Leonard Bernstein: Die Jewish Story
Zum 30. Todestag des herausragenden jüdisch-amerikanischen Komponisten, Dirigenten und Pianisten.
Leonard Bernstein mit Mstislav Rostropovich und Galina Vischnevskaja, 1976 © AFP
Der große amerikanische Komponist und Dirigent Leonard Bernstein ist vielen Einwanderern aus der UdSSR vor allem als Autor des Musicals „Westside Story“ bekannt. In wenigen Zahlen und Fakten, die für sich sprechen, lässt sich jedoch das reale Ausmaß von Bernsteins kreativer Persönlichkeit darstellen.
Die kulturellen Veranstaltungen zum 100. Geburtstag von Bernstein im Jahr 2018 dauerten fast zwei Jahre an und umfassten 2.000 verschiedene Events – Konzerte, Ausstellungen, Performances – auf sechs Kontinenten. Leonard Bernstein wurde im November 2010 vom britischen BBC Music Magazine unter den 100 besten Dirigenten der Welt auf Platz zwei der Top 20 Dirigenten aller Zeiten gewählt. Er gewann 17 Grammy Awards und zwei Tony Awards. Bernstein war der erste amerikanische Dirigent, der 1953 in die berühmte Mailänder Scala (Teatro alla Scala) eingeladen wurde. Er war eingeladen, das vereinigte Orchester zu dirigieren, das zu Ehren des Mauerfalls am 25. Dezember 1989 in Berlin Beethovens Neunte Symphonie aufführte (dabei änderte Bernstein den finalen Satz von „Ode an die Freude“ in „Ode an die Freiheit“, was dem Moment noch mehr Symbolkraft verlieh (mit der Bemerkung: „Ich bin sicher, Beethoven würde uns zustimmen“. – Anm. d. Übers.). Diese Veranstaltung wurde von 100 Millionen Menschen im Fernsehen verfolgt. Also gibt es einen unbestreitbaren und offensichtlichen Grund, heute über den Sohn jüdischer Einwanderer aus der Ukraine zu sprechen.
Lenny aus Boston: Den amerikanischen Traum wahr werden lassen
Wenn man den Namen „Leonard“ in Google eingibt, verweisen die ersten drei Links auf folgende Personen: Leonard Cohen, Leonard Nimoy, Leonard Bernstein. Bemerkenswerterweise sind alle drei Leonards jüdisch – der berühmte Sänger-Songwriter, der beliebte Schauspieler (der Star der Serie „Star Trek“) und der große Komponist und Dirigent. Übrigens kamen Leonard Nimoys Eltern aus Izyaslav und Bernsteins Eltern aus Rowno in die USA. Allerdings hieß Leonard Bernstein nicht von Geburt an Leonard. Sein jüdischer Name ist Arie-Leib. Für das zivile Leben wurde er auf Drängen seiner Großmutter zunächst Louis genannt. Aber die Eltern nannten den Jungen dann Leonard – sie mochten es so. Nach dem Tod seiner Großmutter, als Louis 15 Jahre alt war, erhielt er den Namen Leonard nun auch amtlich. Seine Freunde nannten ihn jedoch immer Lenny.
Der Vater der Familie, Samuel Joseph Bernstein, kam 1908 im Alter von 16 Jahren nach Amerika: Er floh vor Armut und Pogromen. In den USA wurde er Sam Bernstein, ein Großhandelslieferant von Friseurzubehör. Die Familie lebte in Lawrence, Massachusetts, in der Nähe von Boston.
Lenny zeigte reges Interesse an Musik und seine eigenen musikalischen Fähigkeiten entwickelten sich recht früh. Nach seinen Erinnerungen war er sehr beeindruckt von dem Ballett, das auf Beethovens Siebter Symphonie basierte. Schon damals wollte der Junge ernsthaft Musiker werden – Pianist und Dirigent.
Zunächst ermutigte Sam seinen Sohn in dessen Absichten nicht. Nachdem er sich aber im Laufe der Zeit von seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten überzeugt hatte, gab er ihm dennoch seine Unterstützung. Nach dem Abschluss an der renommierten Lateinschule in Boston studierte Lenny in Harvard Komposition und die Kunst des Dirigierens am Curtis Institute of Music in Philadelphia unter der Leitung von Fritz Reiner, einem ungarischen Juden, der zu einem großen amerikanischen Dirigenten wurde.
Rainer war sehr streng – er forderte seine Schüler auf, sich jede Note in der Partitur zu merken, bevor sie den Stab des Dirigenten anrühren. Während des Unterrichts schaltete Rainer den Plattenspieler ein, hob irgendwann plötzlich die Nadel und fragte: „Welche Note spielt jetzt die zweite Flöte?“ Lenny Bernstein war der Schüler, der immer die richtigen Antworten gab. Lenny konnte leicht alle Disziplinen lernen – Komposition, Orchestrierung, Musiktheorie, er konnte jede Melodie vom Blatt spielen und in allen Genres komponieren – von Liedern bis zu Symphonien.
