Haben die Juden in Deutschland eine Zukunft?

Die Geschichte der Juden in Deutschland und Europa ist vor allem eine Geschichte der Enttäuschungen

Viele Synagogen (gerade in Westeuropa) benötigen dauerhaft Polizeischutz.© MICHELE TANTUSSI , AFP

Von Alexander Günsberg

Um es vorwegzunehmen: Meine Antwort auf diese fundamentale Frage, die sich im Spannungsfeld des Wandels der Demographie und der Einstellung von Regierung und Bevölkerung in Deutschland zu Israel und zum Zionismus heute wieder stellt, lautet Nein. Ich gehe sogar soweit, zu sagen, dass die Juden in Deutschland zwar eine Vergangenheit, aber nie eine Zukunft hatten. Ein Blick in die Geschichte, aber auch in die Gegenwart beweist meine These:

Mit den Römern gekommen, sind jüdische Gemeinden ab dem 4. Jahrhundert in der Provinz Germania inferior nachgewiesen. Wie Perlen reihen sie sich am nach Norden führenden Hauptverkehrsweg auf, dem Rhein, liegen in Köln, Trier, Mainz, Worms und Speyer. Anfangs sind die Juden von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen, weil sie nicht dem Kaiserkult und den römischen Staatsgöttern huldigen. Im Jahr 321 verkehrt sich das mit dem Codex Theodosianus ins Gegenteil. Da der römischen Oberschicht unbezahlte Ämter zu kostspielig und zeitraubend sind und die Verwaltung zusammenzubrechen droht, werden die Juden in die Stadträte gezwungen und bekommen damit gleichsam als Nebeneffekt volle Bürgerrechte.

 

Ein Jude am Hof Karls des Großen

Diese scheinen sie nach dem Abzug der Römer und der Zeit der Völkerwanderung unter den verschiedenen germanischen Stämmen noch lange behalten zu haben. Am Hof Karls des Großen ist um 800 der jüdische Großkaufmann Isaak bezeugt, der sich in der offiziellen Delegation zum Kalifen nach Bagdad befindet und von dort einen Elefanten zurückbringt, von dem sogar der Name überliefert ist. Er hieß Abul Abbas.

Ihre Blütezeit erleben die Juden in deutschen Landen im 11. Jahrhundert. Die ottonischen und salischen Herrscher gewähren ihnen Privilegien, um von ihrer Handelstätigkeit zu profitieren. Synagogen, jüdische Schulen, Bäder (Mikwes), Lehrhäuser (Jeschiwes) und Friedhöfe werden gebaut. Einige wenige Juden kommen als Geldverleiher zu Wohlstand und Reichtum, weil den Christen das Geldverleihen von der Kirche verboten ist. Die Juden schaffen aber nicht nur wirtschaftliche, sondern auch geistige Hochblüte. Hervorzuheben ist der aus dem westrheinischen Frankenreich stammende Rabbi Schlomo ben Jitzchak, bekannt als Raschi, einer der bedeutendsten Gelehrten und Bibelkommentatoren des Mittelalters. Er studiert in Mainz und Worms. Die Juden sind aber auch Bauern (Ackerjuden) und Handwerker, haben jedoch keinen Zugang zu den christlichen Zünften. Was den Autor dieser Zeilen betrifft, so stammen die Namen Günsberg, Ginsburg und ähnliche einer israelischen Genealogiestudie zufolge von einer Gräfin von Günzburg in Bayern, die sich im 11. Jahrhundert in einen Juden verliebt, zum Judentum konvertiert und ihn heiratet. Die Stellung der Juden, deren Zahl damals nicht mehr als 20.000 im gesamten Reich beträgt, hängt jedoch von kaiserlichen und bischöflichen Schutzbriefen ab. Sie müssen teuer erkauft werden und können jederzeit ohne Begründung für nichtig erklärt werden.

 

Die Kreuzzüge

Mit Beginn des ersten Kreuzzugs 1096, zu dem Papst Urban II. aufgerufen hat, ist es mit der Herrlichkeit vorbei. Zwangstaufen, Selbstmorde, Sondersteuern, Pogrome, Judenprozesse, öffentliche Judenverbrennungen und das Aufhängen der Juden an den Stadttoren gehören von nun an zum gewohnten Bild. 1103 wird den Juden im 1. Mainzer Reichslandfrieden das Waffentragen verboten, was sich verheerend auswirken wird. Noch dazu werden sie zu Personen minderen Rechts erklärt, also praktisch zu Vogelfreien. Wer einen Juden umbringt, muss mit keiner Anklage rechnen. Kommt es doch einmal dazu, so besteht die Strafe in einer symbolischen Zahlung an die Kirche.

