Will die Görlitzer Stadtverwaltung jüdische Geschichte tilgen?
In der denkmalträchtigen Stadt Görlitz soll bei der nach 26 Jahren endlich fertig renovierten Synagoge ausgerechnet auf den Davidstern verzichtet werden. Dieser war offenbar nicht nur den Nazis aus dem Dritten Reich und den Kommunisten der DDR ein Dorn im Auge, sondern wird nun auch von Teilen des Görlitzer Magistrats als störend und ausgrenzend empfunden.
Die Synagoge in Görlitz
In Görlitz, Deutschlands architektonischer Bilderbuchstadt, die als beliebte Kulisse für Filmproduktionen den Beinamen „Görliwood“ trägt, steht eine der schönsten Synagogen Deutschlands. Im Gegensatz zu anderen, in den Novemberpogromen 1938 niedergebrannten und zerstörten Bauwerken, erlitt der 1911 fertiggestellte Jugendstilbau damals kaum Beschädigungen. Warum es seinerzeit, trotz Brandschatzung, zu einem erfolgreichem Löscheinsatz kam, der für ihren Erhalt sorgte, ist unbekannt. Gerade diese Unversehrtheit macht die einzige Synagoge Sachsens, die damals nicht bis auf die Mauern niederbrannte, zu einem Zeichen der Hoffnung für jüdisches Leben in Deutschland – sollte man meinen.
An einem warmen Septembertag sind wir zufällig in Görlitz, und kommen auch an der Synagoge vorbei. Von außen noch immer einer Baustelle gleichend, gehen wir um das Gebäude herum und finden eine offene Tür, die uns in Innere der Synagoge führt.
Ein dort arbeitender Bauleiter ermahnt uns erst, die Baustelle nicht weiter zu betreten und führt uns dann doch durch das Haus. Die Renovierung der Synagoge, mit der bereits 1994 begonnen wurde und die bis zum heutigen Tag andauert, hat die Synagoge unrühmlicherweise als „längste Baustelle“ in Görlitz bekannt gemacht. In diesem Jahr soll nun endlich alles fertiggestellt sein, doch momentan dauern die Arbeiten an der Synagoge, die in der DDR-Zeit verfiel, noch immer an.
Juden im Keller
Warum man sich so viel Zeit mit dem Renovierungsvorhaben ließ, bleibt unklar. Eine Entscheidung, mit der die Stadt Görlitz allerdings nur kurz gehadert zu haben scheint, ist, das Gotteshaus nicht wieder seinem ursprünglichen Zweck zuführen zu wollen. Auf unsere Nachfrage, ob es denn keine jüdische Gemeinde in Görlitz gebe, erhalten wir die Antwort, doch, die gäbe es, aber mit etwa 25 Personen wäre es ausreichend, dass diese die vorhandenen Ergänzungsräume im Keller des Gebäudes nutzt. Zudem bestünde größerer Bedarf an multifunktionalen Veranstaltungsräumen, weshalb man hier darauf verzichtet hätte, die Synagoge wieder zu weihen und der hiesigen jüdischen Gemeinde die Chance auf einen umfassenden Neuanfang einzuräumen. Ist dem wirklich so?
Wer sich in der, außer von Touristen, wenig belebten Stadt umschaut, muss feststellen, dass beinahe jedes der vorhandenen Museen über Veranstaltungsräume verfügt. Zudem gibt es eine dem Verfall preisgegebene, historische Stadthalle nahe der Neiße, deren Wiedereröffnung für 2025 unter der Regie einer eigens dafür gegründeten Stadthallenstiftung geplant ist. Geht es hier also wirklich darum, dass die Görlitzer Synagoge als Veranstaltungsort dienen muss, der anders nicht beizubringen ist?
Wohl kaum. Doch worum geht es möglicherweise dann?
Wer die Diskussionen, die augenscheinlich schon länger zwischen Bauamt, Stadtverwaltung und Förderverein hin- und herwabern, verfolgt, den kann ein ganz anderes Gefühl beschleichen, das auch in die politische Linie auf Bundesebene passt.
Welche „Grenzen“ setzt der Davidstern?
Dazu passt z.B. die Entscheidung, auf der Kuppel den noch fehlenden Davidstern nicht anbringen zu wollen: „Bestimmte Nutzungen sollen nicht ausgeschlossen werden“ heißt es da und, noch prägnanter: „Es gibt einige in der Stadtverwaltung, die der Meinung sind, dass ein Davidstern möglicherweise Grenzen setzt.“ Welche Grenzen der Nutzung das sein können, kann sich jeder vorstellen. Beziehungsweise welche Gruppierung sich an einem Davidstern möglicherweise stören könnte.
Die Beliebigkeit eines „multifunktionell“ zu nutzenden Veranstaltungsraums macht es der Lokalpolitik natürlich leicht, allen potentiellen Nutzern eines solchen Raumes freundlich entgegenzukommen. Eine enorme Chance, um nicht zu sagen, eine historische Verpflichtung wird dadurch allerdings auch versäumt: jüdischem Leben in Deutschland den Raum zu geben, der seinerzeit da war und auf verbrecherische Art und Weise genommen wurde. Proaktiv jüdisches Leben in Görlitz zu fördern und mit der zu neuem Glanz erstrahlten Synagoge, die Sachsens einzig erhalten gebliebener, jüdischer Sakralbau ist, auch neu anzusiedeln: genau dies wäre eine Chance gewesen, mit der die Stadt ein einzigartiges Vorbild in Deutschland hätte werden können.
Sie wurde vertan.
Vielleicht auch, weil es nicht genügend Druck gibt und die mediale Berichterstattung sich in äußerst engen Grenzen hält?
Seit der Gründung des „Förderkreis Synagoge e.V.“ 2005, gibt es in Görlitz wieder eine jüdische Gemeinde. Seit 2007 wurden Bestrebungen laut, die Synagoge neu zu weihen und wieder für Gottesdienste zu nutzen. Die Realität allerdings ist eine andere, so dass überall von offizieller Seite zu lesen und zu hören ist, dass es eine „ausschließliche gottesdienstliche Nutzung des Hauses durch die jüdische Gemeinde nicht geben wird“ und man stattdessen 2011 mit einem ökumenischen Gottesdienst die Einweihung des Gebäudes als Kunst- und Begegnungszentrums feierte. Dass diese Entscheidung so gefällt wurde, macht betroffen. Dass sie auf Landes- wie Bundesebene unkommentiert bleibt, ist ein handfester Skandal.
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