80 Jahre „Der große Diktator“

1940 wurde der antifaschistische Spielfilm von Charlie Chaplin uraufgeführt – eine bis heute berühmte zeitgenössische enttarnende Satire auf Adolf Hitler und den Nationalsozialismus.

Freiluftkino mit dem „Großen Diktator” am Brandenburger Tor© JOHN MACDOUGALL , AFP

Von Alexander Kumbarg

Diesen Film muss man wenigstens einmal im Leben gesehen haben. Vor 80 Jahren konnte Chaplin angesichts dessen, was in der Welt geschah, nicht schweigen; er schuf dieses Werk, das auch in der Gegenwart als Beispiel für den Kampf gegen Faschismus, Antisemitismus und Diktatur dienen kann. In der Zeit, als zahlreiche Länder vom Nazi-Wahnsinn ergriffen waren, schloss sich Chaplin den Stimmen derer an, die zeigten, wie niederträchtig, grausam und gleichzeitig lächerlich der Nazismus ist.

 

Barbier versus Diktator

Diese Geschichte erzählt von diskriminierten Juden und davon, wie das Böse vom Guten bekämpft wird. 1930er Jahre, ein Phantasieland namens Tomania. Auf der einen Seite der Konfrontation – die Unterdrücker, der mächtige Diktator Adenoid (in der deutschen Version - Anton) Hynkel, seine Armee und die Polizei; auf der anderen Seite – die Unterdrückten: ein jüdischer Barbier und seine jüdischen Freunde, die im Getto leben müssen. Die Kräfte sind ungleich verteilt – das Böse ist unermesslich stärker, und dennoch siegt am Ende das Gute. Charlie Chaplin ist Drehbuchautor, Regisseur, Filmproduzent und spielt beide Hauptrollen. Der für seine Rechte kämpfende jüdische Barbier und der Diktator Hynkel ähneln einander äußerlich so sehr, dass sie irgendwann die Plätze tauschen. Hynkel kommt ins Konzentrationslager, im jüdischen Barbier sehen alle den Führer, aber auf einer Kundgebung hält er eine feurige Rede auf Freiheit und Würde.

Der Film enthält eine Vielzahl von eindrucksvollen Szenen. Ausgezeichnet werden die Parodien auf Hitlers Reden und seine überbordende Art vor Menschenmassen zu sprechen: Hynkel schlägt um sich, redet Kauderwelsch, stößt einen wütenden Schrei aus, der von Husten und Keuchen unterbrochen wird. Er platzt fast vor Hass, ist dennoch gleichzeitig komisch. Man spürt, wie gut Chaplin Hitlers Reden studiert hat.

Hynkels Anspruch auf die Weltherrschaft zeigt sich perfekt im Tanz des Diktators mit einem Ballon-Globus zur Musik aus Wagners „Lohengrin“, des Führers Lieblingskomponisten. Hynkel wirft den Ball mit Händen und Füßen, und plötzlich platzt dieser, in dem Moment, als Adenoid dachte, er hätte ihn bereits gefangen. Bemerkenswert ist auch die Szene, wo der Despot den Vorhang hochklettert und verkündet, er wolle allein sein.

Minister Garbisch (aus dem Englischen „garbage“ für Müll, Abfall) – eine Parodie auf Goebbels, Minister Herring („Hering“) – Göring. Garbisch rät Hynkel, im Ghetto Pogrome zu veranstalten, zwecks Unterhaltung: „Zuerst werden wir die Juden los, und dann werden wir uns um die Brünetten kümmern.“ Auf Hering hängt Hynkel immerzu wie auf einen Weihnachtsbaum Medaillen und nimmt sie wieder ab. Nazi-Sturmtruppen werden nicht nur als böse, sondern auch als Narren dargestellt.

Die feierliche Ankunft des Zuges mit Hynkels Verbündeten, dem faschistischen Benzino Napoloni (der italienische Führer Benito Mussolini ist deutlich zu erkennen) ist ebenfalls voll von Kuriositäten. Das Empfangskomitee wird es leid, mit einem ausgebreiteten Teppich von Stelle zu Stelle zu laufen. Das ganze Treffen zwischen Hynkel und Napoloni sprüht vor Sarkasmus. Beide Bösewichte prahlen mit ihrer Überlegenheit, jeder versucht sogar, höher als der andere in einem höhenverstellbaren Stuhl zu sitzen. Es scheint, dass hier nur noch Stalin fehle, um das Bild zu vervollständigen…

Eine gelungene Szene ist auch die, die zeigt, wie der Barbier den Kunden rasiert, mit Johannes Brahms’ Musik im Hintergrund. Und die hübsche Nachbarin – Jüdin Hannah – schaltet mit gezielten Schlägen einer Bratpfanne Polizisten in Nazi-Uniform aus. Hannah – so hieß übrigens Chaplins Mutter – wird von Paulette Goddard gespielt, zu der Zeit war sie Chaplins Ehefrau.