Bernsteins Schicksal passt perfekt zum „Model of American Dream“. Er war Assistent des Dirigenten des New York Philharmonic Orchestra. Eines Tages im Dezember 1943 erkrankte der Dirigent des Orchesters, Bruno Walter, am Tag vor dem Konzert an der Grippe, und der junge Bernstein wurde mit der Leitung eines anspruchsvollen, komplexen Programms von Schumann und Wagner beauftragt. Nachdem er die Nacht mit den Partituren verbracht hatte, spielte Lenny ohne Proben brillant das Konzert, erhielt begeisterte Kritiken von der Presse und erwachte am nächsten Tag, wie man so sagt, berühmt – wahrhaftig ein Märchen.
Das war der Startschuss für seine überaus erfolgreiche Karriere: Es kamen Einladungen und Verträge mit den besten Orchestern der Welt, triumphale Konzerte und Aufnahmen. Und das New York Philharmonic Orchestra leitete Bernstein zehn Jahre lang - von 1958 bis 1969.
Zwei Handlungen in der Musik
Als Dirigent erreichte Bernstein alles. Aber er war gelangweilt, sich nur mit dem Dirigieren zu beschäftigen; seine leidenschaftliche Natur und sein enormes Talent erforderten andere Betätigungsfelder. „Ich möchte mein Leben nicht wie Toscanini verbringen und immer wieder dieselben 50 Werke studieren“, schrieb Bernstein. „Ich würde vor Langeweile sterben. Ich möchte dirigieren, ich möchte Klavier spielen. Ich möchte für Hollywood schreiben. Ich möchte symphonische Musik komponieren. Ich möchte versuchen, Musiker im wahrsten Sinne des Wortes zu sein. Ich möchte auch unterrichten. Ich möchte Bücher und Gedichte schreiben. Und ich glaube, dass ich das alles bestmöglich machen kann.“
Und er hat fast alles erreicht, wovon er geträumt hat. Nur mit Hollywood hat es nicht geklappt – zu Beginn seiner Popularität, in den frühen 50er Jahren, wurde er aufgrund seiner linken politischen Gesinnung in die berüchtigte „schwarze Liste“ aufgenommen. Obwohl Bernstein keine wirkliche Verfolgung erlebte, entschied sich Hollywood, sich nicht auf den „illoyalen“ Komponisten einzulassen.
Aber auch ohne Hollywood wurde Bernstein ein große Komponist. Er schuf Musik für drei Ballette, drei Opern, sieben Musicals, Symphonie-, Chor-, Kammer-, Gesangs- und Instrumentalwerke. Am beliebtesten war natürlich das Musical „Westside Story“ (1957), auf dessen Grundlage 1961 ein Film gedreht wurde. Zusammen mit Bernstein wurden zwei weitere Juden die Schöpfer des Erfolgs des Musicals – der Autor des Textes Stephen Sondheim und der Choreograf Jerome Robbins (Rabinovich).
Als Komponist ist Bernstein für seine gewagte Kombination aus klassischer Musik mit Jazz und Rock berühmt. Mann kannte sein unglaubliches Temperament und seinen Charme, die das Publikum dazu veranlassten, den charismatischen Dirigenten im Auge zu behalten. Eine überschwängliche Popularität genießt das Video auf Youtube, wo Bernstein das Finale von Haydns 88. Symphonie dirigiert, seinen Stab senkt und das Orchester mit äußerst ausdrucksstarken Gesichtsausdrücken leitet.
Zwei Handlungen im Leben
Nicht nur in Bernsteins Werk können zwei Hauptkomponenten unterschieden werden – der Dirigent und der Komponist. Im Leben des Musikers gab es auch zwei Haupthandlungen – und während eine von ihnen im Verborgenen blieb, war er in der anderen offen und demonstrativ.
Das Schicksal wollte es so, dass Bernstein zur homosexuellen Gemeinschaft gehörte. Es wurde von ihm gesagt, dass er Frauen geistig und Männer körperlich liebt. Zu seiner Zeit war die Gesellschaft weit entfernt von politischer Korrektheit und Toleranz, so dass er nicht offen homosexuell sein konnte und unternahm in seiner Jugend sogar den Versuch, mit Hilfe der Psychoanalyse behandelt zu werden.