Das Konzil von 1215 schreibt den Juden das Tragen eines spitz zulaufenden Judenhutes oder eines gelben Flecks an der Kleidung vor, um sie schon von Weitem kenntlich zu machen. In den kirchlichen Predigten werden sie als Gottesmörder bezeichnet. Ritualmorde, Hostienfrevel, Brunnenvergiftung, das Elend der Landbevölkerung, Niederlagen im Krieg und die Verbreitung der Pest, alles Schlechte wird ihnen zur Last gelegt. 1298 und 1336 bis 1339 kommt es zu Massenmorden an Juden in Mittel- und Süddeutschland. Bei diesen Rintfleisch- und Armlederverfolgungen genannten Ausschreitungen werden über 140 jüdische Gemeinden beinahe vollständig zerstört und Tausende Unschuldige abgeschlachtet. Die Große Pest von 1350 bedeutet eine weitere Katastrophe für die Juden. In allen Städten Deutschlands werden sie auf offener Straße angegriffen und ermordet. Die Überlebenden werden ausgewiesen.

 

Polnische Münzen mit hebräischen Buchstaben

Sie flüchten nach Polen, wo sie nicht erst seit den Statuten von Kalisch (1264) und Wislica (1334) Aufnahme finden. Schon Herzog Boneslaw III. (1085 bis 1138) hat den wirtschaftlichen und kulturellen Nutzen der aus Deutschland fliehenden Juden erkannt und ihnen Aufenthalts- und Betätigungsrecht gewährt. Unter seinen Nachfolgern, Herzog Boneslaw von Großpolen und König Kasimir dem Großen, wird Polen zum tolerantesten Land Europas. Es rivalisiert in Kunst, Wirtschaft und Wissenschaften mit Italien, nicht zuletzt dank der Juden. Münzen mit hebräischen Lettern werden geprägt.

In Deutschland hingegen werden nur noch die Familien der Geldverleiher geduldet, weil sie zur Aufrechterhaltung einer einigermaßen funktionierenden Wirtschaft unabdingbar sind. Sie müssen jedoch hohe Sondersteuern zahlen, unter anderem den Goldenen Opferpfennig. Sobald die Schulden der christlichen Mehrheitsbevölkerung bei den Juden zu hoch werden, werden sie nicht mehr getilgt, sondern die Gläubiger umgebracht. König Wenzel führt 1385 ganz offiziell die Juden-Schuldentilgung ein, durch die Städte und Fürsten von der Rückzahlung von Schulden an Juden befreit werden. Kaiser Sigismund (1368 – 1437) auferlegt ihnen die horrenden Kosten der christlichen Konzile von Basel und Konstanz. Da den Juden von der Kirche fast alle Tätigkeiten außer dem Geldverleihen verboten wurden, bleibt den wenigen, die es noch gibt, nur die Pfandleihe und der Trödelhandel, was ihre Verarmung zur Folge hat. Christliche Banken, die das Zinsverbot nicht mehr einhalten und viel höhere Zinsen als die Juden verlangen, übernehmen das Geldverleihen. Die Fugger werden zu den bedeutendsten Bankiers Deutschland, die Welser beherrschen den Handel. Die Juden haben keinen Wert mehr.

 

Kirche lässt Juden verbrennen

Überall werden sie verbrannt oder verjagt, mit oder ohne kirchliche oder weltliche Prozesse und mit erfundenen Anklagen. Trier 1419, Köln 1424, Konstanz 1431, Würzburg 1434, Speyer 1435, ganz Oberbayern 1442, Mainz 1473, Nürnberg und Ulm 1499, Regensburg 1519, aber auch Berlin, Breslau, Erfurt, die Mark Brandenburg und die Schweizer Städte Basel, Bern, Freiburg, Genf, Luzern und Zürich tun sich besonders mit Judenpogromen und Judenvertreibungen hervor. Es bilden sich marodierende jüdische Räuberbanden, die aus verelendeten Juden bestehen und zur geschützten Verständigung das Rotwelsch benutzen. Lange jedoch existieren sie nicht.