Als der Barbier an der Front des Ersten Weltkrieges kämpfte, rettete er einem verwundeten Soldaten namens Schulz das Leben. Später wird Schulz ein „hohes Tier“ unter dem Diktator Hynkel, erinnert sich aber an seinen Retter und revanchiert sich, als die ihm unterstehenden Sturmtruppen den widerspenstigen Barbier lynchen wollen. Bald darauf kommt Schulz selbst ins Konzentrationslager, da er die antisemitische Politik von Hynkel nicht mehr unterstützen will. Schulz gelingt die Flucht, und er plant ein Attentat auf Hynkel, bei dem dessen Palast gesprengt werden sollte. Die Person Schulz im Film betonte, dass nicht alle Deutsche hinter Hitlers Politik standen.

Komödie und anmutige Tricks verbinden sich in „Der große Diktator“ mit der Ernsthaftigkeit politischer Satire. Der bescheidene Friseur ähnelt eindeutig dem Tramp – dem geliebten Helden von Chaplins Stummfilmen. Bei einem Date mit Hannah kleidet er sich auch wie ein Tramp: eine Jacke, eine weite Hose, eine Melone, große Schuhe, ein Stock ... und die Juden im Film werden laut Filmkritiker Michael Wood „zur kollektiven Personifikation von Little Tramp selbst, berührend, gerissen und der einzige normale Mensch in der Welt des Wahnsinns.“

 

Tramps Schnurrbart

Die Idee, einen satirischen antinazistischen Film zu drehen, bekam Chaplin einem berühmten britischen Regisseur, dem Juden Alexander Korda. Wahrscheinlich entstand die Idee aus den Ähnlichkeiten im Aussehen zwischen Chaplins Helden Tramp und Hitler, insbesondere wegen seines Schnurrbarts.

Während der Dreharbeiten bestanden weiterhin diplomatische Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland, so dass die Veröffentlichung des Films ein ernsthaftes Problem darstellte. Der Historiker Dawn B. Sova stellt in seinem Buch „125 Forbidden Films“ fest, dass Filme in den Vereinigten Staaten zu dieser Zeit stark zensiert wurden; viele wurden verboten oder gekürzt. Auch „Der große Diktator“ wurde attackiert. Nach Berichten in amerikanischen Zeitungen über Chaplins Absicht, Hitler zu parodieren, drohten deutsche Diplomaten in den USA dem Leiter der Verwaltung für die Kontrolle der Einhaltung der Filmproduktionsregeln, D. Brin, mit „schwerwiegenden Problemen und Komplikationen“. Aufrufe, Hitler nicht mit Angriffen von der Leinwand zu provozieren, kamen von einer Reihe von Politikern und Zensoren in den USA und Großbritannien. Auch die Hollywood-Studios wollten den deutschen Markt nicht verlieren.

Chaplin wurde unter Druck gesetzt, er erhielt sogar anonyme Drohungen, die Kinos würden mit Gasbomben bombardiert und auf Bildschirme würde man schießen. Als finanziell unabhängiger Filmemacher konnte Chaplin jedoch sein Recht auf künstlerische Freiheit verteidigen.

Es war eine sehr starke und würdige Tat Chaplins. Natürlich verstand er, dass er große Probleme haben könnte. Er machte sich Feinde, die Nazis nahmen ihn auf die „jüdische schwarze Liste“. Er ging ein großes Risiko ein, als er etwa zwei Millionen Dollar in diese Produktion investiert hatte. Das Verbot des Films hätte ihn in den Bankrott geführt. Trotzdem glaubte er, dass er angesichts der Bedrohung für die Welt einen solchen Film einfach machen musste: „Hitler sollte lächerlich gemacht werden.“ In Amerika gab es damals kaum Informationen über den größten Nazi.

Die Premiere von „The Great Dictator“, Chaplins erstem Tonfilm, fand im Oktober 1940 in den USA statt. Er wurde von der amerikanischen Öffentlichkeit und insbesondere in jüdischen Kreisen sehr gut aufgenommen und schnell populär. Vor den Kinos standen Warteschlangen. In Chaplins Heimat London wurde der Film im Dezember 1940 auf dem Höhepunkt der Bombenangriffe deutscher Flugzeuge gezeigt und verstärkte den kämpferischen Geist der Briten. Die Reaktionen der Filmkritiker waren jedoch sehr zweideutig: Von „einem Meisterwerk der Satire“ bis zu „Warum hat er sich in der Politik engagiert?“ war alles dabei.

