Kunst aus der Schoah

Der jüdische Maler Felix Nussbaum konnte trotz seiner Flucht durch halb Europa der Ermordung im KZ Auschwitz nicht entgehen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel vor Nussbaums Werk „Der Flüchtling”© Britta Pedersen , AFP

Von Dr. Nikoline Hansen

Dass Felix Nussbaum, der am 11. Dezember 1904 in Osnabrück geboren wurde, inzwischen zumindest in seiner Geburtsstadt und im Fachpublikum wieder wahrgenommen wird, ist sicher auch auf seinen verzweifelten Kampf zurückzuführen, den er als deutscher Jude und Künstler in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts führen musste. Als die Zeiten immer düsterer wurden und er seines Lebens nicht mehr sicher sein konnte, wünschte er sich eines: „Wenn ich untergehe – lasst meine Bilder nicht sterben.“ Viele seiner Werke überstanden den Krieg dann auch, weil Freunde sie heimlich aufbewahrt hatten. 1970 brachten Erben, nachdem sie das Eigentumsrecht an den Bildern in Belgien vor Gericht erstritten hatten, mehr als hundert Arbeiten Nussbaums in seine Heimatstadt Osnabrück zurück.

1971 erfolgte die erste umfassendere Ausstellung seiner Werke in der dortigen Dominikanerkirche. Mitte der 80er Jahre folgten Ausstellungen in New York, Jerusalem, Manchester und Angers (Frankreich). 1990 fand die bis dahin größte Einzelausstellung von Nussbaums Werken in Osnabrück statt. 1993 wurden die Bilder schließlich vom Bundesinnenministerium zum „Werk von nationaler Bedeutung“ erhoben und erhielten damit den Status eines zu schützenden, nationalen Kulturgutes. 1994 erwarb die Niedersächsische Sparkassenstiftung den größten Teil der Sammlung, um die Bilder in Zusammenarbeit mit der Stadt Osnabrück für die Nachwelt zu erhalten.

 

Wer war Felix Nussbaum?

Das Schicksal der Familie Nussbaum ist exemplarisch für das vieler deutscher Juden, die versuchen mussten nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 um ihre Existenz und schlichtes Überleben zu kämpfen. Philipp Nussbaum, Felix‘ Vater, war ein stolzer deutscher Patriot. Er gehörte dem Verband der Veteranen des Ersten Weltkriegs an. Mit der Machtergreifung musste er die Mitgliedschaft in dem Verband aufgeben, während Felix an der Preußischen Akademie der Künste realisieren musste, dass es für ihn als Künstler und Juden unter der nationalsozialistischen Doktrin keinen Platz geben würde. Dabei hatte seine Karriere ausgesprochen vielversprechend begonnen: Als Student in Hamburg und Berlin spezialisierte er sich auf den Stil der neuen Sachlichkeit und hatte 1932 sogar den Rompreis erhalten, eine erstmal im 17. Jahrhundert verliehene Auszeichnung für Künstler, verbunden mit einem Stipendium für den Aufenthalt in der Villa Massimo in Rom. Ein Erfolg, der zeigt, dass Nussbaum seinerzeit zur Elite der deutschen Künstler gezählt werden durfte, und dass ihm unter anderen Umständen sicher eine erfolgreiche Karriere beschieden gewesen wäre. Diese Karriere wurde 1933 schlagartig beendet. Felix floh nach Rapallo, einer italienischen Fischerstadt an der Riviera, wo seine Eltern ihn 1934 besuchten. Allerdings bekamen sie Heimweh, 1935 kehrten sie daher nach Deutschland zurück. Es war das letzte Mal, dass Felix seine Eltern sah. Sein Bruder Justus, der 1937 nach der „Arisierung“ seines Unternehmens in Belgien zur Flucht gezwungen worden war, floh am 2. Juli 1937 nach Holland und gründete eine Altmetallhandlung. Im August 1943 wurde er zusammen mit seiner Ehefrau, der Tochter Marianne und den Eltern Philipp und Rahel Nussbaum, die Deutschland im Mai 1939 verlassen hatten, festgenommen und nach Westerbork geschickt. Von dort aus wurden die Eltern am 8. Februar 1944 nach Auschwitz deportiert.