Die judenfeindlichen Schriften Martin Luthers von 1543 bringen unerwarteterweise wieder eine Besserstellung der Juden in Deutschland. Kaiser Karl V., der als überzeugter Katholik den Reformatoren feindlich gesinnt ist, ordnet auf dem Reichstag von Speyer 1544 den allgemeinen Schutz der Juden an. Er hebt die Kennzeichnungspflicht auf, gewährt den Juden Handels- und Niederlassungsfreiheit und verbietet Ritualprozesse. Daraufhin kommt es zu einem Anwachsen der zuvor stark dezimierten jüdischen Bevölkerung. Um 1600 leben in Deutschland wieder etwa 10.000 Juden, davon 3.000 in Frankfurt am Main. Schon bald aber kommt es ein weiteres Mal zu mörderischen Übergriffen auf Juden, sowohl vom Volk wie von den Herrschern. 1614 plündert und brandschatzt der Mob unter der Führung des Lebkuchenbäckers Vincenz Fettmilch das Frankfurter Ghetto. Hofjuden, die den Fürsten das Geld für ihre Paläste, ihr Luxusleben und ihre Feldzüge zu besorgen haben, werden in der Regel umgebracht, sobald der Fürst gestorben ist und sein Sohn oder sein sonstiger Nachfolger das geborgte Geld, heute würde man sagen den Kredit, nach bewährtem Muster nicht mehr zurückzahlen will.

 

Der Dreißigjährige Krieg und die deutschsprachigen Juden von Czernowitz

Der Dreißigjährige Krieg von 1618 bis 1648 bedeutet eine zusätzliche Katastrophe für die Juden, allerdings eine der wenigen, die alle Nichtadeligen in Deutschland betrifft. Mit dem Wiederaufbau nach dem Krieg scheint sich die Lage der Juden erneut zum Besseren zu wenden, wenn man das so nennen kann. Aus Polen fliehen Juden um 1650, nach den Pogromen des Kosakenführers Bohdan Chmelnyzkyj nach Brandenburg zurück. Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm nimmt 1671 fünfzig sogenannte Schutzjuden mit ihren Familien auf, untersagt ihnen jedoch den Bau einer Synagoge. Von 1700 bis 1750 werden in vier Judenordnungen die Höchstzahl der Kinder geregelt. Erlaubt sind drei, später nur noch eines. Die übrigen Söhne, wohlgemerkt nur die Söhne, müssen auswandern.

1670 werden die die allermeisten Juden aus Wien vertrieben, vornehmlich in die östlichen Länder der Krone an der Grenze zu Russland, um dort als deutschsprachige Kolonisatoren zu wirken. Cernowitz wird hauptsächlich dank ihnen zum „Wien des Ostens“. In Bamberg hingegen müssen sie 1699 ein Pogrom über sich ergehen lassen.

1714 wird erstmals eine Synagoge, diejenige in Berlin, in Anwesenheit der Königin eröffnet. Hoffaktoren wie Süß Oppenheimer, den die Nationalsozialisten später in einem antisemitischen Propagandafilm als Jud Süß bezeichnen, werden an den Höfen üblich. Die jiddisch verfasste Autobiografie der Hamburger Kauffrau Glückel von Hameln ist ein eindrückliches Zeugnis dieser Epoche, in der die Zahl der Juden in Deutschland bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts auf etwa 70.000 anwächst. Toleranzedikte Friedrichs II. in Berlin und Josephs II. in Wien erleichtern ihnen das Dasein, sind aber mit judenfeindlichen Erziehungsabsichten verbunden.

 

Robespierre und Napoleon

1791 setzt Robespierre in der Französischen Revolution die volle bürgerliche Gleichstellung der Juden durch. Napoleon bringt sie nach Deutschland, erlässt jedoch 1808 das „Schändliche Dekret“, mit dem die Freiheiten der Juden eingeschränkt wird. 1812 werden die Juden in Preußen endlich Staatsbürger und können Offiziere in der preußischen Armee werden. 1815 werden viele, die Juden betreffenden Regelungen im Zuge der Restauration wieder zurückgenommen. Heinrich Heine und Ludwig Börne emigrieren nach Frankreich. Führenden jüdischen Gelehrten, nicht nur Eduard Gans, werden Universitätsprofessuren verweigert.