Es gibt Hinweise darauf, dass Hitler den Film gesehen hat. Interessanterweise nannte er Chaplin einen der bekanntesten Schauspieler unserer Zeit. Danach jedoch wurde Chaplin für ihn eine verbotene Person in Deutschland.

In der UdSSR stand der Film während des Krieges kurz vor dem Start, aber Stalin behauptete, er habe geringe künstlerische Qualitäten. Wahrscheinlich schien ihm der Film als Bedrohung für sich selbst. Und obwohl Chaplins Werk in der UdSSR positiv bewertet wurde, dauerte es fast 50 Jahre bis nach der Premiere in den Vereinigten Staaten, bevor 1989, anlässlich des 100. Geburtstages Chaplins, die sowjetischen Zuschauer endlich den „Großen Diktator“ sehen konnten.

Wolken werden sich auflösen

Die letzte Rede des Barbiers alias Hynkel war bemerkenswert: „Ich möchte allen helfen: Juden, Benachteiligten, Schwarzen, Weißen... Es gibt für jeden einen Platz auf dieser Welt. Unsere Erde ist unermesslich groß, sie wird alle ernähren. Wir können frei und glücklich leben, nur haben wir bloß vergessen, wie das geht. Menschliche Seelen sind durch Gier vergiftet, die Welt ist voller Hass, der uns auf einen blutigen Weg treibt! Jetzt hört uns die ganze Welt, Millionen verzweifelter Männer, Frauen und Kinder, die Opfer eines Systems geworden sind, das menschliches Leben in Folter verwandelt und die Unschuldigen der Freiheit beraubt... verzweifeln sie nicht, wir werden diese Grausamkeit, Gier und Bosheit derer überwinden, die den menschlichen Fortschritt fürchten und zu behindern suchen. Hass wird vergehen, es wird keine Diktatoren mehr geben, und ihre Macht wird in die Hände gewöhnlicher Menschen übergehen. Solange ein Mensch lebt, wird die Freiheit nicht sterben! Die Wolken werden sich auflösen... wir werden aus der Finsternis herauskommen.“

Eigentlich sind diese Worte vielmehr der Ausdruck Chaplins eigener Ansichten als eine Rede des Helden im Film. Dieses Finale war viel zu ernst und passte nicht zu einer Komödie. Später erzählte Chaplin, warum er den Film nicht mit einer lustigen Handlung, sondern mit einer ernsthaften politischen Rede beendete: „Ich konnte nicht anders... Auf keine andere Weise hätte ich das ausdrücken können, was in mir kochte... Ich wollte das Publikum aus dem Zustand verdammter Selbstgefälligkeit herausholen. Dies ist schließlich nicht nur ein weiterer Krieg. Der Sieg des Faschismus ist das Ende unserer Welt... "

 

Den Diktator demaskieren

Mit seiner Waffe – dem Lachen – kämpfte Chaplin gegen Diktatoren, entlarvte ihren Kult, zeigte, wie erbärmlich, wie nichtig diese von Größenwahn aufgeblasenen Personen waren, in niederen Gelüsten versinkend und das menschliche Leben missachtend. Später schrieb er in seiner Autobiographie: „Wenn ich über das wahre Grauen deutscher Konzentrationslager Bescheid gewusst hätte, hätte ich natürlich keinen ‚Diktator‘ machen können, ich hätte nicht über die Nazis lachen können, über ihre monströse Manie der Zerstörung.“

Der britische Biograf des Schauspielers, D. Robinson, hielt in seinem Buch „Charlie Chaplin. Leben und Werk“ fest: „Der Große Diktator“ bleibt ein einzigartiges Phänomen, ein epochales Ereignis in der Geschichte der Menschheit. Chaplin, der größte Clown und Favorit seiner Zeit, forderte jenen Mann unmittelbar heraus, der mehr als jeder andere in der modernen Geschichte Böses und Elend über die Menschheit brachte.“

Und noch etwas muss angermerkt werden: Entgegen der verbreiteten Meinung war Chaplin gar kein Jude. Bald nach dem „Großen Diktator“ zählten ihn die Nazis zu den Juden. Tatsächlich waren viele überzeugt, dass der Schöpfer des Films, der so gewaltig gegen die Unterdrückung der Juden auftritt, ein Jude sein muss. Aber nein. Chaplin formulierte es so: „Ich bin kein Jude, es ist kein Tropfen jüdischen Blutes in mir. Aber wenn ich es wäre, würde ich nicht daran denken, diese Tatsache zu verbergen. Darauf wäre ich stolz.“ Nur war es so, dass Chaplin klar sah, dass die Welt in bestialischen Antisemitismus versunken war, und er konnte dies nicht unerwähnt lassen, als Künstler und als Mensch.

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