monika Maron am Freitagabend besuchen. Spät folgt das „Literarische Quartett“, das viel von seiner Brillanz verloren hat, seit nicht mehr Reich-Ranicki und Karasek die Klingen kreuzen. Der späte Sendetermin korrespondiert wohl mit den marginalisierten Einschaltquoten: Eine Pflichtübung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zur Erhaltung des kulturellen Vorwands zur Sicherung der Rundfunkabgabe. Wir fürchten gemeinsam einen Verriss. Schon das letzte Buch war insbesondere bei der Gastgeberin Thea Dorn aus politischen Gründen in Ungnade gefallen.

 

Das Literarische Quartett

„Artur Lanz“ hat Dorn nicht verstanden. Aus dem intellektuellen Heldenepos macht sie eine Phantasie über Alterssexualität. Bernhard Schlink, Autor des „Vorlesers“ stellt das Buch wohlwollend und pointiert vor. Der Verriss bleibt aus und zufrieden fließt erleichtert im Schöneberger „Berliner Zimmer“ der Rotwein. Das Telefon klingelt und der Zuspruch kommt per mail und Facebook. Am Nachmittag vorher war der Autorin, die fast 40 Jahre lang bei S.Fischer veröffentlicht hatte, die Trennung verkündet worden. Nur den prestigeträchtigen Essay-Band zum 80. Geburtstag wolle man im Frühjahr noch publizieren. Ohne Monika Maron, sagt sie.

Im letzten Jahr durfte ich sie kennenlernen. Für die NZZ sollte sie Sahra Wagenknecht und ihre „Aufstehen-Bewegung” portraitieren. Maron hatte viel Sympathie und so war es auch das Portrait einer Idealistin von einer Idealistin. Nach einigen Monaten gestand sie freimütig, meine ökonomische Kritik sei berechtigt. Kann man so etwas der engstirnigen S.Fischer-Verlagsgeschäftsführerin zutrauen?

Monika Maron hat wohl erwartet, dass ihre Befürchtung in der NZZ sie selber trifft. Die große alte Dame scheint verwundert und verletzt. Verwundert, weil sich der Literaturbetrieb nicht kritisch, sondern unfair mit ihr auseinandersetzt, und dann doch positiv berührt, dass ihr mittlerweile selbst die „Süddeutsche Zeitung“ Tribut zollt und die Scheuklappenträger ihres ehemaligen Verlages für deren engstirnige Entscheidung abstraft. Verletzt, weil sie kaum versteht, dass die deutsche Intelligenzia sich im vorauseilenden Gehorsam der eigenen Meinungsfreiheit, des offenen Diskurses und des Pluralismus beraubt – und ausgerechnet Monika Maron dafür missbilligt, dass sie das kritisiert.

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