Schon 1770 hat der jüdische Philosoph und Universalgelehrte Moses Mendelsohn in Berlin die jüdische Aufklärung begründet. Sie fordert die Abkehr vom traditionell religiösen Judentum und das Ende der rabbinischen Autorität. Von 1830 bis zirka 1885 wird sie Haskalah genannt, das Primat der Vernunft im Leben und Denken der Juden. Die Verweltlichung führt zu Massenübertritten von Juden zum Christentum. Viele sahen darin eine Möglichkeit, den Schikanen und Benachteiligungen im Alltag zu entkommen und sozial aufzusteigen. Eine Ausnahme ist Meno Burg, der es trotz aller Diskriminierungen bis zum Major der Preußischen Armee bringt, dabei aber gläubiger Jude bleibt. Zu seiner Beerdigung 1853 auf dem jüdischen Friedhof von Berlin kommen 60.000 Menschen, zahlreiche davon Nichtjuden. Nur Kaiserbegräbnisse bringen mehr auf die Beine. David Friedländer und Israel Jacobson gründen das Reformjudentum, das die traditionellen jüdischen Religionsgesetze als nicht mehr bindend betrachtet und die Juden äußerlich kaum mehr von den Nichtjuden unterscheiden lässt.

1831 veröffentlicht Gabriel Riesser, Jurist und späterer erster jüdischer Richter Deutschlands, die bahnbrechende Schrift „Über die Stellung der Bekenner des mosaischen Glaubens in Deutschland“. In seiner, 1832 gegründeten Zeitschrift „Der Jude“ kämpft er gegen die Bezeichnung Jude als Schimpfwort. 1848 wird er zum Vizepräsidenten der von der Revolution gegründeten Frankfurter Nationalversammlung gewählt. Er ist es, der 1849 Friedrich Wilhelm IV. von Preußen die deutsche Kaiserkrone anbietet. Dieser lehnt ab, angeblich, weil er die Krone nicht aus den Händen Bürgerlicher empfangen will. Nach dem Sieg über Frankreich 1871 nimmt sein Nachfolger Wilhelm I. sie in Versailles aus den Händen Bismarcks an. Der ist kein Jude.

 

Salondamen

In den Berliner und Wiener literarischen, künstlerischen und musikalischen Salons von Amalie Beer (1767 - 1854), der Mutter des Komponisten Giacomo Meyerbeer, Rahel Varnhagen (1771 - 1833), Rebekka Friedländer (1783 - 1850), Felicie Bernstein (1852 - 1908), Marie-Anne von Goldschmid-Roth-schild (1892 -1973), Henriette Herz (1764 - 1847), Sarah Levy (1761 - 1854), Fanny Lewald (1811 – 1889), Cornelia Richter (1842 - 1922), Alma Mahler-Werfel (1879 - 1864) und anderen trifft sich alles, was in Deutschland und Österreich Rang und Namen hat, vom Kaiser bis zu den bedeutendsten Malern, Schriftstellern, Musikern und Mäzenen, mit Ausnahme natürlich der bekannten Antisemiten, die noch angeführt werden.

Der wahrscheinlich bekannteste Jude in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland ist Aaron Bernstein, der heute fast in Vergessenheit geraten ist. Er wird 1812 in Danzig als Sohn eines Rabbiners geboren und spricht anfangs nur Jiddisch und Hebräisch. Als Zwanzigjähriger reist er nach Berlin, studiert autodidaktisch Deutsch, Literatur und Naturwissenschaften und verdient seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf antiquarischer Bücher. Bald schon gibt auch er eigene Zeitungen heraus, wird Leitartikler, fordert Bürgerrechte und wird neben Gabriel Riesser zu einem der führenden Köpfe der Märzrevolution von 1848. Seine Novellen über das jüdische Leben in deutschen Kleinstädten sind überaus populär und werden in mehrere Sprachen übersetzt. Den größten Ruhm jedoch erlangt er mit den 21 Bänden seiner Naturwissenschaftlichen Volksbücher. In fast jedem gutbürgerlichen Haus in Deutschland sind sie zu finden. Niemand anderes als er ist es, der Albert Einstein auf die Zusammenhänge von Raum, Zeit und Lichtgeschwindigkeit bringt. All das, ohne je einen Fuß in eine Universität gesetzt zu haben. Studienmethodik und wissenschaftliche Genauigkeit hat er sich als Jugendlicher beim Talmudstudium in Danzig angeeignet.