 

Versteck in Brüssel

Felix, der nach seiner Festnahme und erfolgreichen Flucht aus dem südfranzösischen Lager Saint Cyprien seit 1940 ohne Einkommen in ärmlichen Verhältnissen mit seiner Ehefrau Felka im Versteck in Brüssel lebte, war ohne Aufenthaltserlaubnis ständig der Gefahr der Entdeckung ausgeliefert. In seinem Versteck in einem Atelier wurde er von Freunden mit Künstlerzubehör versorgt und ging bis zu seiner erneuten Festnahme am 20. Juli 1944 dort ununterbrochen seiner künstlerischen Tätigkeit nach. Felix und Felka Nussbaum wurden in das Lager Mechelen geschickt und noch im selben Monat nach Auschwitz deportiert, wo Felix vermutlich im September 1944 ums Leben kam. Justus Nussbaum wurde am 3. September von Westerbork nach Auschwitz gebracht, wo seine Frau und Tochter drei Tage später ermordet wurden. Justus wurde Ende Oktober 1944 ins Lager Stutthoff geschickt, wo er zwei Monate später an Erschöpfung starb. Dies ist, exemplarisch, die Chronologie der Auslöschung einer deutschen Familie, die trotz jahrelangen Lebens auf der Flucht in Europa der Vernichtung nicht entkommen konnte.

Überlebt haben die Werke Felix Nussbaums, so wie er es sich erhofft und gewünscht hatte. Dabei eröffnen seine Werke zugleich auch eine europäische Perspektive des Holocaust, so wie er und seine Familie sie selbst erlebt hatten. Bekannt ist etwa sein Ölgemälde „Europäische Vision – Der Flüchtling“, das 2016 im Rahmen der Ausstellung „Kunst aus dem Holocaust“ mit hundert weiteren Werken aus Yad Vashem im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen war. Es zeigt eine kleine zusammengekrümmte Person in dunkler Kleidung, neben ihr ein kleiner weißer Sack und ein weißer Wanderstab, die in einem Raum mit einem lange, wie eine Barrikade wirkenden Holztisch sitzt. Auf dem Holztisch steht ein Globus, die Länder darauf sind nicht erkennbar, sondern wirken verwischt und diffus, auf der Seite des Kauernden liegt ein tiefer Schatten; es gibt nur ein Tor aus dem Raum, der ansonsten düster und geschlossen wirkt – und das Tor ist durch Tisch und Globus versperrt. Das Bild entstand 1939, zu einem Zeitpunkt, als Flucht noch als die Möglichkeit der Hoffnung schien, aber doch schon mit sehr großen Hindernissen verbunden war.

Das zweite Bild von Felix Nussbaum, das in der Ausstellung gezeigt wurde, entstand 1941 in Brüssel. Es trägt den Titel „Die Synagoge im Lager Saint-Cypries“. Es ist mit Öl auf Sperrholz gemalt nach einer Skizze, die Felix Nussbaum gleich nach seiner Flucht aus dem Lager angefertigt hatte. Es zeigt eine Baracke mit Betern, die in weiße Gewänder – die jüdischen Gebetsschals Tallit – gehüllt sind, in denen sie quasi verschwinden. Einer hält etwas in der Hand, es ist nicht klar erkennbar, ob es ein Buch oder eine Thorarolle ist. Das ganze Gemälde ist düster, nur drei der Gestalten leuchten in ihren weißen Umhängen. Im Vordergrund liegen ein Knochen und leere Blechbüchsen – Hunger und Tod sind so auch real in der Welt präsent, nicht nur im düsteren Himmel.

 

Museum in Osnabrück

Bekannter in Deutschland sind an erster Stelle die zahlreichen Selbstporträts, aber das Repertoire des Malers war sehr vielseitig. Es umfasst neben zahlreichen politischen Motiven auch Stillleben und dokumentiert die Verfolgung der deutschen Juden sehr eindringlich. Seine Frau Felka Platek, 1899 in Warschau geboren, die Felix Nussbaum 1925 in Berlin kennenlernte, hinterließ ein sehr viel kleineres Werk. Ihre Arbeit steht exemplarisch für die „Verschollene Generation“ der Künstlerinnen, deren Schaffen durch den Zweiten Weltkrieg aus unterschiedlichen Gründen zum Erliegen kam oder unter einem großen Einbruch litt und zerstört wurde.

Es ist erfreulich, dass sich Auguste Moses-Nussbaum, Felix‘ Cousine, so engagiert und hartnäckig für den Erhalt der Arbeiten in einer eigenen Sammlung einsetzte und damit schon 1970 den Grundstock für das großzügige Museum legte, das die Stadt Osnabrück ihrem einst verstoßenen Bürger errichtete. 1995 gewann Daniel Libeskind den Wettbewerb zur Realisierung des Felix-Nussbaum-Hauses, das nur wenige Jahre später am 16. Juli 1998 eröffnet wurde. Inzwischen ist die Sammlung durch weitere Schenkungen und Stiftungen weiter gewachsen.

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