1951 heiratete Bernstein die chilenische Schauspielerin Felicia Montealegre, die nicht nur seine Bedingungen akzeptierte, sondern auch zum Judentum konvertierte (ihr Großvater war jedoch ein Jude namens Cohn). Das Paar hatte drei Kinder – die Söhne Jamie und Alexander und die Tochter Nina. Aber seine Leidenschaften hat Bernstein nicht geändert, auch wenn er sie nie zur Schau trug.
Er hatte eine völlig andere Einstellung zu einem anderen Aspekt seiner Identität – dem Jüdischen – und lehnte in seiner Jugend den Rat eines seiner Lehrer – Sergei Koussevitsky, der selbst Jude war – ab, seinen Nachnamen in einen „amerikanischeren“ zu ändern.
Bernstein komponierte eine Reihe von Werken zur jüdischen Thematik – seine erste Symphonie „Jeremiah“ (1942), basierend auf biblischen Texten, und ein Werk für den Kantor und Chor „Haschkiweinu“ (1945) mit einem Text aus dem Schabbat-Gottesdienst Schacharit und dem Oratorium „Kaddisch“ (1963), das auf das jüdische Trauergebet zurückgeht. Als der Dekan der Kathedrale von Chichester 1965 Bernstein beauftragte, Chorpsalmen zu komponieren, erklärte sich Bernstein bereit, die Musik zu schreiben, unter der Bedingung, dass der Text auf Hebräisch und nicht auf Englisch sein würde. 1974 schrieb er das Ballett „Dybbuk“ nach dem Theaterstück von Salomon An-sky und 1981 – ein Nocturne für Flöte und Orchester „Halil“ in Erinnerung an einen israelischen Piloten, der während des Jom-Kippur-Krieges fiel (die Chalil – Hebr. von „ausholen“ – ein populäres Blasinstrument, erwähnt bereits im Alten Testament; Bernsteins Werk wurde dem Flötisten Yadin Tanenvaum gewidmet, der 1973 19-jährig fiel. – Anm. d. Übers.).
Ständiger Unterstützer Israels
Leonard Bernstein war ein ständiger und aktiver Unterstützer Israels. Er besuchte Israel zum ersten Mal während des Unabhängigkeitskrieges. „Die Errungenschaften des Zionismus haben mich tief berührt“, schrieb Bernstein. „Ich habe die Front besucht. Ich spielte Klavier in Krankenhäusern für die Verwundeten im Negev und in den Lagern der Soldaten und Kibbuzniks. Ich wurde mit der Medaille ‚Für die Verteidigung Jerusalems‘ und dem Ehrenabzeichen ‚Palmach‘ ausgezeichnet. Beinahe wurde ich ein Teil all dieser wunderbaren Menschen und der schicksalhaften Geschichte dieser Tage.“
Eine besondere Beziehung hatte Bernstein zu israelischen Musikern. 1947 begann er mit dem Israel Philharmonic Orchester zu arbeiten, und diese Verbindung dauerte bis zu seinem Lebensende – bis zum 14. Oktober 1990.
Während seiner zweiten Israelreise 1948 gab Bernstein Konzerte in Jerusalem, Tel Aviv und Haifa, wollte aber ins Landesinnere reisen. Zusammen mit Freiwilligen des Orchestra erreichte er Beer Scheva, wo zum ersten Mal in der Geschichte der Stadt auf Vorschlag Bernsteins symphonische Musik erklang und das Publikum hauptsächlich aus Soldaten bestand.
1957 dirigierte Bernstein das Eröffnungskonzert des Mann Auditorium (heute Charles Bronfman Auditorium, - Anm. d. Übers.) in Tel Aviv. Und zehn Jahre später trat er anlässlich der Wiedervereinigung Jerusalems mit einem Orchester auf dem Berg Scopus in Jerusalem auf. In den 70er Jahren arbeitete Bernstein mit dem Israel Philharmonic Orchestra zusammen, um viele Stücke für die Deutsche Grammophon aufzunehmen. Auf seine Initiative hin wurde eine Sammlung von Musikinstrumenten von Sergei Koussevitsky an die Jüdische National- und Universitätsbibliothek gespendet.
Nach dem Tod des Musikers fanden in den 90er Jahren in Jerusalem drei internationale Bernstein-Wettbewerbe für Dirigenten, Sänger und Komponisten statt. Leonard Bernstein trug zeitlebens aktiv zur internationalen Anerkennung der israelischen Musikkultur bei.
Daher gilt Leonard Bernstein in Israel bis heute als Held.
Übersetzung aus dem Russischen von Irina Korotkina
Sehr geehrte Leser!
Die alte Website unserer Zeitung mit allen alten Abos finden Sie hier:
alte Website der Zeitung.
Und hier können Sie:
unsere Zeitung abonnieren,
die aktuelle oder alte Ausgaben bestellen
sowie eine Probeausgabe bekommen
in der Druck- oder Onlineform
Werbung