 

Erster Weltkrieg

Jüdische Soldaten kämpfen in den Kriegen Preußens gegen Dänemark, Österreich und Frankreich. Im Ersten Weltkrieg ist ihr Anteil in den Armeen der Achsenmächte überproportional hoch, ebenso wie der der Gefallenen und Ausgezeichneten. Jüdische Wissenschaftler, Künstler, Schriftsteller und Industrielle bringen Deutschland und Österreich zu Weltgeltung. Nobelpreisträger, Ärzte, Rechtsanwälte, Chemiker und Physiker, die meisten von ihnen sind Juden. Albert Einstein, Sigmund Freud, Paul Heyse, Nelly Sachs, Richard Willstätter, Fritz Haber, Max Born, Otto Warburg, Ernst Boris Chain, Paul Ehrlich, Max Liebermann, Stefan Zweig, Franz Werfel und Arthur Schnitzler sind nur einige einer schier endlos langen Liste.

Wozu es nach dem Ersten Weltkrieg geführt hat, muss nicht näher beschrieben werden. Es genügt zu erwähnen, dass dem Höhepunkt der scheinbaren deutsch-jüdischen Symbiose die Ermordung von sechs Millionen Juden im Holocaust folgt. Vorbereitet worden ist er lange vor Hitler durch die Schriften und Reden von Georg Christoph Lichtenberg (1742 - 1799), der die Juden als habgierige Betrüger bezeichnet, Immanuel Kant (1724 -1804), der sie Vampire der Gesellschaft nennt und ihre Euthanasie fordert, Johann Gottfried Herder (1744 - 1803), für den sie Parasiten sind, Johann Gottlieb Fichte (1762 - 1814), der ihnen die Köpfe abschneiden will, Friedrich Hegel (1770 - 1831), der meint, es wäre das Schicksal der Juden, zertreten zu werden, Clemens Brentano (1778 - 1842), der Ekel vor ihnen äußert und Hartwig Hundt (1780 - 1835) sowie Friedrich Rühs (1781 - 1820), die vor ihrer Weltherrschaft warnen. Auch der Turnvater Friedrich Jahn (1778 - 1852), der Völkerkundler Ernst Moritz Arndt (1769 - 1860), der Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827), der Komponist Richard Wagner (1813 - 1883), der Gymnasiallehrer Eduard Meyer (Daten unbekannt), die Anarchisten und Sozialisten Pierre-Joseph Proudhon (1809 - 1865), Pierre Leroux (1797 - 1871), Eduard Müller-Tellering (1811 - 1851) und Michail Bakunin (1814 - 1876), der Rassentheoretiker Arthur de Gobineau (1816 - 1882), der Kulturhistoriker Friedrich von Hellwald (1842 - 1892), die Theologen Paul de Lagarde (1827 - 1891), August Rohling (1839 - 1931) und Adolf Stoecker (1835 - 1909), der Journalist Wilhelm Marr (1819 - 1904), der Populärliterat Houston Stewart Chamberlain (1855 - 1927), der Wiener Bürgermeister Karl Lueger (1844 - 1910) und viele andere sind bekannte Antisemiten. Ihr Einfluss auf die Menschen in Deutschland und Österreich und teilweise auch in der Schweiz kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Als Vorboten des Holocaust kann man die Hep-Hep-Unruhen von 1819 bezeichnen, gewalttätige Ausschreitungen gegen Juden in ganz Deutschland. Von Würzburg aus greifen sie auf Prag, Graz, Wien, Amsterdam, Kopenhagen, Helsinki, Krakau und andere Städte über. Sie gehen von Handwerkern, Kaufleuten und Studenten aus, die sich zu antijüdischen Demonstrationen versammeln. Sie beschimpfen, bedrohen und misshandeln die Juden. In blinder Wut fallen sie über Synagogen, Geschäfte und Wohnungen her, richten immense Zerstörungen an und erschlagen bedenkenlos Menschen.

 

Synagogen müssen im Gegensatz zu Kirchen und Moscheen geschützt werden

Doch wenn all das zum Beweis meiner These nicht genügen sollte, dass Juden in Deutschland nie eine Zukunft hatten und sie auch in unserer Zeit nicht haben, so kann jeder ihre Situation heute selbst beurteilen. Sie gelten als gesetzestreue und loyale Staatsbürger und leiden doch täglich unter Angriffen, Beleidigungen und Ausgrenzung. Die Liste antisemitischer Übergriffe ist ebenso lang wie die der jüdisch-deutschen Koryphäen. Die Mordtat von Halle ist nur die vorläufig letzte Großmanifestation des Antisemitismus im heutigen Deutschland. Was tut die deutsche Regierung dagegen? Sie verurteilt den Antisemitismus mit Worten, setzt Antisemitismusverantwortliche ein, gewährt Beiträge an jüdische Museen und stellt Wachen vor Synagogen auf. Allein schon die Tatsache, dass diese im Gegensatz zu Kirchen und Moscheen geschützt werden müssen, zeigt, wie bedroht sie sind. In Taten aber empfängt sie die schlimmsten iranischen Mullahs in Berlin, beglückwünscht sie zur Revolution und wirbt in der EU für Milliardenzahlungen an sie. An genau die Leute, deren erklärtes Ziel die Zerstörung des Judenstaates ist, die mit Milliarden den internationalen Terrorismus finanzieren, mit dem der Export der iranischen Revolution gefördert werden soll. Den Judenstaat hingegen, die einzige Demokratie im Nahen und Mittleren Osten, das einzige Land, in dem Araber und Juden die völlige bürgerliche Gleichstellung genießen, verurteilt sie regelmäßig in der UNO für erdichtete Menschenrechtsverstöße oder enthält sich der Stimme. Gegen die wahren Missetäter Nordkorea, Syrien, Türkei, Irak und Iran jedoch bleibt diese Stimme still.

Mit dem eingangs erwähnten Wandel der Demographie sind Hunderttausende, wenn nicht Millionen Menschen nach Deutschland gekommen, die sich als Antizionisten bezeichnen, also den Judenstaat ablehnen. Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, ein Islamist und Verbündeter der iranischen Mullahs, befeuert den Antizionismus in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung. Viele unterstützen BDS, die vom „Palästinenser“ Omar Barghuti geführte Organisation zum Boykott israelischer Waren. Antizionismus und BDS stehen in einer langen Reihe antisemitischer Bewegungen. Mit dem allgemeinen Bekanntwerden der Naziverbrechen war der Antisemitismus in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit von einer Decke des Schweigens umhüllt. Nun wird diese Decke unter dem Vorwand des Antizionismus und der Unterstützung von BDS immer mehr weggezogen, obwohl BDS in vielen Staaten als antisemitisch entlarvt und verboten wurde.

Doch wie zu allen Zeiten, in denen Juden in Deutschland nicht von der Obrigkeit, sondern nur von Einzelnen umgebracht wurden, glauben viele von ihnen an eine bessere Zukunft und an das Ende des deutschen Antisemitismus. Ein Parteiführer in Deutschland ist Jude, die beliebteste Ärztin und Bestsellerautorin ist Jüdin, führende Forscher und Universitätsprofessoren sind Juden. Wie der Blick in die Geschichte gezeigt hat, waren sie das zu allen Zeiten, seit sie im Gebiet des heutigen Deutschland angekommen sind. Was hat es geändert? Auf jede Periode der Öffnung und Toleranz und der scheinbaren deutsch-jüdischen Symbiose folgte eine Zeit fürchterlicher Repression und Zerstörung. Warum sollte es heute anders sein?

 

Zum Autor: Alexander Günsberg ist 1952 als Sohn jüdischer Holocaustflüchtlinge aus Österreich und Ungarn in Mailand geboren. Er ist in Wien und Zürich aufgewachsen und hat Geschichte, Germanistik und Psychologie studiert. Er ist mit einer Christin verheiratet und lebt als Schriftsteller, Lektor, Leiter des Aber Verlags und Schachpromotor in der Schweiz. Seine bekanntesten Veröffentlichungen sind die Romane ‚Die Akte Eisenstadt‘, Mischa Turow‘ und ‚Tanz der Vexiere‘ und die Berichte aus dem Holocaust ‚Was die Väter erzählten‘. Demnächst erscheint die Trilogie ‚Jüdische Erzählungen‘, Jüdische Liebesgeschichten‘ und ‚Jüdische Feiertagsgeschichten‘ mit Illustrationen von Alexander Pavlenko und Astrid Saalmann und Begleitworten von Edita Koch, Myriam Halberstam und Werner Abel.

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